2 – Geheimer Krieg?


Niemand anderer war im Boot. Alle waren sie ausgeschwärmt, um ihre Stände aufzustellen und sich unter die anderen zu mischen, um mit ihnen fröhlich zu sein und zu kämpfen und hart um Geschäfte zu ringen. Peregrine Joachim Henrys Schritte hallten hohl von den unverkleideten Metallwänden zurück, als er die Luftschleuse betrat. Das Boot war eine vierzig Meter lange Säule stählerner Unbequemlichkeit, die mit anderen, gleichartigen Säulen am Ende von Nomad Valley stand. Das provisorische Dorf war gute zwei Kilometer von den Booten wie eine Gruppe von Pilzen aus dem Boden gewachsen.

Normalerweise wäre Joachim jetzt ebenfalls dort gewesen, ruhig und freundlich wie immer. Aber er war Kapitän, und der Kapitänsrat hatte eine Zusammenkunft. Eine Zusammenkunft, die er nicht versäumen durfte, dachte er. Nicht mit der Nachricht, die er den anderen zu bringen hatte.

Er trat in den Gravitationsschacht und schwebte mit dem aufwärts gerichteten Strahl zum obersten Schlafraum, wo er seine Box hatte. Dort verließ er den Schacht, ging zu seinem Schrank hinüber, öffnete ihn. Eine Rasur konnte jetzt nicht schaden. Er fuhr sich mit dem Depilator übers Gesicht.

Gewöhnlich hielt er sich nicht mit Äußerlichkeiten auf – wie alle Nomaden trug er auf einer Fahrt, was ihm gerade beliebte – oder ging nackt. Normalerweise erforderten Planetenbesuche keinen Gesellschaftsanzug; doch eine Uniform erwartete man von ihm.

Was die Schale bei unseresgleichen ausmacht, überlegte er laut, während er in den Spiegel schaute. Er sah einen untersetzten, dunkelhäutigen Mann von mittlerer Größe mit grauem Haar, grauen Augen und Krähenfüßen. Das Gesicht war breit und von tiefen Furchen durchzogen, aber nicht alt. Mit sechsundfünfzig stand er am Beginn der mittleren Jahre, doch war er noch voller Vitalität.

Der Kilt mit seinem rot-schwarz-grünen Peregrine-Muster spannte um seine Hüften. War das verdammte Ding eingegangen? Nein; es stand zu befürchten, daß er zugenommen hatte. Nicht viel, aber Jere würde ihn damit aufgezogen und dann das Kleidungsstück für ihn weiter gemacht haben.

Jere.Fünfzehn Jahre war es jetzt her, daß sie die Lange Reise gemacht hatte. Und die Kinder waren groß geworden und hatten geheiratet. Nun ... Er fuhr fort, sich anzuziehen. Über das Hemd legte er eine reich bestickte Weste an, in deren Muster das Joachims-Wappen eingearbeitet war. Auf dem Ärmel trug er die Zeichen seines Ranges – Kapitän – und seiner Dienstgattung – Astrogation. Seine Füße schlüpften in Halbstiefel. Er schnallte ein Pistolenhalfter um und setzte sich eine gefiederte Mütze auf das kurz geschnittene Haar. Weil es der Tradition entsprach und von ihm erwartet wurde, trug er die massive goldene Halskette und ihr diamantenbesetztes Gegenstück. Schließlich schlüpfte er in einen purpurnen Umhang und legte Stulpenhandschuhe an.

Dann verließ Joachim den Raum und fuhr wieder den Schacht hinunter, durchquerte die Luftschleuse und stieg endlich die einziehbare Gangway-Leiter hinab. Aus dem Tal führte ein gewundener Pfad herauf. Den ging er jetzt mit leicht rollendem, an einen Bären gemahnenden Schritt hinunter. Der Himmel über ihm war von tiefstem Blau; das weite, grüne Land lag in hellem Sonnenlicht; der Wind trug das schwache, kristallene Lachen eines Glockenvogels zu ihm herüber. Kein Zweifel, der Mensch war nicht dafür geschaffen, sich in eine metallene Hülle zu setzen und von Stern zu Stern zu eilen. Kein Wunder, daß so viele das Nomadenleben aufgegeben hatten. Wer war dieses Mädchen gewesen – Seans Mädchen von Nerhus ...?

»Hallo, Hal«, sagte eine Stimme hinter ihm.

Er wandte sich um. »Oh, Laurie. Lange nicht mehr gesehen.«

Und Vagabond MacTeague Lauri, ein wandelnder Regenbogen in seiner Uniform, fiel in Joachims Schritt ein. »Gestern angekommen«, erklärte er. »Wahrscheinlich sind wir die letzten, und wir bringen Nachricht von der Wayfarer und der Pilgrim, daß sie es dieses Jahr nicht geschafft haben. Damit haben sich wohl alle Schiffe gemeldet – jedenfalls sagte Traveler Thorkild, er würde die Zusammenkunft heute einberufen.«

»Wird wohl so sein. In der Nähe von Canopus sprachen wir mit der Vagrant, und die kommt auch nicht. Hatte irgend etwas vor; ein neuer Planet mit Handelsmöglichkeiten, nehme ich an, und sie wollen ihn anlaufen, bevor es irgend jemand anderer tut.«

MacTeague stieß einen Pfiff aus. »Die scheuen wirklich keine Entfernung. Was habt ihr denn dort draußen gemacht?«

»Nichts Besonderes«, sagte Joachim unschuldig. »Haben uns nur ein bißchen umgesehen. Canopus ist noch freies Territorium; bis jetzt hat kein Schiff ein Anrecht darauf.«

»Warum aber so einen Sprung unternehmen, wenn ihr in eurem eigenen Territorium so viel Handel treiben könnt, wie ihr wollt?«

»Ich nehme an, Sie sind sich mit Ihrer Mannschaft einig?«

»Nun, mit dem größten Teil jedenfalls. Natürlich – ein paar schreien immer nach ›neuen Horizonten‹, aber bis jetzt sind sie noch immer überstimmt worden. Aber ... hm.« MacTeague kniff die Augen zusammen. »Wenn Sie sich draußen bei Canopus herumgetrieben haben, Hal, dann muß da Geld zu holen sein.«

Die Halle der Kapitäne stand am Rand eines steilen Abhangs. Als die Nomaden vor mehr als zwei Jahrhunderten Rendezvous entdeckt und zu ihrem Treffpunkt erkoren hatten, hatten sie die Halle gebaut. Zweihundert Jahre Regen, Wind und Sonnenlicht waren vergangen, und die Halle stand immer noch. Vielleicht würde sie auch noch stehen, wenn alle Nomaden den Weg in die Dunkelheit gegangen waren.

Der Mensch war ein kleines, stets von Eile getriebenes Ding; seine Raumschiffe durchmaßen Lichtjahre, und seine fieberhafte, von der Drohung des Todes angestachelte Energie ließ Tausende von Welten vom Ruhm seiner Taten widerhallen. Aber das alte, ewige Dunkel reichte weiter, als er es sich vorstellen konnte.

Auch die anderen Kapitäne kamen jetzt an – ein Rausch von Farben, ein Gewirr von Stimmen. Nur etwa dreißig erschienen zu diesem Treffen – vier Schiffe hatten gemeldet, daß sie nicht kommen würden, und dann gab es noch die vermißten Schiffe. Die Kapitäne hatten ihre Jugend durchwegs hinter sich, und manche von ihnen waren schon alt.

Die Bemannung jedes Nomadenschiffes bestand aus einem Clan – einer exogamen Gruppe, die sich von gemeinsamen Vorfahren herleitete. Durchschnittlich waren etwa fünfzehnhundert Menschen aller Altersstufen auf jedem Schiff, wobei die Frauen in die Schiffe ihrer Männer einheirateten. Das Kapitänsamt war erblich; jeder Nachfolger wurde aus den Männern dieser Familie gewählt, falls einer qualifiziert war.

Aber die selben Namen fanden sich in all diesen Schiffen wieder. Nur sechzehn Familien waren in der Traveler I, in welcher die ganze Nomadenkultur begonnen hatte, und durch Adoption waren nicht viel mehr hinzugekommen. Von Zeit zu Zeit, wenn einem Schiff Überfüllung drohte, taten die jüngeren Leute sich zusammen und gaben sich einen neuen Namen, und alle Nomaden halfen ihnen beim Bau eines Schiffes. Auf diese Weise hatte sich die Flotte vergrößert. Präsident des Rates aber war auf dem Wege der Erbschaft stets der Kapitän der Traveler – der dritten dieses Namens in den dreihundert Jahren, seit die ewige Reise begonnen hatte – und er war immer ein Thorkild.

Wanderer, Gypsy, Hobo, Voyageur, Bedouin, Swagman, Trekker, Explorer, Troubadour, Adventurer, Sundower, Migrant –Joachim sah, wie die Kapitäne die Halle betraten und fragte sich im stillen, welchen Namen sich das nächste Schiff geben würde. Die Tradition verlangte, daß er aus einer menschlichen Sprache stamme.

Als alle anderen hineingegangen waren, trat Joachim selbst auf die Veranda und schritt in die Halle. Es war ein großes und schönes Gebäude; Säulen und Wände waren aufs feinste verziert und mit polierten Metallreliefs und Gobelins geschmückt. Was immer man gegen die Nomaden sagen konnte, man mußte zugeben, daß sie gute Handwerker waren.

Joachim ging zum Tisch, sank in seinen Sessel, schlug die Beine übereinander und suchte nach seiner Pfeife. Er hatte sie eben angezündet und begann gerade, fröhlich blaue Rauchwölkchen auszustoßen, als Traveler Thorkild Helmuth das Wort an die Versammlung richtete. Thorkild war ein hochgewachsener Mann; Haar und Bart waren weiß. Seine Miene wirkte düster und streng. Aufrecht und steif saß er auf seinem geschnitzten Sessel.

»Im Namen des Kosmos, Rendezvous«, begann er formell. Joachim achtete kaum auf das Ritual, das dann folgte.

»Bis auf fünf sind alle Schiffe anwesend oder entschuldigt«, schloß Thorkild, »und somit eröffne ich diese Sitzung. Sie soll der Diskussion von Fakten und der Festlegung unserer Politik dienen und den Wählern Vorschläge unterbreiten. Wer wünscht das Wort?«

Mehrere der Anwesenden meldeten sich, wie gewöhnlich, doch ging es um nichts von besonderer Wichtigkeit. Die Romany wünschten, daß ein Gebiet im Umkreis von fünfzig Lichtjahren um Thossa herum als ihr Eigentum anerkannt werde. Das bedeutete, daß kein anderes Nomadenschiff ohne ihre Genehmigung dort forschen, Handel treiben, bauen oder sich anderweitig betätigen durfte. Die Romany hatte in diesem Gebiet den größten Teil der Erschließungsarbeit geleistet, lautete die Begründung. Dem Antrag wurde nach kurzer Diskussion stattgegeben.

Die Adventurer berichtete, daß der Shan von Barjaz-Kaui auf Davenigo, auch bekannt als Ettalume IV, eine neue Handelssteuer erhebe. Da der Plan dem Koordinationsdienst bekannt war, war es den Nomaden nicht möglich, den Shan mit Gewalt zu vertreiben. Doch konnte man vielleicht mit etwas Hilfe seine Regierung unterwandern und auf diese Weise einen freundlicheren Fürsten bekommen. War irgend jemand interessiert? Nun, vielleicht die Bedouin. Die Sache konnte später besprochen werden.

Die Stroller hatte unmittelbarere Schwierigkeiten mit den Cordys. Wie es schien, hatte das Schiff einer Rasse Schußwaffen verkauft, die für eine solche Technologie wohl noch nicht reif waren, und der Koordinationsdienst hatte Wind von der Sache bekommen. Es war angezeigt, daß alle Nomaden sich im Hinblick darauf für einige Zeit besondere Vorsicht auferlegten.

Die Fiddlefoot plante eine Fahrt zu Spica, wo sie mit Solar-Produkten Tauschhandel treiben wollte. Sie wünschte zu wissen, ob jemand beabsichtigte, sich an ihrem Unternehmen zu beteiligen. Von Sol bezogene Güter waren sehr teuer.

So ging es weiter – Antrag, Debatte, Argument, Gegenrede, Entscheidung. Joachim gähnte und kratzte sich. Schließlich war die Reihe an ihm, und er hob die Hand. »Kapitän Peregrine Joachim«, wandte sich Thorkild an ihn. »Sprechen Sie für Ihr Schiff?«

»Für mich selbst und ein paar andere«, sagte Joachim, »aber mein Schiff steht in dieser Sache hinter mir. Ich habe einen Bericht zu machen.«

»Sie haben das Wort.«

Die Augen der Männer am langen Ratstisch wandten sich ihm zu.

Joachim stopfte sich eine neue Pfeife. »Gewisse Vorfälle in den letzten Jahren haben mich ein wenig neugierig gemacht«, sagte er, »und ich habe meine Augen offengehalten. Ich habe das Verbrechen auf eine Weise rekonstruiert, daß man annehmen könnte, ich sei ein Cordy. Ich muß nämlich annehmen, daß es sich um ein Verbrechen handelt, vielleicht sogar um einen Krieg. Um einen stillen, aber um so erbarmungsloseren Krieg.« Er legte eine Pause ein, um den Tabak anzuzünden. »In den letzten zehn Jahren haben wir fünf Schiffe verloren. Nie mehr haben sie sich gemeldet. Was hat dies zu bedeuten? Ein- oder zweimal kann so etwas durch reinen Zufall passieren. Aber Sie wissen, wie sorgfältig wir verfahren, wenn es um Unbekanntes geht. Fünf Schiffe verloren – das ist einfach zu viel. Vor allem, wenn wir sie alle im selben Gebiet verlieren.«

»Einen Augenblick, Kapitän Peregrine«, sagte Thorkild. »Das trifft nicht zu. Diese Schiffe verschwanden in der Richtung von Sagittarius – aber das ist ein ungeheuer großes Gebiet. Der Kurs der einzelnen Schiffe verlief in völlig verschiedenen Bahnen.«

»J-ja. Vielleicht. Dennoch, das Gebiet der Union ist noch größer als der Raum, in dem unsere Leute verschwanden.«

»Wollen Sie damit sagen ... Nein, das ist lächerlich. Eine Anzahl anderer Schiffe hat dieses Gebiet unbehelligt durchflogen, und sie berichten, daß es völlig unzivilisiert ist. Planeten, mit denen wir in nähere Berührung kamen, haben sich als absolut rückständig erwiesen. Kein einziger davon hat das Stadium der Mechanisierung erreicht.«

»Gewiß.« Joachim nickte. »Aber ist das nicht eigentümlich? In einem derart gewaltigen Raum müßte es doch eigentlich eine Rasse geben, die wenigstens im Besitz der Dampfmaschine ist.«

»Nun, wir sind gelandet auf ... hm.« Thorkild strich sich über den Bart.

Romany Ortega Pedro, der ein geradezu photographisches Gedächtnis hatte, meldete sich zu Wort. »Das Volumen des Raums, in dem diese Schiffe verschwunden sind, beträgt überschlägig zwanzig bis dreißig Millionen Kubik-Lichtjahre. Dieser Raum enthält vielleicht vier Millionen Sonnen, die durchwegs Planeten haben müssen. Es ist ein nicht sehr vielversprechendes Gebiet, eben weil es so sehr zurückgeblieben ist, und nur wenige Schiffe haben es angelaufen. Soviel ich weiß, sind die Nomaden in diesem Bereich auf weniger als tausend Sternen gelandet. Glauben Sie also nicht auch, Joachim, daß Ihre Behauptung einer ausreichenden Grundlage entbehrt?«

»Nein. Ich habe das nur als kleinen – sagen wir: Hinweis – genannt. Aber ich wiederholte: Ich kann mir nicht vorstellen, daß in zehn Jahren fünf Schiffe durch unbekannte Krankheiten, verräterische Eingeborene, Gravitationswirbel oder ähnliches verlorengegangen sein könnten. So töricht waren die Kapitäne dieser Schiffe nicht.

Ich habe mit Nomaden gesprochen, die dort waren, und auch mit Außenseitern – mit Forschern, Händlern, Scouts, die neue Kolonien gründen wollten, mit allen, oder besser gesagt mit allem, denn ich hatte auch Kontakt mit einigen Anderlingen« – er meinte nicht-menschliche Raumfahrer – »die dort durchgekommen waren. Es ist mir sogar gelungen, Zugang zum Cordy-Amt auf Nerthus zu erlangen und dort die Galaktischen Dokumente einzusehen.

Der Weltraum ist zu groß. Selbst dieser kleine Ableger der Galaxis, den Menschen durchmessen haben, ist größer, als wir es uns vorstellen können – und wir haben unser ganzes Leben im Weltraum verbracht. Dreißigtausend Lichtjahre sind es bis zum Zentrum der Galaxie. Sie hat etwa hundert Milliarden Sonnen! Der Mensch wird sich so etwas nie richtig vorstellen können. Es übersteigt einfach sein Begriffsvermögen.

Nun liegt in Form von isolierten Fakten eine Menge von Information herum, und niemand macht den Versuch, das alles zu koordinieren und dann zu sehen, was die Fakten bedeuten. Selbst der Koordinationsdienst kann es nicht tun – er hat mit der Führung der Union schon zu viele Probleme, als daß er sich noch um Grenzgebiete und das, was jenseits davon liegt, kümmern könnte. Als ich mit meinen Nachforschungen begann, mußte ich feststellen, daß ich der erste war, der überhaupt an so etwas dachte.«

»Und was«, fragte Thorkild ruhig, »haben Sie herausgefunden?«

»Nicht allzu viel, aber es ist verdammt aufschlußreich. Auch Anderling-Schiffe sind in diesem Gebiet verschwunden. Bei den Schiffen des Koordinations- oder des Beobachtungs-Departements hingegen hat es nie Schwierigkeiten gegeben. Wenn ihren Schiffen etwas passiert wäre, hätten sie so blitzschnell Aufklärer hinausgeschickt, daß die bei der Rückkehr sich selbst begegnet wären. Verstehen Sie, was das heißt? Irgend jemand weiß eine Menge über unsere Zivilisation – genug jedenfalls, um zu wissen, wen man gefahrlos attackieren kann.

Dann gibt es jede Menge von E-Planeten – was auch zu erwarten ist –, und auf nicht allzu vielen von ihnen scheinen Eingeborene zu leben – was man wiederum nicht erwarten würde. Sie – nun, mindestens ein Dutzend davon erinnert einen an Rendezvous ... schöne, grüne Welten ohne eine Straße oder ein Haus.«

»Vielleicht sind sie ängstlich, wie hier auf diesem Planeten«, sagte Vagabond MacTeague. »Fünfzig Jahre waren wir hier, bevor wir wußten, daß es Eingeborene gibt. Und einen ähnlichen Fall gab es auf Nerthus, wenn Sie sich erinnern.«

»Die Nerthusier haben eine ungewöhnliche Kultur«, sagte Romany Ortega nachdenklich. »Nein, sehr wahrscheinlich sind diese Welten, von denen Sie da sprechen, wirklich unbewohnt.«

»Nun gut«, sagte Joachim. »Das ist noch nicht alles. In einigen Fällen wiesen E-Planeten das auf, was wir normale Kultur nennen würden: Häuser, Farmen und so weiter. In all diesen Fällen war die Kontaktaufnahme ziemlich einfach, und meistens schien der Anblick von Raumschiffen für die Eingeborenen nichts Neues zu sein. Aber als ich die Berichte miteinander verglich, stellte ich fest, daß keiner dieser Planeten je zuvor Besuch aus unserer Zivilisation erhalten hatte.«

»Einen Augenblick«, begann Thorkild. »Wollen Sie damit sagen ...«

»Mehr noch«, unterbrach ihn Joachim. »Unglücklicherweise sind wenige wissenschaftlich ausgerichtete Expeditionen in der X-Region gewesen, so daß wir keine genaue Beschreibung der Flora und Fauna haben. Allerdings war einigen von meinen Gesprächspartnern aufgefallen, daß es auf mehreren dieser für unbewohnt gehaltenen Planeten bemerkenswert ähnliche Pflanzen und Bäume gibt. Bei der Galaktischen Beobachtungsstelle erhielt ich darüber nützliche Informationen. Sie hatte festgestellt, daß es sich nicht nur um Ähnlichkeit handelte – ein gutes Dutzend Pflanzenarten auf sechs unbewohnten Welten war völlig identisch. Dafür gibt es doch nur die Erklärung ...«

»Wie haben denn die Leute von der Beobachtung das erklärt?« unterbrach ihn Fiddlefoot Kogama.

»Überhaupt nicht. Hatten zuviel anderes zu tun. Ihre Robot-Dokumentation unterstellte eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß die Ähnlichkeit auf – möglicherweise zufällige – Transplantation durch eine Tiunranische Expedition zurückzuführen sei.«

»Tiunra? Ich kann mich nicht entsinnen, davon jemals etwas ...«

»Wäre auch sehr verwunderlich. Es sind Bewohner eines M-Planeten auf der anderen Seite der Wega. Seltsame Kultur – schon gut fünfhundert Jahre, ehe der Mensch Sol verließ, kannten sie die Raumfahrt, waren aber nie an Kolonisierung interessiert. Soviel ich weiß, haben sie auch heute noch nicht viel mit der Union zu tun. Sind einfach uninteressiert.

Jedenfalls machte ich mir die Mühe, Tiunra anzuschreiben. Vor etwas über zwei Jahren schickte ich den Brief von Nerthus ab. Ich fragte die zuständige Stelle nach ihren Feststellungen über das X-Gebiet. Hatten sie dort draußen irgend etwas getan? Oder hatte man ihnen etwas getan?

Als wir vor sechs Monaten auf Nerthus waren, bekam ich Antwort. Sehr höflich; sie hatten sogar in menschlicher Basisschrift geschrieben. Ja, ihre Schiffe hatten vor etwa vier Jahrhunderten das X-Gebiet durchflogen. Von dem, was ich vorhin erwähnte, hatten sie aber nichts bemerkt. Waren auch sicher, weder zufällig noch absichtlich irgendwelche Transplantationen vorgenommen zu haben. Und sie hatten vier Schiffe verloren.

So.« Joachim lehnte sich zurück, streckte seine Beine unter dem Tisch aus und blies eine Reihe von Rauchringen in die Luft. »Das wäre es, meine Herren. Machen Sie damit, was Sie wollen.«

Stille trat ein. Durch das offene Portal hindurch kam der Wind und strich an den Wandbehängen entlang. Ein leichtes Metallrelief gab einen Ton wie ein kleiner Gong von sich.

Endlich meldete sich Ortega zu Wort: »Und die Tiunraner unternahmen nichts wegen ihrer verlorengegangenen Schiffe?«

»Nein. Sie mieden nur fortan diesen Teil des Weltraums«, sagte Joachim.

»Und sie haben die Koordinationsstelle nicht informiert?«

»Nicht daß ich wüßte. Allerdings wurden sie von der Koordination auch niemals gefragt.«

»Eine ernste Angelegenheit«, sagte Thorkild mit finsterer Miene.

»Das kann man wohl ohne Übertreibung sagen«, entgegnete Joachim.

»Sie haben keine hundertprozentig schlüssigen Beweise.«

»Vielleicht nicht. Aber untersuchen müßte man die Sache.«

»Also gut. Unterstellen wir die Richtigkeit Ihrer Vermutung. Das X-Gebiet, vielleicht das ganze Große Kreuz, wird beherrscht von einer uns unbekannten, feindlichen Zivilisation, die technologisch der unseren gleichwertig oder möglicherweise sogar überlegen ist. Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, wie man eine derartige Technologie geheimhalten sollte. Denken Sie nur an die Neutrino-Emission eines großen Atomkraftwerkes. Selbst wenn er viele Lichtjahre entfernt ist, finden Sie mit Hilfe eines Neutrino-Detektors einen Planeten, auf dem nukleare Energie erzeugt wird. Nun, vielleicht haben sie irgendeine Art von Abschirmung.« Thorkild klopfte mit seinem knochigen Zeigefinger auf den Tisch. »Also: Die mögen uns nicht und haben uns auch schon ein wenig ausspioniert. Welche Folgerungen müßten wir daraus ziehen?«

»Invasion – daß sie die Union erobern wollen?« fragte MacTeague.

Trekker Petroff sagte: »Vielleicht wollen sie nur in Ruhe gelassen werden.«

»Welchen Vorteil sollten sie sich denn von einem Krieg erhoffen?« protestierte Ortega.

»Über irgendwelche Motive kann ich nichts sagen«, erklärte Joachim. »Aber es können wohl nur nichtmenschliche Wesen sein. Wir müssen zunächst einmal annehmen, daß sie uns feindlich gesinnt sind.«

»Gut«, sagte Thorkild. »Sie haben am meisten über die Angelegenheit nachgedacht. Folgerungen?«

»Nun, sehen Sie sich doch die Karte an«, sagte Joachim mild. »Sowohl als kulturelle sowie als semi-politische Einheit dehnt sich die Union in Richtung auf Sagittarius, das galaktische Zentrum, aus. Das X-Reich liegt der Union genau im Wege. X, so friedlich es auch sein mag, könnte Gegenmaßnahmen für angebracht halten.

Und wo sind wir? An der sagittarius-seitigen Grenze der Union – und wir expandieren in die nicht kartographierten Regionen jenseits dieser Grenze. Genau in das Gebiet zwischen der Union und X. Der Koordinationsdienst der Union mag Nomaden nicht sehr, und X hat schon zu erkennen gegeben, was es von uns hält. Wir sind die Barbaren – mitten drin zwischen dem oberen und dem unteren Mühlstein!«

Wieder trat Schweigen ein. Der individuelle Tod schreckte sie nicht. Daß aber ihre ganze Sippe ausgelöscht werden könnte, war eine furchtbare Vorstellung; die ganze Geschichte der Nomaden war eine einzige lange Flucht vor kultureller Absorption gewesen.

Mehr als dreißig Schiffe mit etwa fünfzigtausend Menschen – Was ist zu tun?

Joachim beantwortete die unausgesprochene Frage mit einigen langsamen, nachdrücklichen Worten:

»Ich denke schon eine Zeitlang über diese Dinge nach, meine Freunde, und ich glaube auch, eine Art Antwort zu haben. Das erste Erfordernis für jede Art von Aktion ist Wissen, und wir wissen nicht einmal, ob X wirklich eine Bedrohung darstellt.

Hier ist mein Vorschlag. Unternehmen wir im Augenblick nichts. Natürlich wird kein Schiff in das Große Kreuz einfahren, doch ansonsten machen wir weiter wie bisher. Ich aber werde die Peregrinus zu einem Scout-Schiff machen. Und dann werden wir uns Kenntnisse über diese unbekannten Wesen verschaffen.«

»Was?« Thorkild blinzelte ihn an.

»Sicher! Dem größten Teil meiner Mannschaft werde ich zunächst erklären, daß es sich um eine Erkundungsfahrt handelt. Wir werden herumschnüffeln wie sonst auch, und ich werde die Schnüffelei so gestalten, wie ich es für am nützlichsten halte. Kämpfen können wir, wenn wir müssen, und bei Anwendung des Hyperdrive können wir ohnehin nicht verfolgt oder beschossen werden.«

»Nun, das klingt ... sehr gut«, sagte Thorkild.

»Natürlich«, lächelte Joachim, »dürfen wir bei unserer Arbeit in keiner Weise behindert werden. Ich brauche eine formelle Ermächtigung, die es mir und meiner Mannschaft erlaubt, jedes Gesetz der Nomaden, der Union oder irgendeiner sonstigen Autorität nötigenfalls zu umgehen oder zu brechen.«

»Hmmm ... Ich kann mir schon denken, worauf das hinausläuft«, sagte MacTeague.

»Außerdem«, sagte Joachim ungerührt, »wird sich die Peregrinus in einem primitiven – möglicherweise sogar feindlichen – Gebiet aufhalten und nicht die normalen Möglichkeiten der Finanzbeschaffung haben. Wir brauchen einen Anteil von sagen wir – zwanzig Prozent von allen bis zum nächsten Treffen anfallenden Profiten.«

»Zwanzig Prozent!«prustete Ortega.

»Sicher. Schließlich riskieren wir unser ganzes Schiff, oder?«