Dreißig
Ich muss eingeschlafen sein, denn das Nächste, was ich mitbekomme, ist die Kälte, die mich weckt. Als ich die Augen aufschlage, stelle ich fest, dass die Sonne verschwunden ist. Und mit ihr auch Mr. Darcy.
Fröstelnd recke ich meine steifen Glieder und blicke mich um. Nichts. Er ist definitiv fort. Und mit ihm die Reste des Picknicks. Er hat sogar den Pelz mitgenommen, bemerke ich, als ich überrascht auf meinen Schoß sehe. ›Nicht besonders ritterlich, was?‹, denke ich leicht gekränkt.
An seiner Stelle liegt ein einzelnes Schneeglöckchen. Mr. Darcy muss sich auf den Weg gemacht haben, um sich um die Angelegenheiten zu kümmern, von denen er sprach, und offensichtlich hatte er mich nicht wecken wollen. Stattdessen hat er mir dies hier als Abschiedsgeschenk dagelassen. Ich nehme es, drehe es zwischen Finger und Daumen hin und her und betrachte die zarten weißen Blütenblätter.
Offen gesagt, hätte ich es besser gefunden, wenn er mir den Pelz dagelassen hätte, denn ich friere mir regelrecht den Hintern ab.
Während ich mich mühsam erhebe, höre ich das leise Läuten meines Handys. Mit steifgefrorenen Fingern ziehe ich es aus der Tasche und sehe, dass es Stella ist. Ich frage mich, was sie will. Ich habe heute doch schon mir ihr gesprochen.
Ich gehe dran.
»Em?«
»Hey«, krächze ich, ziehe meinen Mantel enger um mich und trete von einem Fuß auf den anderen, um den Blutkreislauf wieder in Gang zu bringen. »Schön, deine Stimme noch mal zu hören.«
»Ach ja?«, erwidert sie mürrisch.
Einen Augenblick bin ich verblüfft, dann fällt es mir wieder ein. Oh verdammt. Sie muss meine E-Mail bekommen haben.
»Freddy trifft sich mit anderen Frauen.«
»Ich weiß, schließlich habe ich seine Mail an dich weitergeschickt, schon vergessen?« Auch wenn ich nicht mehr ganz so sicher bin, ob das richtig war.
»Ich fasse es nicht!«, schreit sie plötzlich.
»Wieso nicht?«
»Weil wir von Freddy reden«, stöhnt sie, als würde das alles erklären.
Plötzlich habe ich das Gefühl, Freddy in Schutz nehmen zu müssen. Mag sein, dass Stella meine beste Freundin ist, aber jetzt geht sie zu weit.
»Na und? Als er das letzte Mal nachgeschaut hat, hatte er einen Penis, oder?«
»Em!« Stella schnappt entsetzt nach Luft. »Ich fasse nicht, dass du das gerade gesagt hast. So etwas würdest du doch sonst nie sagen!«
»Stella, tut mir wirklich leid, aber irgendjemand muss dir mal den Kopf waschen«, fahre ich entschlossen fort. »Was hast du denn erwartet? Dass Freddy ins Kloster geht, nur weil du ihn nicht haben willst?«
»Ach, Em, das habe ich doch nicht gesagt«, winselt Stella. Das Ganze scheint sie wirklich mitzunehmen.
»Stimmt«, gebe ich zu. »Du hast es nicht genauso gesagt. Nein, es war mehr so etwas wie ›Wir könnten nicht verschiedener sein.Wir würden uns gegenseitig in den Wahnsinn treiben, wenn wir ein richtiges Paar wären. Freddy ist wirklich der netteste Mensch der Welt, und er könnte ein wunderbarer Partner sein, aber nicht meiner‹ …« Während ich meine Stimme verklingen lasse, herrscht am anderen Ende der Leitung Schweigen.
»Aber wir sind doch verheiratet«, sagt sie nach einer Weile lahm.
»Nur wegen der Greencard. Warst nicht du diejenige, die das bei jeder Gelegenheit betont hat?«, erinnere ich sie.
Wieder Schweigen am anderen Ende, nur dass es diesmal nicht durch eine witzige Bemerkung unterbrochen wird. Stattdessen höre ich einen abgrundtiefen Seufzer. »Oh Gott, ich war so eine Idiotin, stimmt’s?«, flüstert sie voller Reue.
»Das fällt dir ja früh ein«, antworte ich, wenn auch nicht unfreundlich. Stella ist kein schlechter Mensch, das Problem ist nur, dass sie nicht gesehen hat, was für einen wunderbaren Mann sie direkt vor der Nase hat.
Sie schnalzt abfällig mit der Zunge, und ich kann sie vor mir sehen, wie sie trotz allem lächelt.
»Ich will nicht, dass Freddy sich mit anderen Frauen trifft...«, sagt sie leise, als rede sie mit sich selbst.
»Wieso nicht? Soll ihn auch keine andere bekommen, obwohl du ihn nicht willst?«, frage ich ein wenig barsch. Ich glaube nicht, dass es so ist, trotzdem muss ich ihr die Frage stellen.
»Nein, das ist nicht der Grund«, kontert sie empört. »Das ist absolut nicht der Grund.«
»Warum dann?«
Es entsteht eine Pause.
»Ich liebe ihn.«
Ihre Stimme ist leise, aber bestimmt, und als ich diese drei Worte höre, will ich am liebsten die Faust in die Luft recken und laut »Ja!« schreien. Doch das überlasse ich Freddy. Also zügele ich mich. »Ich glaube, es gibt da jemand anderen, dem du das erzählen solltest.«
 
Nachdem sie mir versprochen hat, Freddy anzurufen und mich auf dem Laufenden zu halten, verabschiede ich mich von einer leicht benommenen Stella. Mittlerweile sind meine Hände beinahe steifgefroren, also stecke ich das Telefon in meine Tasche und ziehe meine Handschuhe über. Mein Gott, ist das kalt!
Während ich die Hände reibe, um sie etwas zu wärmen, denke ich an Stella und Freddy. Ich hoffe, die beiden schaffen es. Stella war eine Idiotin, aber manchmal scheint es, als müsse man erst etwas verlieren, um seinen wahren Wert zu erkennen.Wie Spike?
Mein Magen rebelliert, und – zack – plötzlich ist Spikes Brief wieder da, die Zeitungsartikel über Ernie, Mrs. McKenzies E-Mail … Probleme, Sorgen, Enthüllungen. Nun, da Mr. Darcy fort ist, muss ich der Realität wieder ins Auge sehen, und die Angst kehrt zurück. Ich weiß, dass ich nicht länger davor weglaufen kann. Ich muss all das in Angriff nahmen. Ich muss -
Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll, aber irgendwas muss geschehen. Die Hände in den Taschen vergraben, werfe ich einen letzten Blick auf die Aussicht. Sich hier oben zu verstecken, bringt nichts. Ich muss zurück ins Hotel und mich den Dingen stellen.Versuchen, alles in den Griff zu bekommen. Ich lasse den Blick über den Horizont schweifen, als hielte ich nach einem Fingerzeig Ausschau, nach einer Antwort, einer Lösung, aber natürlich ist es nie so leicht, nicht wahr? Also wende ich mich ab und mache mich auf den Weg den Hügel hinunter.
Eine halbe Stunde später fahre ich die Straße entlang, die in die Stadt zurückführt. Allmählich nimmt das Gefälle ab, und da ich keinen Schwung verlieren will, beginne ich, in die Pedale zu treten. Ich fahre um eine Ecke. Die Straße wird schmaler und windet sich nach links, ehe sie in eine Einbahnstraße mündet. Der Asphalt geht in Kopfsteinpflaster über. So schön es anzusehen ist, so gemein ist es, wenn man auf einem Fahrrad sitzt, ganz besonders auf einem nicht sonderlich gut gefederten Sattel. Gerade als ich über den Schaden nachdenke, den mein Hinterteil davontragen wird, stoße ich um ein Haar mit einem Fußgänger zusammen.
»Hey, mach doch die Augen auf«, rufe ich und gehe bei meiner Vollbremsung schier über den Lenker.
»Ach, du liebe Zeit, ich habe gar nicht gesehen -«
»Maeve?«
Mitten in einer atemlosen Entschuldigung hält sie inne und schiebt ihre Brille hoch, um mich anzublicken. »Emily! Ich habe gar nicht gesehen, dass Sie es sind!«
»Sie haben überhaupt niemanden gesehen«, stoße ich keuchend hervor, nachdem ich zum Stillstand gekommen bin. Doch falls sie meinen Protest gehört hat, nimmt sie ihn nicht zur Kenntnis. »Wo waren Sie denn? Ich habe überall nach Ihnen gesucht«, fragt sie stattdessen. Ihre Stimme klingt atemlos, und sie sieht aufgeregt aus.
Schlagartig packt mich die Angst. »Warum? Was ist denn los?«, frage ich.
Maeve scheint kein Wort herauszubringen.
»Was denn? Los, sagen Sie schon!« Mein Gott, jetzt mache ich mir ernsthaft Sorgen.
Die behandschuhten Hände ringend, beißt sie sich auf die Lippe und sieht mich an. Oh, Mist, ich hatte Recht. Sie macht sich bereit, mir die schlechten Nachrichten mitzuteilen.
»Okay, kommen Sie«, erkläre ich entschlossen. »Sie brauchen dringend einen Drink.«
 
»Okay, also, erzählen Sie, was passiert ist …«
Wir haben es uns im einzigen Lokal gemütlich gemacht, das in Bath am Neujahrstag offen hat, dem Gate of India, einem leeren, schwach beleuchteten Restaurant mit Velourstapeten und köstlichen Papadams, die Maeve geistesabwesend zerkrümelt, während die Worte aus ihrem Mund sprudeln.
»Heute Morgen habe ich einen Anruf bekommen …«
»Von wem?«
»Von meinem Bruder Paddy.«
»Dem Bruder in Spanien.«
»Aye, ich hab nur den einen.« Sie nickt eifrig und nimmt sich den nächsten Papadam vor. »Er war bei seiner Tochter über Weihnachten in Spanien. Ich glaube, das habe ich bereits erwähnt -«
»Oh, ja. Jetzt fällt es mir wieder ein«, stimme ich zu. ›Und du sagtest auch, das sei der Bruder gewesen, der dich vor die Tür gesetzt hat, als du schwanger warst‹, denke ich wütend bei der Erinnerung an die Geschichte, die sie mir erst vor ein paar Tagen erzählt hat. Seither war ich wild entschlossen, ihn zu hassen.
»Na ja, er ist inzwischen wieder in Irland, und heute Morgen hat er mich angerufen. Zuerst war ich natürlich besorgt. Ich dachte, irgendetwas Schlimmes muss passiert sein.«
»Warum?«
»Naja, Paddy ruft eigentlich nie an, erst recht nicht auf dem Handy. Er sagt, es wäre viel zu teuer.«
›Was? Nicht einmal, um ein frohes neues Jahr zu wünschen? ‹, will ich schon protestieren, doch wir werden durch den Kellner unterbrochen, der an unseren Tisch tritt. Ich bestelle zwei Brandys, ändere jedoch auf Maeves Bitte hin auf zwei Gläser Pfefferminztee um. Der Kellner mustert uns gereizt und versucht, uns wenigstens ein Knoblauch-Naan anzudrehen, ehe er resigniert aufgibt und den Rückzug antritt, sodass wir unsere Unterhaltung wieder aufnehmen können.
»Und?«, fordere ich Maeve auf.
»Also wusste ich, dass irgendwas los ist. Zuerst dachte ich, es ist etwas mit den Kindern.« Maeve unterbricht sich und holt tief Luft. »Aber zum Glück nicht. Es geht ihnen gut.« Sie lächelt beim Gedanken an sie, ehe sie fortfährt. »Er wollte mir sagen, dass eine Frau namens Shannon für mich angerufen hat.«
Ich bedeute ihr fortzufahren.
»Sie suchte nach einer gewissen Maeve Tumpane.«
»Wie ist sie an Ihre Nummer gekommen?«
Maeve zuckt die Achseln. »Mein Nachname ist relativ selten. Es stehen nicht allzu viele im Telefonbuch. Schätzungsweise brauchte sie sie nur durchzutelefonieren.« Sie schiebt ihre Brille hoch und sieht mich unsicher an.
»Und was hat Ihr Bruder gesagt?«, helfe ich ihr auf die Sprünge. Trotz ihrer anfänglichen Ungeduld scheint Maeve jetzt leicht benommen zu sein.
»Er hat sie gefragt, was sie von mir will.« Maeve lächelt beinahe entschuldigend. »Paddy kann ziemlich barsch am Telefon sein.«
»Das bezweifle ich nicht«, platze ich unwillkürlich heraus.
»Er ist kein schlechter Mensch, Emily. Er hat getan, was er für das Beste hielt.«
Ich sehe Maeves flehende Miene und ertappe mich dabei, dass ich es schon wieder tue. Ich lasse mich von meinen Vorurteilen leiten. Maeve hat Recht. Wahrscheinlich hat er nur getan, was damals das Beste war, und wie komme ich dazu, ihn dafür zu verurteilen? Heute, fast 40 Jahre später? Eine Frau des 21. Jahrhunderts, die in New York City lebt, wo Männer im Dragqueen-Outfit über die Fifth Avenue schlendern, ohne dass irgendwer auch nur mit der Wimper zuckt?
»Natürlich ist er das nicht.« Lächelnd strecke ich den Arm über der Plastiktischdecke aus und drücke ihre Hand. Ohne jeden Zweifel hat Maeve ihrem Bruder verziehen, was vor all den Jahren geschehen ist. Doch es ist eine Schande, dass sie so lange gebraucht hat, bis sie sich selbst vergeben konnte.
»Also, was wollte sie? Diese Shannon?«, frage ich neugierig.
»Sie sagte, die Maeve, nach der sie suche, müsse Ende 50 sein, und ob er, falls er diese Frau kenne, ihr ausrichten würde, dass Shannon O’Toole gern Kontakt mit ihr aufnehmen würde.«
Wir wechseln einen Blick.
»Und da war noch etwas«, fährt Maeve leise fort.
Mir wird ganz eng um die Brust. Ich wage nicht nachzufragen.
»Sie hat gesagt, es sei sehr wichtig, mir auszurichten, dass ihr zweiter Vorname Orla laute. Und dass dies der Name sei, den sie unmittelbar nach der Geburt bekommen hätte.«
Einen Moment lang sagt keine von uns etwas. Ich betrachte Maeves Gesicht. Ihre weit aufgerissenen, hellblauen Augen hinter den Brillengläsern. Ihre feinen, zarten Gesichtszüge, auf denen das Alter mittlerweile seine Spuren hinterlassen hat. Ich kann mir nicht vorstellen, welch ungeheure Bedeutung diese Nachricht für sie haben muss.
»Es ist meine Tochter, Emily. Es ist meine Tochter, die nach mir sucht«, flüstert sie schließlich.
Nachdem ich auf das Schlimmste gefasst war, durchflutet mich eine Welle der Erleichterung.
»Sind Sie sicher?«, frage ich, ängstlich und zugleich begeistert. »Ich meine, ich will nicht, dass Sie sich allzu große Hoffnungen machen. Es könnte ein Missverständnis sein …«
»Ich habe mit ihr gesprochen.«
Zack! Aus heiterem Himmel. Einfach so.
»Sie haben was?«
»Ich habe mit ihr gesprochen. Sie hat eine Nummer hinterlassen, und ich habe sie angerufen.«
Ich registriere, dass meine Augen groß wie Suppenteller werden. Dabei erstaunt mich weniger die Tatsache, dass Maeve mit ihr gesprochen hat, sondern vielmehr, dass sie die Initiative ergriffen hat. So entschlossen. So ohne jede Angst. Die alte Maeve hätte niemals den Hörer in die Hand genommen. Die Schuld hätte viel zu schwer auf ihren Schultern gelastet, die Angst sie gelähmt.
»Und?« Mehr bekomme ich nicht heraus.
»Sie hörte sich nett an, Emily«, erwidert Maeve leise, doch ich höre die Erleichterung und den Stolz in ihrer Stimme. »Sie ist Sozialarbeiterin und lebt mit ihrem Mann Richard in Birmingham. Sie hat gesagt, sie hätte immer an mich denken müssen. Sie hätte mich schon seit langem finden wollen, es aber nie richtig gefunden, ihre Adoptivmutter nach mir zu fragen. Aus Rücksicht auf ihre Gefühle. Aber nach ihrem Tod hat sie Kontakt zu einer Agentur aufgenommen, die Adoptivkindern hilft, die leiblichen Eltern ausfindig zu machen. Offenbar haben sie mich sofort gefunden, doch dann sind ihr Zweifel gekommen. Was, wenn ich sie zurückweisen würde? Wenn ich jetzt ein neues Leben hätte, mit anderen, eigenen Kindern? Was, wenn ich mich ihrer schämen würde und ihre Existenz geheim halten wollte?« Maeve sieht mich ungläubig an, als könne sie selbst nicht glauben, dass jemand so etwas auch nur denken könnte.
»Sie hatte meine Adresse über ein Jahr in einer Schublade liegen, als sie gehört hat, dass jemand nach der Tochter einer gewissen Maeve Tumpane sucht. Diesen Teil habe ich nicht ganz verstanden -« Sie unterbricht sich und schüttelt den Kopf. »Vielleicht habe ich es auch nur falsch verstanden. Keine Ahnung, ich erinnere mich nicht genau. Ich war so überwältigt, Emily, dass ich gar nicht alles mitbekommen habe.«
»Oh, Maeve, ich freue mich so für Sie -«, flüstere ich.
Während ihrer Schilderung haben sich meine Befürchtungen allmählich verflüchtigt und sind so etwas wie vorsichtiger Erregung gewichen.
»Mir ist klar, dass es nicht leicht werden wird«, fährt Maeve fort. »Ich erwarte nicht, dass wir plötzlich wie Mutter und Tochter sind. Ich meine, sie hatte 35 Jahre lang eine Mutter, ich will sie auch gar nicht ersetzen, aber ich hoffe, wir können uns kennen lernen, Freundinnen werden.«
Sie sagt das so bescheiden, so voller Hoffnung, dass es mir beinahe das Herz bricht. »Ich bin sicher, das werdet ihr«, ermutige ich sie.
»Und wissen Sie, was das Beste ist? Als ich ihr gestanden habe, dass ich mir all die Jahre Vorwürfe gemacht habe, weil ich sie weggegeben habe, hat sie gesagt, dass sie mir dankbar sein müsse. Dafür, dass ich sie geboren und dann dieses höchste Opfer gebracht habe, das es ihr ermöglicht hat, von einem wunderbaren Ehepaar adoptiert zu werden, das keine eigenen Kinder bekommen konnte. Und die ihr und ihren beiden Brüdern – die ebenfalls adoptiert waren – die schönste Kindheit geschenkt haben, die man sich nur vorstellen kann.«
Ich lächle angesichts der bitteren Süße dieser Geschichte, die alle möglichen Gefühle in mir auslöst. Ich sehe Maeve an, die eine Träne abwischt, und drücke ihre Hand noch fester.
»Und wissen Sie, was sie noch zu mir gesagt hat?« Sie schnieft gegen die Tränen an, ehe sich ihr Gesicht zu einem Lächeln verzieht. »Sie hat gesagt: ›Du wirst Großmutter.‹«
Mir fällt die Kinnlade herunter. »Maeve! Oh mein Gott, Maeve!«, kreische ich.
Ich springe auf, laufe um den Tisch herum und schlinge die Arme fest um sie. »Maeve, das ist ja fantastisch! Auch wenn Sie natürlich noch nicht alt genug dafür aussehen«, füge ich hinzu. Strahlend drücke ich sie so fest, dass sie beinahe keine Luft mehr bekommt, als genau in dieser Sekunde der Kellner erscheint und unsere Tees servieren will, nur um mit einer neuerlichen Bestellung wieder weggeschickt zu werden: zwei Bananensplits. Und zwar mit Sahne, zur Feier des Tages.
 
Später an diesem Abend sind Maeve und ich aus dem Gate of India zurück, und ich habe mir vier Episoden der BBC-Verfilmung von Stolz und Vorurteil mit Colin Firth hintereinander angesehen. Ich bin in meinem Hotelzimmer und im Begriff, zu Bett zu gehen. Aber da ist noch etwas, was ich vorher noch erledigen möchte.
Ich krame meine Handy heraus und scrolle die Kontaktliste durch. Ich erwarte nicht, dass jemand zu Hause ist, aber ich kann ja eine Nachricht hinterlassen. Als ich die Nummer gefunden habe, drücke ich auf »Wählen« und lausche dem Klingeln. Wie erwartet, springt der Anrufbeantworter an. »Hi, ich bin’s. Ich rufe nur an, um zu sagen -«
»Emily?« Die Stimme meiner Mutter. »Bist du’s?«
»Oh, ja, ich bin’s. Ich dachte, ihr seid noch nicht von eurer Reise zurück«, rufe ich überrascht.
»Wir sind heute zurückgekommen. Bist du noch in England?«
»Äh … ja.« Mein Gott, das ist blöd. Ich hätte warten sollen, bis ich wieder in New York bin.
»Ist alles in Ordnung, Schatz? Was ist denn los?«
›Nichts. Ich rufe nur an, um euch ein frohes neues Jahr zu wünschen‹, will ich gerade sagen. Doch wenn ich das tue, könnte es ohne weiteres noch einmal 29 Jahre dauern, bis ich diesen Anruf wiederhole. Und dann könnte es zu spät sein.
Ich zögere, und dann platzt es aus mir heraus. »Können wir nächstes Jahr Weihnachten zusammen verbringen? Zu Hause? Als Familie?«
Am anderen Ende entsteht eine Pause, und ich spüre, wie überrascht meine Mutter ist. »Das ist eine wunderbare Idee, Emily«, sagt sie dann mit aufrichtiger Freude in der Stimme. »Ich glaube, dein Vater und ich können unsere Rucksäcke auch einmal ein Jahr im Schrank lassen.«
Fünf Minuten später verabschieden wir uns, ich lege auf und lasse mich auf mein Kissen fallen. Na also, so einfach war das. Ich hatte einen Kampf erwartet, hatte mir ausgemalt, dass ich sie erst überzeugen müsste, und mich grundlegend geirrt. Ich schalte das Licht aus und schließe die Augen. Es war so einfach: Ich musste nur das Telefon zur Hand nehmen und fragen.
Ein Mann wie Mr Darcy
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