2. Kapitel

Hanna ging am nächsten Tag ein wenig spazieren und versuchte nicht daran zu denken, dass vielleicht heute schon der Anruf kam, mit dem ihr mitgeteilt werden würde, ob sie das Stipendium bekommen hatte oder nicht. Eigentlich hatte sie gar kein so schlechtes Gefühl, denn das Gespräch war ganz gut verlaufen. Natürlich hatte sich Prof. Stewart besorgt danach erkundigt, weshalb sie Blutflecken auf ihrer Jacke hatte, und er war ziemlich erstaunt darüber gewesen, dass sie überhaupt und dann auch noch pünktlich zu dem Termin erschienen war. Jedenfalls hatte er ihr erst einmal einen Tee gemacht und längere Zeit mit ihr über London geplaudert, bis sie auf ihr eigentliches Thema zu sprechen gekommen waren. Lange Zeit hatten sie sich einfach unterhalten und er hatte interessiert Fragen gestellt, die sie glücklicherweise alle hatte beantworten können. Nach einiger Zeit war das Gespräch beendet gewesen. Zwar hatte Hanna ein ziemlich gutes Gefühl gehabt, doch im Nachhinein dachte sie über jede Kleinigkeit nach und fragte sich, ob alles tatsächlich gut gelaufen war.

Obwohl sie John Brennan gesagt hatte, dass er nicht warten solle und sie nach ihrem Termin bei einem Arzt vorbeischauen würde, hatte er dennoch im Flur der Universität auf sie gewartet und sie in ein Krankenhaus gefahren. Es war ihr ein wenig peinlich gewesen, dass er nicht von ihrer Seite gewichen war, aber andererseits war es auch nett gewesen, einige Zeit mit ihm verbracht zu haben, denn John Brennan hatte sich als humorvoller Gesprächspartner erwiesen, der neben seinem guten Aussehen über eine große Portion Charme verfügte.

Nachdem der Arzt erklärt hatte, dass nichts passiert sei, außer dass sie vermutlich eine Beule und einen blauen Fleck bekommen würde, hatte er sie bis vor die Haustür gefahren. Je länger sie darüber nachdachte, desto merkwürdiger kam es ihr vor, dass jemand, der für einen Unfall eigentlich gar nicht verantwortlich war, nach den Verletzten sah und den Schaden bezahlen wollte.

Jedenfalls war ihr Anfang in New York alles andere als langweilig gewesen.

Hanna kaufte sich ein Sandwich, ging in einem Park spazieren und hielt schließlich an einem Zeitungsstand an, da sie ein vertrautes Gesicht auf dem Titelbild erkannte – nämlich ihr eigenes. Verwirrt kaufte sie eine Zeitung und las den Artikel, der den Titel Brennan – der Superheld ist zurück trug. Ein Foto von ihr selbst, die halb ohnmächtig in seinen Armen lag, und ein kleineres Bild, das ihn allein zeigte, wie er mit einem grimmigen Gesichtsausdruck die Schaulustigen vertreiben wollte, waren auf dem Foto zu sehen. Irritiert setzte sich Hanna auf eine Parkbank, knöpfte ihre Jacke wegen des kalten Februarwindes zu und begann den Artikel zu lesen. Im Hauptteil waren noch weitere Fotos zu sehen, auf denen sie selbst einige Male erschien.

John Brennan – New Yorker Footballheld, amerikanisches Idol und Traum aller Schwiegermütter – hat seit seiner Ernennung zum Chefcouch des hiesigen Footballteams vor wenigen Tagen allerhand zu tun. Verfolgt von einer Meute Paparazzi wurde er gestern in einen Unfall verwickelt und ließ es sich nicht nehmen, selbst nach den Unfallopfern, einem Taxifahrer und einer jungen Frau, zu sehen. Wie Augenzeugen berichteten, sank die junge Dame Brennan halb ohnmächtig in die Arme, nachdem sie ihn erkannt hatte …

Hanna runzelte die Stirn über diesen Unsinn, las jedoch weiter.

Der Taxifahrer Rashid äußerte sich wie folgt über Brennan’s Einsatz: „Er war sehr besorgt um uns und gab mir seine Visitenkarte, damit der Schaden bezahlt wird, obwohl es gar nicht seine Schuld war. John Brennan ist wirklich ein cooler Typ!“ Was die junge Dame zu Brennans Einsatz sagte, konnten wir leider nicht in Erfahrung bringen, da sie die Gelegenheit beim Schopfe packte und sich vom ehemaligen Star-Quarterback wegfahren ließ.“

Wieder runzelte Hanna die Stirn und schüttelte nur den Kopf. Die Zeitung stellte es gerade so dar, als hätte sie es darauf angelegt, mit John Brennan wegzufahren. Sie hatte ja nicht einmal gewusst, wer er war! Sie faltete die Zeitung zusammen und warf sie in einen Papierkorb. Ihr einziger Trost war, dass die heutige Ausgabe morgen sowieso vergessen sein würde. Morgen krähte kein Hahn mehr nach dem gestrigen Unfall und niemand würde ihr mehr unterstellen, dass sie es auf John Brennan abgesehen hatte. Natürlich musste sie zugeben, dass dieser ehemalige Footballspieler süß und gutaussehend war, mal abgesehen davon, dass er erschreckend nett gewesen war, aber trotzdem war sie nicht seine Kragenweite. Hanna war kein langbeiniges Topmodel mit Modelmaßen und einer tollen blonden Haarmähne, sondern hatte jahrelang mit überflüssigen Kilos gekämpft, haderte mit ihren durchschnittlichen braunroten Haaren und fand auch ihr Gesicht eher durchschnittlich. Zwar mochte sie ihre grünen Augen sehr gerne, aber sie konnte sich gut einschätzen.

Neben hübschen, gut gebauten und vor allem schlanken Frauen kam sie sich immer etwas benachteiligt vor, auch wenn sie nicht wirklich dick war, sondern eher kurvig. Sie wollte einfach nicht den ganzen Tag Sport treiben und sich von einer halben Grapefruit am Tag ernähren, um dann Abführmittel zu nehmen oder sich den Finger in den Hals zu stecken. Dafür genoss sie gutes Essen zu sehr und liebte das Kochen. Ihre deutsche Großmutter hatte ihr viel über Kuchen, Gebäck und andere Leckereien beigebracht, während sie in Frankreich bei der Familie ihres Vaters die französische Küche wertgeschätzt hatte. Sie wollte auf das nicht verzichten müssen und hatte sich daher damit abgefunden, niemals wie Heidi Klum auszusehen.

Als das Handy klingelte, wurde sie aus ihren Gedanken gerissen und fühlte, wie ihr Herz panisch zu klopfen begonnen hatte, doch ein Blick auf das Display verriet ihr, dass ihre Freundin Andie anrief. Andie lebte schon seit einigen Jahren in New York und hatte ihr geholfen, ihre jetzige Wohnung zu finden. Die beiden kannten sich von deren Studienzeit in England und waren seit einigen Jahren befreundet.

„Hi, Andie.“

„Wie kommt es, dass meine Freundin John Brennan kennenlernt und mir kein Sterbenswörtchen davon verrät?“

Hanna seufzte ärgerlich auf. Sie wartete auf den Anruf von Prof. Stewart und wollte jetzt sicher nicht über diesen dummen Artikel plaudern. „Hast du den Artikel in den Daily News gesehen?“

„In den Daily News?“ Andie lachte ungläubig auf. „Süße, in jeder New Yorker Zeitung steht etwas über diesen ominösen Unfall, nicht nur in einer einzigen Zeitung …“

„Scheiße“, Hanna verdrehte die Augen.

„Du wirst noch berühmt!“

„Unsinn, da ist nichts passiert, außer dass das Taxi von einem Auto voller Fotografen gerammt worden ist. Ich bin froh, dass ich noch rechtzeitig zu meinem Termin gekommen bin.“

„Ehrlich?“

Hanna blickte in den Himmel und erklärte fest: „Ganz ehrlich.“

„Na, dann war das ja ein gelungener Einstieg in deine New York Zeit.“

Lachend erwiderte Hanna: „Das kannst du laut sagen.“

„Dir ist wirklich nichts bei dem Unfall passiert?“

„Alles wunderbar“, sie seufzte leise auf. „Aber ich bin komplett fertig mit den Nerven. Ich warte auf eine Zu- oder Absage.“

„Du wirst das schon packen! Hast du nicht Lust, heute Abend etwas mit mir trinken zu gehen? Pauline würde auch mitkommen.“

„Ich weiß nicht …“ Zwar mochte Hanna sowohl Andie als auch deren Mitbewohnerin Pauline sehr gerne, aber sie war einfach zu nervös.

„Du kommst mit und damit basta! Es ist Freitag und da müssen wir was unternehmen. Du kennst das Nachtleben von New York ja noch gar nicht! Das müssen wir unbedingt ändern und sollten das gute Wetter auszunutzen!“

Die Meteorologen sprachen davon, dass diese Februarwoche die wärmste des ganzen Jahrhunderts war und schwärmten von den frühlingshaften Temperaturen, doch Hanna fand den Wind immer noch ziemlich kalt. Nichtsdestotrotz stimmte sie Andie zu, was deren Abendplanung anging.

„Okay, von mir aus.“ In diesem Moment hörte sie, dass noch jemand sie anrief. „Andie, da ruft noch jemand an. Ich ruf dich gleich zurück!“

Als sie Andie wenige Minuten später anrief, hatte sie wirklich einen Grund zum Feiern. Prof. Stewart hatte sie persönlich angerufen und ihr zum Stipendium gratuliert, woraufhin Hanna beinahe dem Obdachlosen um den Hals gefallen wäre, der sich völlig arglos auf die Bank neben sie gesetzt hatte und seine Schnapsflasche vor ihr verteidigen wollte. Als Entschädigung gab sie ihm einen Zwanzigdollarschein und schwebte wie auf Wolken zurück zu ihrer neuen Wohnung.

Gut gelaunt saßen die drei Frauen spät am Abend in einer Bar und genossen einige Drinks. Hanna war so gelöst wie schon lange nicht mehr und wollte sich einfach nur amüsieren. Da jetzt endlich die ganze Anspannung der letzten Monate wie weggewischt war, hatte sich Hanna Zeit genommen, um sich aufzubrezeln, und freute sich regelrecht auf einen Abend mit Andie und Pauline, da sie sicher war, mit ihnen Spaß zu bekommen. Selbst die furchtbar unbequemen Highheels hatte sie angezogen und sich die Fußnägel lackiert.

Hübsch gemacht saßen alle drei in der Bar und tranken auf Hannas Erfolg. Natürlich musste sie die Geschichte ihres Unfalls ständig wiederholen, aber mittlerweile lachte sie darüber, da ihr nichts passiert war und sie trotz des Schrecks das Stipendium bekommen hatte. Neben der ganzen Freude war sie auch etwas aufgeregt, schließlich sollte sie schon in wenigen Wochen vor eine Horde Studenten treten und Kurse abhalten.

„So, ihr Süßen“, Pauline schwenkte ihren Cosmopolitan umher und machte einen Schmollmund. „Was machen wir nach dieser Bar? Ich bin fürs Tanzen.“

Hanna dachte an ihre Füße, sagte aber kein Wort, um bloß nicht als Spaßbremse zu gelten.

„Du kannst gar nicht tanzen“, Andie lachte lauthals, als sie Paulines Gesichtsausdruck sah. „Dir fehlt das nötige Rhythmusgefühl!“

Pauline hob ironisch eine Augenbraue in die Höhe. „Schätzchen, meine Grandma ist Kubanerin, ich habe Pfeffer im Hintern!“

„Du verwechselst da was“, Andies Augen funkelten vor Vergnügen. „Wenn du tanzt, Schätzchen, wirkt es nicht, als hättest du Feuer im Hintern, sondern als hätten dir Feuerameisen in den Hintern gebissen.“

Daraufhin mussten alle drei prusten, bis Andie erklärte: „Im Ernst, wo sollen wir hingehen? Hat in SoHo nicht ein neuer Laden aufgemacht?“

„Dann haben sie bestimmt eine Gästeliste und wir müssen stundenlang in der Schlange stehen“, nörgelte Pauline.

„Zeig etwas mehr Brust, dann wird das schon klappen.“

Hanna beobachtete beide amüsiert. Als ihr Handy plötzlich klingelte, ging sie dran und war dankbar für die relativ leise Musik im Hintergrund der Bar. „Dubois?“

„Hallo, Hanna Dubois. Hier spricht John Brennan.“

„Ähhh“, verwirrt starrte sie vor sich hin. „Hallo. Ich … ähh … habe ich Ihnen meine Handynummer gegeben?“

„Nein“, sie konnte sein Grinsen beinahe hören. „Das haben Sie nicht getan.“

„Aber … woher haben Sie meine Nummer?“

„Das bleibt mein Geheimnis.“

Eigentlich wollte sie ihn weiter ausfragen, aber da meldete er sich bereits wieder zu Wort. „Also, Hanna Dubois, haben Sie schon Nachricht wegen Ihres Stipendiums bekommen?“

„Hören Sie, John Brennan“, erwiderte sie vergnügt. „Dubois ist mein Nachname.“

Sie konnte sehen, dass sowohl Andie als auch Pauline schockiert in ihre Richtung starrten und wild gestikulierten, nachdem sie begriffen hatten, wer am anderen Ende der Leitung war.

„Ich weiß“, er lachte ins Telefon. „Aber meine Mom hat mich gut erzogen. Daher würde ich eine Dame niemals mit dem Vornamen ansprechen, wenn sie es mir nicht erlaubt hat.“

„Hiermit erlaube ich es Ihnen, John Brennan.“

„Vielen Dank.“ Er räusperte sich amüsiert. „Ihnen ist doch auch klar, dass Brennan mein Nachname ist, oder?“

„Natürlich“, sie seufzte dramatisch auf. „Wissen Sie, meine Mutter hält ungemein viel von guter Erziehung und …“

Er lachte laut auf. „Bitte sagen Sie einfach nur John, Hanna.“

„Sehr gerne, John.“

„Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet. Wie sieht es mit dem Stipendium aus? Und geht es Ihnen auch wirklich gut?“

Hanna grinste breit. „Mir geht’s gut. Zumal ich eine Zusage für das Stipendium bekommen habe.“

„Das ist doch großartig! Herzlichen Glückwunsch!“

„Danke sehr.“ Sie konnte sehen, dass Andie ständig irgendwelche Zeichen mit ihren Händen machte, und runzelte die Stirn, bevor sie ihr verstehen gab, ruhig zu sein und sie nicht zu stören.

„Ich schätze, dass das gefeiert werden muss.“ Wieder erklang seine sympathische Stimme durch den Hörer. Da es mittlerweile durch das Tuscheln der beiden Frauen lauter geworden war, presste Hanna den Hörer fest an ihr Ohr und hielt sich das andere zu.

„Oh, das tun wir schon.“

„Wir?“

Hanna drehte sich ein wenig beiseite, da zwei neugierige Ohrenpaare lauschen wollten. „Ja, zwei Freundinnen von mir und ich sitzen gerade in einer Bar und trinken Cocktails.“

„Eigentlich hatte ich Sie angerufen, weil ich noch etwas gut zu machen habe.“

Sie musste unterdrückt lachen. „Sie haben gar nichts gut zu machen, John. Im Gegenteil.“

Mhh … sagen wir es so, warum feiern wir Ihren Erfolg nicht zusammen? Ich bin gerade im Beau Monde. Das ist ein Club im Village.“

Beau Monde? Keine Ahnung, ich …“ Sie unterbrach sich, da ihre beiden Begleiterinnen auszurasten schienen. Andie flüsterte ihr zu: „Hanna! Das Beau Monde! Das ist DER Club der Stadt! Da sind nur Promis und der Schuppen muss spitze sein! Lass uns da hinfahren!“

„Keine Widerrede“, widersprach John durch den Hörer. „Ich würde mich wirklich freuen.“

„Mhh“, sie sah in die flehenden Augen ihrer Freundinnen und gab sich einen Ruck. „Gut, wir … wir werden kommen.“

„Wunderbar. Ich setze Sie mit ihren Begleiterinnen auf die Liste. Wir sehen uns dann.“

„Okay, bis gleich.“ Hanna legte auf und starrte etwas fassungslos auf ihr Handy.

„Oh mein Gott“, kreischte Andie. „Du hast ein Date mit John Brennan!“

„Unsinn! Das ist kein Date.“

Andie und Pauline schenkten sich einen wissenden Blick, während Hanna verlegen den Rest ihres Cosmopolitans hinunterschluckte.

John Brennan stand zusammen mit seinem Kumpel Gray an der Theke des Beau Monde und nippte an einer Flasche Bier, während er zum wiederholten Male auf seine Uhr starrte. Es war schon eine Weile her, dass er mit Hanna telefoniert hatte, und er hoffte, dass sie es sich jetzt nicht anders überlegt hatte.

„John, um Himmels willen“, Gray grinste breit und schlug ihm auf den Rücken. „Was bist du so nervös? Man könnte meinen, du wärst vierzehn und nicht vierunddreißig Jahre alt.“

John warf ihm einen bösen Blick zu. „Halt die Klappe!“

„Schon gut, schon gut“, beschwichtigend hob Gray seine Hände. „Ich meine es ja nicht so.“

„Besser für dich.“ John stellte seine Flasche zurück auf die Theke und spürte plötzlich eine Hand auf seinem Rücken. Lächelnd drehte er sich um. „Hanna! Schön, dass …“ Seine Worte verstummten, als er einer Blondine mit tiefen Ausschnitt ins Gesicht blickte, die ihn anlächelte.

„Hallo. Sind Sie nicht John Brennan?“

John verdrehte beinahe die Augen, während Gray neben ihm in seinen Drink grinste. Er nickte knapp und überlegte, wie er sie loswerden könnte, ohne allzu unhöflich zu sein.

„Ich habe gesehen, dass Sie ganz allein sind. Wie wäre es mit etwas Gesellschaft? Mein Name ist Tiffany.“ Sie hielt ihm die Hand hin, die er wohl oder übel nehmen musste. Doch leider gab sie seine Hand nicht sofort frei, sondern beugte sich vor und flüsterte ihm verführerisch ins Ohr. „Warum gehen wir nichts ins Separee? Da sind wir ungestörter.“

John wusste wirklich nicht, wie oft er diesen Anmachspruch schon gehört hatte. Jedenfalls zu oft.

„Nein, danke.“

Tiffany sah im ersten Moment verwirrt aus, doch sie schien nicht so schnell aufgeben zu wollen. „Es gibt ein paar Dinge, die ich dir gerne zeigen möchte. Ich verspreche dir, dass du nicht enttäuscht sein wirst.“

Er lehnte sich zurück gegen die Theke und schüttelte kurz den Kopf. „Tiffany, ich bin nicht interessiert.“

„Okay. Schade“, sie steckte ihm einen Zettel mit ihrer Telefonnummer zu und verschwand anschließend. John warf den Zettel in einen Aschenbecher und seufzte genervt auf.

Gray starrte ihn grinsend an.

„Was?“

„Nichts“, Gray schüttelte amüsiert den Kopf. „Kein anderer Mann wäre genervt, wenn ihn ständig heiße Bräute angraben würden.“

John kniff die Augen zusammen und signalisierte seinem Freund, dass er ganz anderer Meinung war. Lockere Frauen und wilde Groupies waren nicht sein Ding. Er leugnete nicht, dass er mit Anfang zwanzig eine kurze Phase durchgemacht hatte, in der auch er von hemmungslosen Frauen, die ihm ihre Nummern zusteckten, angetan gewesen war und den einen und auch anderen One-Night-Stand gehabt hatte, aber der gefühllose Sex hatte ihm bald nicht mehr gefallen. Er war einfach nicht der Typ für unbedeutende Affären und mittlerweile aus dem Alter heraus, in dem man allen leichtbekleideten Mädels hinterherlief, die schneller ihre Unterwäsche loswurden, als dass sie ihren eigenen Namen buchstabieren konnten.

„Mal ehrlich, John. Die Kleine war verdammt scharf.“

„Dann hättest du ihr einen Drink ausgeben sollen.“

Gray sah ihn sarkastisch an. „Sie hatte es auf dich abgesehen.“

John hob die Flasche an den Mund und schenkte seinem Kumpel einen bedeutungsvollen Blick. „Wohl eher auf meine Brieftasche.“

„Sei nicht immer so zynisch.“

„Weil die Kleine so ehrlich wirkte?“, wollte John mit ironischem Ton wissen.

Gray zuckte mit der Schulter. „Und wenn schon. Sie war heiß.“

John fand zwar, dass sie billig gewirkt hatte, sagte jedoch nichts.

„Warum beschwerst du dich eigentlich, Gray?“, er hob eine Augenbraue an. „Bei dir herrscht nicht gerade Ebbe im Bett.“

„Deshalb kann ich deine Einstellung auch nicht verstehen.“

Gray war ein toller Kumpel und riss oft Barbekanntschaften auf, aber er war Anwalt und hatte keine Ahnung davon, wie es war, ein bekannter Sportler zu sein, dem die Frauen hinterherliefen, weil sie an sein Geld kommen oder von seinem Prominentenstatus profitieren wollten.

„Gray, du weißt, wie nervig ich es finde, wenn Frauen mich fragen, ob ich der John Brennan bin, während Dollarzeichen in ihren Augen aufflackern.“

„Okay“, Gray runzelte die Stirn. „Das liegt halt an deinem Image.“

„Mit meinem Image ist alles okay“, verteidigte sich John. „Eigentlich dachte ich ja, dass Frauen auf brutale Sportler stehen, die sich prügeln, saufen und Bars zertrümmern.“

Lachend schüttelte sein Kumpel den Kopf. „Bestimmt, aber du bist der Traum einer jeden Schwiegermutter.“ Dafür bekam er einen nicht allzu sanften Faustschlag gegen seinen Oberarm verpasst. Doch Gray musste noch heftiger lachen. „Mal ehrlich, John, du bist sympathisch, reich, es gibt keine schmutzigen Gerüchte oder Eskapaden, du warst der fairste Spieler der NFL und …“

„Mein Gott, ich bin doch kein Muttersöhnchen!“

„Nun ja, die Kampagne mit den Babys war vielleicht etwas zu viel.“

„Das war für einen guten Zweck“, beschwerte sich John und seufzte frustriert auf. Nachdem er vor drei Jahren eine Kampagne gegen Kinderarmut unterstützt hatte, kursierten für einige Zeit die Gerüchte, dass er schwul sei, aber niemand hatte sie wirklich ernstgenommen. Sein Problem war einfach, dass ihm heldenhafte Verehrung entgegenschlug, weil er als Quarterback mehrmals den Super Bowl gewonnen hatte. Damals war er überall hoch gelobt worden, hatte Werbeverträge bekommen und lancierte zum beliebtesten Spieler der USA. Selbst Anhänger der Gegnermannschaften akzeptierten und lobten ihn, wenn er Punkte machte. Er wusste nicht, woran es gelegen hatte, aber seine Mutter hatte ihn darauf hingewiesen, dass er so beliebt war, weil er typisch amerikanisch wirkte – wie der junge Paul Newman hatte sie grinsend bemerkt.

Als er sich im vorletzten Jahr verletzt hatte und als Spieler in Rente gegangen war, trugen viele seiner Anhänger Trauer. John hatte es nicht verstanden, denn er hatte akzeptiert, dass er seinen Job an den Nagel hängen musste. Für ihn war es nicht weiter tragisch gewesen, auch wenn erwachsene Männer deshalb in Tränen ausgebrochen waren.

„Meiner Meinung nach hast du ein Problem mit dem Ruhm“, Gray zuckte mit der Schulter. „Was ich gar nicht schlimm finde. Du solltest es ausnutzen, anstatt herum zu jammern.“

„Ich jammere überhaupt nicht herum“, seufzte John. „Ich habe es nur satt, dass ständig die falschen Frauen um mich herum scharwenzeln. Ein Mann will schließlich einmal Ruhe haben.“

„Unsinn“, Gray trank einen Schluck und erklärte dann: „Vielleicht hättest du den Trainerposten ablehnen sollen, denn du siehst ja, dass du seitdem andauernd in der Presse bist.“

„Ich werde von Paparazzi verfolgt“, beschwerte sich John. „Aber dadurch lasse ich mir ganz sicher nicht mein Leben diktieren.“

„Es wird bestimmt bald ruhiger werden. Momentan sind alle aus dem Häuschen, aber in wenigen Wochen wird es abgeklungen sein.“

John hatte vor wenigen Wochen den Cheftrainerposten der New York Titans angenommen und war gerade dabei, das Team aufzustellen, bevor in wenigen Monaten die neue Saison beginnen würde. Zwar war er in der Öffentlichkeit immer erkannt und angesprochen worden, doch seit der Vertragsunterzeichnung machten die Paparazzi ihn wahnsinnig und auch Goldgräberinnen gaben sich die Klinke in die Hand, nachdem in einer Boulevardsendung im landesweiten Fernsehen sein geschätztes Vermögen bekanntgegeben wurde. Dass man gleichzeitig seinen Single-Status erwähnt hatte, machte die ganze Sache nicht leichter.

„Hoffentlich“, John schaute nach rechts und sah im gedämpften Licht, dass Hanna gerade mit zwei Freundinnen den Raum betreten hatte. Lächelnd lehnte er sich zurück und betrachtete sie einen Augenblick. Gestern hatte er sie entzückend gefunden mit zerzaustem Haar, das einmal eine Frisur gewesen sein musste, einer zerknautschten weißen Bluse und einfachen Jeans. Sie war richtig süß gewesen und hatte jung und frisch gewirkt. Ihr Gesicht war ein wenig mädchenhaft mit ihren großen grünen Augen, einer kleinen Stupsnase, einem vollen Mund und gebogenen Augenbrauen. Heute trug sie ihr rötliches Haar offen, das in Wellen bis zu ihrer Schulter fiel. Sie steckte in einer engen schwarzen Hose und einem grauen Oberteil, das teilweise durchsichtig zu sein schien. Als sein Blick auf die Stilettos fiel, musste er grinsen. Männer mochten nun einmal hohe Schuhe an Frauen.

„Wer ist es?“

John grinste weiterhin. „Hanna steht in der Mitte.“

„Oh“, Gray runzelte die Stirn. „Etwas pummelig, oder?“

„Was?!“ John starrte ihn vorwurfsvoll an. „Du hast zu lange Umgang mit magersüchtigen Models gepflegt, mein Guter.“

„Wenn du meinst.“

John verstand seinen Kumpel einfach nicht. Da stand eine bildhübsche Frau vor ihm, die Grips und Humor hatte, aber Gray fand sie pummelig. John konnte das nicht nachvollziehen. Er wusste nur, dass sie gesund und kurvig aussah, wie eine richtige Frau halt aussehen sollte. Kurz betrachtete er die schönen Hüften und die schmale Taille, bevor er sich von der Theke losmachte und auf sie zuging. Als sie ihn bemerkte, lächelte sie ihm zu und errötete ein wenig, was er absolut bezaubernd fand.

„Hallo, Hanna, schön dass Sie gekommen sind.“

„Hallo“, sie biss sich verlegen auf die Unterlippe. John hielt den beiden Begleiterinnen die Hand hin und begrüßte sie freundlich. Sie schienen etwas eingeschüchtert zu sein, aber als John begann, mit allen zu plaudern, verloren sie ihre Scheu. Gray gesellte sich zu ihnen und nahm direkt Pauline in Beschlag. Das Gespräch verlagerte sich bald in eine Sitzecke, die am Rande im dämmrigen Licht gelegen war und aus bequemen Sofas und Sesseln bestand. John reichte Hanna ein Glas Weißwein und setzte sich anschließend neben sie. Währenddessen unterhielten sich Andie, Pauline und Gray miteinander, so dass beide fast ungestört waren.

„Wie geht es Ihrem Kopf?“

„Oh“, Hanna stellte ihr Glas beiseite und wandte sich John zu, der locker einen Arm auf der oberen Sofakante liegen hatte. „Dem geht’s sehr gut. Danke der Nachfrage.“

„Gern geschehen. Ich habe mir schon Sorgen gemacht, dass Ihr brillantes Gehirn Schaden hätte nehmen können – das wäre unverzeihlich gewesen.“

Hanna legte den Kopf schief und musterte ihn fragend. „Brillant?“

Grinsend zuckte er mit den Schultern und nahm einen Schluck Bier.

„Mal ehrlich, woher haben Sie meine Nummer?“

„Wie bereits gesagt – das bleibt geheim.“ Er scheute sich nicht, ihr ins Gesicht zu grinsen und dabei festzustellen, wie hübsch sie doch war.

„Kommen Sie schon“, sie sah ihn flehentlich an. „Hat das FBI seine Finger im Spiel?“

John schüttelte prustend den Kopf. „Das FBI nicht, viel eher die CIA.“

„Na, da bin ich ja erleichtert! Dann werde ich mir doch keine neue Identität zulegen müssen.“

„Eine neue Identität?“ Neugierig wollte er wissen. „Lassen Sie hören! An was denken Sie?“

„Mhh?“ Sie runzelte angestrengt die Stirn und verkündete mit einem breiten Grinsen. „Ich wäre gerne die verschrobene Nachbarin, die mit einem leeren Kinderwagen durch die Straßen spaziert und die Nachbarskinder zu Tode erschreckt.“

„Das hört sich lustig an.“ Er stellte sein Glas beiseite.

Flehend sah sie ihn an. „Bitte! Woher haben Sie meine Nummer?“

„Vielleicht sage ich es Ihnen irgendwann einmal.“

Hanna verdrehte die Augen. „Das beruhigt mich jetzt ungemein!“

Er lachte und sah sie amüsiert an. „Jedenfalls bin ich froh, dass Sie mir wegen des Unfalls nicht böse sind.“

„Warum sollte ich?“ Ratlos legte sie den Kopf schief. „Sie haben doch gar nichts getan.“

John war fasziniert von ihren großen Augen, die im schummrigen Licht des Clubs beinahe dunkel schimmerten. „Na ja, mir sind die Reporter schließlich gefolgt.“

Räuspernd verzog sie nachdenklich den Mund. „Sie müssen entschuldigen, dass ich keine Ahnung hatte, dass Sie Sportler sind.“

„Ich war Sportler, und das müssen Sie überhaupt nicht entschuldigen.“

„So wie Sie verfolgt worden sind, würde ich das nicht unterschreiben.“

Erklärend hob er eine Hand. „Vor wenigen Tagen habe ich hier in New York einen Trainervertrag für ein Footballteam unterschrieben. Bei diesem Team war ich selbst vor einigen Jahren Spieler. Daher ist es momentan ziemlich schlimm mit den Journalisten.“

„Das kann ich mir denken.“

„In England ist Fußball viel populärer als Football, oder?“

Hanna nickte. „Fußball ist in ganz Europa der mit Abstand beliebteste Sport. Ich weiß gar nicht, ob wir auch Footballteams haben – Rugby schon, aber American Football?“ Sie hob die Schultern in die Höhe und schüttelte den Kopf. „Das kann ich Ihnen leider gar nicht beantworten.“

John sah sie gespielt erstaunt an. „Heißt das, Sie waren noch nie bei einem Footballspiel?“

„Schuldig im Sinne der Anklage“, sie hob eine Hand und sah ihn gespielt reumütig an.

„Das müssen wir unbedingt ändern.“

„Ach ja?“ Amüsiert blickte sie ihn an. „Und wie?“

„Ganz einfach, Sie müssen zu einem Spiel mitkommen.“ Er hielt ihr eine Hand hin. „Abgemacht?“

Lachend schlug sie ein. „Abgemacht.“

Anschließend erklärte er ihr die Regeln des Spiels und benutzte Gläser, die auf dem kleinen Beistelltisch standen, um Spielzüge nachzumachen. Hanna amüsierte sich königlich und lachte wie verrückt, als sie ihm erklärte, wie die Regeln beim Fußball aussahen, während John aufmerksam zuhörte und mit Gläsern die Abseitsstellung nachspielte.

„Hanna?“ Andie stand irgendwann vor ihr und zwinkerte ihr kryptisch zu. „Pauline und ich gehen uns frisch machen. Kommst du mit?“

Hanna sah sie kurz verwirrt an und nickte dann. „Natürlich.“ An John gewandt erklärte sie. „Ich bin gleich zurück.“

„Sehr gut. Ich bestelle neue Getränke – irgendein Wunsch?“

Hanna schüttelte lächelnd den Kopf und folgte den beiden Freundinnen aus der VIP-Lounge zu den Toiletten. Kaum waren sie dort angelangt, wollte Andie wissen, während sie Rouge auftrug: „Was läuft da zwischen euch?“

„Nichts“, Hanna sah perplex aus. „Was sollte da laufen?“

„Hanna“, Andie blickte ihr grinsend in die Augen. „Ihr flirtet schon den ganzen Abend.“

„Unsinn, wir unterhalten uns bloß und …“

„Findet ihr, dass John schwul wirkt?“

„Was!“ Hanna sah zu Pauline, die ihren Lippenstift nachzog. „Wie kommst du denn darauf?“

Pauline zuckte gekonnt mit der Schulter, während sie präzise den Gloss auftrug. „Es gab mal das Gerücht, dass John Brennan schwul sein sollte. Ich finde gar nicht, dass er irgendwelche schwulen Schwingungen ausstößt. Mein Cousin ist Stewardess ...“

„Die politisch korrekte Form heißt Flugbegleiter“, wies Andie sie zurecht.

Pauline funkelte sie an. „Er trägt eine Uniform, er zeigt, wie man eine Schwimmweste anzieht, und verteilt Getränke in der Luft: er ist eine Stewardess!“ Sie blickte wieder in den Spiegel. „Jedenfalls ist mein Cousin absolut schwul und hat auch nur schwule Freunde. Deshalb kann ich euch zu neunundneunzig Prozent sagen, ob ein Man schwul ist oder nicht. John ist es nicht.“

„Neunundneunzig Prozent?“ Andie verdrehte die Augen. „Das ist eine Gabe, Pauline! Du solltest damit im Fernsehen auftreten!“

„Haha! Du musst mich nicht gleich verarschen.“

„Das mit dem Schwul-Sein ist sowieso absoluter Quatsch!“ Andie schüttelte den Kopf und kam auf das eigentliche Thema zu sprechen. „Er war für längere Zeit mit Christine Shaw zusammen. Der ist bestimmt nicht schwul.“

Hanna schwirrte der Kopf. „Wer ist Christine Shaw?“

„Kennst du sie etwa nicht?“ Andie sah sie von der Seite aus an. „Sie ist die Tochter von Greta und Simon Shaw, dem Hollywoodpaar schlechthin.“ Als sie bemerkte, dass Hanna keine Ahnung hatte, wovon sie sprach, verdrehte sie wieder die Augen. „Greta und Simon Shaw sind wohl die einflussreichsten Menschen in Hollywood. Ihnen gehört ein riesiges Filmstudio.“

„Wirklich?“

Andie nickte. „John und Christine sind aber schon seit einigen Jahren getrennt.“ Sie grinste Hanna an. „Also ran an den Mann.“

Andie, du hast ja einen Knall!“ Hanna schüttelte abwehrend den Kopf.

„Warum nicht?“

Sie seufzte auf und starrte Andie durch den Spiegel an. „Ich bin nun einmal kein Model oder Hollywoodsternchen …“

„Und?“

„Und ich bin sicherlich nicht sein Typ. Mal ehrlich, Andie, er ist ein bekannter Ex-Footballprofi und ich bin nicht gerade die Art von Frau, die sich solche Männer aussuchen.“ Hanna zuckte verlegen mit der Schulter, als müsse sie sich entschuldigen, dass sie keine gigantischen Brüste und für Kindergrößen geeignete Hüften besaß.

Andie blickte sie frustriert an. „Vor allem bist du ziemlich dämlich. So wie er dich die ganze Zeit anstarrt, scheint er anderer Meinung zu sein.“

Hanna sagte lieber nichts mehr dazu, denn sie glaubte nicht, dass jemand wie John Brennan Frauen wie sie attraktiv fand. Sie war schon immer eher der Kumpeltyp als die rassige Verführerin gewesen. John Brennan spielte buchstäblich in einer anderen Liga.

Als sie wieder zurück in die Lounge gingen, versuchte Hanna diese Gedanken zu verbannen, aber als sie sah, dass ein blondes Topmodel mit einem roten Minikleid neben John saß und eindeutig mit ihm flirtete, war da doch ein trostloses Gefühl, auch wenn sie gerade noch behauptet hatte, dass nichts zwischen ihnen lief. Nun ja, sie wollte wenigstens soviel Stolz haben und sich von ihm verabschieden, also trat sie zu John und seiner umwerfenden Freundin, setzte ein falsches Lächeln auf, konnte jedoch nicht einmal den Mund aufmachen, als John sie sah und sofort aufsprang. „Ah, da bist du ja!“ Er schenkte ihr ein breites Lächeln, schaute das Topmodel nicht einmal an, sondern sagte nur tschüss und führte Hanna zur Bar.

Ähh, ich wollte nicht stören“, Hanna blickte zurück zum Topmodel, das frustriert von dannen zog. „Es tut mir leid, wenn ich gestört habe.“

„Hanna“, John schien amüsiert zu sein und schüttelte lächelnd den Kopf. „Das war keine Störung – ganz im Gegenteil.“

„Nun ja“, sie hob das Gesicht ein wenig höher und betonte. „Sie scheint das anders zu sehen.“

Sie war aufdringlich und nervig.“

Hanna schwieg, musterte ihn und erklärte dann: „Ist das nicht das gleiche?“

„Bestimmt.“

„Eigentlich wollte ich mich verabschieden, aber …“

„Nein, bloß nicht“, antwortete er inbrünstig und lehnte sich gegen die Theke. „Ich bin echt froh gewesen, dass du gekommen bist – warum sollte ich dann wollen, dass du so früh gehst?“

Irritiert blickte sie immer noch dem blonden Topmodel hinterher, aber John lachte, stellte ihr ein Glas Weißwein hin und stellte ihr Fragen zu der weiblichen Angewohnheit, in Gruppen auf die Toilette zu gehen. Bald darauf schnappten sie sich zwei Barhocker, setzten sich – was himmlisch für Hannas Füße war – und plauderten über dies und das. Hanna erzählte ihm Witze, die ihn so zum Lachen brachten, dass er beinahe vom Hocker gefallen wäre, oder Einzelheiten zu ihrem Forschungsprojekt, zu dem er interessierte Fragen stellte. Langsam bekam sie einen kleinen Schwips und hatte keine Skrupel, ihm zu erzählen, dass sie im ersten Semester an der Universität es ständig hatte krachen lassen und sehr selten nüchtern gewesen war. Niemals hätte sie dies einem fast Fremden erzählt, schließlich machte das einen nicht gerade guten Eindruck, sondern erweckte eher den Anschein, als wäre sie eine Alkoholikerin. John dagegen fand das anscheinend mehr als sympathisch und beichtete seinerseits, dass er fast von der Highschool geflogen wäre, als er mit zwei Kumpels während der Pause einen Joint geraucht hatte.

„Warum bist du nicht geflogen?“ Entzückt lauschte sie seiner Antwort und grinste breit.

John lächelte ein wenig beschämt. „Nun ja, erstens war ich der Quarterback und das wichtigste Spiel der Saison stand bevor und …“, er errötete beinahe. „Mein Dad war damals Bürgermeister unserer Stadt.“

Aha“, sie nickte amüsiert. „So geht das also.“

„Hey“, beschwerte er sich. „Mein Dad war fuchsteufelswild. Zuhause war die Hölle los und meine Mom …“

„Hat sie dich mit einem Kochlöffel versohlt?“ Hanna grinste diabolisch.

John schnaubte. „Meine Mom?“ Er schüttelte den Kopf. „Meine Mom hat einfach nicht mehr mit mir geredet. Glaube mir, ich hätte lieber Kochlöffel gespürt.“

„Irgendwie glaube ich nicht, dass du danach noch viele Joints geraucht hast.“

John schüttelte den Kopf und lächelte. „Nein … wenn du meine Eltern kennen würdest, könntest du es verstehen. Zwar war ich kein wirklich schlimmer Schüler, aber ab und zu wollte ich rebellieren, doch dann holte mich mein Schuldgefühl ein, wenn ich an meine Eltern dachte.“

„Wie süß.“

„Ach ja?“ Er hob fragend eine Augenbraue an. „Das findest du süß?“

Hanna errötete leicht und zuckte unbeholfen mit der Schulter. „Ja … du scheinst ein gutes Verhältnis zu deiner Familie zu haben. Das ist irgendwie süß.“

Amüsiert strich er über ihren Handrücken und fragte: „Wie sieht es mit deiner Familie aus?“

Ein wenig verwirrt von seiner Berührung musste Hanna erst einmal ihre Gedanken ordnen. „Ähh, zu meiner Mutter habe ich ein extrem gutes Verhältnis und meinen Stiefvater Gordon mag ich auch sehr. Genauso wie meine Geschwister“, sie brach ab und korrigierte sich: „Halbgeschwister. Zwillinge.“

„Wie alt sind sie?“

„Dreizehn“, sie musste lachen. „Ein furchtbares Alter.“

„Ehrlich? Finde ich nicht.“

„Ich schon!“ Hanna schüttelte den Kopf. „Das letzte Mal haben sich beide über den Esszimmertisch angeschrien und es endete damit, dass die Wand im Esszimmer neu gestrichen werden musste, weil Clara mit der Spaghettisauce um sich geworfen hatte.“

Vor Belustigung erschienen seine Grübchen. „Es hört sich jedenfalls lebhaft an.“

„Beinahe zu lebhaft.“

„Wie warst du denn in dem Alter?“

„Ziemlich schüchtern …“

„Ach Quatsch!“

„Doch“, beharrte sie. „Ich war gerade erst nach England gezogen, hatte einen neuen Stiefvater, besuchte eine neue Schule, musste die Sprache erst richtig lernen und neue Freunde finden. Das war alles ziemlich viel.“

„Kann ich verstehen.“ Er räusperte sich. „Und dein Vater?“

„Na ja“, sie verzog das Gesicht. „Mein Vater ist ganz okay, aber er war nicht immer verantwortungsbewusst. Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich zwei Jahre alt war. Manchmal habe ich ihn monatelang nicht gesehen, aber mittlerweile haben wir ein gutes Verhältnis zueinander. Außerdem mag ich meine französische Verwandtschaft sehr gerne.“

„Du bist ein wahrer Kosmopolit.“

„Findest du?“

„Natürlich“, er legte das Gesicht ein wenig schief und betrachtete sie solange, dass Hanna wieder errötete. Vielleicht lag es auch an dem leichten Schwips, den sie mittlerweile hatte, aber irgendwie war die ganze Situation reichlich befremdlich – schließlich saß sie mit einem echt gut aussehenden und unglaublich netten Mann in einem Club, der ihr den ganzen Abend seine Aufmerksamkeit geschenkt hatte und sie auch noch lustig zu finden schien. Noch immer war sie nicht dahinter gekommen, was er eigentlich im Sinn hatte.

Jemand räusperte sich hinter ihnen. Als sie sich umdrehten, stand Gray dort und betrachtete beide eingehend. „Hey John, die Mädels sind grad zum Tanzen nach unten gegangen und ich wollte mich anschließen. Wie sieht’s mit euch aus?“

John starrte Hanna an, die wenig begeistert zu sein schien, und schüttelte den Kopf. „Vielleicht später.“

„Okay“, Gray grinste und zog von dannen.

„Kannst du etwa meine Gedanken lesen?“ Hanna lachte auf. „Oder liegt dir das Tanzen einfach nicht.“

John schnaubte. „Ha, ich bin ein exzellenter Tänzer …“

„Schon gut“, Hanna hob amüsiert eine Hand. „Ich werde es nicht bezweifeln. Trotzdem danke. Meine Füße bringen mich fast um und zu tanzen wäre jetzt Folter.“

Sein Blick glitt natürlich sofort zu ihren Füßen und den rot lackierten Zehen. „Soll ich dir eine Fußmassage anbieten?“

„Hier?“ Sie musste lachen und schüttelte den Kopf. „Danke, aber ich passe lieber. Sonst steht morgen noch in der Zeitung, dass du einen Fußfetisch hast.“

„Vielleicht hab ich das auch.“

„Oh Mann, das sind aber viele schlimme Informationen über dich. Für die Presse wären diese Geschichten wie Weihnachten und Ostern zusammen.“

„Welche Geschichten“, wollte er verwundert wissen.

Hanna beugte sich grinsend vor und flüsterte: „Ich sehe die Schlagzeilen schon vor mir: John Brennan – gefeierter Footballheld und Frauentraum – gesteht Fußfetisch ein und sehnt sich nach Schlägen mit einem Kochlöffel, während er einen Joint raucht. Mehr dazu im Exklusivinterview mit Mitgliedern seiner Tanzgruppe!

John konnte nicht anders, sondern starrte sie völlig überrumpelt an und musste anschließend so heftig lachen, dass er beinahe vom Hocker gefallen wäre.