»Mit brennender Sorge«

Erst suchte sich der Vatikan mit dem Hitler-Regime zu arrangieren. Dann aber stellten sich die Päpste Pius XI. und Pius XII. gegen die Nazis und ihre Rassendoktrin.

Von Uwe Klußmann

Handschriftlich, um keinen Stenografen einweihen zu müssen, verfasste der Kardinal in Rom ein elf Seiten langes Manuskript. Den Auftrag dazu hatte er vom Papst persönlich, der selbst noch einmal an dem Text feilte. Ein diplomatischer Sonderbote brachte dann das im Vatikan gedruckte Dokument nach Deutschland, wo es nachts in kirchennahen Druckereien vervielfältigt wurde. Vertrauenswürdige Kuriere transportierten, oft über Wald- und Feldwege, die Kopien in die Pfarreien, manchmal wurde das geheime Papier konspirativ im Beichtstuhl übergeben.

Eine der spektakulärsten Geheimaktionen des Vatikans gelang: Am Palmsonntag, dem 21. März 1937, wurde die Botschaft des Papstes in allen 11500 katholischen Gemeinden des »Dritten Reiches« von den Kanzeln verlesen, 300000 Exemplare des Schreibens wurden an die Gläubigen verteilt.

In der Enzyklika »Mit brennender Sorge«, die der Münchner Erzbischof Michael von Faulhaber vorformuliert hatte, ging Papst Pius XI. scharf mit dem Regime Adolf Hitlers ins Gericht. Das Lehrschreiben – keine langatmige theologische Abhandlung, sondern eine klare Kampfschrift – verurteilte den Personenkult um den »Führer« und prangerte die »Irrlehre« des Nationalsozialismus an. Massiv attackierte der Oberhirte die »Weltanschauung« der Nazis: »Wer die Rasse, oder das Volk, oder den Staat, oder die Staatsform … zur höchsten Norm aller, auch der religiösen Werte macht und sie mit Götzenkult vergöttert, der verkehrt und fälscht die gottgeschaffene und gottbefohlene Ordnung der Dinge.«

Der Kirchenpolitik des NS-Regimes warf Pius XI. »Machenschaften« vor, »die von Anfang an kein anderes Ziel kannten als den Vernichtungskampf«. Das 1933 zwischen dem Vatikan und dem Deutschen Reich geschlossene Konkordat, das der katholischen Kirche Unabhängigkeit und unter anderem den Schutz konfessioneller Schulen sichern sollte, werde ständig gebrochen; die Regierung in Berlin habe »die mehr oder minder öffentliche Vertragsverletzung zum ungeschriebenen Gesetz des Handelns gemacht«. Katholiken, die sich den Nationalsozialisten angeschlossen hatten, rief der Papst zur Umkehr auf: »Der Tag wird kommen, wo das Grauen der Gottesferne und der seelischen Verwahrlosung über diesen heute verlorenen Söhnen zusammenschlagen« werde.

Die Enzyklika war die bis dahin massivste öffentliche Verdammung der NS-Ideologie, ihre Verbreitung eine Demütigung der braunen Machthaber. Reinhard Heydrich, Chef der Gestapo und des Sicherheitsdienstes (SD) der SS, schäumte. Er gab Anweisung, gegen alle vorzugehen, die das Papst-Schreiben gedruckt, verteilt oder verlesen hatten. Priester und Laien wurden zu Geld- und Haftstrafen verurteilt, viele kirchliche Druckereien enteignet.

Der SD instruierte seine Dienststellen, den katholischen Klerus verstärkt mit V-Männern zu durchsetzen. Den Spitzeln waren bisher, wie die SD-Führung monierte, Kurierwege und vertrauliche Schreiben katholischer Konspirateure oft verborgen geblieben.

Ende April 1937 gab das Propagandaministerium Order an die deutsche Presse, eine »großzügige Propagandaaktion gegen die katholische Kirche« zu eröffnen. Das NSDAP-Kampfblatt »Völkischer Beobachter« attackierte den Klerus an einer empfindlichen Stelle. Die Zeitung nahm seit 1936 laufende Prozesse gegen katholische Amtsträger wegen sexuellen Missbrauchs zum Anlass für grobschlächtige Angriffe. Unter der Überschrift »Kirchen und Klöster zu Lasterstätten erniedrigt« polemisierte das Regimeblatt gegen »Sexualverbrecher im Priestergewand«.

Besonders inbrünstig stürzten sich die Redakteure der SS-Zeitung »Das Schwarze Korps« in die Kampagne. Gunter d’Alquen, der 26-jährige Chefredakteur, nannte die Führung der katholischen Kirche eine »internationale Clique, die vom Jenseits nur spricht, um ihre recht irdischen Pläne zu vertuschen«. D’Alquen präsentierte seinen Hunderttausenden, vor allem jungen Lesern den Nationalsozialismus als moderne, auf Wissen gegründete Weltsicht. Diese »nordische Gesinnung« habe in Deutschland gesiegt über die »mittelalterlich-düstere Welt des Sündenglaubens« der katholischen Kirche.

Vor 20000 Zuhörern in der Berliner Deutschlandhalle polterte Propagandaminister Joseph Goebbels am 28. Mai 1937 gegen »perverse Patres«, deren »Sexualpest mit Stumpf und Stil ausgerottet werden« müsse. Unter tosendem Beifall verkündete er: »In Deutschland herrscht nicht das Gesetz des Vatikans, sondern das Gesetz des deutschen Volkes.«

Zwar verstand sich die NSDAP nicht als religiöse Institution, gerierte sich aber als politische Glaubensbewegung. So tönte Robert Ley, der Leiter der Deutschen Arbeitsfront: »Wir glauben, dass der Nationalsozialismus der allein selig machende Glaube für unser Volk ist.«

Die NSDAP versuchte, den Kirchen jeglichen gesellschaftlichen Einfluss zu beschneiden. Der getaufte Katholik Adolf Hitler hatte in seinem Buch »Mein Kampf« seinen Parteigenossen empfohlen, »an der katholischen Kirche zu lernen«, was jedoch nur für Methoden, nicht für geistliche Inhalte gelten sollte.

An der katholischen Kirche bewunderte Hitler eine »staunenswerte Jugendlichkeit dieses Riesenorganismus, die geistige Schmiegsamkeit und stählerne Willenskraft«. Ihre »Widerstandskraft« schöpfe die Kirche vor allem aus dem »starren Festhalten an einmal niedergelegten Dogmen, die dem Ganzen erst den Glaubenscharakter verleihen«. Inspiriert von diesem Beispiel erklärte Hitler das 25-Punkte-Programm seiner Partei von 1920 für »unabänderlich«, sich selbst quasi für unfehlbar.

Die politische Trennungslinie zur Papstkirche zogen die Nazis indes eindeutig. Zwar forderte das Parteiprogramm die »Freiheit aller religiösen Bekenntnisse« und trat für ein nicht näher definiertes »positives Christentum« ein. Aber der führende Partei-Ideologe Alfred Rosenberg, ein baltendeutscher Protestant, verhöhnte in seinem Hauptwerk »Der Mythus des 20. Jahrhunderts« den Heiligen Vater als einen »sich Papst nennenden Medizinmann«. Kein Gott, sondern »die rassengebundene Volksseele« sei »das Maß aller unserer Gedanken, Willenssehnsucht und Handlungen, der letzte Maßstab unserer Werte«.

Im Gegenzug erklärte das Mainzer Generalvikariat 1930 Katholizismus und Nationalsozialismus für unvereinbar. Vor allem die »Überschätzung der germanischen Rasse und Geringschätzung alles Fremdrassigen« durch die NSDAP, die »bei vielen zu vollendetem Hass der fremden Rasse« führe, sei »unchristlich und unkatholisch«. Doch viele Katholiken ignorierten das Verdikt.

In einem geheimen Bericht für den Vatikan schrieb im September 1930 Cesare Orsenigo, der Apostolische Nuntius in Berlin, unter den Mitgliedern der NSDAP gebe es »ziemlich viele Katholiken«. Da hatte die Partei bei der Reichstagswahl gerade 18,3 Prozent erreicht. Positiv vermerkte der Nuntius den Kampf der Nazis gegen die Kommunisten und die »Flut des Sowjetismus«.

Vatikan und Klerus konnten nicht verhindern, dass der politische Arm des Katholizismus, die Zentrumspartei mit ihrem Ableger, der Bayerischen Volkspartei, immer schwächer wurde. Bei der letzten halbwegs freien Reichstagswahl am 5. März 1933 stimmten etwa 4 der 13 Millionen katholischen Wähler für die NSDAP und ermöglichten damit Hitlers Sieg.

Die Amtskirche versuchte zunächst, sich mit der neuen Macht zu arrangieren. Rund drei Wochen nach der Wahl revidierte der deutsche Episkopat seine ablehnende Haltung gegenüber der Hitler-Partei. Die Bischöfe verkündeten, die »Verbote und Warnungen« des Klerus vor den Nazis seien hinfällig geworden. Die Zentrumspartei verschaffte Hitler am 23. März 1933 im Reichstag die Mehrheit für sein »Ermächtigungsgesetz«, den Freifahrtschein in die Diktatur. Doch ihr Entgegenkommen rettete die Partei des politischen Katholizismus nicht: Das NS-Regime zwang sie und ihre bayerische Schwesterpartei, sich am 5. Juli 1933 aufzulösen, als letzte der bürgerlichen Parteien.

Der Führung der Weltkirche hatte Hitler da bereits ein Angebot gemacht, das diese nicht ablehnen mochte: den Abschluss eines Konkordats zwischen Deutschem Reich und Vatikan. Der Reichskanzler wusste, wie dringlich Rom ein solches Abkommen wünschte. In der Weimarer Republik waren alle Versuche der Kurie, ein Reichskonkordat abzuschließen, gescheitert, vor allem am Widerstand der Linken und Liberalen. Die fürchteten vor allem einen starken kirchlichen Einfluss auf die Schulen.

Als Mittelsmann für geheime Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl sandte Hitler seinen Vizekanzler Franz von Papen im April 1933 nach Rom. Der ehemalige Zentrumspolitiker und zeitweilige Reichskanzler war für dieses Unternehmen die ideale Besetzung. Der katholische Aristokrat verstand es, dem Vatikan zahme Nazis und den Nazis fügsame Katholiken zu versprechen.

Papens Mission hatte rasch Erfolg. Am 20. Juli 1933 unterzeichneten der Vizekanzler und Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., das Konkordat. Es sicherte der Kirche unter anderem die »öffentliche Ausübung der katholischen Religion« zu, das Erheben von Kirchensteuern und die »Beibehaltung und Neueinrichtung katholischer Bekenntnisschulen«.

Papens Mission nährte im Vatikan weitergehende politische Hoffnungen. Bereits nach dem Abschluss der Lateranverträge mit dem italienischen Regime Benito Mussolinis 1929 hatte die katholische Kirche die Erfahrung gemacht, dass eine Übereinkunft mit einer faschistischen Regierung zweckmäßig sein konnte. Womöglich, so die Erwartung der Kirche, würde man Hitler als Verbündeten im Kampf gegen die Kommunisten brauchen können.

Denn die Kommunistische Internationale blieb weltanschaulich der Hauptgegner der Kurie; daran ließ Pius XI. keinen Zweifel. Am 19. März 1937, fünf Tage nachdem er seine »brennende Sorge« über die Verhältnisse in Deutschland bekundet hatte, verurteilte der Papst in einer weiteren Enzyklika den »atheistischen Kommunismus«.

Diese Ideologie, so Pius XI., beraube »den Menschen seiner Freiheit, der geistigen Grundlage seiner moralischen Lebensführung«, er nehme »der Persönlichkeit des Menschen jede Würde und jeden moralischen Halt im Aufruhr blinder Instinkte«. Der Kommunismus leugne die »Existenz des Ehebandes« und dessen »Unauflöslichkeit«, schlimmer noch: »Er propagiert das Prinzip der Emanzipation der Frau.«

Eindringlich warnte die Enzyklika vor den kommunistischen Umtrieben in der von der linken Volksfront regierten Spanischen Republik, die im Bürgerkrieg gegen die ultrarechten Putschisten des Generals Francisco Franco kämpfte. Es könne, so der Papst, »keinen Staatsmann« geben, »der nicht schaudern müsste bei dem Gedanken, es könnte das, was heute in Spanien geschieht, sich vielleicht morgen in anderen zivilisierten Nationen wiederholen« – gemeint waren die gewalttätigen Übergriffe Linksradikaler gegen Priester und Kirchen. Damit baute der Pontifex den italienischen Faschisten und den deutschen Nazis eine Brücke. Denn beide unterstützten Franco militärisch. Und Terror gegen Sozialisten und Kommunisten war dem Vatikan auch in Deutschland nie ein Wort des Protests wert gewesen.

Mit Blick auf den gemeinsamen rotspanischen Feind drosselten die Nazis zum Herbst 1937 ihre öffentliche Kampagne gegen die Papstkirche. Den Kampf im Geheimen setzten Gestapo und SD jedoch fort. Die Spanische Republik unterlag im April 1939 in einer Art Dreifrontenkrieg gegen die Armee Francos, die »Legion Condor« der Nazis und die geistlichen Divisionen des Vatikans.

Denn bis auf zwei Ausnahmen hatten sich die spanischen Bischöfe auf die Seite Francos gestellt. Nach dessen Einmarsch in Madrid beglückwünschte der neue Papst Pius XII. in einer Rundfunkansprache die »geliebten Söhne des katholischen Spanien« zum Sieg über die »Proselyten des materialistischen Atheismus«. Francos Paternalismus entsprach weitgehend den gesellschaftspolitischen Vorstellungen des Vatikans. Die autoritäre nationalkatholische Herrschaft des »Caudillo« gab dem Klerus viel Macht und Einfluss, ähnlich wie die herrschenden Regime in Polen, Portugal, Ungarn und Österreich.

Der Vatikan, geführt wie eine absolutistische Monarchie, sah sich nicht als Teil der liberalen Demokratien des Westens. Das hatte Pius XI. in seiner Enzyklika gegen den Kommunismus deutlich gemacht. Schuld am Sozialismus und Kommunismus waren für den Heiligen Vater jene »Lenker der Völker«, welche »die mütterlichen Mahnungen der Kirche verachtet« hätten und »auf dem Boden des Liberalismus und Laizismus« stünden.