II
In Philadelphia waren sie schon lange Zeit beisammen gewesen
– Sammy Nunzio, Mush und Denker Tomaszewski. Sie hatten ein paar Dunkelgeschäfte gemacht, ein bißchen mit Drogen gehandelt, aber meistens waren sie als Buchmacher tätig.
Sie hatten sich ganz schön etabliert, insbesondere, seit der Denker zu ihnen gestoßen war. Der Denker war ein typischer Winkeladvokat, mit akademischem Titel, Büro und allem, was dazugehörte, und er bildete die Fassade des Unternehmens. Das Komische daran war, daß Denker Tomaszewski auch ein reguläres Anwaltsbüro hatte und ohne weiteres auch ohne krumme Touren ausgezeichnet hätte leben können.
Aber er hatte sich ihnen, zumindest zu Anfang, des Abenteuers wegen angeschlossen.
»Ich kann es mir nur so erklären«, hatte er zu ihnen gesagt,
»daß ich anscheinend kein Superego habe«.
Immer mit diesen hochtrabenden Ausdrücken, das war der Denker.
Und diese hochtrabenden Ausdrücke waren es auch, die sie schließlich in Schwierigkeiten gebracht hatten. Am Anfang war 141
alles prima gelaufen. Mit seinem Büro als Tarnung hatten sie sich einen besseren Kundenstamm heranziehen können – nicht die miesen Typen mit ihren Zwei-Dollar-Einsätzen, sondern wirklich gut betuchte Wetter. Er trieb sie Sammy, Nunzio oder Mush zu, und die schlossen die dicken Wetten ab.
Sie machten auch dicke Profite. So dicke Profite, daß sie schließlich selbst ein paar Einsätze riskieren mußten. Zum Beispiel bei so großen Nummern wie Mickey Tarantino. Natürlich gingen sie gewitzt vor und riskierten nur etwas, wenn sie sichere Tips hatten, zum Beispiel, daß eines der Pferde gedopt werden sollte.
Aber dann kam ein Nachmittag, an dem sie sich verkalkuliert hatten. Plötzlich steckten sie mit zwanzigtausend in der Klemme. Mickey Tarantino streckte die Hand aus und grinste.
Aber sein Grinsen verschwand schnell, als ihm Sammy erklärte, daß sie Zeit brauchten, um bezahlen zu können.
»Was soll das heißen?« hatte Mr. Tarantino gefragt. »Ihr habt’s doch dicke. Man braucht sich doch bloß die ganzen, reichen Knaben anschauen, die bei euch wetten.«
»Alles, was wir vorweisen können, sind Schuldscheine«, sagte Sammy. »Es ist genau so wie im Delikatessenladen deines alten Herrn. Die Armen zahlen bar, und die Reichen lassen anschreiben. Bei uns ist es genauso. Wir können nicht so plötzlich bei ihnen kassieren.«
»Das solltet ihr aber lieber tun«, riet ihm Mr. Tarantino,
»denn ihr habt nur bis morgen früh Zeit. Andernfalls landet ihr in Plotter’s Field oder sonstwo.«
Also ging Sammy wieder, berief im Büro des Denkers eine Versammlung ein und ließ die Neuigkeiten vom Stapel.
Aber der Denker hatte ebenfalls Neuigkeiten für sie.
»Tarantino ist nicht der einzige, der glaubt, daß wir im Geld schwimmen«, verkündete er. »Auch Onkel Sam versucht plötzlich, uns ins Maul zu schauen und meint, wir seien für eine Nachzahlung von Einkommensteuer fällig.«
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»Großartig!« stöhnte Sammy. »Vor uns Tarantinos Gorillas und hinter uns die Bullen. Und wohin sollen wir jetzt?«
»Ich würde sagen, zuerst einmal zu unseren Kunden«, antwortete der Denker. »Ein paar von ihnen müssen ihre Schulden einlösen.«
Sammy, Nunzio und Mush machten sich auf den Weg. Am frühen Abend kamen sie wieder zusammen und zählten das gemeinsame Ergebnis.
»Dreitausend!« schnaubte Sammy. »Drei lausige Riesen!«
»Ist das alles?« Der Denker war ehrlich verwundert. »Ich hätte erwartet, daß ihr mehr bekommt.«
»Sicher haben wir mehr bekommen. Entschuldigungen haben wir bekommen, Versprechungen und schwache Ausreden. Hier ist das, was zählt. Drei Riesen, und keinen Cent mehr.«
»Wie ist es mit Cobbett?« fragte der Denker.
»Professor Cobbett? Dein Lieblingskind, wie?«
Der Denker nickte.
»Wie hoch steht er in der Kreide?« fragte Sammy.
»Ungefähr acht, glaube ich.«
»Acht und drei macht elf. Nicht sehr viel. Aber wenn wir’s schnell auftreiben, wartet Tarantino vielleicht noch eine Weile auf den Rest.«
»Dann holen wir es doch schnell«, schlug Mush vor. »Gehen wir gleich alle zum alten Cobbett.«
Sie zwängten sich also gemeinsam in Sammys Auto und machten sich auf, den alten Cobbett zu besuchen. Der Professor hatte ein Landhaus – ein ideales Heim für einen alleinlebenden Mann –, und er begrüßte den Denker äußerst freundlich und herzlich.
Als er aber herausbekam, was den Denker zu ihm geführt hatte, war er plötzlich nicht mehr ganz so freundlich, und als auf einen Wink des Denkers seine drei Begleiter aus der Dunkelheit auftauchten, war es mit seiner Gastfreundlichkeit 143
vorbei.
Sie mußten ihre Füße in die Tür stellen und ihm die Bleispritzen auf die Rippen setzen.
»Kein Spaß«, bedeutete ihm Nunzio. »Wir brauchen den Zaster.«
»Meine Güte«, sagte Professor Cobbett, als sie ihn rückwärts ins Wohnzimmer drängten, »ich habe doch kein Geld.«
»Halt uns doch nicht für Idioten«, sagte Mush. »Man braucht sich doch bloß den Laden hier anzusehen. Die schönen Möbel und das alles.«
»Hypotheken«, seufzte der Professor. »Hypotheken bis übers Dach.«
»Und was ist mit der Schule, wo du Lehrer bist«, fragte Mush. »Du könntest doch einen Vorschuß oder so was von denen verlangen, oder?«
»Ich habe mit der Universität nichts mehr zu schaffen.«
»Und was haben Sie noch?« fragte Sammy.
»Ja«, fügte der Denker hinzu, »ich habe Sie für einen wohlhabenden Mann gehalten.«
Der Professor zuckte die Schultern und fuhr sich mit der Hand durch sein graues Haar. »Die Dinge sind eben nicht immer wirklich das, was sie scheinen«, sagte er. »Ich habe Sie zum Beispiel auch für einen anständigen Geschäftsmann gehalten. Und als ich in meiner Unschuld zum erstenmal fragte, ob es möglich sei, ein paar kleine Wetten abzuschließen, hätte ich mir nie träumen lassen, daß Sie mit solchen Rowdies gemeinsame Sache machen.«
»Überleg dir, was du sagst«, warnte ihn Sammy. »Wir sind genausowenig Raufbolde, wie achttausend Dollar eine kleine Wette sind. Was soll das übrigens heißen – mit den Dingen, die nicht das sind, was sie scheinen?«
»Nun, das ist so«, begann der Professor. »Ich hatte einen ansehnlichen Betrag auf die Seite gelegt, das ist richtig. Und ich hatte an der Universität eine Stellung von einiger 144
Bedeutung. Die Tatsache, daß sowohl mein Geld, als auch dieser Posten heute weg sind, hängt nur mit einer Sache zusammen – meinem privaten Forschungsprojekt.
Die Kosten für meine Experimentiermodelle haben an meinen Ersparnissen gezehrt. Die Enthüllung meiner Theorien hat mich meine Stellung in der Fakultät gekostet. Die Notwendigkeit, weitere Mittel aufzutreiben, um meine Arbeit fortsetzen zu können, trieb mich dazu, auch die letzte Möglichkeit auszuschöpfen – Pferdewetten. Jetzt habe ich nichts mehr.«
»Das brauchst du bloß noch einmal zu sagen«, bedeutete ihm Sammy, »und in ungefähr drei Minuten hast du wirklich überhaupt nichts mehr. Mit Bändeln drumherum.«
»Einen Augenblick«, schaltete sich der Denker ein. »Experimentiermodelle, sagten Sie? Woran haben Sie gearbeitet?«
»Ich kann es Ihnen zeigen, wenn Sie möchten.«
»Also los«, sagte Sammy. »Haltet die Pusten bereit, Jungs, für den Fall, daß er die krumme Tour versucht.«
Aber der Professor versuchte nichts. Er führte sie nach unten in den ehemaligen Keller, in dem er sich ein reich ausge-stattetes Privatlaboratorium eingerichtet hatte. Er führte sie zu einem mit Spulen, Röhren und Armaturen bedeckten Metallkäfig.
»Meine Fresse«, war Nunzios Kommentar, »was hast du denn da gebastelt? Soll wohl so ein komischer Frankenstein werden?«
»Ich wette, es ist ein Raumschiff«, spottete Mush. »Soll’s zum Mars gehen, oder wohin?«
»Bitte«, seufzte der Professor, »Sie machen sich lustig über mich.«
»Wir machen in weniger als einer Minute Hackfleisch aus dir«, korrigierte ihn Sammy. »Dieser Drahtverhau ist doch nichts für uns. Dafür kriegen wir beim Alteisenhändler keine zwanzig Dollar.«
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Denker Tomaszewski schüttelte den Kopf. »Was soll dieses Gebilde darstellen, Professor?«
Professor Cobbett errötete. »Ich wage es nicht, es so zu bezeichnen, besonders nach den vernichtenden Kommentaren, die ich von sogenannten Kapazitäten erhalten habe. Aber es gibt keinen besseren Ausdruck dafür. Es ist eine Zeitmaschine;«
»Uff!« Sammy klatschte sich mit der Hand auf die Stirn.
»Und für solch einen Blödsinn hat dieser dämliche Wissenschaftler unsere achttausend Dollar ausgegeben!«
Der Denker musterte ihn mit gerunzelter Stirn. »Eine Zeitmaschine, sagen Sie? Ein Gerät, das einen vor- und rückwärts durch die Zeit transportieren kann?«
»Nur rückwärts«, antwortete der Professor. »Reisen nach vorn sind nachgewiesenermaßen unmöglich, weil die Zukunft ja nicht existent ist. Und transportieren ist auch nicht gerade das richtige Wort. Transition käme dem wahren Sachverhalt schon näher, insoweit nämlich, als die Zeit keine Materie- oder Raumcharakteristika aufweist und an das dreidimensionale Universum nur durch das einzige zu beobachtende Phänomen gebunden ist, das man als Dauer bezeichnet. Wenn man nun die Dauer mit X bezeichnet und …«
»Halt’s Maul!« unterbrach ihn Nunzio. »Blasen wir diesen Hanswurst doch um und verschwinden wir von hier. Wir verschwenden bloß unsere Zeit.«
»Zeit verschwenden …« Der Denker nickte. »Professor Cobbett, funktioniert dieses Modell?«
»Ich bin ziemlich sicher. Ich habe es noch nicht ausprobiert.
Aber ich kann Ihnen die Formeln zeigen, die beweisen …«
»Lassen Sie das jetzt mal beiseite. Warum haben Sie es noch nie getestet?«
»Weil ich mir bezüglich der Vergangenheit beziehungsweise unserer gegenwärtigen Verbindung zu ihr noch nicht im klaren bin. Wird eine Person oder ein Gegenstand in die Vergangen-146
heit entsandt, so ergeben sich doch Veränderungen. Dem, was ist, wird etwas weggenommen, um dem, was war, etwas hinzuzufügen. Und wenn die Vergangenheit verändert wird, dann ist es doch nicht mehr die gleiche Vergangenheit, wie sie sich uns im Augenblick darbietet.« Er runzelte die Stirn. »Es ist so schwer, das alles zu erklären, ohne sich symbolischer Logik zu bedienen.«
»Sie meinen damit, Sie haben Angst, durch Zeitreisen die Vergangenheit zu verändern? Oder in einer anderen Vergangenheit zu landen – einer Vergangenheit, die anders geworden ist, weil Sie dort gelandet sind?«
»Das ist eine grobe Vereinfachung, aber es trifft den Kern der Sache.«
»Und wozu soll dann Ihre Arbeit gut sein?«
»Zu nichts, fürchte ich. Aber ich wollte etwas beweisen. Es war fast eine Besessenheit. Eine andere Entschuldigung habe ich nicht.«
»So.« Sammy trat einen Schritt vor. »Vielen Dank für die Vorlesung, aber wie du sagst, du hast keine Entschuldigung, Und wir haben keine Zeit. Dieser Keller hier scheint ganz schön schalldicht zu sein, und wir werden Schießübungen …«
Der Denker nahm Sammy beim Arm.
»Was hat das für einen Sinn?« fragte er.
»Der Kerl hat uns ‘reingelegt.«
»Dann hat er uns eben ‘reingelegt. Aber was ändert ein Mord daran? Hilft uns denn jetzt ein Mord?«
»Nein.« Sammy biß sich auf die Lippen. »Aber was werden wir tun? Tarantino ist hinter uns her, und die Regierung auch Wir können nicht zurück.«
Der Denker sah sich um. »Warum bleiben wir dann nicht hier? Wir sind hier sicher und haben ein Dach über dem Kopf.
Ein recht komfortables sogar. Genießen wir ein wenig die Gastfreundschaft des Professors.«
»Ja«, sagte Mush, »aber wie lange? Irgendwann geht uns 147
doch der Zaster aus, oder das Futter. Wir schinden doch nur Zeit.«
Der Denker lächelte. »Zeit schinden.« Nachdenklich betrachtete er die komplizierte Apparatur in der Mitte des Kellers. »Aber hier ist das logische Mittel, um zu fliehen.«
»Du meinst, wir sollen in diesen komischen Apparat steigen und abhauen?« fragte Sammy. »Das ist doch wohl ein Scherz.«
»Es ist mein voller Ernst«, antwortete der Denker.
»Irgendwann in naher Zukunft werden wir sicher in der Vergangenheit landen.«