Drei
Eine Woche später, nachdem ich einen ruhigen
Weihnachtstag bei meiner Tante Jean verlebt habe, bin ich wieder in
meiner Wohnung, um zu packen. Es ist der 27. Dezember, und mein
Flug geht in ein paar Stunden. Stella sitzt auf meinem Bettsofa,
futtert sich durch einen Becher Hummus und sieht mir zu, wie ich
versuche, noch mehr Bücher in meine Reisetasche zu stopfen. Es
spielt keine Rolle, dass ich nur für eine Woche wegfahre. Ich muss
vorbereitet sein. Natürlich muss ich alle sechs Romane von Jane
Austen einpacken, was schon ziemlich viel Platz wegnimmt, auch wenn
ich Stolz und Vorurteil beiseite gelegt
habe, um es im Handgepäck mitzunehmen und auf dem Flug zu
lesen.
Dazu noch etwas Modernes, wie der Erstling eines
Autors, der sechs Wochen lang auf Nummer eins der Bestsellerliste
der NewYork Times gestanden hat und den ich
schon die ganze Zeit unbedingt lesen will.
»Du willst also wirklich deine Ferien in England
verbringen. In Eiseskälte. Mit irgendeinem Jane-Austen-Buchclub?«,
unterbricht Stella jäh meine Gedanken.
»Das ist kein Buchclub, sondern eine Spezialreise.
Und es ist für Literaturliebhaber«, zitiere ich leicht affektiert
aus der Broschüre.
Stella schaufelt mit der Spitze einer Babykarotte
einen dicken Klecks Hummus auf und sieht mich mit unverhohlener
Verzweiflung an. Sie ist unter dem Vorwand herübergekommen, mein
Bügeleisen ausleihen zu wollen – das ich noch nie benutzt habe und
das noch originalverpackt im Schrank liegt -, um es nach Mexiko
mitzunehmen. Aber jetzt, fast einen ganzen Bottich Hummus später,
dämmert mir, dass das nur ein Trick war – sie ist hier, weil sie
mich dazu bringen will, dass ich es mir doch noch einmal
überlege.
Und nichts wird sie aufhalten.
»Du weißt, was das bedeutet, oder?« Sie hat ihre in
schwarzen Lycrastrümpfen steckenden Beine angezogen und legt das
Kinn darauf, während sie lautstark kaut.
Widerwillig reiße ich mich von meinem Stapel
Taschenbücher los und wende mich meiner Unterwäsche-Schublade zu.
»Nein, aber ich bin sicher, du wirst es mir gleich erklären«,
antworte ich steif, während ich Socken zu kleinen Bällen
zusammenstopfe.
»Spinner«, erklärt sie trocken.
Ich halte mitten in der Bewegung inne. »Was meinst
du mit Spinner?«
»Ach, du weißt schon. Schräge Typen. Außenseiter.
Alte Leute.«
Entgeistert starre ich Stella an. »Ich kann nicht
glauben, dass du das gesagt hast.«
Oh, okay, ich bin nicht wirklich schockiert, aber
da ich nun mal ihr Boss bin, muss ich zumindest so tun, als würde
ich die Moral hochhalten.
»Überleg doch nur – welche Typen wollen schon ihre
Ferien mit einem Haufen fremder Leute verbringen und dabei über
Bücher reden?«
»Ich zum Beispiel«, erkläre
ich gekränkt.
Stella sieht mich mitfühlend an.
»Zufällig mag ich Bücher. Ich bin Geschäftsführerin
einer Buchhandlung, schon vergessen? Macht mich das automatisch zur
Spinnerin?«
Stella schabt mit einer weiteren Babykarotte die
Seiten des Plastiktopfes aus, um an die letzten Hummusreste zu
kommen. »Nein. Du warst schon immer ein bisschen komisch.« Sie
lächelt und leckt sich die Lippen.
Ich werfe ein Samtkissen nach ihr und wende mich
wieder meinen Bücherregalen zu.
»Entschuldige, wenn ich so dumm frage, aber hast du
eigentlich vor, auch irgendwelche Klamotten auf diese Reise
mitzunehmen?«, fragt Stella kurz darauf.
»Natürlich«, antworte ich empört. »Ich bin nur noch
nicht so weit gekommen.«
Ehrlich gesagt, habe ich noch nicht allzu viele
Gedanken an meine Kleidung verschwendet. Schließlich bin ich ja nur
eine Woche weg. »So viel werde ich nicht brauchen.«
»Aber irgendetwas wirst du
doch anziehen wollen.«
Als ich mich umdrehe, sehe ich, wie Stella
misstrauisch meine kleine Reisetasche beäugt.
»Noch sehe ich hier drin nichts, und sie ist schon
ziemlich voll«, meint sie zweifelnd, ehe sie lächelt. »Sag’s nicht
– du gehst direkt zu Topshop, wenn du ankommst.«
»Was ist Topshop?«, frage ich unschuldig.
Stellas Lächeln fällt in sich zusammen. »Was
Topshop ist?«, ruft sie ungläubig. »Topshop ist mein Paradies.« Ich
sehe sie ausdruckslos an.
»Vergiss es, du wirst das nie verstehen«, sagte sie
abfällig und schüttelt den Kopf. »Wie man sieht, stehen Klamotten
nicht an oberster Stelle bei dir«, fügt sie mit einem neuerlichen
Blick auf meine Reisetasche hinzu.
»Okay, okay, ein Punkt für dich.Vielleicht muss ich
eine größere Tasche mitnehmen.« Ich greife unters Bett, ziehe
meinen alten Rollkoffer heraus und klappe ihn auf. »Siehst du, jede
Menge Platz.« Hastig kippe ich die Bücher hinein und trete wieder
vor meinen Kleiderschrank.
Als Erstes ziehe ich zwei Pullis heraus – einen aus
rosa Mohair mit Glitzer an den Bündchen, der so etwas wie mein
Spaß-Pulli ist – für Schneeballschlachten oder solche Dinge. Nicht
dass ich seit meinem zehnten Lebensjahr wieder an einer
teilgenommen hätte, aber so war es in der Zeitschrift dargestellt
gewesen – eine dieser Fotostrecken mit Models, die allesamt mit
rosigen Wangen und strahlenden Augen in die Kamera blicken und
Miniröcke und Ringelstrumpfhosen tragen. Ein Look, den ich niemals
hinbekommen habe, weil ich keinerlei Gespür für Mode besitze. Jedes
Jahr denke ich darüber nach – ungefähr fünf Minuten -, ehe ich
meine alten Jeans wieder anziehe, die ich schon seit Jahren
trage.
Mein anderer Pulli ist ein schwarzes
Kaschmirexemplar mit Rollkragen, den ich an einem Januartag in
irgendeiner superschicken Designer-Boutique erstanden habe, als ich
wieder einmal den guten Vorsatz gefasst hatte, mich modischer zu
kleiden. Damals hatte Stella mich in ihrer typisch subtilen Art
darauf hingewiesen, dass man zwar eine Leidenschaft für Bücher
haben darf, ein Taschenbuch aber kein geeigneter Sexpartner ist.
Sogar im Schlussverkauf hat mich dieses Ding ein Vermögen gekostet.
Ich dachte, es würde mich intelligent und elegant aussehen lassen,
aber wenn ich ehrlich sein soll, fühle ich mich darin ziemlich
langweilig.Wie eine Buchhalterin oder so.
Ich halte beide hoch und warte auf Stellas Meinung.
»Rosa oder schwarz?«
Sie betrachtet beide mit dem missbilligenden Blick
eines Modefans. »Definitiv rosa«, sagt sie wenige Sekunden
später.
»Aber der andere ist aus Kaschmir«, wende ich
ein.
»Na und?« Stella zuckt die Achseln. Stella hat noch
nicht das Alter erreicht, in dem man beim Friseur die Vogue liest und sich danach sehnt, zu diesen
Berühmtheiten zu gehören, die auf die Frage nach dem wichtigsten
Teil ihrer Wintergarderobe antworten: »Kaschmir, Kaschmir und
nochmal Kaschmir.« Sie gibt sich nach wie vor mit Acryl-Gemisch
zufrieden.
»Der ist aber langweilig«, erklärt sie
gähnend.
Ich stopfe beide in meinen Koffer. Sie hat Recht.
Der rosafarbene ist viel hübscher, aber ich muss den schwarzen
mitnehmen, um vor mir selbst zu rechtfertigen, dass ich so viel
dafür ausgegeben habe. Selbst wenn er nur den Atlantik hin und
zurück überquert, ohne jemals den Koffer zu verlassen, fühle ich
mich besser. Und es könnte immerhin sein, dass ich ihn
anziehe.
Nein, das wirst du nicht, Emily. Du besitzt ihn
seit drei Jahren und hast ihn nicht ein einziges Mal getragen. Du
siehst darin aus wie Tante Jean.
Ach, halt doch den Mund.
Resigniert wende ich mich wieder meinem
Kleiderschrank zu und versuche zu entscheiden, was ich mitnehme.
Mein Gott, wie ich Packen hasse. Ich habe keine Ahnung, wie man das
macht, weiß nicht, was ich mitnehmen möchte. Schließlich beschließe
ich, nicht länger so zu tun, als würde ich bewusst etwas auswählen,
und werfe ein paar kombinierbare Sachen in den Koffer – T-Shirts,
Jeans, Sweatshirts -, ehe ich versuche, ihn zuzumachen. Aber der
Reißverschluss klemmt. Als Stella meine missliche Lage bemerkt,
steht sie auf und tritt zu mir. Mit vereinten Kräften springen wir
auf dem Deckel herum und rutschen unter lautstarkem Stöhnen mit den
Hinterteilen hin und her. Endlich gelingt es mir, den
Reißverschluss zuzuziehen. Fertig.
»Prima, das war’s. Alles erledigt.« Ich trete einen
Schritt zurück und betrachte zufrieden mein Werk. »Und was ist mit
dir? Hast du schon gepackt?« Stellas Flug nach Mexiko geht morgen
in aller Frühe.
»Ja. Ich habe einen Rundumschlag in einem
wahnsinnig hippen neuen Laden in Greenwich Village gemacht«,
schwärmt sie und geht beiläufig alle Nagellackfläschchen auf meiner
Kommode durch. »Und dann habe ich in Chinatown diese tollen Sarongs
gefunden. Ich nehme für jeden Tag einen anderen mit, den ich
einfach über meinen Bikini werfe, dazu Flip-Flops, und fertig.« Sie
schraubt eines der Fläschchen auf, bemalt sich einen Fingernagel,
hält ihn ins Licht, rümpft angewidert die Nase und schraubt das
Fläschchen wieder zu. »Ich habe schon mein ganzes Outfit geplant.
Es wird eine Mischung zwischen Miami Beach und Fernost
werden.«
»Aber du fährst doch nach Mexiko«, sage ich
verwirrt.
»Ach, Em, das ist Modesprache«, stöhnt sie und
schüttelt den Kopf. »Ach, und natürlich habe ich Kondome
eingepackt«, fügt sie so beiläufig hinzu, wie Leute es immer tun,
wenn sie alles darum geben würden, dass ihr Gegenüber nachfragt.
Normalerweise ignoriere ich das, aber diesmal würde ich alles darum geben, es zu erfahren.
»Kondome?«, wiederhole ich leicht entsetzt. »Aber
was ist mit Freddy?«
»Was soll mit ihm sein?«, antwortet sie unschuldig,
nimmt das Exemplar von Die Frau des
Zeitreisenden von meinem Nachttisch und fängt an, es
durchzublättern. Glauben Sie mir, wenn es ein verdächtiges
Verhalten gibt, dann ist es das.
»Ich dachte, zwischen euch wäre was.«
»Warum denn? Nur weil wir verheiratet sind?«, fragt
sie gereizt. »Du weißt doch selber, dass ich es nur getan habe,
damit er seine Papiere kriegt. Er ist ein wunderbarer Mensch, und
ich mag ihn wirklich von ganzem Herzen, aber er ist so was von
nicht der Richtige für mich«, erklärt sie entschieden. »Und ich bin
so was von nicht die Richtige für ihn.«
»Wieso nicht?«
»Wir könnten nicht verschiedener sein«, sagt sie.
»Ich bin Vegetarier, er isst schon zum Frühstück Salami, ich bin
unordentlich, er ist ein Sauberkeitsfanatiker, ich bleibe gern
abends lange auf, er liegt jeden Abend um halb zehn im Bett, weil
er um vier in der Bäckerei sein muss... Wir würden uns gegenseitig
in den Wahnsinn treiben, wenn wir wirklich zusammen wären.« Sie
nestelt an ihren hölzernen Armreifen herum, rollt sie aufgeregt
ihren Arm hinauf und hinunter. »Freddy ist wirklich der netteste
Mensch auf der ganzen Welt, und eines Tages wird er ein wunderbarer
Partner für irgendeine Frau werden, aber eben nicht für
mich.«
Ich nehme meinen dicken flauschigen Mohairschal und
wende mich ihr zu. »Ich glaube jedenfalls, dass ihr ein wunderbares
Paar abgeben würdet.«
»Ach, Em …« Stelle schüttelt mitleidig den Kopf.
»Bleib realistisch.«
»Ich bin realistisch«, widerspreche ich
empört.
»Nein, bist du nicht, du bist eine unverbesserliche
Romantikerin.«
Das ist das zweite Mal in dieser Woche, dass Stella
mich eine Romantikerin nennt, und es fängt an, mir auf die Nerven
zu gehen.
»Ich bin auch Realistin«, erkläre ich
rechthaberisch.
Stella wirft mir einen viel sagenden Blick zu.
Biiiitte!, sagt er.
»Doch, das bin ich.«
»Und das von einer Frau, die mit Mr. Darcy ausgehen
will.«
Ich spüre, wie meine Wangen heiß werden. »Der, wenn
ich hinzufügen darf, laut deiner Worte unglaublich wohlhabend war.«
Stella greift nach meiner brandneuen Ausgabe von Stolz und Vorurteil, die ich gerade erst gekauft
habe. Mein altes Exemplar war so zerlesen, dass es schon
auseinanderfiel. »Hey, mal ganz ehrlich, diese Elizabeth Bennet hat
sich doch nur für Mr. Darcy interessiert, weil er ein Adeliger war
und diesen riesigen Schuppen in was weiß ich wo …«
»Pemberly in Derbyshire«, antworte ich wie aus der
Pistole geschossen. Zuvor hatte ich Stella eine mundgerechte
Kurzfassung des Romans geliefert, auch wenn ich mich nicht erinnern
kann, dass sie sich so angehört hat.
»… glaub mir, sie hätte ihn niemals auch nur eines
Blickes gewürdigt, wenn er in einer kleinen Wohnung über einer
Bäckerei gelebt hätte.« Seufzend legt sie das Buch zurück und nimmt
geistesabwesend meine Reisebeschreibung in die Hand. »Oh, sieh nur,
du wirst zu einem Neujahrsball gehen«, sagt sie, während ihre gute
Laune schlagartig zurückkehrt. »Wie lässig.«
»Ja, toll, was?« Ich lächle, erleichtert über den
Themenwechsel. Ich gehe in mein winziges Badezimmer, öffne das
Spiegelschränkchen und stopfe wahllos Dinge in meinen
Waschbeutel.
»Also, was wirst du anziehen?«
»Anziehen?« Ich halte mitten in der Bewegung inne
und spüre, wie meine gespannte Erwartung angesichts der
Vorstellung, von der Modepolizei festgenommen zu werden, in sich
zusammenfällt.
»Sag bloß nicht, du hast kein Kleid«, wettert
Stella.
Ich schließe die Tür meines Spiegelschränkchens und
sehe mein Spiegelbild an. Scheiße.
»Natürlich habe ich ein Kleid«, widerspreche ich
trotzig, als ich aus dem Badezimmer komme. »Was dachtest du denn,
was ich anziehe? Jeans und T-Shirt?«
Der Ausdruck auf ihrem Gesicht sagt eindeutig
Ja.
Sie kneift die Augen zusammen. »So … wo ist es
denn?«
»In meinem Kleidersack.« Ich zeige auf den
schwarzen Kunststoffsack, der in meinem Kleiderschrank hängt.
»Darf ich es mal sehen?« Sie streckt bereits die
Hand nach dem Reißverschluss aus.
»Lieber nicht. Es ist eingepackt«, wende ich ein.
»In Papier«, füge ich schnell hinzu. Gute Idee. Papier hört sich
an, als sei es aus einer wirklich teuren Boutique. Stella sieht
angemessen beeindruckt aus, ist aber immer noch misstrauisch.
»Beschreib’s mir«, verlangt sie und verschränkt die Arme vor der
Brust.
»Ähm … ja gut … also, es ist …«, stottere ich,
während ich daran denke, wie ich vor einigen Tagen aufgebrochen
bin, in der Hoffnung, irgendetwas Tragbares zu finden. Daran, wie
ich mich bei H&M durch eine Ladung Kleider gekämpft habe,
völlig überfordert und verzweifelt, bis ich am Ende einfach das
genommen hatte, das am – »Festlich«, behaupte ich vage.
»Festlich?«
»Und witzig«, ergänze ich voller Hoffnung.
»Festlich und witzig?«, stöhnt sie. »Emily, reden
wir hier von einem Kleid oder von einem aufblasbaren
Weihnachtsmann?«
Ich unternehme einen letzten verzweifelten Versuch.
»Es hat Pailletten«, erkläre ich zögerlich.
Stellas Gesichtszüge fallen in sich zusammen. Sie
sieht zutiefst bestürzt aus. Sie steht in ihrer Retro-Rüschenbluse
und einem asymmetrischen Rock aus einer Boutique vor mir, die so
furchteinflößend ist, dass ich nicht einmal einen Blick ins
Schaufenster riskieren wollte.
»Festlich ist nicht witzig, Emily, es ist ein
modischer Alptraum«, quiekt sie und massiert sich die Schläfen.
»Festlich hat keinerlei Stil. All diese langweiligen kleinen
Schwarzen, die paillettenbesetzten Schals, und dazu noch
Glitzerlidschatten …« Sie erschaudert leicht. Plötzlich kommt mir
ein Gedanke.
Oh nein. Bitte lass sie nicht sehen, wie mein neuer
…
»Was ist das?«
Zu spät.
Sie stürzt sich auf meinen neuen
Glitzerlidschatten, den ich bei derselben verzweifelten
Shoppingtour erstanden habe, gibt sich ein klein wenig aufs
Oberlid, tritt zurück und betrachtet sich kritisch im Spiegel.
»Irisierendes Frostblau?«, fragt sie vorwurfsvoll.
Ich wusste, ich hätte matten Lidschatten nehmen
sollen. Ich wusste es.
»Also, zurück zu Freddy. Definitiv keine Aussichten
auf eine Romanze?«, frage ich, als Versuch, sie abzulenken, bevor
es noch schlimmer kommt und sie den paillettenbesetzten Schal
entdeckt, den ich am Wochenende spontan dazu gekauft hatte.
Zum Glück funktioniert es.
»Absolut nicht«, seufzt sie und lässt sich in mein
weißes Federbett fallen. »Ich bin vielleicht verheiratet, aber ich
bin trotzdem durch und durch Single. Und ich brauche meinen besten
Freund.« Schmollend dreht sie sich auf den Bauch und stützt sich
auf den Ellbogen ab. »Bist du sicher, dass ich dich nicht doch dazu
überreden kann, deine Senioren im Minibus sausen zu lassen und
stattdessen mit mir nach Mexiko zu kommen und dich ein bisschen zu
amüsieren? Es ist immer noch ein Platz frei.«
»Es ist ein Luxusreisebus«, korrigiere ich sie.
»Und, nein danke.« Ich schüttle den Kopf. »Ich weiß, dass es dir
schwer fällt, das zu glauben, Stella, aber ich habe Lust auf diese
Reise.« Es stimmt. Nun, da ich ein wenig Zeit hatte, darüber
nachzudenken, freue ich mich wirklich darauf. »Seit ich Jane Austen
gelesen habe, wollte ich schon immer nach England reisen, und das
ist die perfekte Gelegenheit.«
»Okay, englische Männer können auch ziemlich süß
sein«, räumt Stella ein, die mein Argument grundlegend
missversteht. »Zum Beispiel, Daniel Craig.«
»Ich fahre nicht wegen der Männer«, stöhne ich,
während ich versuche, Die Frau des
Zeitreisenden durch einen schmalen Spalt im Reißverschluss
meines Koffers zu schieben.
»Nicht mal James Bond?«, seufzt sie verträumt, ehe
sie meine Bemühungen mitbekommt. »Meine Güte, Em. Hast du denn noch
nicht genug Bücher eingepackt?«
»Manche Leute packen zu viele Klamotten ein, bei
mir sind es eben Bücher...«, erkläre ich kühl.
Stella hievt sich vom Bett hoch und wirft mir einen
Blick zu, der sagt, dass sie mir kein Wort glaubt.
»Ich kann doch nicht im Voraus wissen, womit ich es
mir abends im Bett gemütlich machen will«, erkläre ich
achselzuckend.
»Wie wär’s mit einem Mann?«, kontert sie und zieht
sich Schal und Handschuhe an.
Nun ist es an mir, ihr einen viel sagenden Blick
zuzuwerfen.
»Im Ernst, Em, wie lange ist es her, dass du so
richtig -«
»Ich habe es dir doch gesagt. Die einzigen Männer,
die mich interessieren, sind da drin …«, unterbreche ich sie, nehme
mein Stolz und Vorurteil und knalle es auf
meinen Koffer.
»Okay, okay, ich sage ja schon nichts mehr …«
Resigniert hebt sie ihre behandschuhten Hände. »Also, wann geht
dein Flug?«
»Heute Abend um 21:45 Uhr.« Ich sehe auf die Uhr.
»In einer Stunde kommt das Taxi und holt mich ab.«
Wir stehen da und sehen einander an. Zeit, Abschied
zu nehmen.
Ihre Züge werden mit einem Mal weich. »Pass gut auf
dich auf und viel Spaß, okay?« Sie schlingt die Arme um mich und
drückt mich fest. »Versprochen?« So viel Sentimentalität ist eher
untypisch für sie.
Ich drücke sie fest an mich. »Versprochen.«
Für den Bruchteil einer Sekunde beschleicht mich
ein leiser Zweifel, ob es wirklich eine gute Idee ist, Silvester
allein und nicht mit Stella und ihren Freundinnen zu verbringen,
doch er verfliegt ebenso schnell wieder. Ich bin ein großes
Mädchen. Ich komme schon zurecht. »Und vergiss du nicht, mich aus
Mexiko anzurufen und mir zu sagen, wie die Margaritas sind,
ja?«
»Auf jeden Fall«, erklärte sie mit ihrem berühmten
Stella-Grinsen, ehe sie sich von mir löst und die Tür öffnet. »Oh,
und übrigens«, sie bleibt im Türrahmen stehen, »dieser Lidschatten
ist grauenvoll.« Dann winkt sie mir zu und verschwindet im
Flur.