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Inzwischen hatte Henning den Inhalt seines Nachtschränkchens in Augenschein genommen.

Es enthielt einen Beutel mit Anziehsachen, die er bei seiner Einlieferung getragen hatte. Neben Unterwäsche und Socken stieß er dabei auch auf seine Geldbörse, die Autoschlüssel und sein Handy. Ein Blick auf das Display zeigte ihm, dass er mehrere SMS erhalten hatte. Eine davon informierte ihn über eine neue Nachricht auf seiner Mailbox.

»Hallo, hier spricht Elsbeth Satorius. Sie …, nun, Sie haben mich doch nach dem Namen dieser Ärztin gefragt. Erinnern Sie sich?« Es folgte eine kurze Pause. »Ich habe herausgefunden, dass sie Steinhagen heißt. Suzette Steinhagen. Vielleicht hilft Ihnen das ja weiter.«

Während er nach etwas zu schreiben suchte, um sich den Namen zu notieren, klopfte es an der Tür.

Es war der Beamte vom Vortag. »Und, wie geht’s Ihnen heute?«, erkundigte er sich.

»Schon viel besser«, log Henning. »Der Chefarzt hat gemeint, ich dürfte vielleicht in ein, zwei Tagen nach Hause.«

»Das freut mich.« Schrödter zog sich einen Stuhl heran. »Es gibt nämlich Neuigkeiten.«

»Soll das heißen, Sie wissen, wer mir das«, Henning griff sich mit der rechten Hand an den Kopf und stöhnte unwillkürlich, »angetan hat?«

Schrödter nickte ernst. »Sagt Ihnen der Name Joachim Hoppe etwas?«

»Noch nie gehört. Wer soll das sein?«

»Ein mehrfach vorbestrafter Kleinkrimineller, den Edmund Marks angeheuert hat, um Sie zum Schweigen zu bringen«, entgegnete Schrödter, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen.

»Wie haben Sie das so schnell herausgefunden?«

»Wir haben Edmund Marks’ Telefongespräche zurückverfolgt. Dabei sind wir dem Kerl auf die Schliche gekommen. Als wir ihn damit konfrontiert haben, ist er zusammengebrochen und hat die Tat gestanden.«

In Hennings Kopf jagten sich die Gedanken. »Aber warum? Ich meine, weshalb …«

»Weshalb?«, schnaubte Schrödter verächtlich. »Das kann ich Ihnen genau sagen.« Henning sah ihn Zeige- und Mittelfinger gegen den Daumen seiner rechten Hand reiben.

»Wie viel?«

»20.000. Die Hälfte im Voraus.«

Henning kniff die Augen zusammen und schluckte. »Der Kerl scheint richtig viel Kohle gehabt zu haben.«

»Stimmt«, pflichtete ihm Schrödter bei. »Wir sind gerade dabei, seine Konten zu checken. Wie es aussieht, hat er jede Menge Kredite zu sittenwidrigen Konditionen vermittelt. Wobei das wohl nur die Spitze des Eisberges ist.«

»Und Lea?«, hakte Henning nach.

Schrödter runzelte die Stirn. »Ist das die Kleine, von der Sie mir erzählt haben?«

»Genau die. Ich muss einfach Bescheid wissen, verstehen Sie?« Henning warf ihm einen flehenden Blick zu.

»Klar doch! Andererseits müssen Sie auch mich verstehen. Ich kann mir die Beweise schließlich nicht aus den Rippen schneiden.«

»Soll das heißen, Sie haben immer noch keine Spur?«

Schrödter nickte ernst.

»Aber das begreif ich nicht«, beharrte Henning. »Ich meine, weshalb hätte mir dieser Marks sonst einen Killer auf den Hals hetzen sollen?«

»Ich fürchte, die Antwort darauf wird er uns schuldig bleiben.«

Bevor Henning etwas erwidern konnte, begann Schrödters Handy zu klingeln. Der Anruf schien wichtig zu sein. Denn plötzlich hatte er es eilig. Er erhob sich und reichte Henning die Hand. »Ich muss jetzt leider los. Sie können aber sicher sein, dass ich die Sache im Auge behalten werde.«

 

Kurz darauf kam Leona ins Zimmer gestürmt. »Stell dir vor, was ich herausgefunden habe«, stieß sie atemlos hervor.

»Keine Ahnung«, entgegnete Henning. »Aber du wirst es mir sicher gleich erzählen. Also setz dich und lass hören.«

»Ich habe gerade eine alte Bekannte getroffen«, begann Leona. »Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Inzwischen arbeitet sie hier als Krankenschwester. Sie hat mich auf eine Tasse Kaffee eingeladen. Dabei sind wir auf Edmund Marks zu sprechen gekommen.« Sie legte eine kurze Pause ein. »Wusstest du, dass seine Frau mit Vornamen Leonora hieß?«

Henning sah sie forschend an, da er nicht verstand, worauf sie hinauswollte.

»Vielleicht ist alles ein Missverständnis und Marks hat bei deiner Frage nach Lea geglaubt, du interessierst dich für Leonora.«

Hennings Gesichtsausdruck wechselte von anfänglicher Verwirrung zu langsamem Begreifen. »Dann hältst du es also für möglich, dass ich mich getäuscht habe, und Marks hat gar nichts mit Leas Verschwinden zu tun? Er wollte lediglich, dass ich nicht weiter nach Leonora frage?«

»Vielleicht.« Sie zuckte mit den Schultern. »Vielleicht auch nicht. Ich weiß nur, dass es eine Menge Leute gibt, die ihren Vornamen abkürzen.«

Doch Henning blieb skeptisch. »Das ergibt doch keinen Sinn. Weshalb sollte er einen Killer auf mich ansetzten, nur weil er den von mir erwähnten Namen mit seiner Frau in Verbindung bringt?«

Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: »Es sei denn, es gibt da etwas, was wir nicht wissen sollen …«

Henning konnte spüren, wie sein Unterbewusstsein ihm etwas mitzuteilen versuchte. Doch so sehr er sich auch anstrengte, es wollte ihm nicht einfallen.