Leseprobe „Verbotene Küsse in der Halbzeit“
Tom Peacock überließ nur selten etwas dem Zufall. Er war nicht umsonst einer der gefürchtetsten Footballspieler der NFL. Man sagte ihm Kaltblütigkeit nach und hielt ihn für einen schonungslosen Gegner. Eigentlich gefielen Tom diese Meinungen nicht, aber wenn der Eindruck ihm dabei half, seine Gegner einzuschüchtern, wollte er ihn nicht korrigieren. Es war gut, wenn die gegnerischen Teams Respekt vor ihm hatten. Noch besser war es natürlich, wenn sie sich davor fürchteten, gegen ihn zu spielen. Er sah sich selbst eher als einen akribisch planenden Strategen an, der alle Spielzüge taktisch vorbereitete und auch sein Privatleben gerne unter Kontrolle hatte. Er war kein Organisationsfreak, der großartige Pläne machte und Listen anfertigte, aber er mochte es nicht, wenn er nicht frei über sein Leben bestimmen konnte. Deshalb behielt er lieber selbst die Kontrolle.
Manchmal spielte das Leben jedoch nicht mit. Dies traf auch auf den Donnerstagabend zu, an dem er seine Teamkollegen zu Besuch erwartete. Er räumte gerade sein Wohnzimmer auf, schaltete seinen riesigen Flachbildschirm ein und hörte Musik aus den überdimensionalen Boxen, die er für den Preis eines Mittelklasseautos gekauft hatte, während er Snacks auf dem Couchtisch verteilte, als es an der Wohnungstür klingelte.
Seine Freunde sollten erst in einer Stunde kommen. Er hoffte sehr, dass sie nicht früher antanzten, denn nach den anstrengenden Tagen, die hinter ihm lagen, hatte er eine lange, heiße Dusche nötig. Das Superbowlfinale, in dem sie gegen die Chicago Bears gewonnen hatten, war erst einige Wochen her. Seitdem war ein regelrechter Hype um die New York Titans ausgebrochen, der darin gipfelte, dass die meisten Spieler neue Werbepartner bekamen, ständig auf Veranstaltungen eingeladen waren und keine Ruhe fanden.
Tom selbst war in den letzten Tagen wegen seines Werbepartners in Südafrika gewesen, wo er einen Werbespot für eine neue Kollektion von Sportschuhen gedreht hatte. Am liebsten hätte er die kleine Party bei sich abgesagt, da er hundemüde war, doch er hatte seinen Teamkollegen versprochen, für den Tackle Dupree Williams eine Feier zu organisieren, da dessen Vertrag verlängert worden war. Vermutlich kamen sie bald nicht mehr aus dem Feiern heraus. Sein Kapitän und Quarterback Brian Palmer hatte vor zwei Wochen die gemeinsame Teamchefin geheiratet, was nicht nur im Verein, sondern in ganz New York für ein riesiges Spektakel gesorgt hatte. Die beiden hatten sich heimlich während ihres Mexikourlaubs das Ja-Wort gegeben und anschließend eine kurze Pressemitteilung veröffentlicht, die wie eine Bombe eingeschlagen war.
Das Team wartete auf eine gigantische Party. Es kam schließlich nicht alle Tage vor, dass ihr Quarterback, der in früheren Zeiten für seine Vorliebe für Models bekannt gewesen war, die leicht exzentrische Teamchefin heiratete. Da Teddy MacLachlan-Palmer ausgeflippt war und ein Faible für die Hippie-Lebensart hatte, war Tom sehr gespannt darauf, wie deren Hochzeitsparty aussehen würde.
Ihr heutiger Ehrengast Dupree wusste noch nichts von seinem Glück, da sie ihn mit der kleinen Party in Toms Wohnung überraschen wollten.
Tom schlurfte durch die Wohnung, um den ersten Gast reinzulassen, und kämpfte gegen seinen Jetlag und gegen die Enttäuschung an, keine heiße Dusche nehmen zu können. In Flugzeugen konnte er einfach nicht schlafen, nicht einmal in der Firstclass.
Als er die Eingangstür öffnete, stand er einer jungen Frau mit strenger Frisur, dunkler Hornbrille und einem marineblauen Regenmantel gegenüber. Seufzend schüttelte er den Kopf. Sein Teamkollege Blake O’Neill hatte scherzhaft angekündigt, dass er für Dupree eine Stripperin engagieren wolle, aber Tom hatte nicht damit gerechnet, dass der Runningback das ernst meinen könnte. Jetzt musste er erkennen, dass Blake nicht gespaßt hatte, sondern tatsächlich eine Stripperin bestellt hatte, die auch noch viel zu früh dran war. Blake hatte es sicherlich aus purem Egoismus getan, da Dupree mit einer Frau, die sich für Geld auszog, nichts würde anfangen können, während Blake die Show genießen könnte.
Dupree verhielt sich zwar wie ein knallharter Footballspieler, aber im Grunde war der massive Tackle mit dem schwarzen Irokesenschnitt und den Glitzersteinen an den Zähnen ein butterweicher Junge, der rot wurde, wenn ihn eine Frau ansah. Das Team hatte sich gegen Dupree verschworen und sich vorgenommen, ihm eine Frau zu besorgen, denn alle vermuteten, dass er noch Jungfrau war.
Als Tom der nüchtern wirkenden Frau vor seiner Tür einen Blick schenkte, zweifelte er ernsthaft an Blakes Urteilsvermögen. Die Kleine war sicher nicht Duprees Typ, obwohl Tom nicht einmal wusste, was Duprees Typ war.
„Mr. Peacock? Die Agentur schickt mich.“
Er nickte und packte sie am Ärmel, um sie schnell in die Wohnung zu bugsieren. Ihr erschrockenes Keuchen ignorierte er und schloss eilig die Tür, bevor sich seine Kollegen dazu entschlossen, ebenfalls früher zu kommen, und sie entdeckten.
„Sie sind zu früh dran! Die Hauptperson ist nicht einmal da.“
Verwirrt blinzelten hellgrüne Augen hinter dieser abscheulichen Brille, die den Modellen ähnelten, die die Streber und Freaks auf Toms Highschool getragen hatten: „Nun, das war doch Sinn und Zweck dieses Treffens. Schließlich müssen wir uns erst einmal kennenlernen und die Einzelheiten besprechen.“
Tom runzelte die Stirn und sah auf das Persönchen hinab, dessen hellrote Haare zu einem straff gekämmten Dutt gebunden waren. Die Bibliothekarin-Masche kannte er selbst und hatte sie in diversen Stripclubs gesehen. Wenn die Kleine erst einmal die Brille weggeworfen hätte, das Haar aus dem Knoten befreit und ihren Mantel aufgerissen hätte, wäre sie sicher eine Granate, entschied er zufrieden. Hinter der grotesken Brille verbarg sich ein vielversprechendes Gesicht. Er hoffte, dass sich unter dem unscheinbaren Mantel ebenfalls etwas Vielversprechendes verbarg.
„Wir müssen nicht viel besprechen. Machen Sie einfach das, was Sie immer tun.“
„Wie bitte?“
Ihr zweifelndes Gesicht ließ ihn eilig nachdenken. „Sind Sie auf etwas spezialisiert?“
„Wenn Sie medizinische Betreuung meinen ...“
„Nein“, eilig schüttelte er den Kopf. „Das wäre doch zu viel für den Anfang! Wir sollten langsam beginnen.“
„Eine gute Idee, schließlich kennen wir uns noch nicht. Anfangs sollte man erst einmal Vertrauen aufbauen, bevor man irgendwann auch diesen Bereich betreten kann.“
Hilfe! Dachte sie etwa, dass aus diesem Engagement eine Dauereinrichtung werden sollte? Was hatte Blake bloß mit ihr vereinbart?
„Äh, ja ... was gehört zu Ihrem Repertoire?“
„Zu meinem Repertoire?“ Sie sah ihn einigermaßen verwirrt an.
Tom runzelte die Stirn. „Sie wissen schon: Handschellen ...?“
Ihr Mund öffnete sich und sie entgegnete empört: „Mr. Peacock, ich weiß ja nicht, was Sie in der Agentur gehört haben wollen, aber diese Methode wende ich nicht an!“
„Schon gut, schon gut“, ungeduldig spähte er zu der Designer-Uhr, die an der Wand links von ihm hing. „Ich bin sicher, Sie wissen, was Sie tun.“
Sie nickte und hatte knallrote Wangen bekommen, die perfekt zu ihrem rötlichen Haar passten. „Ich arbeite nicht mit autoritärem Verhalten.“
Für eine Stripperin redete sie ziemlich geschwollen. Tom schnitt eine Grimasse: „Sie sollen auch nicht als Domina arbeiten.“
„Bitte?“
„Wir wollen Spaß haben“, erklärte er. „Sie müssen niemanden bestrafen.“
Zögernd hob sie eine Hand und legte den Kopf schief: „Darüber sollten wir ausführlicher sprechen. Manchmal wird eine Strafe nötig sein. Was wäre Ihnen genehm?“
Er zuckte ratlos mit der Schulter. Sie sah nicht wie jemand aus, der gerne die Peitsche schwang. Blake fände das vielleicht lustig, aber ihm wurde mulmig zumute, wenn er an den unerfahrenen Dupree dachte, der mit einer strippenden Domina konfrontiert werden sollte, die ihn bestrafen würde: „Das mit der Strafe ist keine gute Idee.“
„Ich verstehe Sie. Es soll natürlich keine körperliche Strafe sein.“
„Sondern?“ Interessiert verschränkte er die Arme vor der Brust.
Nachdenklich legte sie die Stirn in Falten und tippte sich mit einem Zeigefinger an die Unterlippe. Dabei fielen Tom die rosa lackierten Fingernägel auf. Normalerweise schminkten sich Frauen, die sich für Geld auszogen und an der Stange tanzten, deutlich auffälliger. Generell müsste sich die Kleine vor ihrem großen Auftritt noch zurechtmachen, denn sie hatte kaum Makeup aufgelegt und wirkte eher wie eine brave Studentin, die auf dem Weg zu ihrem Professor war.
„Ich denke an eine mentale Auseinandersetzung bei Fehlverhalten.“
Himmel! Sollte Dupree wie ein Hund auf dem Boden herumkriechen und ihre Schuhe lecken, während sie ihn beschimpfte? Er wusste nicht aus eigener Erfahrung, was Dominas taten, denn es törnte ihn überhaupt nicht an, von seiner Bettpartnerin angebrüllt und beleidigt zu werden. Er mochte es lieber, wenn sie unter ihm stöhnten und ihn anbettelten, weil sie nicht genug kriegen konnten. Dennoch hörte er so einiges über Peitschen schwingende Herrinnen, schließlich trieben sich manche seiner Teamkollegen an den verrücktesten Plätzen herum.
„Wissen Sie was? Ich hielte es für besser, wenn wir uns einfach auf das Wesentliche konzentrieren.“
Sollte sich Blake doch damit rumschlagen, überlegte Tom wütend.
Sie nickte zustimmend. „Wann lerne ich sie denn kennen, wenn ich fragen darf?“
„Sie?“ Er sah sie erschrocken an. „Hier liegt ein Missverständnis vor. Sie ist ein er. Keine lesbischen Nummern – es sei denn, Sie tanzen mit einer Kollegin an.“
„Entschuldigen Sie!“
Als es wieder klingelte, ignorierte er ihren verwirrten Gesichtsausdruck und ihren empörten Ausruf, schob sie wenig rücksichtsvoll in den Flur und öffnete die Tür zu seinem Schlafzimmer. „Mist! Warten Sie hier!“
Sie protestierte und legte die rechte Hand auf seinen Arm, um ihn wegzudrücken. „Mr. Peacock!“
„Sag’ ruhig Tom“, er verdrehte die Augen. Schön und gut, sie spielte vielleicht eine Rolle, während sie strippte, aber das hieß doch nicht, dass sie sich die ganze Zeit wie eine Bibliothekarin benehmen musste. Die Show hatte nicht einmal angefangen!
„Das ist keine gute Idee“, widersprach sie erregt und sah ihn mit funkelnden Augen an, „unser Verhältnis sollte rein professioneller Natur sein.“
Tom machte Licht an und sah sie heftig erröten, als sie sein Bett – einen riesigen Futon mit unordentlicher Bettdecke – bemerkte. Bevor sie zu einem Protestgebrüll ansetzen konnte, stöhnte er ärgerlich auf: „Süße! Du wirst uns gleich deine nackten Titten zeigen. Jetzt stell dich nicht so an.“
Ehe er es sich versah, hatte sie ihm eine schallende Ohrfeige verpasst.
„Was soll das!“
Aufgebracht stemmte sie beide Hände in die Hüften und schenkte ihm einen mörderischen Blick, der ihn an seine alte Schuldirektorin erinnerte. „Halten Sie mich etwa für eine Stripperin?“
Langsam schlich sich die Erkenntnis in sein Gehirn, dass er etwas falsch gemacht hatte.
„Sagen Sie schon!“
„Scheiße ... sind Sie etwa nicht fürs Strippen da?“ Unsicher ließ er sie los und trat einen Schritt zurück.
Geradezu königlich hob sie das Kinn. „Nein, das bin ich nicht.“ Sie holte Luft und zischte: „Ich sollte das neue Kindermädchen Ihrer Tochter werden.“
„Verbotene Küsse in der Halbzeit“ erscheint im Herbst 2013