9. Kapitel

Hanna stand zusammen mit George MacLachlan in der Besitzerloge des Titans-Stadiums und starrte gebannt auf das Spektakel unter ihr. Es war das erste Mal, dass sie ein Spiel live mitverfolgte, und auch das allererste Mal, dass sie John beim Coachen seines Teams in Aktion erleben konnte. Netterweise hatte sich sein Chef bereit erklärt, während des Spiels bei ihr zu bleiben und ihr alle Fragen zu beantworten, falls sie dem Spielverlauf nicht folgen konnte.

Momentan war sie jedoch viel zu fasziniert von dem blau-roten Farbenmeer, dem kreischenden Publikum und den bulligen Spielern, die sich auf dem Spielfeld gegenseitig in den Boden zu rammen versuchten, als dass sie irgendwelche Fragen gehabt hätte.

Die ersten drei Spiele, die die Titans gewonnen hatten, hatte Hanna nicht miterleben können. Deshalb war sie heute besonders aufgeregt, endlich hautnah mitzuerleben, wovon John immer mit purer Begeisterung sprach, wenn er ihr alle Einzelheiten zu einem Spiel erzählte. Er war mit Haut und Haaren Footballcoach, steckte seine ganze Energie in den Job und schien überglücklich zu sein, an der Seitenlinie zu stehen und seinen Spielern Anweisungen entgegenzubrüllen.

John macht sich großartig“, George MacLachlan nickte zufrieden und deutete auf den hochgewachsenen Blondschopf, der ein Headset trug und einem Spieler etwas auf einem Klemmbrett zeigte. „Sie haben nicht erlebt, wie er damals auf dem Spielfeld ausgesehen hat, Hanna, aber John war einer der großartigsten Spieler, die ich jemals gesehen habe.“

„Das glaube ich Ihnen unbesehen.“

Der ältere Mann seufzte. „Als er sich verletzte und seine Karriere beenden musste, hat er das klaglos akzeptiert. Viele andere Spieler hätten vermutlich den Kopf in den Sand gesteckt, aber John hat einfach nach vorne geblickt. Dass er sich dazu entschlossen hat, Trainer zu werden, war ein Geschenk des Himmels, denn er ist verflucht talentiert!“

Hanna versteckte ein Grinsen, da der Teambesitzer vor lauter Begeisterung sogar fluchte, wenn er über John sprach. „Zwar kann ich das nicht beurteilen, Mr. MacLachlan, ich weiß nur, dass er sich die Nächte um die Ohren schlägt und ständig über irgendwelchen Papieren hockt, wenn er nicht mit seinen Co-Trainern telefoniert.“

„Er war schon als Spieler sehr ehrgeizig.“ Er rieb sich zufrieden die Hände. „Gewinner sind immer ehrgeizig. Nicht nur als persönlichen Gründen würde ich mir wünschen, dass er den Superbowl holt.“

„Wie meinen Sie das?“

„John wird in die Annalen des Footballs eingehen, wenn er nicht nur als Spieler, sondern auch als Trainer den Superbowl gewinnen sollte. Damit wäre ihm ein Platz in der Hall of Fame sicher.“ Auf ihren fragenden Blick erklärte er lächelnd. „Davon träumt bereits jeder amerikanische Junge, der etwas mit Football zu tun hat. Den meisten Spielern ist es nicht vergönnt, diesen Kindheitstraum zu erfüllt zu bekommen, aber diejenigen, die es schaffen, leben ihren Traum. Die Hall of Fame ist die größte Ehrung, die man erhalten kann.“

„Und Sie meinen, dass John das schaffen könnte?“

„Ich bin sogar sehr sicher.“ George MacLachlan nickte ernst. „John ist ein außergewöhnlicher Footballspieler gewesen, der noch heute verehrt wird, Hanna. Bei uns hat er seine Karriere begonnen, daher kenne ich ihn bereits ewig und weiß, dass er für den Sport lebt. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, wird er es auch erreichen. Das Superbowlfinale und ein Sieg dort sind ganz bestimmt seine größten Ziele. Vielleicht schafft er es nicht in dieser Saison. Vielleicht auch nicht in der nächsten, aber irgendwann wird er es erreichen.“

Nachdenklich nickte Hanna. Alles was George MacLachlan von sich gegeben hatte, stimmte. John gab für seinen Job alles und arbeitete hart an seinem Erfolg. Tatsächlich war seine Hingabe an die Arbeit eine Eigenschaft, die ihr sehr gefiel. Mittlerweile verstand sie auch den Hype um ihn, denn sie hatte vor allem in den letzten Wochen miterlebt, wie er ständig gefeiert und bejubelt wurde, wenn sie ein Geschäft, ein Lokal oder einfach nur die Straße betraten. Dass John sein Team von Sieg zu Sieg führte, machte ihn in New York zu einem Idol. Die Kinder liefen ihm aufgeregt hinterher, um Fotos und Autogramme zu ergattern, während erwachsene Männer zu ihm aufschauten und feuchte Augen bekamen.

„Ich würde es ihm wünschen“, erwiderte Hanna inbrünstig.

„Er schafft das schon. John wurde dazu geboren.“ Der ältere Mann tätschelte ihre Hand. „Sie müssen es einem alten Mann nachsehen, dass er Ihnen stundenlang vorschwärmt, aber Football bedeutet mir mehr als einfach nur eine Sportart.“

„Machen Sie sich darüber keine Sorgen“, beruhigte sie ihn mit einem Lächeln. „Tatsächlich bin ich Ihnen sehr dankbar, dass Sie mir zu verstehen helfen, was das Besondere an Football ist, damit ich vor John nicht allzu ahnungslos dastehe.“

Er lachte. „John würde es nicht die Bohne stören, wenn Sie einen Football nicht von einem Tennisball unterscheiden könnten.“

Gerührt senkte sie den Blick zurück aufs Feld und erschrak, als ein kleiner Tumult losbrach und das Spiel unterbrochen wurde. Sie konnte sehen, dass sowohl die blaugekleideten Titans als auch die gegnerischen Spieler in weißen Trikots beiseite traten, während John mit seinen Co-Trainern und dem Mannschaftsarzt aufs Feld liefen.

Einer der Spieler blieb liegen und umklammerte sein Knie.

Gregor MacLachlan neben ihr fluchte gotteslästerlich.

Verwirrt verengte Hanna die Augen, um besser erkennen zu können, was sich weit unter ihr auf dem Spielfeld abspielte. Die pure Hektik brach aus, als vier Sanitäter mit einer Trage hinzukamen.

„Es hat Cahill erwischt“, murmelte der Teambesitzer besorgt. „Das hat uns gerade noch gefehlt!“

„Mitch Cahill ist der Quarterback, richtig?“

Stirnrunzelnd nickte ihr Begleiter und seufzte auf. „Er ist unser Kapitän und Spielführer. Schlechter kann es gar nicht kommen.“

„Aber es gibt doch einen Ersatz, nicht wahr?“

„Ja. Brian Palmer ist unser Ersatz – ein junger Quarterback, der selbst ziemlich lang verletzt war. Für die Titans hat er noch nie gespielt.“

„Das hört sich nicht gut an.“

Gregor MacLachlan ließ sich auf seinen Sitz fallen und erklärte angespannt. „Palmer ist ein begnadeter Spieler, aber wir sind besorgt, dass er sich übernehmen könnte. So ein Mist! Das hätte nicht passieren dürfen! Hoffentlich lässt sich John etwas einfallen, denn Palmer stand mit seinen Teamkollegen noch nie auf dem Feld.“

Sie drückte sich fast die Nase an der Glasscheibe platt und beobachtete John, der sich rasch mit seinen Assistenten besprach, während Mitch Cahill vom Platz getragen wurde und sich vor Schmerzen wand. Ihr Magen zog sich zusammen, als sie den imposanten Spieler musterte, der höllische Schmerzen haben musste, wenn er wie besinnungslos den Kopf hin und her wand.

Das ganze Publikum wurde von der Panik auf dem Spielfeld angesteckt und die Geräuschkulisse nahm immer mehr zu.

Hanna konnte sehen, wie ein schwarzhaariger Spieler mit dem Helm unter dem Arm auf John zulief und neben ihm stehen blieb.

„Drücken Sie die Daumen, dass Palmer Johns Anweisungen umsetzen kann, Hanna. Wir waren auf dem besten Weg, heute einen weiteren Sieg einzufahren.“

Im Gegensatz zu George MacLachlan, der sich hingesetzt hatte und sich sorgenvoll über die Halbglatze fuhr, blieb Hanna stehen und fixierte John, der seinem neuen Quarterback irgendwelche geheimnisvollen Anweisungen gab und intensiv auf ihn einredete. Sie hielt den Atem an, als sich das Feld wieder leerte und beide Teams Aufstellung nahmen.

Da sie immer noch Schwierigkeiten mit dem Ablauf des Spiels hatte, achtete sie auf George MacLachlan, dessen Jubelschreie und Flüche ihr sagten, ob die Titans einen Raumgewinn gemacht hatten oder nicht. Ihre Augen dagegen verfolgten jede von Johns Bewegungen und fixierten seine konzentrierte Miene, während sie das Spielgeschehen nicht weiterverfolgte.

Anscheinend musste Brian Palmer seine Sache sehr gut gemacht haben, denn als die Fans frenetisch zu jubeln begannen und die New Yorker Spieler wie wild aufs Spielfeld rannten, während John unzählige Hände drückte und erleichtert sein Headset hinunter riss, registrierte Hanna, dass das Spiel vorbei war und sie gewonnen hatten.

„Großartig. Einfach großartig“, George MacLachlan ließ seiner Begeisterung und Erleichterung freien Lauf, als er Hannas Schulter drückte. „Ihr Freund ist mein Jackpot. Ich wusste, dass der Junge nicht versagt!“

Den Jungen sah Hanna erst etwas später wieder, als sie nach unten gebracht wurde, wo die ausgelassenen Spieler Interviewfragen beantworteten und anschließend mit ihren Kameraden den Sieg feierten. John wurde immer noch von Reportern umzingelt, die ihm dutzende Fragen stellten. Sie konnte ihn beobachten, wie er in völlig entspannter Pose mit einem blauen Titans-Cap auf den blonden Haaren vor den Umkleiden stand und gutmütig auf die Fragen antwortete. Er war ganz in seinem Element, strahlte vor Zufriedenheit und erschien wie ein rundum glücklicher Mann.

Jetzt verstand Hanna auch, was George MacLachlan ihr heute erzählt hatte. John liebte seinen Job und hatte etwas gefunden, was ihn erfüllte und vor Begeisterung übersprudeln ließ. Die meisten Menschen gingen ihr ganzes Leben lang einem Beruf nach, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, obwohl sie nicht glücklich waren, aber John hatte das große Glück, seine Berufung gefunden zu haben. Er hatte eine Beschäftigung gefunden, die ihn glücklich machte. Hanna fand das wunderbar und lächelte stolz, während sie ihn beobachtete und einige Worte mit den ebenfalls vor Freude strotzenden Spielern wechselte.

Als John endlich das letzte Interview beendet hatte, kam er mit einem stolzen Lächeln auf sie zu und drückte sie so fest an sich, dass sie leise aufschrie. Er war völlig aufgedreht und benahm sich wie auf einem Kindergeburtstag.

„Das war ein großartiges Spiel.“ Sie zeigte ihm stolz das Trikot, das sie unter ihrer Jeansjacke trug. In der letzten Woche hatte sie es gekauft und mit seiner alten Spielernummer sowie seinem Nachnamen bedrucken lassen, um ihre Loyalität zu zeigen. „Zwar habe ich nichts verstanden, aber dein Chef hat mir alles erklärt und ich habe die ganze Zeit die Daumen gedrückt.“

„Dann konnte ja nichts schief gehen!“ Er gab ihr einen heißen Kuss, der ihr vor den grölenden Footballspielern ein wenig peinlich war. John dagegen ignorierte die Anfeuerungsrufe seiner Spieler und sah sie mit gerunzelter Stirn an, als er wieder den Kopf hob.

„Ich möchte ins Krankenhaus fahren und nach Mitch sehen. Das wird sicher etwas dauern und ich weiß nicht, wann ich wieder zu Hause bin.“

Hanna nickte verständnisvoll und strich ihm über die gerunzelte Stirn. „Kümmere dich um deinen Spieler. Ich nehme mir ein Taxi und fahre zu dir.“

„Danke, Schatz. Warte nicht auf mich. Es kann später werden.“

Lachend küsste sie ihn auf die Wange. „Mach dir keine Sorgen. Wenn du nach Hause kommst, erwarte ich dich mit Sandwiches im Bett und gebe dir eine Rückenmassage.“

„Womit habe ich dich nur verdient?“, murmelte er und gab ihr einen Abschiedskuss.

Hanna lächelte immer noch, als sie in ein Taxi stieg und dem Fahrer die Adresse gab.

Ohne einen Blick in den Rückspiegel zu werfen, dröhnte er laut und fröhlich. „Scheiße, das war ein geiles Spiel!“

„Kann man laut sagen“, erwiderte Hanna amüsiert und lehnte sich zufrieden in das Polster, während sie auf die erleuchtete Skyline Manhattans inmitten der nächtlichen Schwärze schaute.

„Der Coach ist ein Genie! Wir können froh sein, dass er zurück nach New York gekommen ist.“

Hanna murmelte eine Zustimmung und verbarg ihr Grinsen im Kragen ihrer Jeansjacke.

„Oh! Die Berichterstattung läuft gerade. Macht es Ihnen was aus, wenn ich lauter stelle?“ Der aufgeregte Taxifahrer deutete auf sein Radio und wartete ihre Antwort gar nicht ab.

„Nach einigen Schreckminuten, in denen Mitch Cahill an seinem bereits lädierten Knie schwer getroffen wurde, nahm Coach Brennan den kürzlich aus Pittsburgh kommenden Brian Palmer ins Spiel. Palmer, der wegen einer Innenbandverletzung selbst einige Monate ausfiel, stand das erste Mal für die Titans auf dem Spielfeld und wurde von Coach Brennan vorher aufs Genauste instruiert. Eine Taktikänderung, die Palmers Talent für schnelle und präzise Passspielkombinationen in den Vordergrund rückte, sorgte dafür, dass die Titans souverän mit einem 38 zu 24 gegen die Oakland Raiders gewannen. Wie ernst die Verletzungen von Mitch Cahill sind, lässt sich noch nicht sagen, doch Brian Palmer erscheint ein adäquater Ersatz für den verletzten Kapitän zu sein. Eine weitere Premiere war die Anwesenheit von Coach Brennans neuer Freundin, die zusammen mit George MacLachlan das Spiel aus der Besitzerloge verfolgte. Obwohl sie kein Footballfan ist, trug sie ein Titans-Trikot mit Brennans alter Spielernummer und feuerte das Team an. Sobald wir mehr über Mitch Cahill erfahren, werden wir dies sofort berichten.“

Verdattert darüber, dass sie und ihre heutige Kleidung in der Berichterstattung eines Sportsenders erwähnt wurden, verschränkte Hanna die Arme vor der Brust. Zwar war sie dieses Mal ungeschoren davon gekommen, aber ihr war nicht wohl bei dem Gedanken daran, dass wieder über sie berichtet wurde. Momentan war das Chaos an der Universität vergessen, da die Semesterferien begonnen hatten und John für eine Verstärkung der Sicherheitskontrollen gesorgt hatte, auch wenn sie nicht wissen wollte, wie er das angestellt hatte, aber sie wollte einfach, dass Ruhe einkehrte, damit sie im nächsten Semester weiter ihrer Arbeit nachgehen konnte.

„Ich mag sie nicht.“

„Mhh?“ Die unwirsche Stimme des Taxifahrers riss sie aus ihren Gedanken. Fragend blickte sie auf den dunklen Hinterkopf vor sich. „Bitte?“

„Coach Brennans Freundin“, erklärte er leichthin. „Ich mag sie nicht.“

Hanna schluckte und wusste nicht, was sie erwidern sollte. Also schwieg sie.

„Mir kommt das alles nicht koscher vor“, schnaubte er ungehalten und warf ihr einen kurzen Blick durch den Rückspiegel zu, bevor er seinen Blick wieder auf die Straße richtete. „Mal ehrlich, Miss! Mir ist egal, dass sie ein bisschen dicker ist – jedem das Seine! Wenn es der Coach etwas molliger mag, ist mir das egal. Aber für mich riecht sie nach einer Goldgräberin!“

„Goldgräberin?“, stotterte Hanna betroffen.

Der Fahrer nickte entschlossen. „Der Coach ist ein berühmter und sehr reicher Mann. Plötzlich taucht eine ausländische Studentin auf, die ihm wie eine Zecke im Pelz sitzt und sich bei ihm einschmeichelt.“ Er stieß ein hämisches Schnauben aus. „Ein Trikot mit seiner alten Nummer! Dass ich nicht lache. Das Leben an der Seite eines Promis scheint ihr wohl zu gefallen. Ich wette mit Ihnen, dass sie sich von ihm ein Kind machen lässt, um ausgesorgt zu haben. Er wäre nicht der erste reiche Mann, der auf diese Masche reinfällt.“

„Du bist heute so still.“

„Mir geht nur viel durch den Kopf.“

„Mhh“, John sah sie besorgt an und legte seine Pizza beiseite, um ihr die Hand auf die Stirn zu legen. „Kommt deine Grippe wieder?“

Hanna schüttelte den Kopf.

John beugte sich über den Tisch in seiner Lieblingspizzeria und musterte sie nachdenklich. „Hoffentlich hast du dir gestern beim Spiel nicht zu viel zugemutet, schließlich warst du in der letzten Woche krank.“

Die kleine Herbstgrippe war nicht besonders schlimm gewesen und hatte sie lediglich zwei Tage ans Bett gefesselt, aber John hatte einen riesigen Aufstand gemacht und einen Arzt kommen lassen. Ihre heutige Schweigsamkeit kam eindeutig von der unangenehmen Taxifahrt am gestrigen Abend. Zwar versuchte sie verzweifelt, Johns Rat zu beherzigen und nichts auf die Meinung des Taxifahrers zu geben, aber dass wildfremde Menschen sie für eine Goldgräberin hielten, machte ihr zu schaffen. Sie wollte nicht, dass irgendjemand – auch John nicht – dachte, dass sie nur seine Freundin war, weil sie sich davon irgendwelche Vorteile oder Reichtum versprach. Der Gedanke war abscheulich.

„Nein, ich bin wieder gesund“, widersprach sie und zwang sich zu einem Lächeln. Da er sie immer noch eingehend musterte, tischte sie ihm eine Notlüge auf. „Ich habe mit Mom telefoniert, die mir von Connors schlechten Noten und Claras Kreischorgien erzählt hat.“

„Kreischorgien? Wie kam es denn dazu?“

Hanna zuckte mit der Schulter und konzentrierte sich auf ihre Pizza, die jedoch wie Pappe schmeckte.

„Wir sollten deine Familie zu uns einladen, Hanna. Ich bin extrem gespannt, deine kleine Schwester kennenzulernen.

Sie zog eine Augenbraue in die Höhe und fragte mit ironischem Unterton: „Du meinst Chaos-Clara?“

„Unbedingt“, lachend rutschte er auf seinem Hocker herum, bevor er sich lässig zurücklehnte. „Es ist jedes Mal ein Erlebnis, wenn du mit ihr telefonierst.“

Seufzend schüttelte Hanna den Kopf und antwortete gespielt verzweifelt: „Darauf würde ich an deiner Stelle noch warten.“

„Und worauf?“

„Darauf, dass die Saison vorbei ist, John. Sollte Clara uns vorher besuchen, müsste man dich anschließend in die Psychiatrie bringen und damit stünden die Titans ohne ihren Coach da.“

Amüsiert lachte er und nahm einen Schluck seiner Coke. „Nun gut. Aber warum laden wir nicht wenigstens deine Mom zu uns ein? Als du letztens mit ihr gesprochen hast, hat sie doch erwähnt, dass sie im Winter nach New York kommen will, um dich zu besuchen.“

Bevor Hanna ihm antworten konnte, standen plötzlich zwei ältere Männer an ihrem Tisch, die John in ein Gespräch über das gestrige Spiel verwickelten. Hanna nutzte die Zeit, um auf die Toilette zu gehen und sich dort kurz zu sammeln. Sie sollte diesen albernen Kommentar von gestern einfach vergessen, redete sie sich selbst ein, als sie sich die Hände wusch und wieder den Gästeraum der gemütlichen Pizzeria betrat, der nur ein paar Straßen von Johns Wohnung entfernt lag und fabelhafte Gerichte zauberte.

Der Kellner Luigi, der sie immer bediente und ein netter Zeitgenosse war, warf ihr einen entschuldigenden Blick zu, da sich die Anzahl an Johns Gesprächspartnern mittlerweile verdoppelt hatte. Hanna schnitt ihm eine fröhliche Grimasse und kehrte zu ihrem Platz zurück.

Nach weiteren zehn Minuten, in denen sich die fünf Männer über die Aufstellung der Defense, Interceptions und Quarterbackqualitäten unterhalten hatten, waren John und Hanna wieder allein.

Sie beobachtete, wie er mit einer zufriedenen Miene sein Portemonnaie zückte.

„Dein Chef hatte schon Recht. Du bist in New York wohl das, was Superman in Metropolis ist.“

Seine Augenbrauen fuhren bis zum Anschlag in die Höhe. „Was?“

Hanna warf einen Blick zur Seite, wo zwei der älteren Männer, die ihn in ein Gespräch verwickelt hatten, John mit regelrechter Gottesanbetung beobachteten.

„Überall wo wir hinkommen, wirst du wie ein Held empfangen und gefeiert.“

Er winkte ab und war plötzlich verlegen. „Du übertreibst ...“

„John“, sie musste lachen. „Das muss dir doch nicht peinlich sein! Du solltest stolz sein.“

Tatsächlich wurde er sogar rot und murmelte. „Ich mache nichts Besonderes, Hanna. Es ist ja nicht so, als würde ich Krebs heilen.“

Belustigt schob sie ihren Teller beiseite und lehnte sich zurück. „Ein gefeiertes Idol und dennoch bescheiden. Das gibt es nicht oft.“

„Ha ha.“

Ernster sagte sie nun: „Du hast einen Job, den du liebst und der andere Menschen glücklich macht.“

„Ich coache ein Footballteam“, widersprach John leichthin. „Das ist keine große Sache.“

Ihr Lächeln wurde ironisch. „Gut, du musst nicht zugeben, was dir deine Arbeit bedeutet. Ich weiß es auch so.“

Das Aufblitzen seiner Augen sagte ihr, dass sie Recht hatte.

„Lass uns noch einmal auf den Besuch deiner Mom zurückkommen.“ Er grinste. „Ich weiß, dass sie Urlaub hat, wenn wir Thanksgiving feiern.“

Thanksgiving?“

„Unser Erntedankfest“, erklärte er gutmütig.

„Ich weiß, was Thanksgiving ist“, erwiderte sie mit gestresster Stimme „Woher weißt du, wann meine Mom Urlaub hat?“ Entgeistert blinzelte sie, doch er hob unschuldig beide Hände.

„Das bleibt mein Geheimnis. Also, Thanksgiving ist in ein paar Wochen. Warum machen wir nicht gleich ein Familienessen draus und laden auch meine Eltern ein. Genug Platz haben wir ja in unserer Wohnung.“

Mit dem Gefühl von einem Hurrikan überrollt zu werden, starrte sie ihn verwirrt an. „Du willst unsere Eltern einladen? In unsere Wohnung?“ Sie schluckte und betonte ironisch. „In unsere Wohnung?“

John zuckte mit der Schulter und legte zwei Zwanzig-Dollarscheine auf den Tisch. „Wieso nicht? Für mich klingt der Plan sehr nett. Deine Eltern, meine Eltern und wir. Sicherlich will deine Mom sehen, wie du wohnst.“

„Ja, aber ich wohne in meiner Wohnung. Deshalb heißt es ja auch Wohnung.“ Hanna verdrehte die Augen.

„Wenn du endlich dazu bereit wärst, deine Bücher zu packen und zu mir zu ziehen, wäre es auch offiziell deine Wohnung. Deine anderen Sachen haben sowieso schon ihren Weg zu mir gefunden.“

Hanna biss sich auf die Unterlippe und fragte kleinlaut: „Soll das eine versteckte Frage sein, ob ich zu dir ziehen will, John?“

„Wenn du es eine versteckte Frage nennst, soll es mir recht sein, mein Schatz.“ Mit einem Seufzen hob er beide Schultern an. „Eigentlich hatte ich gedacht, dass ich mich klarer ausgedrückt habe.“

Als sie einen Moment schwieg, fragte er deutlich ernster: „Was sagst du?“

Mit klopfendem Herzen wollte sie schüchtern wissen: „Willst du denn wirklich, dass ich zu dir ziehe?“

„Nein, ich habe nur gefragt, weil ich gerne Umzugskartons schleppe ...“

„John.“

Er stieß ein ungeduldiges Schnauben aus. „Natürlich will ich, dass du zu mir ziehst, Hanna.“

„Wir kennen uns noch nicht lange ...“

„Darf ich dir widersprechen, Liebling?“ Er legte den Kopf schief. „Im Februar habe ich dich kennengelernt und jetzt haben wir Oktober.“

„Das sind gerade einmal 8 Monate, John.“

„Tja“, antwortete er mit einem tiefen Flüstern. „In meinem Alter weiß ich eben, was ich will.“