12. Kapitel
Hanna kam ein wenig übernächtigt und ziemlich angespannt in New York an, als es dort gerade früher Abend war. Sie hatte kaum Gepäck dabei, da sie in aller Eile einen Flug gebucht und wenig später bereits im Taxi zum Flughafen gesessen hatte. Sie fühlte sich erschöpft und müde, außerdem hätte sie jetzt gerne eine Dusche genommen, denn sie musste furchtbar aussehen. Ihr Haar war zu einem losen Zopf geflochten. Sie trug schlabberige Jeans, einen weiten Pulli, einen dunklen Mantel und Turnschuhe. Sie wollte John nicht sofort auf die Nase binden, dass sie schwanger war, aber befürchtete, dass es sich nicht vermeiden ließ, wenn er sie sah. Vielleicht hielt er es einfach für Winterspeck, betete sie.
Mit ihrem kleinen Trolley bewaffnet, ließ sie sich vor Johns Appartement-House abliefern und schlich nervös in die Lobby. Der Concierge erkannte sie sofort und öffnete ihr die Tür, bevor sie zum Aufzug eilte. Nach einem gemurmelten Dank auf seinen Willkommensgruß betrat sie den Aufzug und beobachtete mit einem üblen Würgegefühl im Magen, wie der Aufzug der 10. Etage immer näher kam. Als Hanna vor Johns Tür stand, wusste sie nicht, ob sie hoffte, dass er daheim sei oder nicht. Sie stand im hell beleuchteten Flur vor Johns Wohnung und wäre am liebsten geflohen. Stattdessen hob sie die Hand und klopfte an die Tür. Kaum war sie einen winzigen Schritt nach hinten getreten, öffnete John die Tür und starrte sie fassungslos an.
Im ersten Augenblick stand sie einfach da und sog seinen Anblick in sich auf. Sein blondes Haar war kürzer als sonst, dafür bedeckte ein Dreitagebart seine Wangen und seine Grübchen. Seine blauen Augen hatten sich geweitet und blickten sie verwundert unter seinen dunklen Brauen an.
„Hallo, John“, sie versuchte ein Lächeln, das eher zittrig ausfiel, und holte stockend Luft. Sie sah ihn bebend an und betrachtete mit klopfendem Herzen sein Gesicht, das nicht viel verriet, außer dass er durch ihre Anwesenheit völlig aus der Bahn geworfen war.
„Hanna …“
Plötzlich erscholl aus dem hinteren Teil der Wohnung eine Frauenstimme. „Ist das Taxi etwa schon da, John? Hattest du es nicht für halb acht bestellt?“
Hanna starrte auf eine wunderschöne, dunkelhaarige Frau, die in Johns Bademantel und mit feuchtem Haar aus seinem Schlafzimmer kam. Ihr drehte sich der Magen um, als sie die langbeinige Schönheit mit dem perfekten Gesicht ansah, die stehen geblieben war, um sie unverhohlen zu betrachten. John stand wie zur Salzsäule erstarrt in der Tür und fixierte plötzlich Hanna.
„Ich … ich störe wohl.“ Ihr fiel einfach kein anderer Satz ein, während eine eiskalte Faust ihr Herz umklammerte und ihr den Atem stocken ließ. Mit einem schmerzverzerrten Gesicht drehte sie sich um und wollte weglaufen.
„Moment mal!“ John setzte sich in Bewegung und hielt ihre Hand fest.
„John … lass mich los“, Hanna verzog das Gesicht und versuchte, ihm die Hand zu entreißen, da sie jeden Moment anfangen konnte zu weinen – und die Blöße wollte sie sich nicht geben, nicht nachdem er diese Traumfrau erwählt hatte und Hanna wie eine Vogelscheuche mit einem Koffer in der Hand vor ihm stand.
„Bitte, John“, brach es aus ihr heraus. „Lass … lass mich gehen.“
„Nicht bevor du erklärt hast, weshalb du schwanger bist!“ Seine Stimme klang fassungslos und völlig überdreht.
Mit einem Schluchzen riss sich Hanna los und stolperte in Richtung Fahrstuhl, der glücklicherweise noch offen war. John, der nur T-Shirt und Boxershorts trug, folgte ihr auf dem Fuße. Im Fahrstuhl angekommen drückte sie sofort den Knopf für das Erdgeschoss, doch John zwängte sich durch die sich schließenden Türen. Da ihr die Tränen über die Wangen liefen, drehte sie sich um und schlang die Arme um sich.
„Um Gottes willen, Hanna“, krächzte John schwer atmend. „Was ist hier los? Was … was tust du hier?“
„Bitte“, schluchzte sie und lehnte den Kopf gegen die Aufzugsinnenwand. „Bitte lass mich zufrieden.“
John schluckte schwer, bevor er unbeherrscht rief: „Hanna … du stehst nach Monaten … nach fast sechs Monaten vor meiner Tür … und du bist schwanger!“
Noch immer stand sie mit dem Rücken zu ihm. „John … könntest du bitte einfach gehen … bitte.“ Sie schluchzte unbeherrscht auf und biss sich auf die Lippe.
„Verdammt, Hanna! Rede mit mir!“
Aufgebracht drehte sie sich um und starrte ihn aus tränenden Augen an. „Also gut! Ich bin hier, weil ich mit dir reden wollte!“ Wütend wischte sie sich über die Augen und senkte den Blick. „Ja, ich bin schwanger. Falls du fragen willst: Es ist von dir! Ich …“
„Habe ich dich etwa gefragt, ob es von mir ist?“, brüllte er unbeherrscht zurück.
„Es tut mir leid. Ich ... ich ...“ Sie schüttelte kurz den Kopf, während Tränen wieder und wieder über ihre Wangen tropften. „Geh zurück zu ihr! Ich … ich bin schon weg und du kannst ihr sagen, dass …“
„Was?“ Er sah sie erstaunt an. „Was redest du da?“
Als Hanna schluckte, brannte ihr Hals wie Feuer. Sie wollte jetzt nicht zusammenbrechen. „Gratuliere … sie ist spitzenklasse. Keine Sorge, ich werde dich nicht mehr belästigen und … und das Baby …“
Erst jetzt merkte sie, dass John erschreckend bleich geworden war. Weinend kehrte sie ihm wieder den Rücken zu und klammerte sich verzweifelt an den Handlauf des Aufzugs.
„Hanna“, sie spürte, dass er genau hinter ihr stand.
„John“, sie klang völlig aufgewühlt. „Du hast eine neue Freundin … das habe ich nicht gewusst …“
„Nein, Hanna …“
„Bitte“, flehte sie, „bitte geh einfach … und lass mir noch ein wenig Stolz.“
Er seufzte tief und dann fühlte sie, dass er die Arme von hinten um sie schlang. Auch er schien zu zittern. Hanna konnte nicht anders und schluchzte noch heftiger los, als er sie umschlang und an seine Brust zog. Sein Kopf senkte sich zu ihr hinab und er erklärte mit heiserer Stimme: „Ich habe dich schrecklich vermisst, Hanna, ich habe es fast nicht mehr ohne dich ausgehalten.“
Sie konnte nichts erwidern, sondern bemühte sich darum, nicht völlig die Kontrolle zu verlieren und zusammenzubrechen. Sie war nie auf den Gedanken gekommen, dass John eine neue Freundin haben könnte. Wie naiv sie gewesen war!
„Kommst du bitte mit in die Wohnung, damit wir reden können?“
Beinahe hätte sie nach Luft gejapst. Bestimmt ginge sie nicht zurück in die Wohnung, wo der Traum aller Männer im Bademantel auf ihn wartete. Hanna wischte sich zitternd die Tränen beiseite und erklärte gebrochen: „John, ich nehme mir ein Hotelzimmer und rufe dich später an.“
Er drehte sie sanft um und versuchte, ihr ins Gesicht zu schauen. „Ich verstehe nicht.“
Während sie das Gesicht weiterhin nach unten gesenkt hielt, stammelte sie: „Komm am besten ins Hotel, damit wir über das Baby reden können.“
„Du willst mit mir über das Baby reden?“ Er klang ungläubig.
„Natürlich“, sie holte stockend Atem. „Sorgerecht, Umgangsrecht … wenn … wenn du willst, vereinbaren wir einen Termin wegen eines Vaterschaftstests.“
Schockiert umfasste er ihre Schultern. Hanna sah ihn unschlüssig an und bemerkte, dass sein bleiches Gesicht plötzlich rot vor Zorn wurde. „Erklärst du mir bitte, was das alles zu bedeuten hat?! Wir stehen im Aufzug – und ich habe vor einer Minute erfahren, dass wir Eltern werden – und du schlägst tatsächlich einen Vaterschaftstest vor?! Und warum faselst du etwas von einem Hotel!“
Unglücklich sah sie ihn an. „John! Bitte!“
„Was?“
„Du machst es nicht gerade leichter.“
„Leichter?“ Er schüttelte den Kopf. „Wie weit bist du?“
Hanna biss sich auf die Unterlippe und wich seinem Blick aus. „Im sechsten Monat.“
„Hättest du dich nicht früher melden können?“, wollte er aufgebracht wissen.
„Können wir das bitte in Ruhe besprechen?“ Ihre Augen schweiften im Aufzug umher, als John den Knopf für die 10. Etage drückte.
„John!“ Sie sah ihn panisch an. „Nicht! Ich will nicht in deine Wohnung!“
„Warum nicht?“
Sie schluckte aufgebracht und suchte nach Worten, bis es aus ihr herausbrach: „Ich will das nicht vor ihr besprechen!“
„Sie wollte sowieso gehen“, erwiderte er ruhig und ließ keinen Widerspruch zu.
Schweigend und unglücklich lief sie neben ihm her, nachdem er ihr den Trolley abgenommen hatte und hinter sich herzog. Hanna umschlang ihren Oberkörper mit beiden Armen, als John die Tür öffnete und ihr den Vortritt ließ. Die Traumfrau war nirgends zu sehen, und doch fühlte sich Hanna so unbehaglich wie nie zuvor, weil sie wusste, dass Johns neue Freundin sich irgendwo in dieser Wohnung aufhielt, in der sie selbst so viel Zeit verbracht hatte.
„Du siehst müde aus“, kommentierte John, als er ihren Koffer an die Wand stellte. Daneben befanden sich bereits drei große Koffer und ein Suitcase, die gepackt zu sein schienen.
„Ja“, sie seufzte innerlich. „Der lange Flug hat mich geschlaucht.“
„Setz dich“, seine Stimme klang merklich sanfter als zuvor. „Ich mach dir einen Tee.“
„Ohh“, sie folgte ihm langsam in Richtung Küche und murmelte betreten. „Mach dir keine Umstände …“
John überging dies und fragte ruhig: „Wie immer Kamille mit Limone und einem Stückchen Zucker?“
Ihr traten die Tränen in die Augen, also nickte sie einfach. Währenddessen beobachtete sie John, der Tassen hervorholte und das Wasser im Wasserkocher zum Kochen brachte. Hanna fühlte sich mehr als unbehaglich und setzte sich vorsichtig auf den Barhocker. Seine Wohnung sah wie immer aus – sie bemerkte keine einzige Veränderung. Bald stellte er ihr eine duftende Tasse mit Tee hin und nippte selbst an seiner Tasse.
„Was macht die Arbeit?“
Hanna stellte die Tasse wieder ab und blickte in das dampfende Gebräu. Sie schwieg und kam sich wie ein Wrack vor.
Beide drehten die Köpfe, als es an der Wohnungstür klopfte. John verschwand im Flur, von wo Hanna eine fremde männliche Stimme hörte. „Ist Kate endlich soweit? Ich werde noch verrückt, wenn wir wegen ihr den Flug verpassen!“
„Es kann sich nur noch um Stunden handeln“, erklärte John daraufhin amüsiert.
„Verdammt, das Taxi wartet schon!“
Neben John betrat ein dunkelhaariger Mann den Raum, der Jeans und Sweatshirt trug, und stehenblieb, als er Hanna entdeckte. „Oh, hallo.“
Sie lächelte verkrampft zurück, während John erklärte. „Hanna, das ist Hugh Lindsay. Wir haben früher zusammen in Dallas gespielt.“
„Schön Sie kennenzulernen“, erwiderte Hanna scheu.
„Ebenfalls! John hat viel über Sie erzählt. Leider können wir nicht lange bleiben und müssten eigentlich schon auf dem Weg zum Flughafen sein.“
„Hugh und seine Frau Kate hatten einen Tag Aufenthalt in New York“, erklärte John und fixierte sie. „Die beiden wollten mich kurz besuchen.“
„John hat uns bei sich übernachten lassen, damit wir nicht ins Hotel mussten“, grinsend schlug er John auf die Schulter. „Das nächste Mal musst du nach Texas kommen, damit wir uns sehen.“
„Mal sehen.“
Hugh zuckte mit der Schulter und ging in Richtung Schlafzimmer, bevor er brüllte: „Kate! Jetzt mach schon, das Taxi wartet nicht ewig!“
Hanna starrte John an, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte und sie schweigend betrachtete. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte – sie verspürte einfach eine gewaltige Woge der Erleichterung. Diese Frau war nicht seine neue Freundin, sie war nur die Frau eines Freundes.
„John …“
Er schüttelte kurz den Kopf und legte ihr anschließend unschlüssig die Hand auf die Schulter. „Trink erst einmal deinen Tee aus. Wir können gleich reden.“
Hanna nickte und sah ihm nach, wie er seinem Freund folgte. Kurz darauf kamen Hugh und seine Frau Kate in die Küche, während John mit der Rezeption telefonierte.
„Ja, ja, hetz mich nicht so“, beschwerte sich Kate Lindsay bei ihrem Mann.
„Wir sind total spät dran, weil du ewig mit deinem Make-up zu tun hattest“, motzte Hugh los.
John legte auf. „Der Gepäckträger ist in einer Minute hier und das Taxi ist abfahrtbereit.“
Kate ignorierte das und hielt Hanna die Hand hin. „Hallo, ich hoffe, ich habe Sie nicht erschreckt.“
„Nein … schon gut“, Hanna lächelte verkrampft zurück.
„Kate“, warnte Hugh ätzend. „Das Taxi …“
„Ja, ja“, Kate rollte mit den Augen und wandte sich an John. „John, es war total lieb, dass wir bei dir schlafen durften.“
„Immer wieder gerne, Kate“, er küsste sie auf die Wange. „Aber das nächste Mal müsst ihr länger bleiben.“
„Gerne“, Hugh klopfte ihm kurz auf den Rücken. „Und du überlegst dir, ob du mal nicht wieder Urlaub in Texas machen willst.“
„In Ordnung.“
Als der Gepäckträger kam, scheuchte Hugh seine Frau aus der Wohnung, bevor John die Tür hinter ihnen schloss und innerlich seufzte. Er wartete einen Moment und atmete tief durch, bevor er wieder in die Küche gehen wollte. Es war erst wenige Minuten her, dass Hanna ohne Vorankündigung in seine Wohnung geplatzt war und ihn völlig aus der Bahn geworfen hatte. Die letzten Monate waren eine emotionale Talfahrt gewesen und hatten ihn an den Rand des Wahnsinns gebracht, weil er nicht gewusst hatte, wie er sich aus diesem Schlamassel wieder befreien sollte.
In den ersten Wochen war er verzweifelt gewesen und war bei dem Gedanken daran, dass sie ernstlich hätte verletzt werden können, ausgerastet. Er hatte ihr Zeit geben wollen, damit sie sich in Ruhe bei ihrer Mutter erholen konnte. Damals war er sich sicher gewesen, dass sie ihre Worte, die sie im Krankenhaus von sich gegeben hatte, nicht ernst gemeint hatte. Sicherlich wäre sie nach ein paar Tagen oder Wochen in London wieder zur Besinnung gekommen. Doch das war sie nicht, und John hatte begriffen, dass sie wirklich und wahrhaftig Schluss gemacht hatte. All seine Instinkte hatten ihm geraten, in den Flieger zu steigen und sie zurückzuholen, aber dann hatte er befürchtet, dass sie ihm die Schuld an dem ganzen Desaster gab. Die Vorwürfe, die er sich selbst gemacht hatte, hatten dazu geführt, dass er in New York geblieben und sie nicht mehr angerufen hatte. Hanna verdiente ein ruhiges und sorgenfreies Leben, das er ihr anscheinend nicht hatte bieten können.
Und nun stand sie schwanger in seiner Wohnung und wollte mit ihm reden. Er wusste nicht, wo ihm der Kopf stand.
Langsam und mit wackligen Beinen betrat er wieder die Küche, in der sie an der Küchentheke saß und so bleich aussah, wie er sich fühlte. Sein Blick klebte förmlich an ihrer rundlichen Leibesmitte, die durch einen Strickpulli kaschiert werden sollte. John leckte sich über die Lippen und versuchte das Kribbeln in seiner Hand zu ignorieren. Er hätte alles gegeben, um seine Hand genau dort zu platzieren. Himmel, sie bekam sein Baby!
„Solltest du nicht lieber die Füße hochlegen? Du siehst erschöpft aus.“ Besorgt trat er an die Theke.
Sie schüttelte stoisch den Kopf. „Mir geht es gut. Der Flug war nur etwas anstrengend.“
„Du solltest dich ausruhen“, wiederholte er ruhig. „Es ist weder gut für dich … noch für das Baby.“
Zögernd blickte sie ihn an. „John, ich möchte lieber mit dir sprechen.“
Er schüttelte entschlossen den Kopf. „Wir können später noch reden.“
„Okay“, murmelte sie und biss sich unsicher auf die Lippe. „Könntest du mir ein Hotelzimmer buchen?“
Obwohl John wieder aufbrausen wollte, beruhigte er sich und schüttelte einfach den Kopf, während er ihre linke Hand nahm. „Ist es wirklich schon so weit gekommen, dass du nicht bei mir schlafen möchtest?“
Hanna musste schlucken und schüttelte den Kopf. „Nein, aber angesichts der Situation wäre es vernünftiger.“
„Angesichts welcher Situation?“
Hilflos hob sie eine Schulter hoch und murmelte: „Ich habe dich mit meinem Kommen überfallen. Vielleicht hast du schon eine Verabredung.“
John knirschte mit den Zähnen. „Wenn du wissen willst, ob ich jemanden treffe, dann frag doch einfach.“
Ihre bleichen Wangen wurden vor Verlegenheit rot. „Nein, das meinte ich nicht.“
Er ignorierte ihren Einwurf und gab zur Auskunft: „Dann könnte ich dir antworten: Nein, Hanna. Ich treffe keine andere Frau. Seit ich dich kennengelernt habe, gab es keine andere.“
Ihr war die Erleichterung anzusehen. Beinahe hätte er gelächelt, konzentrierte sich jedoch auf das Naheliegende. „Ich habe dich nicht einmal gefragt, wie es dir geht.“
„Mir geht es gut.“ Ihr müder Gesichtsausdruck war schlagartig weggewischt und sie schenkte ihm ein ehrliches Lächeln. „Und ihr geht es auch wunderbar.“
„Ihr?“ Plötzlich wurde seine Kehle eng und er musste gegen einen Kloß ankämpfen.
Hanna nickte. „Beim letzten Ultraschall konnte es mir die Ärztin endlich sagen. Die Kleine war furchtbar stur und hatte sich bis dahin immer versteckt.“ Gedankenverloren strich sie sich über den Bauch. „Du hast immer von Söhnen geredet. Ich möchte nicht, dass du enttäuscht bist.“ Verzagt sah sie ihn an.
John starrte sprachlos auf ihren Bauch und merkte, dass der Drang, sie zu berühren übermächtig wurde. Wenn er sich nicht am Riemen riss, würde er jeden Moment wie eine Heulsuse losflennen.
„Hanna ... wie kommst du bloß auf diese Idee? Es gibt nichts Schöneres als ein Babymädchen.“ Er krächzte heiser. „Kleine Mädchen sind wundervoll.“
„Hier“, sie nahm seine Hand und legte sie auf die pralle Kugel, als hätte sie seine Gedanken gelesen. John musste schlucken und trat einen winzigen Schritt näher, während sie seine Hand mit ihrer führte und verlegen gestand: „Am Anfang war ich überfordert und wollte nicht wahrhaben, dass ich schwanger war.“
Er konzentrierte sich völlig auf den prallen Babybauch und räusperte sich nach einer Weile des Schweigens. „Warum?“
„Weil ich Angst hatte“, flüsterte sie. „Wir hatten zwar im Scherz über Babys gesprochen, aber als sich der Teststreifen verfärbte und niemand bei mir war ...“ Sie seufzte auf. „Da fühlte ich mich einsam und wusste nicht, was ich tun sollte. Eine Woche später war ich bei einer Ärztin und sah das Ultraschallbild.“
„Und du warst nicht mehr allein.“
„Ja“, flüsterte sie unglücklich. „John, kannst du mir verzeihen, dass ich einfach gegangen bin und dich ständig abgewiesen habe?“
Seine Gedanken stoben in alle Richtungen. Er ließ seine Hand auf ihrem Bauch liegen und flüsterte düster: „Du hast mir schon wieder nicht vertraut, Hanna.“
Sie senkte den Kopf und wischte sich eine ungebetene Träne beiseite. „Das stimmt nicht, John.“
„Dann sag mir doch bitte, warum du mich in den letzten Monaten durch die Hölle geschickt hast.“
Hanna zuckte unter seinen Worten, auch wenn sie ruhig ausgesprochen wurden, merklich zusammen.
„Das wollte ich nicht, John. Ich habe gedacht, du ... du könntest glücklich werden.“
Steif richtete er sich aus und nahm seine Hand von ihrem Bauch. „Willst du mich für dumm verkaufen?“
Tränenblind sah sie auf. „Du warst so glücklich als Footballcoach und bist in deiner Arbeit aufgegangen.“ Hanna holte tief Luft. „Als du bei mir im Krankenhaus warst, hast du gesagt, dass du wegen dieser verrückten Frau kündigen würdest. Ich hatte solche Angst, dass du deine Stelle wegen mir aufgeben würdest und du es irgendwann bereuen könntest. Da dachte ich, dass ich es lieber vorher beende …“
Er sah sie schockiert an. „Das war doch nur ein Job! Wie kannst du glauben, dass mir der Job wichtiger sein könnte als du!“
Mit erstickter Stimme erwiderte sie: „Du liebst deine Arbeit, John. Ich wollte dir nicht den Traum wegnehmen, in die Hall of Fame zu kommen.“
Das Geräusch, das John vor lauter Erstaunen von sich gab, war eine Mischung aus Lachen und Stöhnen. „Die Hall of Fame? Du denkst, mein Lebensziel wäre die Hall of Fame?“
„Aber jeder Spieler träumt von der Hall of Fame!“
Unter lautem Gelächter schüttelte er den Kopf und musste sich nach vorne beugen, während er nach Luft schnappte.
„John“, weinte sie verwirrt. „Mr. MacLachlan hat mir erzählt, dass du auf dem besten Wege wärst ...“
„Oh Gott“, er stützte sich auf der Küchentheke ab und schaute in ihr verheultes, verwirrtes Gesicht. „Du hast dich von mir wegen der Hall of Fame getrennt?“
Ihre Unterlippe bebte.
Fassungslos ächzte er: „Von jetzt an gibt es keine Nachhilfe von selbsternannten Footballexperten mehr für dich.“
„Aber ...“
John umfasste ihre Ellbogen und zog sie näher, bis ihr Bauch im Weg war. Er war wieder ernst und verengte die Augen. „Du bist mir wichtig, Hanna, nicht der Football. Du bist mir wichtiger als alles andere.“
„John“, erwiderte sie bedrückt. „Ich will nicht Schuld sein, dass du …“
Er knirschte mit den Zähnen und unterbrach sie. „Ein Job als Footballcoach macht mich nicht glücklich, wenn ich dich dafür verliere, Hanna. Weißt du denn nicht, was du mir bedeutest? Soll ich einsam alt werden, während mein Konterfei in der Hall of Fame hängt? Inwiefern macht mich das zu einem glücklichen Menschen?“
Sie sah ihm lange in die Augen und flüsterte dann: „Ich weiß es nicht.“
„Ich auch nicht.“
Lächelnd beugte er den Kopf und gab ihr einen süßen Kuss auf den Mund. „Außerdem werde ich in nächster Zeit genug zu tun haben.“
Ihre grünen Augen blickten fragend in seine.
„Als erstes müssen wir den Umzug deiner Sachen zurück nach New York organisieren, dann gilt es ein Kinderzimmer einzurichten und die Planung einer Hochzeit steht auch noch an.“
„Hochzeit?“ Ihre Wangen röteten sich wie aufs Stichwort.
„Mhh“, er nickte mit beinahe finsterer Miene. „Du hast mir nämlich einen Strich durch die Rechnung gemacht, mein Schatz. Der Antrag war längst geplant.“
Mit großen Augen starrte sie ihn an, bevor sie vor lauter Erleichterung in Tränen ausbrach. „Es tut mir leid.“
Stöhnend legte er beide Arme um sie und bemerkte, wie das Baby gegen seine Hüfte trat. John lachte gequält auf „Von jetzt an will ich keine absurden Ideen von dir mehr hören, sonst lasse ich Tante Moira samt der gesamten Katzenbesetzung von Vom Winde verweht bei unserer Hochzeit antanzen. Verstanden?“
Sie nickte und schmiegte sich glücklich an ihn.
Epilog
Zwei Monate später erlebte Hanna, die mittlerweile mit Nachnamen Brennan hieß und wie ein Walfisch aussah, dass John dem Begriff Sturheit eine völlig neue Definition gab.
Wie ein Rumpelstilzchen hatte er sich vor ihr aufgebaut und beide Hände in die Hüften gestützt. „Hanna, ich hatte dich gewarnt! Es war mein völliger Ernst, als ich gesagt habe, dass du deine absurden Ideen sein lassen sollst!“
Sie ignorierte seine wütende Miene und löffelte selig das Bananeneis, das er ihr gerade in einem Supermarkt besorgt hatte. Sie konnte nicht genug davon bekommen und musste es immer zur Verfügung haben. Mit vollem Mund nuschelte sie zufrieden: „Du hast deine Verhandlungsbasis verloren, John.“
„Was soll das schon wieder heißen?“
Sie zog den Löffel aus ihrem Mund und versenkte diesen im beinahe leeren Eisbecher. „Du hast mir damit gedroht, Tante Moira und ihre verkleideten Katzen zu unserer Hochzeit einzuladen. Darf ich dich daran erinnern, dass wir längst geheiratet haben?“ Sie grinste wie eine Hexe. „Also kannst du mir damit nicht mehr drohen.“
Frustriert fuhr er sich durch sein Haar. „Das ist gar nicht lustig, Hanna.“
„Irgendwie schon, wenn man bedenkt, dass Tante Moira ihre Fotos mittlerweile per Mail an die ganze Familie schickt“, entgegnete sie trocken. „Gestern durfte ich Kater Milo bewundern, den Tante Moira in einem Bonny-Kostüm auf ein Schaukelpferd gesetzt hat. Er hatte sogar eine schwarze Lockenperücke auf dem Kopf.“
John versuchte ernstzubleiben, scheiterte jedoch kläglich und gab ein schnaubendes Prusten von sich. Er klang wie ein asthmatisches Walross.
Hanna streckte sich zufrieden und legte eine Hand auf ihren Achtmonatsbauch. Sie flüsterte der stetig wachsenden Kugel zu: „Bitte, du musst ein Hundetyp werden.“
Ungeduldig rückte John einen Hocker neben die Couch, auf der seine Frau saß. „Was soll also dieser Unsinn?“
„Das ist kein Unsinn“, widersprach sie ruhig und gab ihm den Eisbecher, damit er ihn auf den Couchtisch stellen konnte, schließlich konnte sie sich kaum rühren. „Seit einem Monat will ich schon mit dir darüber reden, aber du blockst immer ab. Dabei sind meine Argumente durchaus stichhaltig.“
„Hanna“, er schien sich um Geduld zu bemühen und zog am Kragen seines Pullis. „Dein Gedächtnis lässt dich im Stich. Oder weißt du nicht mehr, was alles passiert ist? Bist du deshalb nicht sogar nach London geflohen?“
„Das war nur ein Missverständnis“, winkte sie ab und streichelte zärtlich sein Knie. „Damals wusste ich noch nicht, dass du mich so sehr liebst, dass du sogar zum wilden Berserker wirst und arme Journalisten zusammenschlägst.“
John errötete peinlich berührt und musste es sich gefallen lassen, dass sie ihn liebevoll neckte. Er wusste, dass sein damaliges Verhalten nicht sehr glanzvoll gewesen war. Normalerweise hatte er ein besonnenes Gemüt und kannte Jähzorn nur dem Namen nach, doch damals hatte er rot gesehen. Seine liebe Frau dagegen fand die Prügelattacke sogar romantisch und erwähnte sie ständig. Hormone!
Er räusperte sich vernehmlich. „Darum geht es jetzt nicht. Wir kommen sehr gut ohne diesen Stress aus. Ich muss mir den harten Druck und die fiesen Presseberichte nicht antun, um ...“
„Oh, John!“ Sie trällerte amüsiert los und verdrehte die Augen. „Du musst mir nichts vormachen. Ich bin nicht blind und sehe genau, dass dir das Coachen fehlt. Wenn wir beide Nachrichten schauen und die Titans erwähnt werden, willst du dir zwar nichts anmerken lassen, aber du bist so gespannt wie ein Flitzebogen und schielst regelrecht in den Fernseher hinein.“ Sie war noch nicht fertig und redete ihm mit ernster Miene ins Gewissen. „Das Team braucht dich. Sie haben Thompson nach der katastrophalen Saison entlassen und suchen händeringend einen Nachfolger. Vergiss nicht: das sind deine Spieler, die dich jetzt brauchen.“
Ärgerlich runzelte er die Stirn und schwieg, bevor er seufzte: „Mir ist der Preis einfach zu hoch, wenn ich darüber nachdenke, was alles passiert ist. Ich will das Risiko nicht eingehen, dass dir oder dem Baby etwas passiert, weil ich Footballspielern erkläre, wie sie zu rennen haben, Hanna.“
Mit ruhiger und vernünftiger Stimme erwiderte sie: „Trenn bitte eine verrückte Frau von all den netten Fans, die uns in letzter Zeit diese lieben Nachrichten geschickt und uns viel Glück mit dem Baby gewünscht haben.“
„Und was ist mit der Presse?“, entschlossen schüttelte er den Kopf. „Ich hatte entschieden, meinen Trainerposten an den Nagel zu hängen. Es wird nichts nützen, dass du das halbe Team hierher eingeladen hast, Hanna. Wenn sie gleich ankommen, kannst du sie sofort wieder wegschicken.“
„Hast du mir nicht einmal gesagt, dass du dir dein Leben nicht von der Presse diktieren lassen willst?“ Verständnisvoll lächelte sie. „Dein Herz hängt am Coachen, deshalb solltest du diese Chance nicht einfach wegwerfen, John.“
„Mein Herz hängt vor allem daran, dass meine Frau nicht ständig ein nervliches Wrack ist, weil mir irgendwelche Affären unterstellt werden.“
Hanna schnitt eine Grimasse. „Ich habe gelernt, dass es immer Idioten gibt, die für eine Schlagzeile alles tun oder schreiben. Deren Nachrichten sind heiße Luft und mehr nicht. Damit werde ich umgehen können, John. Womit ich aber nicht umgehen kann, ist, dass du deinen Traumjob aufgibst, weil du meinst, mich damit schonen zu können.“
„Wie du schon sagtest: Es ist ein Job. Mehr nicht.“
Entschlossen schüttelte sie den Kopf. „Das ist nicht wahr, John. Du bist ein großartiger Coach, dem seine Arbeit riesigen Spaß macht. Du bist mit dem Herzen dabei und liebst es, früh aufzustehen und zur Arbeit zu fahren – weißt du eigentlich, wie selten so etwas ist? Wie wundervoll es ist, dass du genau das gefunden hast, was dir Freude bereitet?“
„Andere Dinge bereiten mir auch Freude“, widersprach er. „Meine Stiftung ...“
„... ist eine großartige Sache“, unterbrach sie ihn sofort. „Doch diese Arbeit wird dich nicht auslasten.“
„Wir bekommen in einem Monat ein Baby, mein Liebling. Du willst deine Dissertation beenden und wieder an die Uni gehen.“
Ihr entschlüpfte ein weiteres Augenverdrehen. „Damit werde ich noch warten, bis das Baby alt genug sein wird.“
„Trotzdem werden wir ausgelastet sein.“
Ärgerlich seufzte sie auf, weil er sich einfach nicht umstimmen ließ, dabei wollte sie doch nur sein Bestes. Wie sie selbst von ihm vor einigen Monaten gelernt hatte, führte eine Taktikänderung oftmals zum Sieg, weil sie den Gegner verwirrte und im entscheidenden Moment schwächte.
Also blickte sie ihn theatralisch an und streichelte mit beiden Händen über ihren Babybauch. „Du wirst Jilian und mir tierisch auf den Geist gehen, wenn du den ganzen Tag zu Hause bist. Deshalb musst du dir einfach eine Beschäftigung suchen.“
„Jilian?“ Wie sie es vorhergesehen hatte, war er nun abgelenkt und blinzelte eulenartig.
„Mhh“, lächelnd deutete sie auf ihren Bauch. „In der letzten Nacht konnte ich nicht schlafen. Sie hat mich ohne Unterlass getreten und wurde erst ruhiger, als ich in die Küche ging, um ein paar Käsestangen zu essen.“ Sie ignorierte absichtlich seinen zweifelnden Blick und fügte vergnügter hinzu: „Du lagst auf dem Bauch und hast selig geschnarcht, daher stach mir deine Tätowierung ins Auge. Plötzlich wusste ich, welchen Namen wir unserer Tochter geben. Dieses Baby wird Jilian heißen.“
Sie sah ihm an, dass er kaum ein Wort herausbrachte, und hätte ihn am liebsten umarmt, doch er fragte nun mit krächzender Stimme. „Ärzte können sich irren. Was machen wir, wenn es doch ein Junge wird?“
Gespielt dramatisch hob sie beide Hände an. „Dann wird unser Sohn namens Jilian in die Fußstapfen von Tante Moira treten müssen und Katzenkleider schneidern.“
„Oh Gott, Hanna. Ich ...“
Glücklicherweise klingelte es in diesem Moment an der Wohnungstür und Hanna kämpfte sich unter Mühen von der Couch hoch, um zur Haustür zu watscheln und John einen Moment zu geben, sich wieder zu fangen. Sie hatte bereits vor drei Monaten entschieden, ihre Tochter nach Johns verstorbener Schwester zu nennen, als sie erfahren hatte, dass das Baby ein Mädchen war, doch John hatte bis gerade eben noch nichts davon gewusst.
Unter lautem Getöse ließ sie einige von Johns ehemaligen Spielern herein, die sich vor einem Monat bei ihr gemeldet hatten, um ihr ein Babygeschenk zu schicken. Bei dieser Gelegenheit hatte sie erfahren müssen, dass George MacLachlan mehrfach an John herangetreten war, um ihn zu bitten, wieder seine Arbeit aufzunehmen. John, dieser Dickschädel, hatte ihr kein Wort davon erzählt. Sie hatte vier Wochen lang probiert, ihn davon zu überzeugen, es wenigstens zu versuchen – erfolglos. Deshalb hatte sie einige seiner Spieler zu sich nach Hause eingeladen und hoffte, John damit umstimmen zu können.
Hanna wollte einen rundum glücklichen Ehemann haben, der nicht nur ein erfülltes Privatleben hatte, sondern der auch einer Arbeit nachging, die ihm Freude bereitete. Vielleicht war ihr Beharren darauf, dass er die Titans wieder coachen sollte, auch darauf zurückzuführen, dass sich das Mediengetöse in letzter Zeit etwas gelegt hatte. Es gab keine Artikel mehr, in denen sie als Goldgräberin oder Alibifrau dargestellt wurde. Merkwürdigerweise hatte die Nachricht, dass John und Hanna ein Baby bekamen, die Fans und auch die Presse versöhnt. Stattdessen hatten sich die Journalisten auf Brian Palmer eingeschossen, der von sich Reden machen ließ, indem er einen Eklat bei einer Modenshow verursacht hatte, als sich zwei seiner ehemaligen Bettgenossinnen mitten auf dem Laufsteg beinahe die Augen ausgekratzt hätten. Fotos von zwei langbeinigen Models, die sich einen Kampf lieferten und von einem völlig verzweifelten Designer sowie einem genervten Quarterback voneinander weggezogen wurden, hatten es auf die Titelseiten aller lokalen Zeitungen geschafft.
„Oh Mann!“ Der stiernackige Eddie Goldberg schluckte schwer, als er Hannas Bauch mit einem nervösen Blick taxierte und mitten im Weg stehenblieb, worüber sich seine Kameraden Al und Brian beschwerten, die den massiven Footballspieler einfach zur Seite stießen, um in die Wohnung zu gelangen. Ihnen folgte Mitch Cahill, der immer noch ein wenig humpelte.
Auch Brian Palmer betrachtete mit einer Mischung aus Panik und Nervosität ihren Bauch.
Hanna verdrehte die Augen und fragte genervt: „Habt ihr noch nie eine schwangere Frau gesehen?“
„Doch“, der Quarterback grinste verschmitzt. „Diese Situation ist jedoch völlig neu für mich. Normalerweise verlangen die schwangeren Frauen, die ich kenne, Alimente von mir.“
„Keine Sorge, Rabbit.“ John war neben sie getreten und legte einen Arm um Hannas Schulter. „Für das hier bin ich verantwortlich.“
„Da bin ich aber erleichtert, Coach“, er stieß einen gespielt dramatischen Seufzer aus.
John sah den ehemaligen Quarterback Mitch fragend an und hob eine Augenbraue hoch: „Was machst du inmitten dieses Gesindels, Mitch? Du bist doch in Rente und solltest längst in Chicago sein, um deiner Ex nachzustellen.“
Mitch lachte auf, drückte Hanna einen Kuss auf die Wange und verkündete gutgelaunt: „Ich will meinen Brüdern nur etwas Rückendeckung geben. Also lass uns schon rein und besorge uns ein Bier, John.“
Kurz darauf fand sich Hanna auf der Couch wieder, während ihre bulligen Gäste sich um sie herum verteilt hatten, dabei jedoch einen Sicherheitsabstand zu ihr wahrten. Es war zu putzig, dass diese furchteinflößenden Kampfmaschinen beim Anblick einer hochschwangeren Frau nervös wurden.
Gespannt beobachtete sie John, der ein wenig widerwillig Bier an seine Gäste verteilte, die gleich mit der Tür ins Haus fielen und über die kommende Saison sprachen.
„Wir kriegen Julian Scott aus Florida“, Brian Palmer nickte sichtlich zufrieden. „Einen guten Wide Receiver hatten wir bitter nötig. Er wird auf der rechten Flanke spielen. MacLachlan und er haben vor fünf Tagen den Vertrag unterschrieben.“
Eddies Gesicht glühte vor Begeisterung. „Und wir kriegen einen neuen Tackle ...“
„Bärenstark und trotzdem blitzschnell“, fügte Al hinzu.
„Sein Name ist Dupree Williams ...“
„Ich bin topfit, Coach. Mein Knie macht mir keine Probleme mehr.“ Hoffnungsvoll blickte der jungenhafte Quarterback zu John auf. „Wir brauchen nur noch einen Coach, der uns zu nehmen weiß.“
Hanna spürte, dass John mit sich rang, und blickte ihn vorsichtig von der Seite an. Er hatte die Lippen zusammengepresst und sah Mitch Cahill nach einer Weile an, der gut gelaunt auf einem Sessel thronte und sichtlich Spaß an der Situation hatte.
„Hast du nichts dazu zu sagen?“
Mitch zuckte mit der Schulter und fügte gespielt neutral hinzu: „Wie du schon sagtest – ich bin in Rente.“
John seufzte tief und erklärte streng: „Jungs, es ist nett, dass ihr so großes Vertrauen in mich setzt, aber ich bleibe bei meiner Meinung. Für die nächste Saison wünsche ich euch viel Erfolg. Scott ist ein begnadeter Spieler. Das packt ihr auch ohne mich.“
Enttäuscht stöhnten die Jungs auf und redeten weiter auf John ein, der jedoch seinen stursten Gesichtsausdruck aufsetzte und schwieg.
Hanna biss sich frustriert auf die Unterlippe und überlegte fieberhaft, wie sie Johns Meinung ändern konnte. Seine besitzergreifende Hand an ihrer Schulter brachte sie auf eine Idee. Es gab etwas, das ihn in den Wahnsinn treiben würde ...
Sie holte tief Luft, zwinkerte Mitch zu und erklärte mit gespielt gleichgültiger Stimme: „Du wirst sicher Recht haben, John. Die Titans werden auch mit Ford Wilmington viel Erfolg haben.“
„Ford Wilmington?“ Er fuhr zusammen und blickte sie gereizt an. „Wie kommst du darauf, dass ausgerechnet Wilmington meinen Job übernehmen wird?“
Unschuldig blickte sie ihm ins Gesicht. „Ich habe es in einem Internet-Blog gelesen.“
„Hanna“, seine Nasenflügel bebten vor Zorn, während sie innerlich jubelte. „Wie oft noch? Du darfst nicht immer darauf hören, was im Internet geschrieben wird! Niemand, der bei Verstand ist, würde Wilmington diesen Job anbieten ...“
„Da muss ich dir widersprechen, John.“ Mitch sah ihn ruhig an. „George hat mit Wilmington bereits gesprochen und ihm den Trainerposten angeboten.“
„Was?!“ Entsetzt und fassungslos machte sich John von Hanna los und raufte sich die Haare. „Wilmington ist ein absoluter Dilettant! Der Mann ist so mies, dass er einen Kicker in die Defense schicken würde! Wie kann George überhaupt darüber nachdenken, Wilmington nach New York zu holen?!“
Mitch zuckte mit der Schulter und erwiderte lapidar: „Er hat keine andere Wahl. Aber du hast schon Recht – mit der guten Verstärkung durch Julian Scott und Dupree Williams sowie mit Brian als Quarterback können es die Titans wieder nach oben schaffen.“
„Das ist Schwachsinn, Mitch! Das weißt du genauso gut wie ich!“
Auch die Spieler schienen begriffen zu haben, was Hanna und Mitch bezweckten. Brian Palmer murmelte betroffen: „Ich habe schon mit ihm telefoniert, weil er mich darüber informiert hat, dass ich während der Pause gezielte Laufübungen machen soll. Anscheinend plant er für die Offense ausgedehnte Laufspielzüge ...“
„Ist der Mann nicht bei Trost?! Wie kann er seine Taktik auf Laufspielzügen aufbauen, wenn wir Julian Scott bekommen und du immer noch an dein Bein denken musst! Weiß er denn nicht, dass dein Arm überragend ist?“ John war in Rage und brüllte beinahe. „Dieser Mann sollte nicht einmal ein Highschool-Team coachen! Er wird mein ganzes Team kaputt machen. Das lasse ich nicht zu, ich werde ...“ Er brach ab, als er in die zufriedenen Gesichter vor sich sah.
„Was?!“
Hanna lachte auf und drückte voller Erleichterung seine Hand. „Ich gehe in die Küche und mache euch ein paar Snacks. Anscheinend habt ihr noch einiges zu besprechen, bevor die Saison anfängt.“