Unter bösen Sternen

Rücksichtslos sicherte der Barberini-Papst Urban VIII. seiner Sippe Vorteile. Dabei lebte er eigentlich in Angst vor dem himmlischen Verhängnis.

Von Hans-Jürgen Schlamp

Die letzte Hoffnung Seiner Heiligkeit kam geradewegs aus dem kirchlichen Gefängnis. Fast 27 Jahre hatte Tommaso Campanella dort als verurteilter Ketzer und Hexenmeister verbracht. 1626 wurde er, als »schwachsinnig« eingestuft, gnadenhalber freigelassen. Zwei Jahre später saß der Ex-Dominikanermönch und Philosoph im römischen Quirinalspalast, und der Hausherr, Papst Urban VIII., flehte ihn um Hilfe an. Mit seinen magischen Kenntnissen und Kräften möge Campanella den Lauf der Sterne ändern. Sonst wäre das päpstliche Schicksal besiegelt.

Urban war krank, er hatte Todesangst. Die Römer hassten ihn, schlossen Wetten auf sein baldiges Ableben ab und hofften, dass der Nachfolger das Land weniger ausplündern würde. Auch die Führungselite des Kirchenstaates, die Kardinäle, setzte auf das Ende ihres Chefs: Zumindest einem von ihnen böte sich die Chance, selbst den Thron zu besteigen. Sogar der Himmel zeigte sich dem Stellvertreter Jesu nicht freundlich gesinnt: Sonnenfinsternisse wiesen auf drohendes Unheil hin.

Dabei hatte alles so gut gefügt begonnen. Das Leben war für Maffeo Barberini, am 5. April 1568 als fünftes von sechs Kindern eines florentinischen Kaufmanns geboren, ein steter Siegeszug gewesen – bis er Papst wurde. Ein Onkel hatte dem Jesuitenzögling das Jurastudium finanziert und ihm eine Stelle in der römischen Kurie verschafft. Dort machte Maffeo schnell Karriere.

Die Familie Barberini zog nach Rom und stellte sich in den Dienst ihres erfolgreichsten Mitglieds, was damals durchaus üblich war. Man stattete den Frontmann der Sippe – auch finanziell – bestmöglich aus, organisierte Feste, knüpfte Seilschaften, alles in der Erwartung, dass die Investition in das familieneigene Humankapital später viele Früchte tragen möge.

Maffeo Barberini ging als päpstlicher Botschafter nach Paris und gewann die Gunst König Heinrichs IV. Der erwirkte auch Barberinis Beförderung zum Kardinal 1606. Er sei, so rühmte ihn ein Höfling am Heiligen Stuhl, »ein Mann von großem Geist, bestens bewandert in italienischem, lateinischem und griechischem Schrifttum … ehrenhaft, ohne Niedertracht«.

Nur der alte, einflussreiche Adel – allen voran die Familie Borghese – hielt von dem Emporkömmling nicht viel. Dessen Wappen, spotteten sie, hätten einst Pferdefliegen geziert. Erst jüngst habe der Clan sie für viel Geld zu Bienen veredeln lassen. So waren, als am 8. Juli 1623 Papst Gregor XV. starb, die Aussichten Kardinal Barberinis nicht allzu gut, Gregors Nachfolger zu werden. Doch der stickige römische Sommer stand auf seiner Seite.

Am 20. Juli traten die Kardinäle im Vatikan zum Konklave zusammen, um einen neuen Papst zu wählen. Draußen, vor den Toren, wuchs mangels eines Herrschers drinnen das Chaos. Niemals seien in Rom so viele Morde und Vergewaltigungen vorgekommen, schrieb der Notar Giacinto Gigli in sein Tagebuch. Vor allem die Zahl der kopflos aufgefundenen Toten verbreite Entsetzen.

In der Kirchenfestung grassierte, wie überall in Rom, die Malaria, damals nur »das Fieber« genannt. Viele Kardinäle erkrankten, einige starben. Aus den Reihen des Personals wurden noch mehr dahingerafft. Bald gab es für die betagten Kleriker keine saubere Wäsche mehr. Lebensmittelreste verschimmelten in den Flurecken, weil niemand mehr putzte. Es stank, da half auch das Parfum der Kirchenmänner nicht.

Die stritten einstweilen verbissen weiter, ein Vorschlag nach dem anderen wurde zerredet. Und als einige Kardinäle Maffeo Barberini vorschlugen, stellte sich wieder einmal Scipione Caffarelli-Borghese, ein Neffe des früheren Papstes Paul V., quer. Doch den ohnehin schon Bettlägerigen traf am 5. August ein weiterer, heftiger Fieberschlag. Borghese wollte nach Hause, doch dazu musste erst ein neuer Papst gekürt sein. So gab der von Fieberschüben Geschüttelte schließlich auf. Nach 18 Tagen wurde Maffeo Barberini zu Papst Urban VIII. – auch der lag freilich krank danieder und konnte sein Amt erst mit etlicher Verspätung antreten.

Dann legte er gleich richtig los. Schlüsselposten im Kirchenstaat gingen an Verwandte; die rissen Grund und Boden, einträgliche Pfründen an sich, sammelten Adelstitel. Der wichtigste Mann beim päpstlichen Absahnen war stets der »Kardinalnepot«, eine Art rechte Hand des Papstes fürs Geschäftliche. Oft bekam einer von dessen Neffen (lateinisch: nepos) den wichtigen Job. »Nepotismus« wurde die päpstliche Vetternwirtschaft deshalb genannt. Dergleichen galt damals zwar als eher normal. Denn die Zeit konnte knapp bemessen sein, die man an den Futterkrippen verbringen durfte. Aber Urban trieb es weit ärger als seine Vorgänger.

Zudem steckte er gewaltige Summen aus der Kirchenstaatskasse in Bauwerke, die seinem Ruhm die Zukunft sichern sollten. Er engagierte die besten Künstler und Architekten – Bernini vor allem, aber auch Borromini, Pietro da Cortona und andere –, ließ das Innere des Petersdoms prunkvoll ausbauen, sich ein bombastisches Grabmal errichten und seiner Familie ein üppiges Eigenheim mauern, den Palazzo Barberini, mit eigenem Theater, Fußballstadion und einem Deckenfresko, das die Barberini als Günstlinge der göttlichen Vorsehung zeigt. Dem Volk knöpfte er dafür höhere Steuern ab.

Skrupel hatte er nicht: Fehlte es an Baumaterial, degradierte Urban das Kolosseum zum Steinbruch. Die Bronzedecke in der Vorhalle des Pantheons ließ er abnehmen. Das Metall werde für den Baldachin im Petersdom gebraucht, hieß es offiziell. In Wahrheit wurden Kanonen daraus gegossen. In Rom gab es bald ein geflügeltes Wort: »Was die Barbaren nicht schafften, schafften die Barberini.«

Auch politisch, als Oberhaupt des Kirchenstaates, agierte Urban VIII. unglücklich. Seit 1618 tobte in Europa der später sogenannte Dreißigjährige Krieg: Im religiös verbrämten Großmachtgerangel hielt der Papst sich eng an die Franzosen, obwohl die mit den protestantischen Schweden liiert waren. Das nahm die katholische Vormacht Spanien übel. Um die Hardliner der Inquisition zu besänftigen, opferte Urban seinen alten Freund Galileo Galilei. Mit dem hatte er gern über dessen neue Himmelstheorie diskutiert, nach der die Erde sich um die Sonne drehe. Nun kam der »Ketzer« Galileo vor Gericht, musste der dreisten Himmelslehre abschwören – kam aber mit Hausarrest in seiner toskanischen Villa glimpflich davon.

Mit Urbans Gesundheit ging es derweil zügig bergab. »Hexenmeister« Tommaso Campanella hatte ihm offenbar noch Aufschub verschafft. Aber der verlief unglücklich: Nach mehreren Schlaganfällen wurde Papst Urban VIII. zunehmend senil. Die Nachricht von seinem Tod am 29. Juli 1644 ließ, heißt es, das Volk von Rom jubeln. Die Barberini-Sippe indes floh Hals über Kopf nach Paris.