Die Schlüsselgewalt
Anfangs waren die Nachfolger des Petrus einfache Gemeindevorsteher. Doch mit dem Aufstieg des Christentums wuchsen Roms Bischöfe in die Rolle des Oberhirten und nutzten klug ihre wachsende Macht.
Von Mathias Schreiber
Ausgerechnet Simon Petrus, der wankelmütige Fischer aus Galiläa, der seinen Herrn aus Angst vor den Hohepriestern dreimal verleugnet hat, wird im Schatten der Golanhöhen, bei der Stadt Cäsarea Philippi, von ebendiesem Herrn mit den Worten geadelt: »Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.« So berichtet der Evangelist Matthäus (16,13 ff.).
Weltberühmte Paradoxie: der Furchtsame als Fels! Weltberühmtes Wortspiel: Das griechische Wort »petra« heißt in der Tat »Fels«, ebenso der aramäische Name »Kefa«, wie Petrus vom Aramäisch sprechenden Jesus gerufen wird.
Der Autor, nicht zu verwechseln mit dem Apostel Matthäus, war ein Judenchrist, der sein Evangelium in Syrien verfasst hat – auf Griechisch, 80 n. Chr. Es ist dieser biblische Text, der am deutlichsten den Apostel Petrus als von Jesus selbst eingesetzten Gründervater der Kirche benennt.
Gewiss räumt die Bibel auch an anderen Stellen Petrus eine besondere Prominenz ein: In einer visionären Szene des Johannesevangeliums fordert der auferstandene Jesus Petrus dreimal auf: »Weide meine Lämmer!« und »Weide meine Schafe!« Doch dieses Evangelium wurde relativ spät aufgeschrieben: um 100 n. Chr. Zu dieser Zeit wurde schon eifrig am Petrus-Mythos gestrickt. Ohnehin ist fraglich, ob die Passagen die Doktrin der Petrus-Nachfolge stützen. An einer anderen Matthäus-Stelle (18, 18) verwendet Jesus fast dieselbe Inthronisationsformel, doch erteilt er seine Vollmacht auch den anderen Jüngern: »Was ihr auf Erden binden werdet …« Daraus ließe sich herleiten, dass Jesus nicht Petrus als Stellvertreter und Nachfolger, sondern alle zwölf Jünger als solche betrachtet hat.
Gleichwohl: Schon Mitte des 2. Jahrhunderts wird das monarchische Wesen des römischen Bischofsamtes erkennbar. Pius I. (um 140–etwa 155) verstößt 144 als Leiter einer Synode von Presbytern (Älteste, später: Bischöfe, Priester) den Theologen Markion aus dem Kreis der Rechtgläubigen. Markion hatte dem zürnenden Gott des Alten Testaments den liebenden Gott des Neuen Testaments gegenübergestellt.
Pius’ stellvertretendes Handeln für alle Christen ist pragmatisch erklärbar: Auf die Bekehrungserfolge schwer kontrollierbarer Wanderprediger reagierten die frühen Christengemeinden seit Anfang des 2. Jahrhunderts mit der Bemühung um klare Strukturen. Dazu gehörte die Wahl eines einzigen, obersten »Episkopen« (»Aufsehers«), der, halb einfacher Gemeindevorsteher, halb geistlicher Würdenträger, bald aus der Schar der Presbyter, Diakone und Laienchristen herausragte; erst in einer Gemeinde, dann in einer Provinz oder Diözese. Der von Priestern und Laien gemeinsam Gewählte wachte über Taufe, Buße, Liturgie, Begräbnis und Priesterweihe, lange Zeit allerdings nur als Ratgeber, nicht als Richter.
Die ärmlichen Gemeindevorsteher der frühen Christen, deren Versammlungen in Privathäusern stattfinden, sind also denkbar weit von späterer päpstlicher Macht entfernt. Ihr langer Weg dorthin beginnt historisch mit Simon Petrus – aber nicht in Rom, sondern in Jerusalem. Dort agiert dieser Petrus nach der Hinrichtung des Jesus von Nazareth als unumstrittener Leiter der eifrig missionierenden Gemeinde, neben dem Jesus-Bruder Jakobus.
Pontius Pilatus, der Statthalter Roms in Judäa, verfolgt die Jesus-Jünger nach der Kreuzigung ihres Herrn nicht weiter. Das ändert sich jedoch unter König Herodes Agrippa I.: Um 43 /44 n. Chr. lässt er Jakobus den Älteren, einen der zwölf Jünger, hinrichten. Auch Petrus soll exekutiert werden. Die orthodoxen Juden verübeln ihm und seinen Leuten vor allem ihre Liberalität gegenüber nichtjüdischen Heiden: Petrus hat einen Hauptmann namens Kornelius ohne vorherige Beschneidung getauft (Apostelgeschichte 10,9–48), außerdem handhabt er die Speisevorschriften der Juden lax.
Er flieht nach Kleinasien und ins griechische Korinth. Schließlich soll er der erste Bischof im syrischen Antiochia gewesen sein, bevor er in den Westen des Reiches und vielleicht auch nach Rom gelangt. Die Christengemeinde in Jerusalem wird nach seiner Flucht vom Jesus-Bruder Jakobus geleitet, der dann 62 n. Chr. ebenfalls hingerichtet wird; wohl auch, weil er sich nicht am jüdischen Aufstand gegen Rom beteiligen will, verurteilt ihn ein Hohepriester zum Tod durch Steinigung.
Wie es mit Petrus weitergeht, ist ungesichert. Viele Geschichten stammen aus dem 2. und 3. Jahrhundert. Paulus, der führende Kopf der Heidenmissionierung, hat Petrus zwar gekannt, doch in seinem wichtigen Brief an die Römer erwähnt er ihn nicht. Dass Petrus jemals in Rom gewesen ist, lässt sich nicht beweisen. Immerhin wurden ihm wie auch Paulus in Rom Gedenkstätten eingerichtet: Keimzellen der Basiliken St. Peter und St. Paul vor den Mauern. Doch nur für Paulus sind Aufenthalt und Enthauptung in Rom historisch verbürgt.
Dass Petrus 25 Jahre dort wirkt, der von ihm und Paulus gegründeten Gemeinde vorsteht und unter Kaiser Nero um 64 n. Chr. den Märtyrertod stirbt, gehört dennoch etwa von 100 n. Chr. an zur Kernüberzeugung der Christen. Frühe christliche Autoren schreiben darüber, zum Beispiel Ignatius, der Bischof von Antiochia. Der Jurist, in dessen Schriften die Kirche erstmals »katholisch« (»allgemein«) heißt, wird unter Kaiser Trajan (98–117) verhaftet, nach Rom geschafft und dort, zum Martyrium entschlossen, bei einem Gladiatorenkampf von Löwen zerfetzt.
In den Berichten und Briefen des frühen Christentums geht es primär um die Botschaft des Messias. An biografischen Einzelheiten sind die Verfasser wenig interessiert. Das gilt für Petrus, aber noch krasser für seine Nachfolger im Bischofsamt – auch für Clemens I. (um 91–etwa 101), den vierten Papst, wenn man Petrus als ersten mitzählt. Er ist wohl Freigelassener aus dem Hause eines Konsuls – und ihm wird seit der Mitte des 2. Jahrhunderts der sogenannte Erste Clemens-Brief zugeschrieben. Dieser mahnende Brief der römischen Gemeinde richtet sich an die Glaubensbrüder in Korinth, wo einige Presbyter abgesetzt worden waren. Seine Botschaft: Auch die Jungen in der Gemeinde müssten einsehen, dass die Ältesten nicht einfach abgesetzt werden können. Gott selbst habe die Nachfolge im Ältestenamt so geregelt, und dem müsse die Gemeinde folgen.
»Sonne, Mond und die Chöre der Sterne durchwandern nach seiner (Gottes) Anordnung in Eintracht ohne jede Abschweifung die ihnen verordneten Bahnen«, heißt es im Text; diese kosmische Ordnung sei auch das Maß der Gemeinde-Moral. In der Unabsetzbarkeit der Presbyter deutet sich die spätere Unantastbarkeit des monarchischen Aufsehers an – nach dem staatlichen Vorbild des kaiserlichen Princeps. Aber der Brief ist ein Mahnruf unter Gleichen, noch keine Schelte von oben herab.
Bis zur autoritären Vorherrschaft ist es noch ein weiter Weg. Zu Beginn des 2. Jahrhunderts bilden die Christen im Imperium Romanum, das damals auch Gallien, Nordafrika, Palästina, Syrien und Griechenland umfasst, eine klägliche Minderheit von höchstens 50000 Personen – neben vier bis fünf Millionen Juden, von denen sie aber bis etwa 130 n. Chr. kaum unterschieden werden.
Nachdem die Christen sich geweigert haben, an den drei antirömischen Aufständen der Juden zwischen 66 und 135 n. Chr. teilzunehmen – Paulus hatte ja gelehrt: »Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet« (Römer 13,1) –, dürfen sie nicht mehr, wie lange üblich, in den Synagogen auftreten; eine in Gebetsform gefasste Verfluchung durch Rabbiner grenzt sie aus. Daher werden Christen während des 2. Jahrhunderts mehr und mehr in Kleinasien und Rom aktiv. Auch in der Hauptstadt des Reiches bestehen die Gemeinden überwiegend aus Sklaven, Freigelassenen, Leuten ohne Bürgerrecht und Frauen. Die meisten sind Griechen oder von griechischer Kultur geprägt – wie auch die meisten der ersten zwölf Päpste.
Das ändert sich mit Victor I. (um 189– etwa 198). Der Nordafrikaner treibt die Latinisierung der römischen Kirche voran, zum Beispiel durch die erste lateinische Übersetzung der Bibel. Unmut bei den kleinasiatischen Gemeinden löst sein Ansinnen aus, das Osterfest nicht mehr am 14. Tag des jüdischen Monats Nisan – am 1. März – zu feiern, sondern am Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond, wie in Rom üblich.
Nach mehreren Synoden, die seine Auffassung billigen, verkündet Victor, die Kleinasiaten seien nicht nur aus der Gemeinschaft mit der Kirche Roms, sondern aus der Kirche überhaupt verstoßen. Das entfacht in vielen Gemeinden einen Sturm der Empörung: ein erster ernster Konflikt zwischen West- und Ostkirche. Ob Victor die Maßregelung widerrufen hat, weiß man nicht. Durchsetzen konnte er das römische Modell jedenfalls nicht.
Victor unterhält als erster Papst gute Beziehungen zum kaiserlichen Hof: Marcia, eine der Konkubinen des wüsten Kaisers Commodus (180–192), ist Christin. Ihr lässt Victor eine Namensliste von Glaubensgenossen zukommen, die in den Bergwerken Sardiniens als Zwangsarbeiter schuften müssen. Sie werden freigelassen.
Unter ihnen ist ein künftiger Papst: Calixt I. (217–222). Als junger Mann im Sklavenstatus dient er einem christlichen Freigelassenen, bevor er selbständiger Geldverleiher wird. Der römische Präfekt schickt ihn in die sardischen Bergwerke, weil er am Sabbat in einer Synagoge randaliert, wohl in der Hoffnung auf einen baldigen Märtyrertod. Nach seiner Freilassung beruft Victors Nachfolger Zephyrinus (198/99–217) den mit administrativem Geschick gesegneten Calixt zum Verwalter der kirchlichen Katakombe an der Via Appia in Rom. Nach dem Tod des Zephyrinus erringt Calixt die Papstwürde.
Der Presbyter Hippolyt allerdings, ein eifernder Moralist, will die Entscheidung nicht anerkennen und lässt sich selbst zum Bischof einer anderen Gemeinde-Gruppe wählen. Diese Gruppe unterstellt Calixt Irrtümer in der Christologie, vor allem aber sexualmoralische Libertinage. Hippolyt wirft Calixt vor, er vergebe bußfertigen Ehebrechern, obwohl Ehebruch eine Todsünde sei, für die es keine Vergebung geben könne und die zum Ausschluss aus der Gemeinde führe. Calixt argumentiert, die Kirche bestehe sowohl aus Reinen wie aus Sündern, und Jesus habe gesagt, dass Gott die Spreu vom Weizen trennen werde (Matthäus 13,29 f.). Zudem beruft sich Calixt, der sich gegenüber dem doktrinären Hippolyt als realistischer Pragmatiker erweist, auf seine Amtsautorität. Hippolyt gilt als der erste Gegenpapst der Kirchengeschichte.
Als im März 235 Maximinus Thrax Kaiser wird und eine umfassende Kirchenverfolgung beginnt, wird Hippolyt verhaftet und seinerseits nach Sardinien verbannt, das damals »Insel des Todes« heißt. Dort stirbt er ebenso wie Papst Pontianus (230–235).
Mitte des 3. Jahrhunderts leben in Rom und Umgebung – in insgesamt sieben kirchlichen Regionen – einige zehntausend Christen. Das lässt sich aus der überlieferten Zahl der zuständigen Kleriker schließen: 155; neben dem Episkopen gibt es allein 46 Presbyter.
Obwohl ihre Zahl wächst, haben diese Christen, die in den Augen der Römer einem »verderblichen Aberglauben« (so der Historiker Tacitus) anhängen, schwer zu kämpfen. Sie leben von Almosen, Spenden und der Vermietung ihrer Häuser. Der römische Episkop schwebt ständig in Lebensgefahr. Zwischen Petrus und Eusebius (308/09–310) sterben nicht weniger als 28 »Stellvertreter Petri« den Märtyrertod, bis zum Anfang des 4. Jahrhunderts ist das fast jeder römische Bischof. Selbst wenn man fromme Legenden einrechnet, ist das enorm.
Die eigentliche Erfolgsgeschichte des Christentums beginnt im 4. Jahrhundert, ganz ohne päpstliches Zutun: Am 29. Oktober 312 zieht der weströmische Kaiser Konstantin (306–337) in Rom ein, das bis dahin sein Konkurrent Maxentius kontrolliert hat. In den Vorstädten, an der Milvischen Brücke über den Tiber, haben Konstantins Soldaten die des Maxentius vernichtend geschlagen.
Das Besondere daran: Konstantin hat vor der Schlacht geträumt, der Gott der Christen werde ihm zum Sieg verhelfen, wenn er sich zu ihm bekenne und dieses Bekenntnis offen zeige. Daraufhin hat der Kaiser seinen Helm und die Schilde seiner Kämpfer mit einem Zeichen versehen lassen, das künftig Christus-Monogramm oder Chrismon heißen sollte. Das Monogramm formt sich aus den übereinandergelegten und gekreuzten griechischen Buchstaben X und P – die Anfangsbuchstaben von »Christos« (»der Gesalbte«). Konstantin ist überzeugt, dies habe die Schlacht entschieden.
Eine Toleranzvereinbarung verspricht den Christen Gleichberechtigung, überdies die Rückgabe der unter Diokletian enteigneten Kirchen und Ländereien. Im Jahr 324, als Konstantin auch den Ost-Regenten Licinius besiegt hat und Alleinherrscher geworden ist, stärkt der Kaiser die wiedererlangte Einheit des Reiches durch die intensive Förderung einer einzigen Religion: des Christentums. Überall baut er Kirchen und beruft rund 1800 Bischöfe. 325 führt er den Vorsitz beim bedeutenden Konzil von Nicäa, auf dem die Lehre der Arianer als Häresie verurteilt wird: Für Arius aus Alexandria ist Jesus, Gottes Sohn, vor der Zeit durch Gott geschaffen worden, insofern göttlich, doch nicht gleichrangig-ewig mit Gottvater. Konstantin bleibt indes wohl selbst Arianer, jedenfalls lässt er sich auf dem Sterbebett von einem arianischen Bischof taufen.
Unter Konstantin entwickelt sich das Christentum also von einer Religion, die toleriert wird wie die heidnischen Kulte, zum privilegierten Glauben. Der Kaiser erlaubt jedoch weiterhin den Bau von Mars- oder Venus-Tempeln und trägt noch als Christ den Titel des »Pontifex maximus«, des Dienstherrn der altrömischen Kulte. Der »Revolutionär« ist zugleich »Realist«, wie der Althistoriker Paul Veyne lobt.
Nach 324 ändert Konstantin viele Gesetze. So sollen Viehdiebe, Kindesentführer und Vatermörder in einen Ledersack geschnürt und im Meer versenkt werden; zuweilen steckt man in diesen Sack zusätzlich eine Schlange, einen Hahn und einen Hund. Bei nachgewiesenem Ehebruch wird der oder die Schuldige zum Tod verurteilt. Aber die Gesichter der Verbrecher dürfen nicht mehr durch einen glühenden Stempel gebrandmarkt werden, denn jeder Mensch gilt als ein Abbild der göttlichen Schönheit. Auch darf jeder Häftling einmal am Tag das Licht der Sonne sehen.
Der erste Papst, der die neue kaiserliche Gunst ein wenig genießen kann, ist Miltiades (310/11–314). Im Jahr 312 feiert die römische Kirche erstmals unbehelligt und im Vollbesitz ihrer heiligen Stätten das Osterfest. Konstantin schenkt dem Papst den Palast der Kaiserin Fausta, den Lateranpalast, als Residenz – zuvor hatte er Fausta, der ein Verhältnis mit ihrem Stiefsohn unterstellt wurde, ebenso töten lassen wie diesen Stiefsohn.
Papst Damasus I. (366–384) ist der Sohn eines römischen Klerikers, der auch noch eine Tochter hat, und gerät, nachdem er als Diakon erst dem Papst Liberius, dann dem Gegenpapst Felix II. gedient hat, zwischen die Fronten der Anhänger dieser Rivalen. Im Kampf um die Papst-Nachfolge greift Damasus zum Äußersten: Er heuert eine bewaffnete Bande an, die die Bastion der Konkurrenten, eine Basilika, stürmt und 137 Gegner umbringt. Das Massaker dauert drei Tage. Die Sieger besetzen die Lateranbasilika, wo Damasus zum Papst geweiht wird. Roms Präfekt weist später die Gegenpartei aus der Stadt. Es ist das erste Mal, dass ein Papst im Kampf um sein Amt die Dienste der weltlichen Macht in Anspruch nimmt.
Damasus ist ein machthungriger Römer, der sich mit dem kaiserlichen Hof und dem römischen Adel, aber auch mit den Damen der Oberschicht arrangiert. Sein luxuriöser Lebensstil und seine Gastfreundschaft sichern ihm Sympathien. Rom ist für ihn der »Apostolische Stuhl«, der letztlich in allen Streitfragen der Rechtgläubigkeit zu entscheiden hat. Dabei beruft er sich ausdrücklich auf die direkte Nachfolge des heiligen Petrus im Sinne von Matthäus 16,18. Er ist es auch, der 380 mit den Kaisern Theodosius I. und Gratian vereinbaren kann, dass aus der privilegierten Religion eine im Ost- wie im Westreich verbindliche, exklusive Staatsreligion wird. Im Jahr 382 setzt Gratian ein Zeichen, indem er den Altar der römischen Siegesgöttin Victoria aus dem Senat räumen lässt.
Als erster römischer Bischof, der nachweislich »Papst« genannt wird, gilt Siricius (384–399). Mailands ehrwürdiger Bischof Ambrosius tituliert ihn in einem Schreiben mit »papa«, einem lateinischen Wort, das aus dem griechischen Kinder-Lallwort für Vater gebildet wurde und bereits in früheren Zeiten eine ehrende Anrede für Geistliche war.
Zur Zeit des Siricius sind das Christentum als Staatskirche und der römische Episkopat schon so gefestigt, dass der Papst seine Verfügungen wie selbstverständlich im Kanzleistil kaiserlicher Erlasse formuliert und an die Bistümer verschickt – etwa zur Wiedereingliederung von reumütigen Häretikern oder zur Ehelosigkeit von Geistlichen, die immer noch nicht voll durchgesetzt war. Ohne das Ja des »Apostolischen Stuhls« wird fortan kein Bischof mehr geweiht.
So kann sich schließlich Leo I. als »Primas aller Bischöfe« und mystische Verkörperung des Apostels Petrus verstehen. Leo (440–461), neben Gregor I. der einzige Papst mit dem Beinamen »der Große«, ist ein unerschrockener Mann. Entschlossen führt er die Auseinandersetzung mit Manichäern und Gnostikern, die Licht und Finsternis, Gut und Böse als absolute Mächte betrachten. Selbstbewusst tritt Leo 452 vor den Hunnenkönig Attila, der gerade Norditalien geplündert hat und weiter nach Süden drängt; der Papst überredet ihn zur Umkehr, Rom wird geschont. Drei Jahre später verhandelt Leo weniger erfolgreich mit dem Vandalenkönig Geiserich. Dass die Barbaren Rom ausrauben, ist nicht zu verhindern, doch es gibt keine Brandschatzungen, Folterungen oder Blutbäder.
Seither wächst das Selbstbewusstsein der Päpste unaufhaltsam. Gelasius I. (492–496), ein Römer afrikanischer Herkunft, unterhält beste Beziehungen zu dem Gotenkönig Theoderich, kaum dass dieser 493 Herrscher über Italien geworden ist. Beide sind so befreundet, dass Theoderich bei Hungersnöten hilft, die Lage in Rom zu mildern – Gelasius schont dabei auch nicht die päpstlichen Vorräte. Bald sind solche Maßnahmen gang und gäbe: Die Kirche erledigt im kaiserlichen Auftrag profane Dinge wie die Lebensmittelversorgung oder die Verteidigung. Der Papst als Stadtregent: Das macht kirchliche Posten auch für den römischen Adel attraktiv.
Papst Gelasius ist der Erste, der sich auf einer Synode im Mai 495 als »Stellvertreter Christi«, nicht nur Petri, begrüßen lässt. In einem Brief an Kaiser Anastasios I. behauptet er die Gleichberechtigung beider Gewalten, die die Welt beherrschen, die »geheiligte Autorität der Priester« und die geheiligte Autorität der »weltlichen Macht« des Kaisers. Beide seien Treuhänder Gottes, doch sei die geistliche der weltlichen übergeordnet, da sie auch für deren Heil sorge.
Hier zeichnet sich der Urkonflikt im Verhältnis zwischen Kirche und Staat ab, der nach Gelasius die folgenden Jahrhunderte beherrschen sollte – bis hin zur Konfrontation zwischen Heinrich IV. und Papst Gregor VII. im 11. Jahrhundert, aus der die Kirche so stark hervorgehen sollte, wie sie nie vorher gewesen war.