4. Kapitel
Für John gestaltete es sich ziemlich schwierig, sich mit Hanna zu treffen. Er hatte viel zu tun und musste ein Footballteam zusammenstellen, das aus alternden Spielern und jungen Heißspornen bestand. Leider hatte er ein ziemlich großes Quarterbackproblem, denn sowohl der aktuelle Quarterback Mitch Cahill, der in der nächsten Saison in Rente gehen wollte, als auch die große Nachwuchshoffnung seines Chefs George MacLachlan waren momentan noch verletzungsbedingt auf Schonung angewiesen. John hatte den jetzigen Ersatzquarterback Brian Palmer bereits vor Jahren beobachtet, als dieser noch auf dem College gespielt hatte. Sicherlich war der großmäulige Spieler ein großes Talent, doch sein verletztes Knie entschied über den Verlauf seiner Karriere. Sollte er sich nicht erholen, sah John nicht nur für dessen Karriere, sondern auch für die Zukunft der Titans schwarz.
Täglich sah sich John alte Spielmitschnitte an, traf sich mit seinen Co-Trainern und besprach sich mit den Verantwortlichen über potentielle Nachwuchsspieler, die sie noch ins Team holen konnten. Erst in einigen Wochen begann das offizielle Training und bis dahin musste seine Taktik stehen.
Eigentlich hätte er hochkonzentriert an seinen neuen Job gehen sollen, aber Hanna ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. Er führte sich wie ein verliebter Teenager auf, schickte ihr ständig Nachrichten, telefonierte täglich mit ihr und traf sich mit ihr, wenn beide Zeit fanden, denn auch Hanna war momentan sehr beschäftigt. Sie hatte heute ihren neuen Job begonnen und die erste Vorlesung gehalten. Daher waren ihre Treffen in den vergangenen drei Wochen eher sporadisch ausgefallen. In dieser Woche hatte er sie erst einmal gesehen, als er sie in der Uni getroffen hatte, um ihr neues Büro zu besichtigen. Der einzige Vorteil dieser sporadischen Treffen war, dass die Presse noch keinen Wind davon bekommen hatte, dass John auf dem besten Weg war, sich zu verlieben.
Lächelnd lehnte er sich in seinem Sessel zurück und schaltete seinen Laptop aus, da er für heute Schluss machen wollte, denn er traf sich gleich mit ihr. Sie hatten gestern zwei Stunden miteinander telefoniert und waren zusammen das Skript für ihren heutigen Vortrag durchgegangen. Hanna war schrecklich nervös gewesen und hatte ein wenig Ablenkung gebrauchen können, was John nur recht gewesen war, denn er verbrachte gerne seine Zeit mit ihr – auch wenn es nur am Telefon war. Während er mit dem Telefonhörer am Ohr auf seiner Couch gelümmelt hatte, hatte sie in ihrer Wohnung auf ihrem Bett gesessen und ihm vorgelesen, wie der Kalte Krieg entstanden war. Ängstlich und unsicher hatte sie nach seiner Meinung gefragt, woraufhin sie fast eine halbe Stunde über Russland, Kuba und Vietnam gesprochen hatten, bevor sie beide abgeschweift waren und sich über ihre Lieblingsfilme unterhalten hatten. Erst als beide kaum mehr die Augen offenhalten konnten, hatten sie aufgelegt.
Zwar zog Gray ihn seit drei Wochen damit auf, dass sich John mit einer Frau traf und es so langsam wie in der vierten Klasse angehen ließ, aber er ignorierte die Sticheleien, weil er Hanna mittlerweile etwas kannte und wusste, dass sie nicht der Typ war, der sich leichthin auf jemanden einließ, ohne diesen besser zu kennen. Verdammt, er mochte Hanna, hörte ihr gerne zu und sah sie liebend gerne lachen. Wenn sie sich verlegen durch die rötlichen Haare fuhr und ihre Augen vor Vergnügen aufblitzten, setzte sein Herz kurz aus, während er den Drang verspürte, sie an sich zu ziehen. Das war nicht einfach eine Sexgeschichte, weil diese Frau ihn faszinierte und zum Lachen bringen konnte.
Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er spät dran war. Er raste zu seinem Auto, stopfte seine Trainingstasche in den Kofferraum und manövrierte den leistungsstarken BMW in Richtung Central Park. Als er endlich einen Parkplatz bekommen hatte und vor dem Gebäude ankam, an dem er sich mit Hanna treffen wollte, stand sie schon davor und lächelte ihn verschmitzt an.
„Hi“, entschuldigend beugte er sich hinab und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Tut mir leid, dass ich etwas spät dran bin.“
„Kein Problem“, sie wedelte mit zwei Tickets vor seiner Nase herum. „Ich habe die Karten besorgt, deshalb müssen wir uns nicht beeilen.“
Vorwurfsvoll runzelte er die Stirn. „Du sollst doch nicht bezahlen, Hanna.“
Sie stieß einen gespielt genervten Seufzer aus. „Die paar Dollar werden mich sicher nicht ins Armenhaus bringen. Außerdem hast du beim letzten Mal bezahlt.“
Für den späten März war es recht kühl, weshalb sie über der gefütterten Jeansjacke einen Schal trug, den sie sich locker um den Hals geschlungen hatte. Das Haar war zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden und sie trug zu der engen schwarzen Jeans halbhohe, flache Stiefel aus hellbraunem Leder.
„Du siehst toll aus.“
Wie erwartet errötete sie schwach und murmelte: „Ich hatte nicht einmal Zeit, mir die Haare anständig zu kämmen. Nach der Vorlesung hatte ich noch eine Besprechung mit meinem Professor.“
John trat neben sie und schlang seinen linken Arm um ihren Nacken, während er sie langsam in Richtung Gebäude führte. „Mach es nicht so spannend! Wie ist es gelaufen? Hast du den Witz über Kennedy und Chruschtschow als Einleitung genommen.“
Sie schnitt eine Grimasse und sah zu ihm auf, als sie langsam zum Eingang schlenderten. „Ja, das habe ich. Glücklicherweise fanden ihn alle witzig. Tatsächlich lief die Vorlesung sehr gut ab. Keine übereifrigen Flüchtlinge, die vorzeitig den Raum verlassen haben, kein Getuschel und keine gelangweilten Gesichter.“
„Das ist doch großartig!“ Stolz drückte er sie einen Moment eng an sich. „Was wollte dein Professor mit dir besprechen?“
„Oh“, sie strahlte vor Glück. „Er hat meinen theoretischen Unterbau abgesegnet und für gut befunden. Außerdem hat er mir angeboten, auf einer Konferenz in ein paar Monaten einen Vortrag zu halten. Das ist eine wundervolle Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen.“
„Herzlichen Glückwunsch“, er musste sie kurz loslassen, weil sie durch eine Drehtür ins Innere gelangten und dort ihre Tickets vorzeigten, die Hanna bereits gekauft hatte. John kaufte für beide Getränke, bevor sie in den Saal gelassen wurden. Währenddessen erzählte sie ihm ausführlich von ihrem Gespräch mit dem Professor und lachte über Versprecher, die sie sich während ihrer Vorlesung geleistet hatte.
Bevor Hanna zu den vorderen Reihen laufen konnte, ergriff John ihre Hand und zog sie nach hinten in die letzte Reihe, die erfahrungsgemäß leer blieb. Kichernd setzte sie sich in einen Sessel und befreite sich von ihrer Umhängetasche, die sie auf dem Boden abstellte, während es sich John neben ihr in seinem Sessel gemütlich machte und an seiner Coke nippte. Die anderen Besucher strömten nach vorne und verteilten sich in den ersten Reihen, um dort die beste Aussicht auf die kommende Show zu haben.
John beugte sich zu Hanna, die von ihrer Limo trank und die Lichter beobachtete, die über ihnen schienen. Er war ihrem Gesicht so nah, dass er ihren verführerischen Duft riechen konnte, als er grinsend flüsterte: „Du solltest während der Show gut aufpassen.“
„Wieso?“ Sie drehte den Kopf leicht in seine Richtung und fragte belustigt: „Willst du mich etwa testen?“
„Der Fragebogen wartet in meinem Wagen.“
„Du bist ein echter Scherzkeks!“
Sie stellte ihren Becher beiseite und lehnte sich zurück, so dass ihr Sessel weit nach hinten gebogen wurde. John tat es ihr nach und starrte ebenfalls an die Decke, an der nun unzählige Sterne erschienen, als die Show im Planetarium begann und absolute Finsternis herrschte.
Leise Musik ertönte, bevor eine Sprecherin über das Universum zu sprechen begann. John konnte aus den Augenwinkeln sehen, wie sich Hanna in ihren Sessel kuschelte und gebannt nach oben starrte, um die Sternenkonstruktionen und Bilder von kosmischen Abbildungen zu betrachten. Er dagegen war viel faszinierter von ihrem Profil und der puren Begeisterung auf ihrem Gesicht.
„Ist das nicht wunderschön“, hauchte sie seufzend und sah weiterhin nach oben. „Kannst du dir vorstellen, dass es so viele Sterne gibt? Oder dass im All solche Farben existieren?“
„Mhh“, murmelte er und warf einen flüchtigen Blick an die Decke, an der ein Stern mit einem bunten Nebel zu sehen war. Passend zur Show lief im Hintergrund Julie Londons Song Fly me to the moon. John ließ die Textpassagen auf sich wirken, starrte ebenfalls auf die Sternenbilder und fühlte sich in seine Teenagerzeit zurückversetzt, als er mit seiner Flamme im Kino saß und es sich nicht über sich brachte, sie zu küssen. Beinahe hätte er gequält aufgelacht. Wann immer er Hanna traf und ihr einen freundschaftlichen Schmatzer auf die Wange gab, wenn er sie begrüßte oder verabschiedete, fragte er sich, ob er sie nicht lieber richtig küssen sollte, anstatt sich wie ihr schwuler Freund zu verhalten. Himmel, er war Mitte 30 und sollte langsam erwachsen werden! Diese Schüchternheit passte nicht zu ihm, denn bisher hatte er niemals gezögert, sein Date zu küssen. Er war ein Mann und keine Memme!
Also drehte er wieder den Kopf in ihre Richtung und sah, dass sie ihn ebenfalls ansah und musterte. Plötzlich war es ganz leicht. Er beugte sich zu ihr, umfasste mit beiden Händen ihr Gesicht und schloss seine Lippen über ihrem Mund. Ihr kleiner Seufzer verursachte ihm eine Gänsehaut – genau wie ihre weichen Lippen, die sich ihm einladend öffneten. Voller Vergnügen registrierte er ihren süßen Geschmack und ihre Hand, die sich zärtlich um seinen Nacken schloss. Sie schmiegte sich an ihn und kam seinem Kuss enthusiastisch entgegen. Ihre Münder verschmolzen. John stieß ein tiefes Stöhnen aus, zog sie eng an sich und hielt sie fest in seinen Armen. Der innige Kuss ließ ihn erzittern und innerlich nach mehr betteln, jedoch gab er sich völlig damit zufrieden, mit ihr in der Dunkelheit des Planetariums wie ein Teenager zu knutschen.
Als beide Atem schöpfen mussten, lösten sie kurz ihre Lippen voneinander, blieben jedoch dicht aneinander geschmiegt liegen. Hanna legte den Kopf zur Seite und sah ihn aus verhangenen Augen an, bevor ihre Fingerspitzen sein Kinn nachzeichneten und ihre andere Hand seinen Nacken streichelte. John küsste die Fingerspitzen zärtlich, die an seinem Mund angekommen waren, bevor er wieder den Mund senkte und sie behutsam auf die leicht geschwollenen Lippen küsste. Hanna erwiderte die leichte Lippenberührung und seufzte behaglich.
„Mhhh ... mhhh ...“
John hob den Kopf einige Zentimeter und fragte murmelnd: „Mhhh?“
Sie lächelte breit und fuhr sich kurz mit der Zunge über die Lippen. Diese Geste machte ihn fast wahnsinnig, aber er beherrschte sich und blickte sie weiterhin fragend an.
„Mhhh ...“, ihr Lächeln ging ihm durch Mark und Bein. Anstatt seine Frage zu beantworten, hob sie den Kopf, knabberte an seinem Kinn und fuhr bis zu seinem Mund, den sie neckend berührte.
„Soll das heißen, dass du gerne geküsst werden willst?“
Sie antwortete mit einem leisen Kichern auf sein Flüstern und zog seinen Kopf wieder zu sich.
Von der fesselnden Show bekamen beide nichts mehr mit, sondern waren mit fesselnden Küssen beschäftigt, die beiden den Atem nahmen. Das Ende der Show sahen sie sich dann dennoch an und betrachteten herrliche Sonnenstürme, während Hanna sich an ihn schmiegte und John ihre rechte Hand an seine Brust gezogen hatte.
Nachdem Hanna eine Stunde vergeblich versucht hatte, sich auf ihr Thesenpapier zu konzentrieren, gab sie auf und langte nach ihrem Hörer, um Andie anzurufen und sich Rat einzuholen. Sie war mit dieser Situation überfordert und wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Hanna hatte keine Ahnung, wie man sich verhalten sollte, wenn man das eigene Gesicht ständig in der Zeitung, einer Illustrierten oder sogar im Frühstücksfernsehen sah!
Seit ihrem Date im Planetarium vor fast drei Wochen, bei dem Fotos entstanden waren, wie Hanna und John knutschend in seinem Auto gesessen hatten, als er sie nach Hause gefahren hatte, war die Hölle los.
Irgendwie hatten einige spitzfindige Journalisten sogar ihre Privatnummer erfahren und terrorisierten sie nun mit Anrufen. Besonders in der Universität war es peinlich, dass Pressevertreter beim Lehrstuhl anriefen und sie zu sprechen wünschten. Die bärbeißige Sekretärin wies zwar alle Anfragen ab, meckerte jedoch genauso mit Hanna wegen der vielen Störungen herum, der es unglaublich unangenehm war, dass alle Kollegen und Vorgesetzten mitbekamen, dass sie sich mit einem Prominenten traf und bei diesen Gelegenheiten fotografiert wurde. Fotos von ihren Dates und sogar von ihren Küssen wurden ständig irgendwo abgedruckt. Ihr Privatleben war auf einmal öffentlich – und jede Menschenseele konnte alles darüber erfahren, wer Hanna war, was sie beruflich tat, wie sie sich anzog und ob sie gerade einen Pickel bekam.
Man hielt Hanna für Johns neue Freundin und fand diese Entdeckung anscheinend sensationell, da über nichts anderes mehr berichtet wurde. John hatte ihr zwar geraten, alle Artikel, Fotos und Bemerkungen zu ignorieren, aber das fiel Hanna nicht leicht. Erstens war sie sowieso ziemlich durcheinander, was diese schnelle Entwicklung mit John anging, und zweitens konnte sie sich nicht daran gewöhnen, dass in der Öffentlichkeit über sie gesprochen wurde. Besonders schlimm fand sie einen Artikel, über den sie heute im Internet gestolpert war, als sie eigentlich ein Buch hatte bestellen wollen.
Gestern hatte sie John in ihrer Mittagspause getroffen und sich von ihm ein kleines Bistro zeigen lassen, in dem sie sich eigentlich geschützt gefühlt hatte. Weit gefehlt. Zwar hatten ihn einige Gäste um Autogramme gebeten, die er auch freundlich verteilt hatte, aber irgendjemand musste sie fotografiert und diese Aufnahmen der Presse verkauft haben. Jedenfalls konnten die Leser einiger Klatschmagazine heute sehen, wie John und Hanna zusammen an einem kleinen Bistrotisch saßen und sich küssten, während ein Teller mit einem Sandwich vor Hanna und ein Teller Suppe vor John standen.
Gedankenverloren starrte Hanna auf ihren Bildschirm und fuhr sich automatisch über ihr Kinn, das auf dem Foto den Ansatz eines kleinen Doppelkinns zeigte. Schamesröte fuhr ihr in die Wangen, als sie den Titel las:
John Brennans Freundin und ihr Gewichtsproblem
Rote Pfeile zeigten auf Hannas vermeintliche Problemzonen. Neben ihrem Kinn wurden ihre Hüftengegend und ihre Oberschenkel mit diesen Pfeilen betont, während eine kleine Tabelle anführte, welche Kalorien sie täglich zu sich nahm. Kleinere Fotos waren daneben abgedruckt worden, die zeigten, wie sie in einen Apfel biss, ein Eis aß, mit einer Tüte aus dem Supermarkt kam oder vor einer Bäckerei stand. Alle Aufnahmen waren an verschiedenen Tagen gemacht worden, sollten jedoch beweisen, dass Hanna unkontrolliert Nahrung zu sich nahm und daher nicht den standardisierten Modelmaßen entsprach, die den BMI eines hungernden Kleinkindes aus Afrika aufwiesen.
Ein kurzes Interview mit einer Ernährungsberaterin war ebenfalls in den Artikel eingeflochten worden. Die gute Frau beschrieb Hanna als krankhaft essgestört und erklärte, dass die Kohlenhydratzufuhr des mittäglichen Sandwiches viel zu hoch für jemanden sei, der bereits mit seinem Gewicht zu kämpfen hatte.
Hanna schluckte hart und scrollte ein wenig hinunter, um sich die stetig steigende Kommentarliste der Leser anzusehen.
TitansFan86: Soooo fett ist sie jetzt auch nicht!
CinderellaNY: John hat was besseres verdient. Die ist nicht mal hübsch ... vielleicht sollte er sich mal eine Brille besorgen
MikeXOXO: @CinderellaNY Er sollte ihr lieber ein Magenband besorgen!
CinderellaNY: @MikeXOXO ;-) lol!
Jim007: Brennan scheint an geschmacksverwihrung zu leiden – oder er ist wirklich schwuhl und brauchte eine allibifreunndin
TitansFan86: @Jim007 das glaubst du doch selbst nicht! Bist wahrscheinlich selbst schwul!
Suesse87: Wenn die so weiter futtert ist er bald Pleite
Nicht nur die katastrophalen Rechtschreibfehler schockierten Hanna, sondern auch die gehässigen Bemerkungen. Himmel, war sie wirklich so fett, dass sich die Menschen das Maul über sie zerrissen? Sie wollte nicht als fette Freundin von John gelten, vor der keine Pizza sicher war!
Als Andie endlich an ihr Handy ging, war Hanna zwischen Panik, Scham und einem Heulkrampf hin und hergerissen.
„Sie nennen mich fett“, jammerte sie in den Hörer.
Andie seufzte, da sie Hanna in den letzten Tagen bereits einige Male hatte beruhigen müssen. Auch jetzt klang ihre Freundin furchtbar aufgelöst, weshalb sie ruhig entgegnete: „Die sind nur neidisch, Hanna ...“
„Neidisch auf mein Doppelkinn, oder was?“
„Du hast kein Doppelkinn“, widersprach Andie zornig. „Lass dir doch nicht so einen Scheiß einreden!“
Hanna biss sich auf die Unterlippe und unterdrückte die rasch aufsteigenden Tränen. „Andie ... ich bin es nicht gewohnt, dass ich in aller Öffentlichkeit beleidigt werde.“
„Oh ... Hanna ... mir tut das so leid. Was sagt denn John dazu?“
„Der ist seit heute Morgen im Trainingslager. Ich habe es ihm nicht erzählt ...“
„Warum denn nicht?“
Zögernd zog Hanna die Beine an und legte den Kopf auf ihre Knie, während sie murmelte: „Ich weiß nicht ... ich will ihn nicht damit belasten und nerven ... er hat gerade so viel zu tun ... und ...“
„Und?“
Sie seufzte dumpf. „Ich will ihn nicht unbedingt mit dem Kopf darauf stoßen, dass diese Schreiberlinge Recht haben.“
„Du bist nicht fett!“
„Das meine ich nicht.“ Hanna räusperte sich kurz. „Alle sind der einhelligen Meinung, dass es ihn besser treffen könnte. Er könnte sehr viel attraktivere Frauen haben als mich.“
„Geht das jetzt schon wieder los?!“
„Mal ehrlich, Andie. Was findet er an mir?“
Ihre Freundin stöhnte vernehmlich in den Hörer. „Ist dir vielleicht schon einmal der Gedanke gekommen, dass John keinen Bock hat, sich das hohle Geplapper von noch hohleren Models anzuhören? Ich weiß nur, dass er über jeden Mist lacht, der aus deinem Mund kommt und auch nur ansatzweise lustig ist, dass er dich anschaut, als wärst du der klügste Mensch auf der Welt, und dass er die Augen nicht von dir lassen kann. Am letzten Mittwoch hätte ich mich aus deiner Wohnung beamen oder mich in ein Alien verwandeln können, es wäre ihm nicht einmal aufgefallen, weil er jede Bewegung von dir beobachtet hat, als du in der Küche warst und Snacks zubereitet hast.“
Eine kleine Flamme entzündete sich in Hanna und sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
„Euer Sex muss der Wahnsinn sein, wenn er dich so ansieht!“
Hanna schluckte und schwieg einen Moment, in dem sie überlegte, was sie ihrer Freundin antworten sollte. Doch das Schweigen verriet Andie viel mehr, als Hanna lieb war.
Sie holte tief Luft. „Jetzt sag mir nicht, dass ihr noch nicht miteinander geschlafen habt?!“
„Andie ...“
„Oh mein Gott! Ihr kennt euch jetzt wie lange schon? Sieben Wochen?“
„Ja, aber ...“
Entrüstet schnaubte Andie in den Hörer. „So lange habe ich nicht einmal mit fünfzehn Jahren gewartet, Hanna! Bist du etwa prüde?“
Gereizt kniff Hanna die Lippen zusammen und fauchte: „Kannst du dir überhaupt vorstellen, was es heißt, mit jemandem wie John Brennan auszugehen?!“
„Na und?“ Sie stöhnte. „Der arme Mann wird es bald wirklich nötig haben ...“
„Hör auf, okay?“ Hanna schluckte die wachsende Panik hinunter. Niemand verstand, wie es sich anfühlte, in jemanden verliebt zu sein, der in der Öffentlichkeit stand und so beliebt war wie John. Zwar kannte sie weder seine Karriere noch seine Erfolge besonders gut, aber sie erlebte den Hype um seine Person hautnah mit und fühlte sich selbst wie eine unbedeutende Fliege, die nicht gegen den Rummel ankämpfen konnte, der sich um ihn aufbaute. Wo immer sie waren, er wurde von fremden Menschen umringt, die sich mit ihm fotografieren lassen wollten, die ihm Fragen zuriefen und ihn geradezu anbeteten. Niemals hatten sie ein wenig Ruhe, sondern wurden ständig beobachtet.
Trotzdem war sie gerne mit ihm zusammen. Sie sehnte sich danach, bei ihm zu sein, und würde nur allzu gerne endlich mit ihm schlafen. Natürlich kam sie sich mittlerweile selbst wie ein prüder Teenager vor, wenn sie bei ihr oder in seiner Wohnung knutschend auf dem Sofa lagen, sie dann jedoch immer zurückzuckte, sobald es leidenschaftlicher wurde. Dabei hätte sie ihm bei diesen Gelegenheiten selbst am liebsten die Klamotten heruntergerissen und sich auf ihn gestürzt. Aber sie fühlte sich unwohl – sie kam sich fett, ungelenk und hässlich vor und wollte ihm diese Makel nicht zeigen.
Kurzum: sie war der Meinung, nicht wert genug für John Brennan zu sein.
Nachdem sie Andie abgewürgt hatte, setzte sie sich wieder an ihren Computer und begann nach wirksamen Diäten zu suchen.