Die Selbstsicherheit, mit der Rom weltlichen Großen begegnete, wurde im Investiturstreit mit dem Kaiser endgültig zum Politikum. Jedes Detail hatte seine Tücken, erst recht in der Bildsymbolik: Wer kniet vor wem und wie demütig? Wem wenden Christus oder Maria sich zu? Pochten säkulare Rechtsbücher wie der weitverbreitete »Sachsenspiegel« auf Gleichrangigkeit und Unabhängigkeit der »zwei Schwerter«, so ließ das päpstliche Lager, juristisch und propagandistisch ebenso versiert, keinen Zweifel am Vorrang des Heiligen Vaters.
Wie tief die Konfrontation beider Machtsphären die Gemüter verstörte, zeigen schlaglichtartig einige zornbebende Verse Walthers von der Vogelweide, wohl aus den Jahren 1212 oder 1213. Mit dem »hellemor«, dem schwarzen Teufel aus der Hölle, sei Papst Innozenz III. im Bunde, ja Gottes »hirte ist z’einem wolve im worden under sinen Schafen«. Erst habe er den Welfen Otto IV., dann den Staufer Friedrich II. protegiert, alles nur, um Aufruhr zu säen, um des eigenen Vorteils willen. »Ahi wie kristenliche nu der babest lachet«, spottete der vielerprobte Liedermacher zornig. Die Kirche fülle ihre Truhen mit Ablassgeld, Roms Priester könnten dank der Kreuzzugsabgaben Hühner und Wein schmausen, während das deutsche Glaubensvolk darbe. Das Herz drehe sich einem um, ansehen zu müssen, wie »der babest selbe dort den ungelouben meret«. Solche Wendungen bewegten sich hart am Rand eines Ketzerverfahrens – immerhin hatte derselbe Innozenz 1204 die Plünderung der christlichen Metropole Konstantinopel mitverschuldet und 1209 zum grausamen Feldzug gegen die südfranzösische Sekte der Albigenser aufgerufen.
Dem fatalen Widerspruch von weltlicher Handlungsmacht und geistlichem Auftrag sollte das Papsttum fortan nicht mehr entkommen. Natürlich gab es Rom-Kritik schon seit Jahrhunderten; nun aber wendeten sich oft ganze Herrscherhäuser ab. In der gewaltigen Jenseitsvision seiner »Göttlichen Komödie« ließ Dante Alighieri bald nach 1300 gleich mehrere Päpste in der Hölle büßen; der machtversessene Nikolaus III. zum Beispiel steckt als Simonist (Ämter-Schacherer) kopfüber in einem Felsloch und wird an den Füßen geröstet.
Den nächsten Prestigeverlust erlitt das kirchliche Regiment, als zwischen 1378 und 1415 /17 zwei, schließlich sogar drei Päpste amtierten, deren jeder unter Europas Fürsten Anhänger fand. Brauchte es da noch mehr Beweise, dass die Kirche kein Garant des Seelenheils, sondern vorwiegend ein Pfründen- und Sündenpfuhl war? Vielleicht half nur noch Widerstand. Zu diesem Schluss jedenfalls gelangte nach 1517 ein Augustinermönch und Theologieprofessor namens Martin Luther, als seine biblisch fundierte Kritik an Praktiken wie dem Ablasswesen – dem als Bescheinigung käuflichen Erlass von Sündenstrafen, mittlerweile zum einträglichen Gewerbe ausgeartet – kein Gehör fand.
Bis 1520 plädierte er dafür, der Papst solle auf jeden Hofstaat, ja sogar seine priesterlichen Privilegien verzichten und in der Nachfolge Christi vorbildlich arm leben. Nach dem Bann aus Rom aber begann Luther zu kontern, die Kurie halte die Kirche in »babylonischer Gefangenschaft«. In Rom regiere »ein Erzkirchendieb und Kirchenräuber der Schlüssel, aller Güter, beide der Kirchen und der weltlichen Herrn«, polterte der Deutsche. Das Oberhaupt der westlichen Christenheit sei »ein Mörder der Könige und Hetzer zu allerlei Blutvergießen, ein Hurenwirt über alle Hurenwirte und aller Unzucht, auch die nicht zu nennen ist, ein Widerchrist, ein Mensch der Sünden und Kind des Verderbens, ein rechter Bärwolf«.
Selbst den Teufel und den Antichristen sah der Reformator im Papst verkörpert – Schmähbilder, die protestantische Künstler sogleich begeistert aufgriffen. Vom »Papstesel« bis zum apokalyptischen Ungeheuer mit Tiara zog etwa der phantasievolle Lucas Cranach d. Ä. alle Register der Karikatur. Die Angriffe, durch den jungen Buchdruck massenwirksam verbreitet, konnte der Katholizismus kaum in gleicher Münze heimzahlen; die allbekannten Insignien von Papst- und Mönchtum aber eigneten sich vortrefflich zum visuellen Spott.
Auf Pressefehden um sein Image ging die stolze römische Kurie so gut wie nicht ein. Wenigstens traten die Päpste nun etwas bescheidener auf: Seit dem faktischen Scheitern spiritueller Großmachtansprüche und dem Einzug des Humanismus zeigten sich die Stellvertreter Christi nicht mehr ostentativ in Triumphpose.
So ließ sich Julius II., der immerhin Truppen geführt und 1506 den Grundstein zum neuen Petersdom gelegt hatte, vom Malerstar Raffael als weiser, besorgter Altvater des Glaubens darstellen. Auch sein Nachfolger Leo X. beauftragte Raffael zu einem Porträt ähnlichen Typs. Während Nordeuropa bis um 1650 immer wieder von blutigen Fehden mit konfessionellem Hintergrund erschüttert wurde, setzten die Päpste vorwiegend auf Festigung dessen, was sicher bleiben sollte: Territorial im Kirchenstaat, geistig in Bibliothek, Archiv und Geschichtsschreibung, äußerlich durch nützliche, möglichst pompöse Bauten und Kunstwerke. Denn so eifrig das Papsttum mit dem Konzil von Trient oder dem neuen, geistkämpferischen Jesuitenorden einzuholen versuchte, was glaubenspolitisch verspielt war – intellektuell sah sich die Kirche der Barockzeit aus ihrer bisherigen Führungsrolle verdrängt.
Neuen Wissenschaftszweigen wie der philologischen Textkritik, experimenteller Naturforschung und erst recht dem Selbstbewusstsein aufgeklärter Vernunft hatte Rom wenig entgegenzusetzen. Da lag es nahe, zumindest das Feld der großen Emotion imagepolitisch zu besetzen. Repräsentant dieser letzten Aufwallung ins Erhaben-Monumentale wurde der geniale neapolitanische Künstler Gian Lorenzo Bernini (1598–1680).