1. Kapitel

Die Falle war bei Sonnenuntergang zugeschnappt. Im letzten Licht des Tages hatte das Kaninchen sich immer wieder gegen die Eisenstäbe geworfen, bis Angst und Schmerzen es förmlich lähmten. Es bewegte sich nicht mehr, als die Nacht und die Sterne kamen. Aber dann ging der Mond auf; sein kaltes Licht spiegelte sich in den großen Augen des verängstigten Tieres, das sich jetzt langsam aufrichtete.

Seine Augen waren nicht darauf eingerichtet, in der Nähe scharf zu sehen, aber nach einiger Zeit fielen sie auf die Klappe der Falle. Sie war hinter dem Kaninchen zugeschnappt, als es sich zu weit zwischen die Stäbe vorgewagt hatte. Während der Mond alles unwirklich beleuchtete, erinnerte es sich wieder an das Geräusch, mit dem die Falle sich geschlossen hatte, und stieß einen leisen Schreckenslaut aus. Die Klappe mit ihren massiven Eisenstäben ragte düster vor dem umliegenden Wald auf – und trotzdem war sie einmal geöffnet gewesen und war zugeknallt. Dieses Nebeneinander von Vergangenheit und Gegenwart war etwas völlig Neues für das ängstliche Tier.

Der Mond stieg höher und bewegte sich über einen Himmel voller Sterne. Eine Eule schrie mehrmals, und das Kaninchen erstarrte, als der große Vogel geräuschlos vorüberschwebte. Auch die Stimme der Eule drückte Angst, Verwirrung und einen unerklärlichen Schmerz aus. Dann war sie wieder verschwunden. Und das Kaninchen saß weiter in der Falle, starrte die Klappe an und erinnerte sich, wie sie zugeschnappt war.

Als der Himmel im Westen blasser wurde, ging der Mond allmählich unter. Vielleicht weinte das Kaninchen ein wenig auf seine Weise. Das Morgengrauen war vorläufig erst ein hellerer Streifen, vor dem sich die Eisenstäbe der Falle deutlich abhoben. Und am unteren Ende der Klappe befand sich ein Riegel.

Das Kaninchen rückte langsam, sehr langsam näher, bis es dicht vor der Klappe saß. Es schreckte vor dem Ding zurück, das ihm den Weg nach draußen versperrte. Es roch nach Menschen. Dann stieß es die Klappe mit der Nase an und spürte den Tau auf den kalten Eisenstäben. Die Klappe bewegte sich nicht. Aber sie war zugeknallt.

Das Kaninchen kauerte sich zusammen und stemmte die Schultern gegen den Riegel. Es strengte alle seine Kräfte an und drückte nach oben. Der Riegel schien sich bewegt zu haben. Das Kaninchen atmete keuchend vor Anstrengung, als es den Versuch nochmals unternahm. Diesmal rutschte die Klappe nach oben, und das Tier befand sich plötzlich wieder in Freiheit.

Einen Augenblick lang blieb es unbeweglich vor der Falle sitzen. Der untergehende Mond spiegelte sich hell in seinen Augen. Dann fiel die Klappe wieder nach unten, und das Kaninchen hoppelte davon.

 

Archie Brock hatte bis zum frühen Abend im Nordteil der Farm Baumstümpfe gerodet. Mr. Rossman legte großen Wert darauf, daß die Arbeit bis Mittwoch abgeschlossen war, damit er das neue Feld pflügen lassen konnte, und er hatte Brock versprochen, er werde ihm die Überstunden gut bezahlen. Brock ließ sich also sein Abendessen einpacken und rodete Baumstümpfe, bis die Dunkelheit hereinbrach. Dann machte er sich zu Fuß auf den vier Kilometer langen Heimweg, denn er durfte den Jeep oder einen der Lastwagen nicht benutzen.

Er war müde und stellte sich vor, wie schön es wäre, jetzt ein kaltes Bier zu haben. Zu beiden Seiten der Straße standen Bäume, die im Mondschein lange Schatten über die staubige Straße warfen. Brock hörte Grillen zirpen und einmal sogar eine Eule schreien. Er würde demnächst ein Gewehr mitnehmen und die Eule erlegen, bevor sie ein paar Hühner vom Hof holte. Mr. Rossman hatte nichts dagegen, wenn Brock auf die Jagd ging.

Eigentlich seltsam, daß er heute über alles mögliche nachdachte. Sonst ging er einfach gleichmäßig weiter, besonders wenn er so müde wie jetzt war, aber heute – vielleicht war der Mond daran schuld – erinnerte er sich an verschiedene Dinge, und in seinem Kopf formten die Wörter sich zu ganzen Sätzen, als spreche jemand. Er dachte an sein Bett und überlegte sich, wie schön es wäre, nach der Arbeit nach Hause fahren zu können; aber er war am Steuer nie ganz sicher und hatte schon einige Unfälle verursacht. Wirklich komisch, daß sie überhaupt passiert waren, denn plötzlich erschien ihm alles ganz einfach: Man brauchte nur ein paar Verkehrszeichen zu kennen und die Augen offenzuhalten – das war alles.

Seine schweren Stiefel wirbelten bei jedem Schritt kleine Staubwolken auf. Er holte tief Luft und spürte erst jetzt, wie kühl es bereits geworden war. Dann hob er den Kopf und sah zu den Sternen auf, die heute besonders groß und hell zu strahlen schienen.

Dann fiel ihm plötzlich ein, daß jemand einmal gesagt hatte, die Sterne seien wie die Sonne – nur weiter entfernt. Damals hatte er nicht recht verstanden, was das heißen sollte.

Aber vielleicht stimmte es doch, denn auch ein Licht konnte aus der Ferne winzig sein, obwohl es in Wirklichkeit riesig groß war. Aber wenn die Sterne tatsächlich so groß wie die Sonne waren, mußten sie schrecklich weit entfernt sein.

Er blieb plötzlich stehen und spürte, daß ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief. Mein Gott, wie weit die Sterne von ihm entfernt waren!

Er begann zu laufen.

 

Der Junge stand früh auf, obwohl er Ferien hatte und das Frühstück erst später auf dem Tisch stehen würde. Die Straße vor seinem Fenster wirkte in der Morgensonne sehr sauber und hell. Ein einzelner Lastwagen ratterte vorbei, und ein Mann, der einen weißen Kittel über dem Arm trug, ging auf die Molkerei zu. Sonst schien der Junge die ganze Welt für sich allein zu haben. Sein Vater war bereits vor einer halben Stunde aus dem Haus gegangen, Sis schlief noch und Mom legte sich meistens wieder eine Stunde ins Bett, nachdem sie Vater versorgt hatte.

Später wollte er mit seinem Freund zum Angeln gehen, aber zuerst mußte er an seinem Modellflugzeug arbeiten. Das Flugzeug sollte wirklich prächtig werden: eine F-80 ›Shooting Star‹ mit zwei CO2-Patronen als Triebwerke an den Flügelenden. Aber heute morgen erschien ihm das Modell weniger gelungen als am Abend zuvor. Er hätte gern echte Düsentriebwerke dafür gebaut.

Der Junge seufzte und schob die Arbeit beiseite. Er stand auf und holte sich Papier und Bleistift, um ein bißchen zu rechnen; er interessierte sich für Mathematik, und einer der Lehrer hatte ihm die Anfangsgründe der Algebra erklärt. Seine Mitschüler hatten sich darüber lustig gemacht, bis er sie nacheinander verprügelt hatte. Jedenfalls war Algebra viel interessanter als die übliche Rechnerei, denn hier konnte man wirklich etwas mit Buchstaben und Zahlen anfangen. Und der Lehrer hatte ihm gesagt, wenn er später Raumschiffe bauen wolle, müsse er noch viel mehr Mathematik beherrschen.

Er begann mit einigen Zeichnungen. Verschiedene Gleichungen ergaben verschiedene Kurven. Eigentlich komisch, daß x = ky + c immer eine Gerade ergab, während x² + y² = C in jedem Fall einen Kreis darstellte. Aber was passierte, wenn man ein x veränderte, so daß es 3 statt 2 bedeutete? Was wurde dann aus dem y? Daran hatte er noch nie gedacht!

Der Junge hielt den Bleistift fester und runzelte nachdenklich die Stirn. Man mußte die beiden Werte x und y sozusagen anschleichen, sie fast unmerklich verändern und dann ...

Als seine Mutter ihn zum Frühstück rief, befaßte er sich bereits mit Differentialgleichungen.