6. Kapitel

Als John sie abholte und fassungslos anstarrte, errötete Hanna vor Freude und konnte sich ein verlegenes Lächeln nicht verkneifen.

„Hanna ... Gott, du siehst zum Niederknien aus!“ Ganz Gentleman nahm er ihre Hand und drückte ihr einen bewundernden Kuss darauf.

„Danke.“ Sie legte den Kopf in den Nacken, um ihm ins Gesicht sehen zu können, und schloss mit einem Seufzer die Augen, als er ihr einen zärtlichen Begrüßungskuss auf die Lippen drückte. Es war zwar nicht so, als hätten sie sich tagelang nicht gesehen, aber sie vermisste ihn bereits nach wenigen Stunden. Erst heute Morgen war sie nach dem Frühstück in seiner Wohnung zur Universität aufgebrochen und hatte bis zum frühen Nachmittag gearbeitet, um dann eilig nach Hause zu fahren und Andie zu treffen, die ihr bei Frisur und Make-Up für die abendliche Gala geholfen hatte. Dank ihrer modebewussten Freundin hatte sie vor drei Tagen ein neues Abendkleid erstanden, das sie nun trug und das bewirkte, dass John die Augen nicht von ihr nehmen konnte.

Sie selbst hätte niemals vierhundert Dollar für ein Kleid ausgegeben, aber die hinterhältige Andie hatte Hannas Mom angerufen, als Hanna sich aus dem traumhaften, schulterfreien Kleid gekämpft hatte. Sobald sie die Umkleidekabine verlassen hatte, hatte Andie ihr mit einem zufriedenen Grinsen das Handy überreicht und daneben gestanden, als Hannas Mom ihr die Hölle heiß gemacht hatte, weil sie kein Sterbenswort über John verraten hatte. Sie bestand darauf, das Kleid zu bezahlen, und hatte ihrer Tochter einen Haufen mütterlicher Ratschläge gegeben.

Wenn Hanna nun Johns Blicke bemerkte, war sie Andie jedoch dankbar für deren Einmischung und das Talent, jemanden ausgehfertig machen zu können. Das Kleid war zwar einfach geschnitten und besaß eine herzförmige Korsage, unter der der lange Rock nach unten floss, doch das spektakuläre Smaragdgrün passte perfekt zu ihren roten Haaren, die Andie zu einer tollen Frisur geflochten hatte. Von Pauline stammten die schwarzen Ohrringe und die passende schwarze Clutch, die Hannas Outfit vollendeten.

Johns Blick wurde etwas heißer, als er ihre Brüste angaffte, die durch die Korsage nach oben gepresst wurden. „Oh Mann, das wird die Hölle auf Erden.“

„Was?“ Entsetzt wirbelte sie zu ihrem Spiegel herum und forschte nach, was ihn gestört haben könnte, doch gleich darauf trat er hinter sie und legte beide Hände auf ihren Bauch, der dank der figurformenden Unterwäsche viel flacher wirkte. Sein Mund senkte sich auf ihre glatte Schulter.

„Deine Brüste werden mich den ganzen Abend quälen – und ich werde nichts dagegen tun können.“

„Hmpf!“ Sie verengte die Augen und betrachtete den beinahe sabbernden Mann im Smoking hinter sich, der ihr gerade einen gehörigen Schrecken versetzt hatte. „Das ist überhaupt nicht lustig.“

„Finde ich auch“, jammerte er und schielte in ihren Ausschnitt.

„John!“ Sie war zwischen Tadel und Humor hin und hergerissen.

„Gut, ich werde mich beherrschen“, versprach er mit Märtyrerstimme. „Dafür darf ich heute Nacht alles machen, was ich will.“

Ihr perlendes Gelächter ging in einem Kuss unter, als er sie zu sich drehte. Es dauerte noch einige Minuten, bis sie endlich zur Gala fahren konnten, die wie jedes Jahr im altehrwürdigen Plaza Hotel stattfand.

Dort angekommen klammerte sich Hanna an John fest. Sie hatte zwar gewusst, dass ein Medienrummel auf sie warten würde, aber als sie nun mit der Wirklichkeit konfrontiert wurde, ahnte sie, dass sie keine Ahnung hatte, worauf sie sich eingelassen hatte. Bevor sie ausstiegen, erklärte John mit ruhiger und extrem gelassener Stimme: „Wir laufen einmal über den roten Teppich, posieren für ein paar Fotos und lächeln in die Kamera. Danach sind wir die Presse los.“

Formvollendet half er ihr aus der Limousine und hielt ihre Hand, als sie inmitten von anderen anscheinend ebenfalls prominenten Gästen an den aufgereihten Journalisten entlang liefen, die allesamt Johns Namen riefen.

Hanna kämpfte gegen den Drang an, eine Ohnmacht vorzuspielen, blieb dicht bei John und hätte nicht einmal bei einem Erdbeben seine Hand losgelassen. Da von ihm eine beruhigende Gelassenheit ausging, atmete sie innerlich einige Male durch und versuchte sich ein wenig zu entspannen.

Mehrmals blieb er stehen und blickte lächelnd in Richtung Fotografen, die ständig Anweisungen riefen, wohin sie doch bitte schauen mochten. Hanna merkte, dass vor Aufregung ihr Kinn zitterte, als sie lächelte, woraufhin sie seine Hand drückte. John lachte amüsiert und beugte sich zu ihr hinab, um ihr ins Ohr zu flüstern. „Schau ruhig mich an, Baby. Gleich ist es vorbei.“

Also hob sie das Kinn und musste den Kopf weit zurücklegen, um ihrem Freund ins Gesicht blicken zu können, weil er wie ein Riese neben ihr aufragte. Seine blauen Augen blitzten vor Vergnügen und seine Grübchen vertieften sich, als sie sich anblickten und die aufgeregten Journalisten ignorierten.

Urplötzlich verschwand die übelkeitserregende Nervosität und machte einem klopfenden Herzen Platz, als sie eigentlich zum ersten Mal am heutigen Abend wahrnahm, wie gut er in diesem Smoking und mit den leicht nach hinten gekämmten blonden Haaren aussah. Der Schnitt der schwarzen Smokingjacke betonte seine breiten Schultern und seinen muskulösen Oberkörper, während sich das gestärkte weiße Hemd von seinem gebräunten und kräftigen Hals absetzte. Sie konnte kaum glauben, dass jemand wie John ihr Freund war, und kam sich wie Cinderella im Märchen vor.

Händchenhaltend liefen sie weiter über den roten Teppich und blieben kurz vor dem Eingang bei einem Reporter stehen, der John ein Mikrofon unter die Nase hielt und ihn über die kommende Saison ausfragte.

„Möchten Sie uns Ihre Begleiterin nicht vorstellen, John?“

Lachend sah er auf sie hinab. „Eigentlich wollte ich sie noch ein wenig für mich allein haben, aber Ihre Kollegen waren leider schneller. Das ist meine Freundin Hanna.“

„Freundin?“ Der grauhaarige Journalist betrachtete sie neugierig, blieb dabei jedoch freundlich und lächelte Hanna ermutigend zu. Eine Freundin oder eine feste Freundin?“

„Dass Ihre Zunft immer so neugierig sein muss“, tadelte John amüsiert. „Reicht es nicht, dass ich mit meiner bezaubernden Freundin hier bin und Händchen halte?“

„Touché.“ Der Journalist verbeugte sich kurz. „Hanna, darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?“

„Heute nicht, Zach“, widersprach John an ihrer Stelle und winkte gutmütig ab, bevor er Hanna ins Innere führte, wo die Presse keinen Zutritt hatte.

Erleichtert ließ sie sich gegen ihn sinken.

„Du hast das großartig gemacht.“

„Ich?“ Hanna sah ihn verwundert an und nahm ein Glas Champagner entgegen, das ein livrierter Kellner ihr reichte. „Ich habe doch gar nichts getan!“

„Du hast dich tapfer geschlagen.“

Einen Moment war sie von der opulenten Einrichtung, der Weitläufigkeit des Saals und den gutgekleideten Menschen wie geblendet. „Jetzt verstehe ich, was du meintest, als du von einer großen Sache gesprochen hast.“

Er lachte und nahm einen Scotch entgegen. „In spätestens einer Stunde wird dir der Kopf von den vielen Namen schwirren, die man sich sowieso nicht merken kann.“

„Ich kann’s kaum erwarten“, murmelte sie und nippte an ihrem Glas.

Eine Stunde später saß sie mit unbekannten Menschen an einem großen Tisch und schaute der Vorstellungsrunde auf der Bühne zu, als der Teambesitzer George MacLachlan stolz seinen neuen Cheftrainer und das aktuelle Team für die kommende Saison präsentierte. Leider musste Hanna gestehen, dass sie nur Bahnhof verstand, denn sie wusste weder was ein Quarterback noch was ein Tackle oder Center war. Sie wusste nur, dass auf der breiten Bühne mehr furchteinflößende Muskelberge standen als bei einem Bodybuilding-Wettbewerb. Sie wirkten wie eine Armee, da alle Spieler Smoking trugen, auch wenn einige von ihnen einen leicht exzentrischen Hauch aufwiesen. Da gab es beispielsweise einen bulligen Spieler, dessen Ohren wegen der vielen Diamanten glitzerten, und seinen halslosen Teamkollegen, der kein weißes, sondern ein pinkfarbenes Hemd und ebenfalls pinke Sportschuhe trug.

Nach einer halben Ewigkeit und einigen Ansprachen war die Vorstellungsrunde beendet und die Spieler trotteten zurück zu ihren Tischen, die im prächtig geschmückten Saal verteilt waren. John kam zusammen mit George MacLachlan, der ihm jovial die Hand auf den Rücken gelegt hatte, zurück zum Tisch und setzte sich wieder neben sie. Hanna verstand vielleicht nichts von Football, aber sie verstand, dass sie am wichtigsten Tisch der gesamten Veranstaltung saß, da neben dem Teambesitzer und seiner Frau, der Bürgermeister, ein Vorstandsmitglied eines Energiekonzerns, ein Senator und ein Medienmogul saßen.

John hatte sie bereits zu Anfang seinem Boss und dessen Ehefrau vorgestellt, die beide sehr höflich und freundlich gewesen waren. Vor allem der ältere Mann strahlte geradezu vor Gutmütigkeit und schien in John so etwas wie einen Ziehsohn zu sehen. Daher richtete er sein Wort beinahe ausschließlich an John, an dem alle Augen zu kleben schienen, als er über das Trainingsprogramm und mystische Taktiken sprach, die in Aliensprache verfasst worden waren. Hanna saß neben ihm und versuchte sich ihre Bewunderung für ihn nicht allzu sehr ansehen zu lassen, doch es fiel ihr schwer, schließlich gab er eine fabelhafte Figur ab, untermauerte seine Worte mit leichten Gesten und hatte ein ansteckendes Lachen, bei dem jedes Mal ihr Herz einen Satz machte.

Als der erste Gang serviert wurde, verlangsamte sich das Gespräch ein wenig, da alle mit ihren pochierten Wachteleiern auf getrüffeltem Brot zu tun hatten. John warf ihr einen leicht gequälten Blick zu, der anscheinend darauf zurückzuführen war, dass die Vorspeise sehr minimalistisch ausgefallen war. Ruckzuck hatte er die beiden kleinen Brotscheiben verputzt und spülte sie mit einem Schluck Weißwein hinunter. Hanna grinste in ihre Serviette und konnte Johns Reaktion verstehen. Mehrgängige Dinner zogen sich endlos hin und beinhalteten winzige Portionen. Sie konnte sich gut vorstellen, dass es den zahllosen Footballspielern im Saal nicht anders ging.

„John hat mir erzählt, dass Sie Politikwissenschaftlerin sind, Hanna?“

Ein wenig verblüfft sah sie in das gutmütige Gesicht von George MacLachlan, der ihr gegenüber saß und sie aufmunternd betrachtete. Sie nickte und überlegte, wann John die Zeit gefunden haben mochte, mit seinem Chef über sie zu sprechen. „Das stimmt. Ich arbeite momentan am Lehrstuhl für internationale Beziehungen der Universität.“

„Und Sie schreiben Ihre Dissertation zur amerikanischen Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg? Das ist ein sehr breites Feld. Worauf möchten Sie sich spezialisieren?“

Hanna legte beide Hände in den Schoss und erklärte: „Ich möchte herausarbeiten, inwieweit sich die antikommunistische Strömung innerhalb der jeweiligen Regierung auf die gesamte Außenpolitik der USA ausgewirkt hat.“

„Das klingt sehr spannend. Wie weit sind Sie denn, wenn ich fragen darf?“

„Ich hoffe, dass ich im nächsten Jahr veröffentlichen kann, jedoch halte ich in diesem Semester eine Vorlesung und zwei Kurse, die ziemlich viel Zeit kosten.“

John legte seinen Arm um ihre Schulter und zwinkerte seinem Chef zu. „Sie ist außerordentlich beliebt bei ihren Studenten, George. Du würdest nicht glauben, wie viele Komplimente sie bekommt.“

Verwirrt blickte sie John an und fragte zur allgemeinen Belustigung. „Woher willst du das denn wissen?“

„Internet“, er grinste. „Es gibt ein großes Online-Portal, in dem ich spioniert habe.“

„Soso“, sie räusperte sich verlegen und blickte seinen Chef an. „Mir scheint, Ihr Cheftrainer hat zu viel Freizeit, Mr. MacLachlan. Können Sie ihm keine Überstunden aufbrummen?“

Unter dem allgemeinen Lachen wurden die Vorspeisenteller abgeräumt und die Getränke nachgeschenkt.

„Dabei wollte ich Sie eigentlich bitten, ihn ein bisschen von der Arbeit abzulenken, Hanna, damit sich die Spieler nicht ständig bei mir über seine strengen Methoden beschweren.“

„Hey“, John grinste. „Ohne Fleiß, kein Preis. Das hast du mir gepredigt, als ich Rookie war, George. Ich gebe es nur weiter.“

Rookie?“ Fragend blickte Hanna ihn an. „Was ist denn ein Rookie? Ich dachte, du wärst Quarterback gewesen.“

Als selbst die anwesenden Damen amüsiert zu lachen begannen, musste sich Hanna eingestehen, dass sie anscheinend etwas Dummes gesagt hatte, und errötete schuldbewusst, doch niemand schien sich ernsthaft über sie lustig zu machen.

John schenkte ihr einen verschmitzten Blick und streichelte ihren Nacken. „Ich glaube, ich werde dir wohl Nachhilfe in Football-Wissen geben müssen.“

„Lassen Sie sich bloß nicht von ihm hochnehmen“, verlangte George MacLachlans Ehefrau mit einem Seufzer. „Ich weiß bis heute nicht, worum es in dem Spiel eigentlich geht.“

George MacLachlan erklärte kichernd: „Rookies werden die blutigen Anfänger genannt, die ihre erste Saison in der NFL spielen. Das gilt für alle Spieler, also auch für Quarterbacks.“

„Aha“, murmelte Hanna verlegen und sah John, der immer noch breit grinste, verstohlen von der Seite an.

Der zurückhaltende Mann zu ihrer Linken, der ihr als Vorstandsmitglied eines Energiekonzerns vorgestellt worden war, wandte sich ihr leicht zu und meinte zuvorkommend: „Sie sind wegen ihres englischen Akzents entschuldigt. Woher soll eine Engländerin auch wissen, wie Football gespielt wird? Es reicht, wenn Sie sich mit Fußball auskennen.“

„Danke“, sie schenkte ihm ein breites Lächeln.

George MacLachlan seufzte auf. „Tyron, du hast zu viel Zeit in Europa verbracht und zu viel Gefallen an Fußball gefunden. Football ist der einzig wahre Sport.“

Sein Freund schenkte ihm ein Lachen. „1998 war ich während der Fußballweltmeisterschaft in Frankreich. Glaub mir, George, daran kommt noch nicht einmal das Superbowl-Finale dran.“

Hanna unterdrückte ein Lachen und räusperte sich. „Mr. MacLachlan, da scheint er eventuell sogar Recht zu haben.“

Gespielt streng sah er sie an. „Sie auch, Hanna? Stellen Sie sich etwa auf seine Seite?“

„Oh nein“, erwiderte sie amüsiert. „Jedoch war ich damals auch in Frankreich und weiß daher, wie die Stimmung aussah. Zumal Frankreich Weltmeister wurde.“

„John“, tadelte George den Trainer seines Teams. „Wo hast du dieses Mädchen bloß aufgegabelt?“

Lachend rückte John seinen Stuhl näher an Hanna heran und legte seinen Arm noch fester um ihren Rücken. „In einem Taxi, George. Aber nimm es nicht persönlich, denn Hanna ist zur Hälfte Französin.“

Entschuldigend hob sie beide Hände und witzelte in einem näselnden Oxford-Akzent: „Nobody’s perfect.“

Lachend wurde das Thema gewechselt und typischerweise über die ersten Spiele der anstehenden Saison gesprochen, wobei John vor Begeisterung zu sprühen schien, als er mit den Anwesenden darüber diskutierte. Hanna hielt sich währenddessen an Tyron Fitzgerald, der viele Jahre im diplomatischen Dienst tätig gewesen war und fünf Jahre in Paris gelebt hatte, weshalb er ein phantastisches Französisch sprach, wie Hanna herausfand. Es war wunderbar, mit jemand anderem als mit ihrem Vater Französisch zu sprechen. Netterweise gab er ihr seine Karte und bot ihr an, sich bei seinen ehemaligen Kollegen umzuhören, falls sie Unterstützung bei ihrer Recherche zu den diplomatischen Tätigkeiten während des Kalten Krieges benötigte.

Nach dem Dessert nahm John sie mit zu den Tischen seiner Spieler und stellte sie ihnen vor. Unbehaglich betrachtete Hanna die aufgedonnerten Begleiterinnen einiger Spieler, deren Gesichter sie zu kennen schien. Tatsächlich hatte sie die schlanke Brünette, die gelangweilt vor ihrem noch vollen Dessertteller saß und ihre Nägel begutachtete, erst vor wenigen Tagen halbnackt in einem Modemagazin gesehen.

Hanna war ziemlich erleichtert, dass die superschlanken Modelfreundinnen anscheinend Besseres zu tun hatten und ihre Aufmerksamkeiten lediglich ihren Nägeln, Spiegelbildern oder Handys widmeten, während sie von ihren Begleitern ignoriert wurden, die es vorzogen, mit John zu plaudern. Anfangs stand Hanna den gigantischen Männern etwas zurückhaltend gegenüber, merkte dann jedoch sehr schnell, dass sie durchweg harmlos zu sein schienen – oder sie hatten einfach zu großen Respekt vor John, der besitzergreifend einen Arm um Hannas Taille geschlungen hatte.

An einem etwas abgelegenen Tisch saßen lediglich fünf Spieler, während die anderen Stühle frei waren. Vermutlich hatten die desinteressierten Footballer ihre Begleitungen bereits vergrault.

John schien den gleichen Gedanken zu haben, da er mit einem breiten Grinsen fragte: „Rabbit, habt ihr keine Mädels gefunden, die euch begleiten wollten, oder sind eure Cousinen bereits abgeholt worden?“

Ein schwarzhaariger Mann hatte gerade noch in seinem Stuhl gelümmelt, verdrehte nun jedoch seine hellblauen Augen und stöhnte genervt: „Weiber! Warum müssen die immer zusammen aufs Klo – wenn nicht wegen lesbischer Nummern?“

Gerade als sein Sitznachbar ihm in die Rippen stieß, um ihn auf Hanna aufmerksam zu machen, musste sie lachen. Erschrocken sah der Übeltäter nun auf und errötete, als ihm klar wurde, was er in Anwesenheit einer Frau – und dann noch vor der Freundin seines Coachs – von sich gegeben hatte.

„Das ist Rabbit, unser Pausenclown“, stellte John seinen Ersatzquarterback vor und seufzte vernehmlich auf, bevor er ihr auch die anderen Spieler vorstellte.

Ein sympathisch wirkender Mann mit Lachfältchen und grauen Strähnen fragte sie forsch: „Sie sind also der Grund, dass John wie ein verliebter Teenager ständig auf sein Handy starrt?“

„Mitch“, kam es warnend aus Johns Mund, verfehlte jedoch jegliche Wirkung, da er dabei errötete.

Hanna konnte ein breites Grinsen nicht unterdrücken und zuckte gespielt mit der Schulter. „Davon würde ich gerne mehr erfahren, wenn ich darf.“

„Oh, das würde ich ja tun“, wehrte Mitch ab. „Aber dann hätte ich vermutlich zu großen Stress mit meinem alten Freund hier“, er deutete auf John.

„Mitch ist unser Quarterback.“

„Außerdem kenne ich John seit über zehn Jahren“, informierte der sie.

„Ach!“ Hanna sah zwischen beiden hin und her. „Dann habt ihr früher zusammen in einem Team gespielt?“

Die übrigen vier Spieler unterbrachen ihr Gespräch und sahen sie leicht fassungslos an. Mitch dagegen zeigte seine Belustigung durch ein prustendes Lachen, während John sich grinsend räusperte.

„Liebling, ich habe dir doch erklärt, dass ich früher Quarterback war.“

Verwirrt blickte sie umher. „Ja ... und?“

„Mitch ist ebenfalls Quarterback“, meinte er geduldig. „Es gibt immer nur einen Quarterback in einem Team, der für die Offense spielt. Auch wenn Mitch oder ich als Ersatzquarterback engagiert gewesen wäre, hätten wir nie zusammen gespielt.“

„Oh ... okay.“ Sie zuckte mit der Schulter und nahm sich vor, einmal nachzulesen, was es mit diesem Quarterbackdingsbums auf sich hatte. Warum mussten Männer diesen Sport eigentlich so ernstnehmen?

Der eindeutig größte Riese unter den Spielern fragte mit einem trotteligen Ton: „Sie wussten nicht, wer der Coach ist?“ Sein Gesicht sprach Bände.

Amüsiert schüttelte Hanna den Kopf. „Leider nein.“

„Aber wie kann das sein?!“ Er kratzte sich am rasierten Kopf. „Selbst meine Grandma kennt den Coach und die kommt aus einem Kaff in Iowa und hat keine Glotze!“

„Kommen Sie aus Kanada?“ Ein stiernackiger Spieler verengte seine schwarzen Augen und musterte sie nachdenklich. „Sie haben einen komischen Akzent und wissen nicht, was ein Quarterback ist? Dann sind Sie bestimmt Kanadierin.“

„Eddie, bleib cool“, warnte ihn Mitch amüsiert.

„Ja, Eddie, bleib mal locker.“ Auch der schwarzhaarige Mann namens Rabbit winkte lässig ab und erklärte Hanna: „Er denkt, die Kanadier hätten mit Krieg und einem Football-Verbot gedroht. Nehmen Sie es nicht persönlich.“

John strich Hanna über den nackten Arm und erklärte an seine Spieler gewandt: „Ihr seid eine Plage und einzige Peinlichkeit. Nur fürs Protokoll: Hanna kommt aus England.“

Nun konnte Hanna miterleben, wie vier Spieler ein Gesicht machten, als hätte ihnen jemand mit einem Ball in die Weichteile geschossen. Sie wusste nicht, ob sie belustigt oder beleidigt sein sollte.

Fragend blickte sie zu John, der eine Grimasse schnitt, bevor Mitch lapidar sagte: „Die Jungs denken an den englischen Volkssport.“

„Fußball?“

„Das ist kein Sport“, widersprach der Stiernacken schnaubend.

„Jedenfalls kein Männersport“, Rabbit schüttelte angewidert den Kopf. „Kleine Mädchen können Fußball spielen ...“

„Oder Weicheier“, ergänzte ein anderer Spieler.

Mitch blickte Hanna entschuldigend an. „Das war’s dann wohl für heute.“

Zu gerne hätte Hanna miterlebt, wie das ganze Gespräch weiterging, aber John kannte sich besser aus und zog sie mit der Erklärung: „Ich glaube, bei denen ist mal wieder ein Anabolikatest nötig“, weiter.

Hanna kuschelte ihr Gesicht in das weiche Kissen und spürte einen hauchzarten Kuss auf ihrer Wange. Erschöpft öffnete sie mühsam die Augen und sah Johns Gesicht über sich schweben.

„Guten Morgen.“

„Guten Morgen“, er seufzte bedauernd. „Bleib noch liegen und schlaf weiter. Ich muss leider los.“

„Warum?“ Protestierend drehte sie sich auf den Rücken und gähnte leise. „Es ist Sonntag, John, und du hast doch frei.“

Er drückte ihr einen Kuss aufs zerzauste Haar. „Es tut mir leid, aber ich muss dringend ins Büro. Anscheinend gab es Probleme bei einer ärztlichen Untersuchung.“

„Hoffentlich nichts Schlimmes“, sie streichelte leicht benommen über sein Knie und schloss wieder die Augen.

„Es wird schon alles okay sein“, erwiderte er und zog die Bettdecke hoch, um sie wieder zuzudecken. „Ruh’ dich aus. Ich bin gegen Mittag wieder da.“

„Mhh.“

Sobald er weg war, fielen Hanna die Augen zu, jedoch wurde sie nach einer halben Stunde wieder wach und konnte einfach nicht mehr weiterschlafen.

Erschöpft strich sie sich durch ihr wirres Haar, als ihr Blick auf ihr schönes Abendkleid fiel, das ordentlich über einen Sessel in Johns Schlafzimmer gelegt worden war. Anscheinend hatte er sich die Mühe gemacht, das Kleid vom Boden zu retten, nachdem es gestern dort gelandet war, als sie sich hektisch die Kleidung ausgezogen hatten, um möglichst schnell ins Bett zu kommen. Bei dem Gedanken an den stundenlangen Sex erschauerte sie und fragte sich, wie John in der Lage sein konnte, so früh zur Arbeit zu fahren.

Sie waren mitten in der Nacht nach Hause gekommen und hatten ihren Berechnungen zufolge gerade einmal vier Stunden geschlafen. Der Schlafmangel, ein Champagnerschwips und ausdauernder Sex führten anscheinend dazu, dass man sich am nächsten Tag wie ein erfolgreicher Mount Everest-Besteiger fühlte: voller Adrenalin und doch ein körperliches Wrack.

Hanna zwang sich zu einer Dusche und trottete anschließend mit Johns Bademantel bekleidet in seine Luxusküche, um sich dort einen Tee zu machen. Sein nagelneues Apartment mit den großen Räumen und der modernen Ausstattung stand im völligen Kontrast zu ihrer kleinen und etwas altmodischen Wohnung. Jedoch stand sie ihrer Wohnung in puncto Gemütlichkeit ins nichts nach, da John sie selbst eingerichtet und mit persönlichen Gegenständen wie Fotos, Büchern und einer Menge Accessoires ausgestattet hatte. Sie fühlte sich hier unglaublich wohl und verbrachte gerne ihre Zeit in seiner Wohnung – am liebsten wenn auch John da war.

Mit der vollen Tasse und einem extrem leckeren Cookie bewaffnet setzte sich Hanna auf seine Couch, kuschelte sich in die wild gemusterte Decke und stellte den Fernseher an, der – wie sollte es auch anders sein, schließlich war John ein Mann – auf dem neusten technischen Stand war und die Ausmaße einer Plakatwand hatte. Da sonntagmorgens entweder nur Kinderfilme oder Gottesdienste liefen, blieb Hanna bei einem lokalen Frühstücksmagazin hängen, das gerade über die neusten Kinofilme berichtete.

Während Hanna überlegte, ob sie John nicht dazu überreden sollte, mit ihr ins Kino zu gehen und einen dreistündigen Film über die Russische Revolution zu sehen, wechselte der Moderator der Show das Thema und übergab an seine Kollegin, die sich um die Modetrends kümmerte.

Hanna nippte an ihrem Tee und knabberte an ihrem Cookie, der ihr jedoch plötzlich im Halse stecken blieb, als sie ihr Konterfei im Fernsehen zu sehen bekam.

„Guten Morgen, Ihr Süßen. Heute wollen wir in unserem wöchentlichen Style-Check zwei Frauen miteinander vergleichen, die eigentlich keine Gemeinsamkeiten haben, außer dass sie denselben Mann gedatet haben. Rechts sehen wir ein Foto Christine Shaw, der langjährigen Ex-Freundin von John Brennan, und links sehen wir seine derzeitige Begleiterin, mit der er sich gestern auf der alljährlichen Titans-Gala hat blicken lassen. Wie wir erfahren haben, heißt die rothaarige Begleiterin Hanna und ist Studentin hier in New York. Um die beiden Styles miteinander zu vergleichen, haben wir unseren Stylingexperten Rupert gebeten, sich beide Frauen einmal anzusehen.“

Ein geschniegelter und sehr schwul wirkender Mann mit Haartolle und pastellgrünem Hemd wurde im unteren Bereich des Bildschirms eingeblendet und begann sofort, über das Foto einer langbeinigen Blondine zu reden.

Hanna musste schlucken, als sie die hochgewachsene Blonde musterte, deren Haar zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden war, während sie mit einem strahlenden Lächeln in die Kamera sah. Ihr schlanker Körper steckte in einem schwarzen Minikleid mit Fransen, über dem sie eine cremefarbene, kurze Lederjacke trug. Ihre braunen Beine waren athletisch, extrem lang und steckten in schwarzen Halbstiefeln mit mörderisch hohen Absätzen. Sie war von den Zehen bis in die Haarspitzen elegant und dennoch absolut modern gestylt. Die breiten Ringe, die auf die Jacke abgestimmte Tasche sowie das dezente Make-Up vervollständigten dieses perfekte Outfit.

Der Stylingexperte Rupert schien der gleichen Meinung zu sein, denn er schwärmte:

„Chrissy Shaw hat wieder einmal Stil bewiesen, wie wir hier sehen können. Sie wirkt frisch und extrem cool, indem sie preiswerte Kleidung mit teurer Luxusware kombiniert und sich auch nicht scheut, Vintage zu tragen. Das Kleid, das sie trägt, war schon für vierzig Dollar zu haben, während die Lederjacke von Valentino ist und ein Vermögen kostet. Ich liebe ihr Aussehen und würde für ihre Beine glatt einen Mord begehen!“

Am liebsten hätte Hanna den Fernseher ausgeschaltet, als nun ihr gestriges Outfit unter die Lupe genommen wurde, doch irgendein selbstzerstörerischer Trieb zwang sie dazu, sich anzuhören, wie nun über sie geurteilt wurde.

„John Brennans aktuelle Flamme scheint sich im Rampenlicht nicht besonders wohl zu fühlen, was man an ihrer steifen Körperhaltung sehen konnte, dennoch hat sie meiner Meinung nach einen ganz guten Job gemacht. Trotzdem habe ich einige Kritikpunkte: Das Kleid hätte an einer größeren und schlankeren Person viel besser wirken können. Zwar kann sie mit einer beeindruckenden Oberweite auffahren, doch neben John wirkte sie gedrungen und noch kleiner, was auch an dem Korsagenschnitt des Kleides lag. Die Farbe des Kleids passte sehr gut zu ihrem Haar, das ich mir jedoch lieber offen gewünscht hätte. Diese Frisur wirkte leider etwas altbacken. Und obwohl ich ihre helle Hautfarbe sehr anziehend finde, wäre ein Kleid, das weniger ihre moppeligen Oberarme betont hätte, geeigneter gewesen.“

Die Moderatorin wurde wieder eingeblendet und zeigte ein falsches Lächeln, das Hanna Magenschmerzen verursachte.

„Danke, Rupert! Wir werden deine Bewertung an die Verliererin des heutigen Style-Checks weitergeben und hoffen, dass sie von jetzt an Oberarmtraining macht und sich Modetipps von ihrer Vorgängerin holt. Bis zur nächsten Woche!“

Hanna schaltete den Fernseher aus und legte den angegessenen Cookie beiseite, weil ihr der Appetit vergangen war. Gestern hatte sie sich trotz des enormen Rummels wohl gefühlt und hatte Johns bewundernde Blicke voller Freude registriert – sie hatte sich schön gefühlt, nur um jetzt eine kalte Dusche verpasst zu bekommen. Im Vergleich zu Christine Shaw, die auf dem Foto nicht nur unglaublich hübsch, sondern auch ehrlich sympathisch erschienen war, schnitt Hanna schlecht ab und wirkte tatsächlich altbacken.

Die Erinnerung an den herrlichen Abend und die spätabendlichen Tänze mit John, die von seinen Spielern ständig unterbrochen worden waren, weil sie ihn abklatschen wollten, verblassten angesichts der Kommentare zu ihren Oberarmen.

Als John wenige Stunden später nach Hause kam und sie abends ins Kino ausführte, gelang es ihm zwar, sie aufzumuntern und zum Lachen zu bringen, aber der Anblick der Paparazzi, die vor dem Kino Stellung bezogen hatten und sie bis zu Johns Wohnung verfolgten, verschlechterte ihre Laune zusehends.