11. Kapitel

Als es an ihrer Haustür klingelte, speicherte Hanna die Datei und ging gähnend durch den Flur. Sie erwartete niemanden und vermutete, dass es ihre Nachbarin war, der ständig Zucker, Salz oder etwas anderes fehlte. In den letzten Monaten hatte sie sich schon daran gewöhnt, dass Mrs. Abernathy oft vorbeischaute, weil ihr langweilig war und sie ein Schwätzchen halten wollte. Hanna störte es nicht wirklich, weil sie die alte Dame ins Herz geschlossen hatte. Nach den anstrengenden Wochen bei ihrer Familie in London und den ewigen Vorwürfen und guten Ratschlägen war es eine nette Abwechslung, jemanden über die Herstellung von Marmelade oder die Zubereitung von Aufläufen schwatzen zu hören.

Sie hatte es in London nicht mehr ausgehalten und war in ein kleines Städtchen in der Nähe von Bristol gezogen, weil ihr Stiefvater ihr dort einen Job als Politiklehrerin an einer Schule besorgt hatte. Hanna hatte den Gedanken an ihre Zeit in New York nicht mehr ertragen können und mit ihrer Dissertation vorerst abgeschlossen.

Es gab wichtigere Dinge als den Drang, einen Titel vor ihrem Namen stehen zu haben. Offiziell hatte sie sich ein Freisemester genommen und war beurlaubt, doch Hanna hatte nicht die Absicht, zurück an die Universität zu gehen, sondern war zufrieden mit ihrer jetzigen Tätigkeit. Zwar benahmen sich besonders die Achtklässler manchmal furchtbar, aber das Unterrichten war gar nicht schlecht und hatte den Vorteil, dass man während der Arbeit nicht ins Grübeln oder Nachdenken kommen konnte.

Ihre Mutter war zwar an die Decke gegangen, als Hanna entschieden hatte, aus London wegzugehen, aber Hanna brauchte den Abstand ganz dringend, auch wenn ihre Mutter sie unvernünftig nannte. Die Ruhe in den letzten Monaten auf dem Land hatten ihr nach der stressigen Zeit in New York und den nervenaufreibenden Auseinandersetzungen mit ihrer Mom gut getan.

Hanna schob den Gedanken an ihren gestrigen Streit mit ihrer Mom am Telefon beiseite und griff nach der Türklinke. Eigentlich wollte sie gleich ein kleines Nickerchen machen, da sie heute einen freien Tag hatte und furchtbar müde war. Deshalb hoffte sie, dass Mrs. Abernathy nicht allzu lange bleiben würde.

Doch als sie die Tür öffnete, stand nicht ihre Nachbarin vor ihr.

„Hallo.“

Hanna starrte ihren Gast verwirrt an und riss vor lauter Entsetzen die Augen auf, als sie Christine Shaw erkannte. Diese stand in einen Wintermantel gekleidet vor ihrer Tür und lächelte verlegen.

„Sie müssen Hanna sein. Ich bin Chrissy.“

„Ich ... ich weiß.“

„Es tut mir leid, dass ich Sie überfalle, aber ... Himmel!“

Hanna wollte bei Chrissys erschrockenem Ausruf die Tür zuschlagen, doch diese war schneller und zwängte sich durch die Tür. Zitternd verschränkte Hanna die Arme vor der Brust und hatte das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden. Tausend Gedanken rasten durch ihren Kopf. Das erste, was ihr in den Sinn kam, brach panisch aus ihr heraus. „Sie dürfen es John nicht sagen! Bitte … schwören Sie mir, dass Sie es John nicht sagen!“

„Aber ...!“

„Ich will nicht, dass er es erfährt!“

„Aber es ist doch auch sein Baby!“ Chrissy war blass geworden und starrte den deutlich gerundeten Bauch ihrer Gastgeberin an.

Hanna zog verlegen ihre Strickjacke über die Rundung. „Das geht nur John und mich etwas an.“

„Dann sollten Sie ihm etwas davon sagen“, widersprach Chrissy aufgebracht.

Hanna biss die Zähne zusammen und spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Erst gestern hatte ihre Mutter genau das gleiche gesagt und damit einen wunden Punkt getroffen. Hanna wusste, dass John es erfahren musste, aber sie hatte panische Angst, ihn wiederzusehen.

Chrissy hob mutlos die Hände und ließ sie wieder sinken. „Sie brauchen einen Tee und ich auch. Können wir uns setzen?“

Nach einem Augenblick nickte Hanna widerstrebend, weil sie fürchtete, die fremde Frau nicht ohne Protest loszuwerden, und führte Chrissy in ihr Wohnzimmer. Diese sah sich interessiert um, betrachtete die frisch tapezierten Wände und die unzähligen Bücherregale, bevor sie den Mantel auszog, sich auf die Couch setzte und Hanna einen freundlichen Blick schenkte.

Hanna entschuldigte sich rasch und ging in die Küche, um Tee zu machen. Als sie wenige Minuten später zurückkam, hatte sie sich einigermaßen gesammelt, starrte Chrissy jedoch misstrauisch an, servierte den Tee und setzte sich in einen Sessel. Die blonde Frau sah in ihrem beigen Hosenanzug und mit der eleganten Frisur wie auf den zahlreichen Bildern, die Hanna kannte, wunderschön aus, während sie sich aufgeschwemmt und hässlich vorkam. Kein Wunder, dass sie damals rasend vor Eifersucht gewesen war, als sie in der Presse von Johns Treffen mit seiner Ex-Freundin gelesen hatte, überlegte Hanna bekümmert.

„Was führt Sie nach England?“

„Sehr direkt“, Chrissy lächelte. „Das gefällt mir. Um direkt zu antworten: John.“

Hanna spürte einen Stich im Herzen und gab gespielt lässig von sich. „Wir sind getrennt. Ich bin mir sicher, dass Sie und er sehr glücklich miteinander werden.“

Chrissy starrte sie fassungslos an, bevor sie lachen musste. Hanna dagegen hätte ihr am liebsten alle Haare einzeln herausgerissen und wusste nicht, wie sie auf die schöne Frau auf ihrer Couch reagieren sollte.

„Was finden Sie so lustig?“

Kichernd schüttelte sie den Kopf. „Ihre Vorstellung von John und mir.“

„Ich habe die Fotos gesehen“, presste sich zwischen den Zähnen hervor. „Sie scheinen ihn sehr zu lieben und …“

„Natürlich liebe ich John“, antwortete Chrissy etwas ruhiger. „Aber nicht so wie Sie denken.“

„Ach nein?“

Chrissy lächelte weich. „John ist mein bester Freund. Ich habe selten jemanden kennen gelernt, der so liebenswert und integer ist wie er. Aber ich würde niemals wieder eine Beziehung mit ihm führen können.“

Hanna sah sie verblüfft an und wusste im ersten Augenblick nicht, was sie sagen sollte. „Ich … ich verstehe das nicht. Sie …“ Sie räusperte sich. „Sie waren doch zusammen und …“

„Ja, das waren wir“, Christine rollte mit den Augen. „Es ist schon einige Jahre her. Als wir Schluss machten, war ich sehr erleichtert. John auch, falls Sie das wissen möchten.“

„Das verstehe ich überhaupt nicht“, Hanna lehnte sich verwirrt zurück. „Die Presse hat Sie beide als das perfekteste Paar der USA verkauft!“

„Hören Sie bloß mit der Presse auf!“ Chrissy seufzte. „Die dämliche Presse hat in John einen Helden gefunden und jede Frau für nicht gut genug abgestempelt, einschließlich meinerseits.“

„Aber“, Hanna zögerte kurz, bevor sie frustriert erklärte: „Als John und ich zusammen waren, wurde ich ständig mit Ihnen verglichen. Dabei hieß es dann, ich könnte Ihnen niemals das Wasser reichen.“

„Sie dürfen sich diesen Müll nicht zu Herzen nehmen! Während unserer Beziehung wurde ich ständig zerrissen, beleidigt und beschuldigt, falls John ein Wurf misslang, er stolperte oder mal nicht lächelte. Als er sich verletzte, gab man sogar unserer Trennung die Schuld, obwohl die über drei Jahre zurücklag.“

Hanna musste das erst verdauen und schwieg nachdenklich.

„Wissen Sie, Hanna, John und ich ähneln uns zu sehr. Wir sind fast wie Geschwister, aber als Paar war es eine Katastrophe.“

„Warum?“

Chrissy zuckte mit der Schulter und legte den Kopf schief. „Nun, ich weiß nicht, woran es genau lag, aber oft haben wir uns angeschwiegen, weil wir kein Gesprächsthema fanden. Meist waren wir einer Meinung und konnten nicht einmal darüber diskutieren. Um ehrlich zu sein, fanden wir uns beide irgendwann langweilig.“

Hanna hob fassungslos beide Augenbrauen hoch. „Langweilig?“

„Ja, irgendwie schon.“ Chrissy holte Luft. „Wissen Sie, dass wir uns nie gestritten haben? Und es ist mir nicht einmal aufgefallen. Mit meinem Mann streite ich mich ständig – es fliegen die Fetzen – und so muss es auch sein. Wenn er richtig wütend auf mich ist, schreit er mich an und ich brülle zurück.“ Sie wurde rot. „Und sicherlich wissen Sie, was darauf folgt.“

Verwirrt zwinkerte Hanna mit ihren Augen und fragte erstaunt: „Wollen Sie damit sagen, dass John bei Ihnen nie ausgerastet ist?“

„Nein, bei Ihnen etwa? Ich dachte, das läge einfach nicht in seiner Art.“

Hanna war etwas ratlos. „John … ich würde ihn nicht streitlustig nennen und ganz sicher ist er nicht aufbrausend, aber …“, sie schluckte, „gefetzt haben wir uns schon das eine oder andere Mal.“

Chrissy grinste. „Das gefällt mir. Noch heute werde ich wahnsinnig, wenn er lammfromm ist und sich nicht aufregt.“

Chrissy, ich wusste gar nicht, dass Sie verheiratet sind.“

„Oh doch“, vergnügt lächelte diese vor sich hin und erklärte verschmitzt: „Mein Mann und ich haben vor fast zwei Jahren geheiratet. John war unser Trauzeuge.“

Hanna klappte der Mund auf. Ganz automatisch fuhr ihre Hand über ihren Bauch, als sich das Baby mit einem Tritt bemerkbar machte. „Das verstehe ich nicht. Ständig habe ich in den Medien etwas über Sie erfahren. Dass Sie verheiratet sind, wurde nie erwähnt.“

„Ich habe mittlerweile gelernt, wie ich mit der Presse umgehen muss.“ Sie schluckte schwer. „Wegen meiner Eltern stand ich bereits im Kleinkindalter im Mittelpunkt des Presseinteresses. Ständig zerbrachen Freundschaften und Beziehungen daran. Meinen Mann lernte ich in Chile kennen. Dort heirateten wir auch und haben ein Haus. Wenn ich in den Staaten bin, reise ich meistens allein. Niemand ist uns bisher auf die Schliche gekommen.“

„Oh.“

Ernst erklärte Chrissy: „Hanna, Sie müssen sich wirklich keine Sorgen machen. John ist mein liebster und bester Freund, außerdem ist er mit meinem Mann Javier befreundet. Falls wir einmal Kinder bekommen, wäre John der erste Mensch, der als Patenonkel infrage käme, aber wir würden in hundert Jahren kein Paar mehr werden.“

Hanna schluckte schwer und gestand nach einer Weile: „Wissen Sie, dass John mir dasselbe erklären wollte, als ich wegen Ihnen eifersüchtig war? Ich habe es ihm nur nicht wirklich geglaubt.“

„John lügt nie.“

Verlegen zuckte Hanna mit der Schulter und griff nach ihrer Teetasse. „Das habe ich auch nie geglaubt, aber ich war verwirrt und verunsichert.“ Sie seufzte. „Es gab Fotos von Ihnen und John.“

„Aha.“

Nachdenklich rührte sie in ihrer Tasse. „Ja, und … und der Artikel war alles andere als schmeichelhaft mir gegenüber. Jedenfalls war ich sehr verletzt.“

„Was ich gut verstehen kann.“

Hanna schwieg.

„Wie weit sind Sie?“ Chrissy deutete auf ihren Bauch und erwiderte auf Hannas panischen Blick mit ruhiger Stimme „Keine Sorge, von mir erfährt er kein Wort. Das sollten Sie ihm unter vier Augen sagen.“

„Ich bin im sechsten Monat.“ Verlegen strich sie sich über den Bauch, der unter einer Latzhose und einer groben Strickjacke versteckt war. Hanna spürte, dass sie feuchte Augen bekam, als das Baby wieder gegen die Bauchdecke trat. „Ich kann es ihm nicht sagen.“

Chrissy seufzte tief auf. „John würde sich freuen, wenn er von dem Baby erfährt.“

„Ich weiß!“ Hanna wischte sich über die Augen. „John ist … ich weiß, wie John ist. Es hat nichts damit zu tun.“

„Er hat schreckliche Schuldgefühle wegen Ihnen.“

Hanna schüttelte den Kopf. „Das ist kompletter Unsinn. Es ist nicht seine Schuld gewesen, dass diese verrückte Frau auf mich losgegangen ist. Außerdem ist mir auch gar nichts passiert.“

„Hanna, er leidet“, Chrissy beugte sich vor. „Er ist verzweifelt, dass Sie ihn verlassen haben, und er denkt, dass es wegen dieses Angriffs war. John gibt sich die Schuld daran und denkt, dass Sie ihn deswegen verabscheuen.“

Entsetzt sah Hanna sie an und rief laut: „Aber … aber … ich liebe ihn doch …“ Sie unterbrach sich hastig und spürte brennende Röte in ihre Wangen steigen, weil sie sich verraten hatte. „Ich … ich meine damit nur, dass der Angriff nichts mit der Trennung zu tun hatte.“

„Warum haben Sie sich dann von ihm getrennt? Warum, wenn es nichts mit dem Angriff und Johns Ausraster zu tun hatte?“

Hanna stockte und verengte verwirrt die Augen. „Welchen Ausraster meinen Sie, Chrissy?“

„Sie wissen das gar nicht?“ Chrissy schluckte. „Dann möchte ich es Ihnen nicht sagen.“

„Nein“, warf Hanna entschieden ein. „Nein, Sie müssen es mir sagen! Was meinen Sie mit Ausraster?“

Chrissy machte ein gar nicht glückliches Gesicht. „Hören Sie, Hanna, es wäre John bestimmt nicht recht …“

John wäre es sicher auch nicht recht, dass Sie als seine beste Freundin hinter seinem Rücken zu mir geflogen sind und ihm das Baby verschweigen.“ Hanna sah sie provozierend an.

Chrissy blieb beinahe die Luft weg und sie starrte Hanna verblüfft an. „Moment mal! Sie sind gar nicht so schutzbedürftig und hilflos, wie ich Sie eingeschätzt habe!“

Lächelnd schüttelte Hanna den Kopf. „Hat John Ihnen das etwa gesagt?“

„Ehrlich gesagt: John sagt in letzter Zeit sehr wenig und über Sie redet er mit mir überhaupt nicht.“

„Chrissy, bitte. Seit ich New York verlassen habe, weiß ich nicht, was passiert ist.“ Hanna sah sie flehentlich an.

Die Blondine verzog das Gesicht und verschränkte die Hände ineinander. „John ist wegen Ihnen völlig durchgedreht und hat einen Reporter verprügelt.“

Hanna schnappte nach Luft. „Wie bitte?!“

Chrissy nickte. „Es gab glücklicherweise keine Anzeige, da John dem Mann ein Schmerzensgeld zahlte, außerdem war die Öffentlichkeit der einhelligen Meinung, dass dieser schmierige Zeitungsfutzi es verdient hatte, dennoch hatte irgendjemand die Prügelei gefilmt und ins Netz gestellt.“

Immer noch fassungslos starrte Hanna in das hübsche Gesicht ihres Gastes, der sich gezwungen fühlte, fortzufahren. Zögernd strich sich Chrissy eine blonde Strähne hinter das Ohr. „Einen Tag, nachdem Sie New York verlassen hatten, hielt John mit seinen Spielern ein offenes Training ab. John sah schrecklich aus, hatte dunkle Ringe unter den Augen und schien abwesend zu sein, als er die Presse entdeckte.“

„Und?“ Ungeduldig beugte sich Hanna vor.

„Dann beging dieser Journalist den Fehler, John ein Foto von Ihnen zu zeigen, das Sie bei Ihrem Abflug mit gegipster Hand, Pflastern und Abschürfungen im Gesicht zeigte. Er rief, dass John froh sein könnte, Sie los zu sein und einige andere Kommentare …“ Chrissy schluckte. „Da ist John ausgerastet.“ Sie schüttelte den Kopf. „So habe ich ihn noch nie gesehen. Ohne Vorwarnung ist er auf den Journalisten losgegangen und hat auf ihn eingeprügelt. Es gab einen riesigen Tumult. Einige der Footballspieler mussten John von dem Journalisten wegziehen.“

„Oh mein Gott“, flüsterte Hanna entsetzt.

„Irgendein anwesender Fan buhte und warf John vor, das Spiel wegen Ihnen verpasst und dem Team geschadet zu haben. Daraufhin beschimpfte John ihn als Arschloch und musste regelrecht vom Platz gezerrt werden.“ Chrissy sah immer noch ungläubig aus.

Hanna musste das erst einmal verdauen. „Erzählen Sie mir jetzt auch kein Märchen?“

„Sie können es sich selbst anschauen, wenn Sie es im Internet anklicken. Tagelang war es eines der meistangeschauten Videos.“

„Oh nein“, Hanna schüttelte den Kopf. „Was passierte mit John?“

„John hat am nächsten Tag gekündigt.“

Fassungslos starrte Hanna sie an. „Er hat was getan?“

Chrissy wirkte nun sogar ein wenig empört. „Natürlich hat er gekündigt! Denken Sie tatsächlich, dass er keine Konsequenzen daraus zieht, was mit Ihnen passiert ist? Er hat sogar eine kurze Pressekonferenz gegeben, in der er verkündet hat, dass er nicht länger für New York als Coach arbeiten könne, da er wütend und enttäuscht darüber sei, wie man sein Privatleben und seine Angehörigen behandele.“

Verwirrt schaute Hanna ins Leere.

„Hanna, was haben Sie denn gedacht, was er täte?“

Hanna schluckte. „Er hat wegen mir gekündigt?! Warum hat er das nicht erzählt?“

Chrissy schnaubte ironisch auf. „Nach meinem letzten Telefonat mit John hatte ich den Eindruck, dass Sie seine Anrufe ignoriert haben.“

„Das stimmt.“ Hanna vergrub ihre Stirn in der linken Hand und kniff die Augen zusammen. „Verstehen Sie mich nicht falsch“, krächzte sie, „aber ich … ich wollte und konnte ihm nicht zuhören oder mit ihm sprechen, weil ich dann ganz sicher meine Meinung geändert hätte.“

„Das wäre gut gewesen“, Chrissy seufzte. „Warum haben Sie ihn im Krankenhaus abgewiesen? Er war völlig fertig mit den Nerven“, ihre Stimme klang anklagend.

Hanna sah sie mit feuchten Augen an. „Ich habe es nicht mehr ausgehalten – deshalb! Ständig schrieb jemand eine Verleumdung oder Beleidigung über mich. Fotos wurden mit ziemlich verletzenden Botschaften über mich gedruckt, oder ich las, dass John schon längst eine andere, bessere, hübschere und passendere Freundin hätte, was mich extrem verunsicherte. Ich konnte nicht mehr zur Arbeit gehen, weil sich Journalisten in meine Vorlesung schmuggelten und belästigten. Fans nannten mich Goldgräberin und warfen mir vor, John mit einem Kind einfangen zu wollen. Dann werde ich von Johns verrückter Stalkerin angegriffen und verprügelt. Im Krankenhaus werde ich mit einem gebrochenen Unterarm und einer Gehirnerschütterung wach, während John an meinem Bett sitzt und weint“, Hanna schluchzte auf. „Und alles, woran ich in Panik denken kann, ist, dass er das Spiel verpassen wird und wegen mir vielleicht seinen Traumberuf aufgeben könnte. Wegen mir sollte er sich nicht gezwungen fühlen, seinen Job an den Nagel zu hängen!“

Chrissy sah sie nach diesem Gefühlsausbruch schockiert an. „Warum haben Sie es ihm denn nicht gesagt!“

„Verdammt, ich wollte nicht mit seinem Beruf konkurrieren! Ich weiß genau, wie viel ihm seine Arbeit bedeutet.“

„Also haben Sie ihn gar nicht wählen lassen und sind einfach fortgegangen?“ Chrissy schüttelte den Kopf. „Das war dumm.“

„Es war rational!“ Hanna sah sie trotzig an.

„Ich glaube, ich verstehe“, Chrissy fixierte sie ernst. „Sie hatten Angst, dass er sich nicht für Sie entscheiden würde!“

Verzweifelt schüttelte Hanna den Kopf. „Sie sind nicht die einzige Person auf dem Planeten, der John kennt, Chrissy. Ich weiß, dass er sich für mich entschieden hätte, weil er der verantwortungsvollste Mensch ist, den ich kenne.“

„Und was war dann Ihr Problem?“

Sie schluckte die beißenden Tränen hinunter. „Ich hätte es nicht ertragen, wenn er mich irgendwann einmal für diese Entscheidung verabscheut hätte.“

„Sind Sie verrückt?“ Chrissy schüttelte ungläubig den Kopf. „Wie können Sie das nur gedacht haben?“

Mit trauriger Stimme gestand Hanna: „Er soll glücklich sein. Ich will einfach nur, dass er glücklich ist.“

Chrissy schnaubte trocken auf. „Dann haben Sie einen entscheidenden Fehler gemacht, Hanna, denn er ist alles andere als glücklich.“

Nachdem Chrissy endlich gegangen war, wollte sich Hanna endlich hinlegen und den aufreibenden Nachmittag vergessen. Doch stattdessen saß sie an ihrem Computer und starrte verwundert auf die Bilder vor ihr, die John zeigten, der relativ gefasst, aber mit mörderischer Wut in den Augen ein Interview gab, um seinen Rücktritt zu erklären.

Gespannt saß sie im Schneidersitz auf ihrem Sessel und stützte sich mit den Ellbogen auf der Tischplatte ab, während das Video lief: John saß neben dem Pressesprecher des Vereins, dem Besitzer und seinen Co-Trainern. Während niemand richtig glücklich aussah, schien John jeden Moment zu explodieren. Hanna war deshalb noch immer ziemlich irritiert, denn so kannte sie ihn kaum.

„Eine Frage an Sie, John“, wollte ein seriös wirkender Reporter wissen. „Nehmen Sie Ihren Abschied als Konsequenz für Ihren gestrigen Ausbruch oder hat es etwas mit der Niederlage im letzten Spiel zu tun?“

Gewitterwolken zogen sich über Johns Kopf zusammen. „Weder das eine noch das andere.“

Dies war wohl keine zufriedenstellende Antwort, denn der Reporter versuchte es ein weiteres Mal, „gab es bereits Gespräche für Ihren Abschied vor dem Spiel am letzten Sonntag?“

Der Pressesprecher beugte sich vor und erklärte: „Der Abschied von John Brennan kam nach internen Gesprächen zwischen allen Beteiligten zustande.“

„Also können wir davon ausgehen, dass Coach Brennan als Strafe für sein Fernbleiben während des Spiels gefeuert wurde“, fragte ein weniger seriös wirkender Journalist.

George MacLachlan beugte seinen fast kahlen Kopf nach vorne. „John ist ein phantastischer Trainer. Jeder innerhalb dieses Vereins hat vollstes Verständnis dafür, dass er am vergangenen Spiel nicht teilnehmen konnte.“

„Die Fans sehen das jedoch anders. Sie meinen, dass der Cheftrainer Schuld an der Niederlage war, da er nicht anwesend war. Hat der Vorstand der Verärgerung Rechnung getragen?“

Wieder erklärten der Pressesprecher und der Besitzer, wie wertvoll John als Trainer war, und dass es ein Abschied in guter Freundschaft sei, aber dass er nicht gefeuert worden war.

„Die Fans verstehen nicht, weshalb der Trainer an einem entscheidenden Spiel fehlte. Dass er nun das Handtuch wirft, stößt ebenfalls böse bei Ihnen auf. Dann dieser aus der Luft gegriffene Angriff auf einen Reporter …“

John beugte sich vor und gab seinen Mitstreitern ein Zeichen, dass er diese Frage übernehmen wolle: „Wollen Sie wissen, weshalb ich das Handtuch werfe, wie Sie es so schön ausgedrückt haben? Nun gut, ich liebe diesen Sport und ich habe diesen Verein jahrelang geliebt, aber wenn diejenige beleidigt, beschämt und verletzt wird, die ich am meisten liebe, muss ich Prioritäten setzen. Dazu gehört, dass ich die Titans von nun an nicht mehr coachen werde, weil die Fans, von denen Sie ständig sprechen, mich zutiefst enttäuscht haben. Ich bin vielleicht der Trainer dieses Vereins gewesen, das gibt jedoch niemandem das Recht, über mein Privatleben zu entscheiden oder zu richten.“

„Aber …“

„Ich bin noch nicht fertig“, er zog die Augenbrauen zusammen, während Hanna ihm gebannt zuhörte. „Hinter mir steht ein großartiges Team. Sowohl der Vorstand als auch alle Mitarbeiter des Vereins leisten großartige Arbeit, jedoch weigere ich mich weiterhin, hier zu arbeiten, wenn diejenigen, die mir nahe stehen, nicht mehr auf die Straße gehen können, ohne dass sie von so genannten Fans attackiert oder ausgebuht werden. Mir selbst ist es ziemlich egal, ob es bei den Anhängern böse aufstößt, dass ich am Sonntag nicht da war – Tatsache ist, dass meine Freundin verletzt ins Krankenhaus kam, weil sie von einem verrückten Fan angegriffen wurde. Das wäre nicht passiert, wenn man in den vergangenen Monaten mein Privatleben respektiert hätte. George MacLachlan hat sich bei mir für die Vorfälle entschuldigt, was überhaupt nicht nötig war, schließlich ging die Hetzkampagne gegen meine Freundin nicht auf das Konto des Vereins. Es waren Journalisten und einige Fans, die für die Beleidigungen verantwortlich waren. Leider muss ich mich mittlerweile schämen, jemals für New York gespielt zu haben.“ Er lehnte sich etwas zurück. „Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen.“

Zwischen Rührung und Trauer hin und hergerissen schluckte Hanna schwer und schloss den Bildschirm.

Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass in New York jetzt früher Nachmittag war, daher nahm sie ihr Telefon und wählte beklommen Johns Nummer. Jedoch nahm er nicht ab. Auf seinem Handy hatte sie ebenfalls kein Glück, da es abgestellt war. Nach einigen Augenblicken rief sie Maggie an und hatte Mühe, sie zu verstehen, weil ihr Herz so laut klopfte.

„Hallo Schätzchen, das ist aber eine nette Überraschung! Wie geht es dir?“

Hanna atmete zittrig ein. „Gut … nein, das heißt, mir geht es nicht wirklich gut. Maggie, ich muss mit John sprechen. Weißt du, wo er steckt?“

„John ist in New York.“ Maggie klang ein wenig ratlos. „Was ist denn los? Du klingst völlig aufgebracht.“

„Es ist nichts passiert“, Hanna biss sich auf die Unterlippe und versuchte das Zittern ihres Kinns abzustellen. „Aber … aber ich habe bemerkt, dass ich einen Fehler gemacht habe. Deshalb muss ich mit ihm sprechen.“

„John war letzte Woche mit einem Freund im Norden zum Skifahren. Aber ich habe vorgestern mit ihm gesprochen, als er zurück in New York war.“

„Oh … wie … wie geht es ihm?“

Maggie seufzte und erklärte nach einer Weile. „Na ja, Spatz, John ist halt John. Er zeigt es nicht, aber ich glaube, dass er momentan nicht sehr glücklich ist.“

Hannas Herz krampfte sich zusammen und sie krächzte heiser in den Hörer: „Das ist meine Schuld.“

„Ach, Liebes ...“

„Maggie … es tut mir so leid, was ich getan habe“, Hanna sackte in sich zusammen. „Ich habe alles falsch gemacht und nicht mit ihm geredet …“

„Oh Hanna, du hast nichts falsch gemacht. Du und John, ihr hattet es mit seinem Job und dem ganzen Druck, unter dem ihr standet, nicht einfach. Dann kam der Vorfall mit dieser Verrückten … das war zu viel für dich. John hat vollstes Verständnis dafür.“

„Darum geht es gar nicht“, sie starrte aus dem Fenster in die dunkle Nacht und wischte sich über die Nase, bevor sie die Hand auf ihren Bauch legte.

Es hatte ewig gedauert, bis sie bemerkt hatte, dass sie schwanger war. Während der ersten Wochen in London hatte sie lethargisch im Bett gelegen und ständig geschlafen, wenn sie nicht wie ein Schlosshund geheult hatte. Erst im dritten Monat war ihr aufgefallen, dass nicht nur ihr Liebeskummer an ihrer permanenten Müdigkeit und Heulerei Schuld war. Tagelang war sie schrecklich durcheinander gewesen, hatte sich geweigert, der Wahrheit ins Auge zu blicken, und ihre Schwangerschaft verleugnet. Erst beim ersten Ultraschallbild hatte sie auch an das Baby gedacht und war prompt in Tränen ausgebrochen. Bei jedem Tritt fragte sie sich heute, wie man jemanden so sehr lieben konnte, den man noch gar nicht kannte.

„Das musst du mir nicht sagen“, erwiderte Maggie sanft und riss Hanna aus ihren Gedanken heraus. „Es reicht, wenn du es John sagst.“