15. Kapitel
Vor den Bullaugen erstreckte sich ein eisiger tiefschwarzer Himmel bis in die Unendlichkeit; die Sterne glühten wie eine Million kalter Sonnen auf schwarzem Samt. Die Milchstraße spannte sich wie ein leuchtender Fluß über die Weite der Galaxis, der Orion ragte riesenhaft vor dem Nichts auf. Überall nur eisige Kälte und tiefes Schweigen.
Das Raumschiff schien in einem dunklen Ozean zu schweben. Die Sonne der Erde wurde ständig kleiner, als das Schiff in die Endlosigkeit hineinraste; jetzt lagen draußen nur noch die schweigende Nacht und die überirdische Pracht des Sternenhimmels. Während Peter Corinth die Sonnen beobachtete, die trotz ihrer gigantischen Leuchtkraft nur einsame Lichtpunkte in der ewigen Dunkelheit waren, glaubte er fast, seine Seele beben zu spüren. Das war endlich das Universum, das alle menschlichen Begriffe sprengte, denn selbst die unzähligen Sonnen verblaßten vor dem Geheimnis, das ihre Entstehung und ihre gegenwärtige Existenz wie ein undurchdringlicher Schleier umgab.
»Vielleicht mußt du zu Gott zurückfinden.«
Das war durchaus möglich. Wahrscheinlich hatte Helga recht gehabt. Jedenfalls hatte er hier etwas gefunden, das ihn von seinen eigenen trübseligen Überlegungen ablenken konnte.
Corinth seufzte leise, drehte sich um und betrachtete die verhältnismäßig geräumige Kabine, die er sich mit Nat Lewis teilte. In diesem Augenblick war er aufrichtig froh darüber, wieder etwas Endliches vor Augen zu haben. Lewis starrte auf die Instrumente vor sich und kaute dabei auf einer längst erloschenen Zigarre herum. Sein Gesichtsausdruck verriet keine besondere Gemütsbewegung, und er summte sogar eine Melodie vor sich hin, aber Corinth wußte, daß auch Lewis sich der Kälte und der Dunkelheit und der Einsamkeit vor den Bullaugen nicht völlig entziehen konnte.
Der Biologe nickte leicht. (Alles in bester Ordnung, Pete. Der Psi-Antrieb, die künstliche Schwerkraft, die Klimaanlage und alle anderen Geräte – wirklich erstklassig!)
Corinth ließ sich in einen der Sessel fallen und schlug die Beine übereinander. Die Reise zu den Sternen hatte also begonnen – das war ein Triumph, vielleicht sogar die größte Errungenschaft in der Geschichte der Menschheit. Dieser Flug garantierte dafür, daß die Menschen wieder ein neues Ziel vor Augen haben würden, so daß sie nicht auf ihrem unbedeutenden Planeten zu stagnieren brauchten. Nur er selbst als Einzelwesen empfand kaum Begeisterung über diesen Fortschritt. Vielleicht mußte er sich erst langsam daran gewöhnen, um die Bedeutung dieser Tatsache würdigen zu können.
Selbstverständlich hatte er sich immer eingebildet, genau zu wissen, daß der Kosmos für menschliche Begriffe unendlich war, aber dieses Wissen war nie mit einer bestimmten Vorstellung verbunden gewesen, sondern hatte sich immer nur in nüchternen Zahlenangaben erschöpft. Erst jetzt war es ein Teil seiner selbst geworden. Er hatte die Unendlichkeit mit eigenen Augen gesehen und hatte sie selbst erlebt; in Zukunft würde dieser Eindruck bestimmend sein.
Das Raumschiff bewegte sich durch einen Antrieb fort, der stärker als alle bisher bekannten Raketen war; es unterlag nicht mehr den Beschränkungen der Relativitätstheorie und besaß im Grunde genommen keinerlei Eigengeschwindigkeit, wenn es mit Überlichtgeschwindigkeit flog. Seine wahrscheinlichste Position veränderte sich fast unmerklich auf eine Weise, die nur mit Hilfe neuartiger mathematischer Begriffe zu bestimmen war. Es erzeugte sein eigenes künstliches Schwerefeld und bezog seinen Treibstoff aus der selbst im Weltraum überall vorhandenen Materie, denn für den Antrieb genügten bereits kaum meßbare Spuren interstellarer Materie. Seine Bildschirme, die automatisch den Dopplereffekt und andere Abweichungen kompensierten, zeigten die nächsten Sterne, die das menschliche Auge niemals ungeschützt hätte betrachten können. Das Raumschiff beförderte, schützte und ernährte seine verwundbare menschliche Fracht, und die beiden Männer, die das All durchquerten, waren sich ihrer Schwäche und Sterblichkeit wohl bewußt, ohne deshalb Angst zu empfinden.
Das Schiff wirkte trotz aller technischen Errungenschaften irgendwie unfertig. In ihrer Eile, die Arbeit einiger Jahrtausende in ebenso vielen Monaten zu verrichten, hatten die Konstrukteure vieles ausgelassen, was sie sonst hätten einbauen können. Dazu gehörten auch die Computer und Automaten, die jede Steuerung durch die Besatzung überflüssig gemacht hätten. Aber die beiden Männer mit ihrer gesteigerten Intelligenz rechneten ebenso rasch und genau wie jede Maschine, die bisher gebaut worden war – sie lösten komplexe Differentialgleichungen im Kopf, nur um die richtige Einstellung eines der zahlreichen Geräte zu bestimmen. Das Projekt war geradezu mit verzweifelter Eile vorangetrieben worden, weil alle Beteiligten ahnten, daß die Menschheit bald eine neue Aufgabe finden mußte, die sie daran hindern konnte, völlig zu resignieren. Das nächste Schiff würde anders aussehen, denn es würde bereits Verbesserungen enthalten, die das Ergebnis dieses ersten Versuchsfluges waren.
»Die Strahlung bleibt ziemlich konstant«, sagte Lewis. Der Rumpf des Schiffes war an der Außenseite geradezu mit Meßgeräten gespickt, deren Anzeigen in den Kontrollraum übertragen wurden. (Damit sind die bisher aufgestellten Theorien über die Entstehung der Sonne wahrscheinlich ziemlich widerlegt.)
Corinth nickte zustimmend. Das Universum – jedenfalls der Teil, den sie bisher durchdrungen hatten – schien Unmengen geladener Teilchen zu enthalten, die den Raum auf dem Weg von einem unbekannten Ausgangspunkt zu einem ebenso unbekannten Ziel durchstürmten. Oder stammten sie doch aus einer bestimmten Quelle? Vielleicht waren sie auch ein integraler Bestandteil des Universums – wie die Sterne und die Nebel.
»Selbst unser kurzer Flug durch diesen kleinen Teil der Galaxis dürfte vermutlich die meisten bisher aufgestellten astrophysikalischen Theorien umstoßen«, meinte Corinth. (Wenn wir zurückkommen, müssen wir eine neue Kosmologie begründen.)
»Wahrscheinlich auch eine neue Biologie«, meinte Lewis. (Seit der Veränderung befasse ich mich mit einigen Grundsätzen, die bisher gültig waren, und jetzt bin ich schon fast der festen Überzeugung, daß es Lebensformen geben kann, die nicht von Kohlenstoff abhängig sind.) »Aber das hat noch etwas Zeit.«
Das hat noch etwas Zeit – ein wahres Zauberwort!
Selbst das Sonnensystem würde erst im Laufe der kommenden Jahrzehnte vollständig erforscht sein. Die Sheila – im Grunde genommen hatte der Mensch den Animismus, seiner Hände Arbeit zu taufen, bereits überwunden, aber Corinth war sentimental genug, um das Raumschiff für sich mit dem Namen seiner Frau zu bezeichnen – hatte bereits den Mond auf einem Erprobungsflug besucht; die wirkliche Reise hatte mit einem Aufenthalt auf der Venus begonnen, deren unwirtliche Sandwüsten den Namen des Planeten noch unerklärlicher erscheinen ließen. Dann folgte die Landung auf dem Mars, wo Lewis sich kaum noch von verschiedenen Lebensformen trennen konnte, die er dort entdeckt hatte, und schließlich der Flug ins Unbekannte. In knapp zwei Wochen hatten die beiden Männer zwei Planeten besucht und sie wieder verlassen, um noch weiter vorzudringen. Die Konstellation Herkules lag achteraus; sie wollten die Grenzen des geheimnisvollen Feldes bestimmen, das die Entwicklung der menschlichen Intelligenz so lange behindert hatte. Dann stand noch ein Abstecher zu Alpha Centauri auf dem Programm, weil festgestellt werden sollte, ob die nächste Sonne ein Planetensystem besaß. Und das alles in weniger als vier Wochen!
Wenn ich wieder zu Hause bin, ist es schon fast Frühling ...
Der in diesem Jahr außergewöhnlich lange und harte Winter hatte das Klima der nördlichen Erdhalbkugel noch immer bestimmt, als sie mit dem Raumschiff gestartet waren. Es war ein kalter, dunkler Morgen gewesen. Niedrige Wolken zogen rasch über den schiefergrauen Himmel. Brookhaven war in dem leichten Schneetreiben kaum noch zu erkennen gewesen, während die Stadt dahinter völlig ausgelöscht war.
Nur wenige Zuschauer hatten sich um diese Zeit eingefunden, um die beiden Raumfahrer zu verabschieden. Die Mandelbaums waren selbstverständlich gekommen, und Rossman hatte sie begleitet. Auf dem Startplatz standen noch einige weitere Freunde und vor allem die Wissenschaftler, die an dem Projekt mitgearbeitet hatten. Aber es hatte weder Abschiedsreden noch Marschmusik gegeben, wie es früher üblich gewesen wäre.
Helga war ebenfalls gekommen; sie trug einen teuren schwarzen Pelzmantel, der ausgezeichnet zu ihren goldblonden Haaren paßte, auf denen die Schneeflocken wie glitzernde Juwelen hingen. Sie war geradezu unnatürlich gefaßt gewesen, und Corinth hatte sich gefragt, wie lange sie die Nervenanspannung nach dem Start des Raumschiffes ertragen würde, ohne in Tränen auszubrechen. Aber er hatte ihr nur schweigend die Hände drücken können, weil ihm selbst die Worte fehlten. Dann hatte sie mit Lewis gesprochen, während er selbst Sheila etwas abseits geführt hatte.
Sie sah in ihrem dicken Wintermantel winzig und zerbrechlich aus. Da sie in letzter Zeit immer mehr Gewicht verloren hatte, zeichneten sich die Knochen deutlich unter der blassen Haut ab, und die Augen wirkten unverhältnismäßig groß. Sie war nur ein Schatten ihre selbst, und die Hände, die in seinen lagen, zitterten merklich.
»Eigentlich dürfte ich dich jetzt nicht allein zurücklassen, Liebling«, sagte Corinth schuldbewußt.
»Du kommst ja bald wieder«, antwortete sie tonlos. Sie trug ein Make-up, und ihre Lippen waren blasser, als natürlich gewesen wäre. »Mir geht es allmählich wieder besser, glaube ich.«
Corinth nickte erleichtert. Kearnes, der bekannte Psychiater, war ein guter Mann, eine gutmütige Vatergestalt mit messerscharfem Verstand. Er gab offen zu, daß seine Therapie vorläufig nur Versuchswert hatte, weil er selbst nicht sicher beurteilen konnte, was in der Seele der neuen Menschen vor sich ging – aber er hatte bei der Behandlung einiger Patienten gute Erfolge erzielt. Kearnes lehnte so barbarische Methoden wie Operationen oder Elektroschocks ab und vertrat statt dessen die Theorie, der Patient brauche vor allem eine Trennung von der bekannten Umgebung, um dort unter sachverständiger Anleitung die Neubewertung seiner persönlichen Verhältnisse vorzunehmen, die allein Heilung bringen konnte ...
(»Die Veränderung bedeutet für alle Lebewesen, die ein Nervensystem besitzen, einen unvorstellbaren Schock«, hatte Dr. Kearnes gesagt. »Die Glücklichen – die Menschen mit dem starken Willen, die Entschlossenen, die Unbekümmerten und die vielen anderen, die jede Art von Gedankenarbeit schon immer als natürlich und angenehm empfunden haben – scheinen keine Schwächen davongetragen zu haben, obwohl ich vermute, daß wir gewisse Nachwirkungen bis an das Ende unserer Tage spüren werden. Aber die weniger Glücklichen leiden jetzt unter Neurosen, die in einzelnen Fällen sogar zu Psychosen geworden sind. Ihre Frau, Doktor Corinth – ich möchte Ihnen gegenüber völlig offen sein –, befindet sich gefährlich nahe an der Grenze zum Wahnsinn. Ihr früheres Leben, das stets ereignislos, bescheiden und behütet gewesen ist, hat sie nicht auf diese plötzliche radikale Veränderung ihrer selbst vorbereitet; und die Tatsache, daß sie sich weder um Kinder noch um das bloße Überleben zu sorgen braucht, hat unglücklicherweise bewirkt, daß sie sich ausschließlich mit sich selbst befaßt. Die früher möglichen Arten der Anpassung die verschiedenen Kompensationen, die schützende Vergeßlichkeit und die Selbsttäuschung, denen wir alle erlegen sind, nützen jetzt nichts mehr, und Ihre Frau hat es nicht verstanden, sich neue Auswege zu schaffen. Statt dessen hat sie immer wieder darüber nachgedacht, wodurch sich der Teufelskreis schließt. Aber ich glaube, daß ich ihr helfen kann; später, wenn wir größere Fortschritte gemacht haben, ist vielleicht eine völlige Heilung möglich ... Wie lange? Woher soll ich das wissen? Aber kaum länger als einige Jahre, wenn die Wissenschaft weiter so rasch voranschreitet; und in der Zwischenzeit muß Ihre Frau einsehen, daß man Glück und Ausgeglichenheit auch auf andere Weise kompensieren kann.«)
»Nun, ich ...«
Sheila sah plötzlich erschrocken zu ihm auf. »Oh, Pete, Liebling, Liebling, sei vorsichtig dort draußen! Komm zu mir zurück!«
»Darauf kannst du dich verlassen«, antwortete er und biß sich auf die Unterlippe.
(»Ja, es wäre nur gut für sie – glaube ich –, wenn Sie an der Expedition teilnehmen würden, Doktor Corinth. Die Sorgen um den abwesenden Mann sind besser als das Nachgrübeln über die Schatten, die sie im Augenblick vor allem beschäftigen. Auf diese Weise kommt wieder eine nach außen orientierte psychologische Zielsetzung zustande, die jedenfalls vorzuziehen ist. Ihre Frau ist von Natur aus keineswegs ein Mensch, der nach innen gekehrt leben kann ...«)
Plötzlich dröhnte der Boden unter ihnen, als sei die Erde selbst vor Schreck zusammengezuckt. Über ihren Köpfen verschwand die Transatlantikrakete röhrend und feuerspeiend in der niedrigen Wolkendekke; in einer halben Stunde würde eine zweite aus Europa kommend hier landen. Corinth hatte nur Augen für Sheila. Mit fünf Worten und Augen und Händen und Lippen sagte er zu ihr: »Wenn ich wieder nach Hause komme – ich freue mich schon jetzt darauf, Liebling! –, möchte ich dich wieder so gesund und munter wie früher sehen. Vielleicht erfinde ich dann einen Roboter, der die Hausarbeit erledigt, damit du ganz für mich da bist. Ich möchte nicht, daß uns etwas davon abhält, nur füreinander dazusein.«
Und in Wirklichkeit meinte er: Sei für mich da, Liebling, wie du es früher gewesen bist, denn ohne dich kann ich nicht leben. Laß alles so wie zuvor sein, laß uns wieder zueinander finden, sonst hat das Leben keinen Sinn mehr für mich.
»Ich werde es versuchen, Pete«, flüsterte Sheila. Sie hob die Hand und berührte sein Gesicht. Lewis' Stimme drang laut durch das Schneetreiben und den Wind: »Alle Mann an Bord!«
Corinth und Sheila ließen sich Zeit, und die anderen respektierten dieses Bedürfnis. Als der Physiker endlich hoch über dem Boden in der Luftschleuse des Raumschiffes stand, winkte Sheila noch einmal zu ihm hinauf. Aus dieser Höhe sah sie fast wie ein Kind aus.
Die Sonne der Erde war jetzt wenig mehr als der hellste Stern in ihrem Kielwasser; sie ging fast in dem Meer aus anderen Lichtpunkten unter, das sich hier jenseits von Saturn erstreckte. Trotz der ständig wachsenden Entfernung hatten die Konstellationen sich nicht oder nur unwesentlich verändert. Die Milchstraße und die geheimnisvollen Spiralen anderer Sternensysteme leuchteten noch immer so weit entfernt wie vor Jahrtausenden, als die ersten Menschen staunend zu ihnen aufsahen. Hier gab es weder Raum noch Zeit, sondern nur eine unendliche Weite, in der Kilometer und Jahre untergingen.
Die Sheila drang vorsichtig weiter in das Unbekannte vor. An den Ausläufern des Hemmfeldes bereiteten Lewis und Corinth die ferngesteuerten Raketen vor, die sie in das Feld hineinschicken wollten.
Lewis betrachtete nachdenklich die Meerschweinchen, die in ihrem Käfig darauf warteten, in eine der Raketen gesteckt zu werden. Sie erwiderten seinen Blick, als wüßten sie, was ihnen bevorstand. »Arme Teufel«, murmelte Lewis, »manchmal komme ich mir wirklich wie ein Schuft vor.«
Corinth schien nicht zugehört zu haben. Er sah zu den Sternen hinaus.
»Dein großer Fehler ist, daß du das Leben zu ernst nimmst«, warf Lewis ihm vor. Er setzte sich in den Sessel neben Corinth. »Das hast du schon früher getan, und die Veränderung hat dich nicht davon abgebracht. Im Gegensatz dazu habe ich – ich bin selbstverständlich in jeder Beziehung perfekt! – immer etwas gefunden, über das ich weinen oder schimpfen konnte. Aber gleichzeitig ist mir auch viel aufgefallen, was ausgesprochen komisch oder amüsant war. Wenn es einen Gott irgendwelcher Art gibt – und seit der Veränderung bin ich fast davon überzeugt, weil ich phantasievoller geworden bin –, dann hat Chesterton ganz recht gehabt, als er ihm Sinn für Humor zugeschrieben hat.« Lewis schüttelte bedauernd den Kopf. »Armer alter G. K. C.! Wirklich schade, daß er die Veränderung nicht mehr erlebt hat.«
An dieser Stelle seines Monologs ertönte eine Alarmklingel. Die beiden Männer zuckten zusammen und starrten die rote Warnlampe an, die regelmäßig blinkte. Gleichzeitig wurde ihnen schwindlig. Corinth klammerte sich an den Lehnen seines Sessels fest.
»Das Feld ... Wir nähern uns der Zone ...« Lewis drückte auf einen Knopf an dem komplizierten Kontrollpult. Seine Stimme klang heiser und undeutlich. »Wir müssen hier heraus ...«
Mit voller Kraft zurück! Aber das war nicht so einfach, denn die beiden Männer hatten es hier mit dem Potentialfeld zu tun, das die moderne Wissenschaft mit der letzten Wirklichkeit gleichsetzte. Corinth schüttelte den Kopf, kämpfte gegen das Schwindelgefühl an und beugte sich nach vorn, um Lewis zu helfen. Dieser Schalter ... nein, der dort drüben ...
Corinth starrte das Kontrollpult hilflos an. Ein Zeiger kroch über die rote Marke, sie hatten die Lichtgeschwindigkeit überschritten und beschleunigten noch immer, obwohl das bestimmt nicht seine Absicht gewesen war. Was nun?
Lewis ballte verzweifelt die Fäuste. Auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen. »Kurs um neunzig Grad ändern«, keuchte er. »Dann kommen wir tangential wieder heraus ...«
Für den Psi-Antrieb gab es keine Konstanten. Alle Einstellungen waren variabel und mußten es sein, weil sie nur Funktionen bestimmter Werte darstellten, die selbst veränderlich und voneinander abhängig waren. Die Einstellung ›voraus‹ konnte unter bestimmten Umständen ebensogut ›zurück‹ bedeuten; außerdem war noch das Unsicherheitsprinzip zu berücksichtigen, aber auch das unerklärliche Chaos einzelner Elektronen, abgeflachte Wahrscheinlichkeitskurven und die unvorstellbar komplexen Einflüsse, die Sterne, Planeten und denkende Menschen hervorgebracht hatten. Corinth gab sich alle Mühe, ein Dutzend Gleichungen zur selben Zeit zu lösen, kam aber zu keinem brauchbaren Ergebnis. Als das Schwindelgefühl abgeklungen war, sah er erschrocken zu Lewis hinüber. »Wir haben uns getäuscht«, murmelte er. »Das Feld beginnt fast ohne Übergang.«
»Aber ... die Erde hat doch einige Tage gebraucht, um es völlig zu verlassen, obwohl sie sich mit einer relativen Geschwindigkeit von ...«
»Vielleicht sind wir auf einen anderen Teil des Kegels gestoßen, der klarer begrenzt ist; unter Umständen haben wir ...« Corinth fiel erst jetzt auf, daß Lewis ihn verständnislos anstarrte.
»Ha?« sagte der andere – wie langsam!
»Ich habe gesagt ... Was habe ich eben gesagt?« Corinth spürte deutlich, daß sein Herz vor Angst rascher schlug. Er hatte zwei oder drei Worte gesagt und eine kurze erklärende Handbewegung gemacht, aber Lewis hatte ihn nicht verstanden.
Natürlich nicht! Sie waren jetzt beide nicht mehr so intelligent wie zuvor.
Corinth schluckte trocken. Dann wiederholte er das Gesagte langsam Wort für Wort.
»Oh, ja, ja.« Lewis nickte heftig, war aber offenbar so erschüttert, daß er nicht mehr sagen konnte.
Corinths Gehirn schien aus einer klebrigen Masse zu bestehen – aus Sirup oder Leim. Er hätte diesen Zustand selbst bei bestem Willen nicht anders beschreiben können. Er stürzte in die Dunkelheit zurück, er konnte nicht mehr klar denken und näherte sich mit jeder Sekunde mehr dem ursprünglichen Zustand, den er erst vor wenigen Monaten verlassen hatte.
Dieses Wissen wirkte wie ein Keulenschlag. Sie waren aus Versehen in das Feld eingedrungen, dem die Erde entkommen war; es verlangsamte ihre Reaktionen, sie verwandelten sich wieder in das, was sie vor der Veränderung gewesen waren. Das Schiff raste weiter und tiefer in das Feld hinein, und sie besaßen nicht mehr die erforderliche Intelligenz, um es zu kontrollieren.
Das nächste Schiff enthält bestimmt entsprechende Sicherheitsvorkehrungen, dachte Corinth in dem Chaos. Die anderen vermuten wahrscheinlich, was geschehen sein muß – aber was hilft uns das?
Er sah wieder hinaus und stellte fest, daß die Sterne vor seinen Augen verschwammen. Das Feld, überlegte er verzweifelt, wir kennen weder seine genaue Form noch seinen Umfang. Ich glaube, daß wir jetzt den richtigen Kurs steuern, vielleicht verlassen wir den Kegel bald – oder wir sind bis ans Lebensende hier gefangen.
Sheila!
Corinth senkte den Kopf. Die physische Belastung seines Körpers durch den plötzlichen Wechsel war so groß, daß er nicht mehr klar denken konnte. Er weinte.