Fünf
Ich muss eingenickt sein, denn mit einem Mal schrecke ich hoch und stelle fest, dass wir den Freeway – Entschuldigung, Korrektur: den Motorway – verlassen haben und uns jetzt auf den engsten Straßen, die ich je gesehen habe, durch das ländliche Hampshire winden.Vor dem Fenster fliegen Hecken vorbei, ein leuchtender Streifen Grün vor der gleichförmig grauen Endlosigkeit des Himmels. Es nieselt immer noch, und Regentropfen perlen an den Fensterscheiben hinunter, so dass alles wie ein zerlaufenes Bild aus Wasserfarben aussieht.
»Dies ist eine Landschaft, wie sie auch Jane Austen in ihrer Jugend gekannt haben dürfte...«, dringt die Stimme unserer Reiseleiterin durchs Mikrofon. »... und die in so vielen ihrer Romane eine wichtige Rolle spielt …«
Die Reisenden unterbrechen ihre Tätigkeit und sehen aus den Fenstern.Wir fahren in ein kleines Dorf. Reihen kleiner roter Ziegelhäuschen säumen die schmalen Straßen, deren Sprossenfenster glitzern. Gespannte Vorfreude keimt bei ihrem Anblick in mir auf. Es ist genau, wie ich es mir vorgestellt habe. Dort drüben ist sogar eine Dorfwiese mit einem Ententeich, mit echten Enten und allem, was dazugehört.
Ich sehe, wie sie zufrieden auf dem Wasser schaukeln, die Schnäbel ins Wasser tauchen und ihre gefiederten Hinterteile in die Luft strecken. Ich muss lächeln. Sie erinnern mich an die Tiere im Central Park. Enten, so scheint es, recken gern ihre Hinterteile in die Luft, egal ob es englische oder amerikanische Enten sind.
Doch sie liegen bereits wieder hinter uns, und als wir um eine enge Kurve biegen, erblicke ich einen richtigen englischen Pub. Wow, ist das ein echtes Reetdach? Und steht auf diesem Schild tatsächlich ›Ye Olde‹ irgendwas?
Ungläubig presse ich die Nase gegen die Fensterscheibe. Ich komme mir vor, als wäre ich eingeschlafen und in der Ära vor 200 Jahren wieder aufgewacht. Weit und breit gibt es keinen Mac-Store oder eine Starbuck’s-Filiale. Nichts als Kopfsteinpflasterstraßen, eine Dorfkirche und echte Kamine, wie ich bewundernd feststelle, als ich Rauch aus einem von ihnen aufsteigen sehe. Es ist wirklich wie auf einem Filmset. Kaum zu glauben, dass das keine Fassade für Touristen ist, die zusammengeklappt und wieder eingepackt wird, kaum dass der Bus daran vorbeigefahren ist.
»Und jetzt Ladies und Gentleman …« Miss Staenes Stimme unterbricht meine Tagträume.
Gentleman? Wohl kaum, denke ich, als mir die Obszönitäten wieder einfallen, die dieser ›Gentleman‹ vorhin von sich gegeben hat. Ich sehe über die Schulter zu besagtem Missetäter hinüber. Er hat den Mund zu einem Gähnen aufgerissen, als er meinen Blick auffängt und mir die Zunge herausstreckt.
Wie alt ist dieser Kerl? Fünf?
Verärgert tue ich so, als würde ich auf etwas hinter ihm sehen, doch da er in der letzten Reihe sitzt, ist hinter ihm nur noch die Toilette. Ich bin geliefert. Trotzdem bin ich viel zu stolz, um ihn glauben zu lassen, er hätte mich erwischt, also fixiere ich weiter das grüne ›Frei‹-Schild, als wäre es das Spannendste, was mir jemals untergekommen ist, bis Miss Staene mich rettet. »… und hier ist das Old Priory, wo wir für zwei Nächte bleiben werden, bevor wir unsere Reise nach Bath fortsetzen.«
Dankbar drehe ich mich wieder zu der Aussicht aus dem Fenster um und -
Heiliges Kanonenrohr.
Als wir links durch imposante schmiedeeiserne Torflügel einbiegen, ertönt jenes köstliche Geräusch von Kies unter den Reifen, während wir die breite, geschwungene Zufahrt entlangfahren. Allein das sorgt dafür, dass ich vor Aufregung beinahe platze. Schon anhand der Einfahrt kann man sagen, ob man sich irgendwo wohlfühlen wird oder nicht, finde ich. Und ich werde dieses Hotel lieben.
Das Hotelgebäude thront groß, ausladend und wunderschön über der Auffahrt, als sei es geradewegs den Seiten von Stolz und Vorurteil entsprungen – so habe ich mir Netherfield Park, das Heim von Mr. Bingley, immer vorgestellt.Voller Ehrfurcht bewundere ich den Anblick. Inmitten einer herrlichen Gartenanlage, mit efeubedeckten Mauern, einem imposanten Eingang und zahlreichen Nebengebäuden entspricht es nicht nur meiner Vorstellung, sondern übertrifft sie sogar noch.
 
Der Bus hält vor dem Hotel, und die nächste halbe Stunde bringen wir damit zu, auszusteigen, unser Gepäck einzusammeln und einzuchecken, während Miss Staene mit ihrem Klemmbrett wie ein Tweed-Schmetterling um uns herumflattert. Von innen ist das Hotel noch viel spektakulärer: eine holzgetäfelte Eingangshalle, eine geschwungene Treppe, Bilder mit Jagdszenen und Porträts verblichener Vorfahren, Fußböden aus Steinfliesen … Alles verströmt die Aura von Geschichte.
»Sie haben Zimmer 28«, informiert mich Miss Staene, als sie wenige Minuten später hinter dem Empfangstresen steht. Hinter ihr befindet sich ein großes Brett, an dem die verschieden nummerierten Zimmerschlüssel hängen. Sie händigt mir den Messingschlüssel aus, ohne George, den Hoteldirektor, der scheinbar völlig überflüssig neben ihr steht, zu beachten, und streicht mich von ihrer Liste.
»Es befindet sich im zweiten Stock«, erklärt George schüchtern. »Auf der rechten Seite und dann ganz am Ende des Flurs.«
»Toll, danke.« Ich nicke und lege die Hand um den Griff an meinem Rollkoffer. »Wo geht’s zum Aufzug?«
Stille.
»Zum Aufzug?«, wiederholt George und fingert unsicher an seinen Manschettenknöpfen herum. Ich registriere einige Blicke und kapiere.
Gott, Emily, sei nicht so begriffsstutzig. Natürlich gibt es hier keinen Aufzug. Dieses Haus ist mehrere hundert Jahre alt!
Gerade als ich etwas sagen will, höre ich ein abschätziges Schnauben hinter mir. »Amerikanerin, was?«
Ich erstarre. Ich weiß sofort, wer dieser Jemand ist, noch bevor ich herumfahre und ihn gegen den Empfangstresen gelehnt dastehen sehe, Arme verschränkt, ein Streichholz zwischen den Zähnen: Mr. Arschloch. Ich starre ihn herausfordernd an.
»Haben Sie ein Problem damit?«, frage ich und bemühe mich, möglichst arrogant und selbstbewusst zu wirken und nicht wie der Dummkopf, als der ich mich in Wirklichkeit fühle. Unglücklicherweise spielt meine Stimme nicht mit und verrät mich durch ihren schrillen Klang. Ich höre mich eher weinerlich als lässig an. Ich spüre, wie mein Gesicht knallrot anläuft, und umklammere den Griff meines Koffers so fest, dass sich meine Fingernägel in meine Handfläche bohren.
Aber Mr. Arschloch reagiert nicht. Stattdessen starrt er mich unter seinen schweren Lidern hervor an und verzieht belustigt das Gesicht. »Nein«, antwortet er beiläufig und nimmt das Streichholz aus dem Mund. Er rollt es einen Moment lang zwischen den Fingern hin und her und betrachtet es eingehend, ehe sich sein Blick wieder auf mich richtet. »Aber es sieht ganz so aus, als hätten Sie eins.« Seine Mundwinkel heben sich in selbstgefälliger Erheiterung.
»Ach?« Ich erwidere sein Lächeln mit so viel Sarkasmus, wie ich nur aufbringen kann. »Und das wäre?«
Abgesehen von dir, du arroganter kleiner Scheißkerl.
Wir starren einander an. Plötzlich fällt mir auf, dass es um uns herum sehr still geworden ist. Alle haben innegehalten und beobachten uns wie Zuschauer bei einem Boxkampf.
Ding, ding. Runde zwei.
»Wir sind hier nicht bei Macy’s, ja?«, erklärt er grinsend.
»Was Sie nicht sagen«, gebe ich trocken zurück.
»Dieses Gebäude ist 450 Jahre alt.«
»Das weiß ich.«
»Und Sie wollen den Aufzug nehmen?«
Meine Wangen stehen in Flammen. »Natürlich nicht. Ich habe nicht daran gedacht. Ich leide ein wenig unter Jetlag, das ist …«
»Vielleicht hätten Sie stattdessen lieber nach dem Treppenlift fragen sollen«, unterbricht er mich mit einem Blitzen in seinen blassblauen Augen.
»Danke, aber das wird nicht nötig sein«, erwidere ich steif, schnappe meinen Koffer, haste zur Treppe und beginne, ihn die Stufen hochzuhieven. George eilt mir zu Hilfe. »Aber, Miss, lassen Sie mich das doch machen, das ist doch kein Problem …«
»Es geht schon, wirklich, kein Problem«, beharre ich und umfasse das Geländer, sorgsam darauf bedacht, nicht zu stöhnen, während ich ihn hinter mir herzerre. Meine Güte, dieses Ding muss eine Tonne wiegen.Was zum Teufel ist nur da drin? Dieser hässliche schwarze Pullover, den du niemals tragen wirst. Ich verfluche den schwarzen Pullover. Zack, rumpel, zack. An allem ist nur dieser schwarze Pullover schuld. Wäre der schwarze Pullover nicht, hätte ich nicht einmal daran gedacht, den Aufzug zu nehmen.
Zack, rumpel, zack! Aua!
Als die Kante des Koffers gegen mein Bein prallt, zucke ich vor Schmerz zusammen und beuge mich vor, um mir das Schienbein zu reiben. Doch als ich aus dem Augenwinkel einen Blick auf Mr. Arschloch erhasche, reiße ich mich eilig zusammen und erklimme weiter die Treppe – bis ich endlich oben bin, meinen Koffer auf den Treppenabsatz wuchten kann und den Flur entlangstürme.
 
Der Lunch wird im elisabethanischen Esszimmer serviert, also mache ich mich in meinem Zimmer kurz frisch. Es ist dunkel und plüschig eingerichtet, mit einem richtigen Himmelbett, über dem ein Aquarell mit einer Jagdszene hängt (die scheinen hier sehr beliebt zu sein), und in der Ecke steht ein riesiger alter Kleiderschrank.
Das ist ein kleiner Schock für mich, da ich mein ganzes Leben mit Birkenfurnier made by IKEA zugebracht habe. Echte Möbel! Und zwar solche, die aussehen, als gehörten sie in ein Museum. Staunend streiche ich mit der flachen Hand über die Tür des Kleiderschrankes und fühle die jahrhundertealte Glätte des Holzes.
Das Läuten meines Handys reißt mich aus meinen Gedanken. Ich schnappe meine Tasche vom Bett und wühle hektisch darin herum, um es noch zu finden, bevor es aufhört zu klingeln. Das kann nur eine sein.
»Buenos Dias.«
»Stella!«, rufe ich. Unabhängig, leidenschaftlich und all das zu sein, ist ja wunderbar, aber es gibt nichts Schöneres als einen Anruf von der besten Freundin, wenn man sich in einer fremden Umgebung befindet. »Wie schön, von dir zu hören. Was treibst du so?«
»Ich betrinke mich«, erwidert sie lachend über das Knistern der Leitung hinweg. »Hier ist es früher Morgen, aber ich schaffe es, mich mit Hilfe von Tequila wach zu halten.« Sie hält inne und nimmt geräuschvoll einen Schluck, während ich im Hintergrund die pulsierende Mischung aus Musik und Gelächter hören kann. »Und wie ist es?«
»Klasse«, antworte ich begeistert und versuche, nicht an meinen Zusammenstoß mit dem Engländer zu denken. »Wie läuft es bei dir?«
»Super. Weißer Sand, 26 Grad, viele Männer und die besten Margaritas der Welt. Das ist mein … äh, ich habe aufgehört mitzuzählen.« Sie lacht. »Los, erzähl. Was läuft bei euch da drüben?«
»Also, wir sind gerade in diesem unglaublich tollen Hotel angekommen …« – ich spähe aus dem Fenster, und mir stockt der Atem – »das mitten in einer absolut atemberaubenden Landschaft liegt...« Während ich spreche, blicke ich auf die weite, flache Landschaft mit den vereinzelt grasenden Schafen und den Steinmauern. Sie sieht wie ein riesiges Schachbrett aus.
»Mhmm, ja?«
»Und überall stehen wahnsinnig alte, antike Möbel …« Ich lasse mich auf die geblümte Daunendecke fallen und stütze mich auf die Ellbogen.
»Mhmm, ja?«
Mir fällt auf, dass Stella nicht zuhört. Antikes Mobiliar steht im Moment wohl nicht ganz oben auf der Liste ihrer Interessen. Wenn überhaupt jemals. »Hier ist gleich Mittagessenszeit. Wir werden einen Happen essen, und heute Nachmittag gibt es eine kleine Besichtigungstour«, fahre ich fort.
»Und? Hast du schon deinen Mr. Darcy getroffen?«, neckt sie.
»Ha, ha, sehr witzig.« Ich lehne mich über den Bettrand, ziehe meinen Waschbeutel heraus und gebe etwas Deo unter meine Achseln. »Nein, stattdessen habe ich ein Arschloch kennen gelernt.«
»Ist er attraktiv?«
»Er ist eine Nervensäge.«
»Aber attraktiv?« Sie lässt nicht locker.
Ich stelle ihn mir kurz vor, mit seinem alten Cordjackett, dem verkehrt zusammengeknöpften Hemd, unter dem sich unter Garantie Rettungsringe verbergen, und sein wirres Haar, dem ein anständiger Schnitt fehlt.
»Nein, du würdest ihn definitiv nicht als attraktiv bezeichnen.«
»Ach so? Dabei sind Arschlöcher normalerweise attraktiv.« Stella hört sich überrascht an. »Tja, das ist natürlich schade. Ein Urlaubsflirt hätte lustig werden können.«
»Lustig?« Ich schaudere bei dem Gedanken an jegliche Art von Flirt mit Mr. Arschloch. »Nein, danke. Außerdem ist das Thema Männer für mich sowieso erledigt. Ich will diesen Urlaub dazu verwenden, endlich einmal all das zu lesen, wozu ich bisher nicht gekommen bin.«
»Ich finde, du solltest für alles offen bleiben. Nur, weil du ein paar miese Dates hattest …«
»Ein paar?«
»Komm schon, Emily. Genieße den Moment. Hast du schon Die Kraft des Augenblicks gelesen?«
Moment mal! Habe ich richtig gehört? In all den Jahren, die ich Stella kenne, habe ich sie nie mehr lesen sehen als ihr Horoskop und die Waschanleitung in ihren Klamotten. »Nein, habe ich nicht. Ist es gut?«, frage ich beeindruckt.
»Na ja, selber gelesen habe ich es zwar nicht …«, gesteht sie. »Aber ich habe diesen Typen kennen gelernt, der mir alles darüber erzählt hat. Dass wir aufhören sollen, ständig für die Zukunft zu planen So brauchen wir nicht enttäuscht zu sein, wenn es anders kommt.«
»Welcher Typ?«, frage ich misstrauisch. Nicht für die Zukunft planen und den Augenblick leben – hört sich, aus der Männersprache übersetzt, nach einem Trick an, um Stella ins Bett zu kriegen.
»Er heißt Scott«, verkündet sie. »Willst du Hallo zu ihm sagen?«
»Nein, nicht nötig«, wiegle ich eilig ab. Eines der Dinge, die ich am meisten hasse, ist, wenn eine Freundin irgendeinen Kerl, den sie gerade erst aufgegabelt hat, ans Telefon holen will. Okay, sie hängen in einer schummerigen Bar ab, betäubt vom Alkohol und männlicher Aufmerksamkeit, und ich verstehe ja, wie witzig das aus ihrer Perspektive erscheint – okay, in gewisser Weise -, aber witzig für wen? Für einen selbst garantiert nicht. In neun von zehn Fällen ist man zu Hause, in seiner alten, ausgebeulten Jogginghose, und erledigt die Handwäsche. Um es ganz deutlich zu sagen – man schrubbt den Zwickel mit der Nagelbürste. Das Letzte, wonach man sich in einem solchen Moment sehnt, ist ein gekünsteltes, peinliches Gespräch mit einem Fremden, dem man nie begegnet ist und mit dem man keinerlei Gemeinsamkeiten hat.
Abgesehen von der Freundin, mit der er ins Bett will.
»Ach komm schon, er steht direkt neben mir …«
»Nein, im Ernst …«
Zu spät. Ich höre, wie das Telefon weitergereicht wird. Oh nein. Bitte nicht.
»Yo«, meldet sich eine Männerstimme am anderen Ende der Leitung.
»Oh, hi.« Ich winde mich unbehaglich. »Ich bin Emily.«
»Scott«, grunzt er.
Es folgt eine peinliche Pause. Fieberhaft denke ich darüber nach, was ich sagen könnte.
»Äh, und was machst du gerade so, Scott?«, erkundige ich mich steif. Meine Güte, ich höre mich an wie Stellas Mutter.
»Party.« Heiseres Lachen dringt durch die Leitung.
Ich halte durch.
»Dann habt ihr wohl eine Menge Spaß?«
Oh Mann, wieso gehe ich nicht in die Vollen und hänge noch ein »Mein Lieber« dran?
»Yeah, ist total abgefahren hier, und deine Freundin Stella rockt tierisch.«
Okay, ich werde mir kein Urteil dazu erlauben. Abgefahren und rocken sind einwandfreie Adjektive.
»Junge, wie die abgeht«, brüllt er.
Ich nehme alles zurück. Ich erlaube mir doch ein Urteil. Und Scott wird schuldig gesprochen, ein Vollidiot zu sein.
»Äh, gibst du mir noch mal Stella«, bitte ich. Ich muss laut schreien, weil er mittlerweile angefangen hat, wie ein Hund zu jaulen. Dankenswerterweise höre ich ein Rascheln und dann -
»Em?«
Es ist Stella. Einerseits bin ich erleichtert, andererseits weiß ich, was als Nächstes kommen wird: die Bewertung.
»Und? Was denkst du?«, flüstert sie.
»Schwer zu sagen, nur vom Telefon her …«
»Er ist wahnsinnig erfolgreich. Er hat eine eigene Werbeagentur«, vertraut sie mir an. »Und er sieht super aus.«
»Da bin ich mir sicher.« Wer tut das nicht nach einer Nacht voller Margaritas? Nach so einer Sauftour habe ich auf der Damentoilette sogar einmal mein eigenes Spiegelbild geküsst.
»Und er ist wahnsinnig witzig, Emily. Völlig verrückt, und bringt mich dauernd zum Lachen. Ich habe das Gefühl, uns verbindet schon etwas …«
Oh je, das klingt gefährlich. Ich versuche, sie in die Realität zurückzuholen. »Und hast du etwas von Freddy gehört?«, frage ich hoffnungsvoll.
»Ja, er hat mir ungefähr zehn SMS geschickt, in denen er mich fragt, ob ich gut angekommen bin, wie das Hotel ist, ob es mir gut geht …«
»Wie süß von ihm. Du hast ja solches Glück. Freddy sorgt sich wirklich um dich.«
»Ich wünschte nur, er würde mich nicht wahnsinnig damit machen«, grummelt Stella. »Ich wünschte, er würde mich einfach in Ruhe meinen Urlaub genießen lassen.«
»Das sagst du jetzt, aber ich wette, du würdest ihn vermissen, wenn er es wirklich täte.«
»Darauf würde ich nicht wetten.«
»Okay, wie du meinst. Aber pass auf, was du dir wünschst …«
Meine Warnung geht in trunkenem Kichern unter. Ich bin verärgert. Hat sie auch nur ein Wort von dem mitbekommen, was ich gesagt habe? Ich lausche einen Moment lang. Großer Gott, nein. Was ich da höre, sind nicht etwa Stella und Scott beim Knutschen, oder? »Äh, Stella …«
»Mmmh, ja«, erwidert sie geistesabwesend.
Oh mein Gott. Jetzt küssen sie sich definitiv.
»Vielleicht sollten wir später weiterreden.«
»Klar.Viel Spaß in deinem Museum.«
Du meine Güte, damit stehe ich endgültig wie ein Trottel da.
»Es ist nicht wirklich ein Museum, sondern der Ort, an dem Jane Austen...«, fange ich an, unterbreche mich jedoch, als ich etwas höre, das klingt, als würde Stella am anderen Ende der Leitung stöhnen. Oh, mein Gott. Es ist, als hätte ich irgendeine Telefonsex-Hotline angerufen. »Okay, gut... äh … pass auf dich auf.«
»Mmmmmm, ja … bis dann …«
Erleichtert lege ich auf und sehe auf die Uhr. Ich bin spät dran, wie üblich, und während ich noch etwas Lipgloss auftrage, nehme ich meinen Mantel und hänge mir meine alte Handtasche über die Schulter. Ich ziehe den Kopf ein, um mich nicht am niedrigen Türrahmen zu stoßen, und trete auf den dunklen Flur. Als ich auf dem oberen Treppenabsatz einen Blick auf mein Spiegelbild erhasche, bleibe ich stehen. Mein Haar hängt schlaff herunter, und die Spitzen haben sich dank meines Schals statisch aufgeladen. Ich puste sie mir aus dem Gesicht, doch sie kleben sofort wieder an.
Ich verziehe das Gesicht. Manchmal hasse ich es, lange Haare zu haben. All dieser Ärger mit dem Auskämmen von Knötchen unter der Dusche, die den Abfluss verstopfen, sodass man sie mit den Fingern wieder herausfummeln muss. Ganz zu schweigen von den Unsummen, die Pflegespülungen, Seren und Kuren verschlingen; ich schwöre, ich habe ein ganzes Regal voll, trotzdem sieht mein Haar noch genauso aus wie immer: schulterlang, dunkelbraun und mit so vielen gespaltenen Spitzen, dass jeder Stylist den Kopf schüttelt wie ein Metronom. Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht, warum ich sie nicht längst radikal abgeschnitten habe. Aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, weiß ich es wieder.
Zwei Worte:
Sienna und Miller.
Nicht dass es irgendeine Rolle spielen würde, wie mein Haar aussieht. Keineswegs. Hier kennt mich niemand, deswegen brauche ich mir auch kein Bein auszureißen. Allerdings würde es wohl auch nicht schaden, wenn ich meinen Kopf nach vorn beugen und mit den Fingern ein bisschen Volumen hineinzaubern würde, ehe ich es zurückwerfe und -
»Äh, entschuldigen Sie«, höre ich eine Stimme hinter mir, genau in dem Augenblick, als ich mich wieder im Spiegel sehe. Drei Dinge sehe ich:
1. Mein Haar hat den Lipgloss über mein Gesicht verschmiert, sodass ich aussehe wie ein Gemälde von Jackson Pollock.
2. Das Blut ist mir zu Kopf gestiegen. Deshalb sind die Adern um meine Augen herum hervorgetreten und mein Gesicht knallrot angelaufen.
3. Mr. Arschloch steht direkt hinter mir.
 
Großer Gott, wie lange hat der da schon gestanden?
Zutiefst beschämt, dass er mich dabei erwischt hat, wie ich mein Haar wie in einer Shampoo-Werbung zurückgeworfen habe, spüre ich zwei dunkelrot glühende Flecke auf meinen Wangen. Ich drehe mich herum und reibe mir so lässig, wie ich nur kann, den Lipgloss von der Wange. »Ja? Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
Er hat ein Auge zusammengekniffen und massiert sich den Augenwinkel mit dem Zeigefinger. »Sie könnten damit anfangen, mir nicht Ihre Haare ins Gesicht zu schleudern«, mault er.
»Oh, Entschuldigung …« Doch bevor ich fortfahren kann, unterbricht er mich.
»Ja, Sie sollten lieber aufpassen, was Sie tun, verdammt noch mal. Sie haben mir beinahe das Auge ausgeschlagen.«
Jetzt werde ich sauer.
»Ach, nur beinahe? Verdammt. Normalerweise ziele ich recht gut«, rutscht es mir heraus, bevor ich es verhindern kann. Dieser Kerl ist dermaßen herablassend, dass er es verdient, es mit gleicher Münze heimgezahlt zu bekommen.
»In diesem Fall bin ich froh, dass Sie nur Ihr Haar haben und keine Feuerwaffe«, entgegnet er trocken und schlendert mit klatschenden Schuhbändern davon.
Gut. Dem habe ich es aber gegeben, was?
Einen Augenblick lang sehe ich ihm nach, versuche, mir eine passende Retourkutsche einfallen zu lassen, dann gebe ich auf. Stattdessen folge ich ihm missmutig nach unten.
Ein Mann wie Mr Darcy
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