6

Eine Stunde war vergangen, seit man sie gewaltsam an Bord gebracht hatte. Die Tür war hinter ihnen verschlossen worden, und Saxif D'Aan war offenbar zu sehr damit beschäftigt, vor dem Schimmelhengst zu fliehen, um sich um sie zu kümmern. Elric blickte durch das Gitter eines Bullauges und vermochte in die Richtung zu sehen, in der Smiorgans Schiff versenkt worden war.

Sie hatten bereits viele Meilen zurückgelegt; dennoch vermeinte er von Zeit zu Zeit Kopf und Schultern des Hengstes über den Wellen auszumachen.

Vassliss hatte sich wieder beruhigt und saß bleich und bebend auf der Couch.

»Was weißt du noch von dem Pferd?« fragte Elric sie. »Es wäre gut, wenn du dich an weitere Dinge erinnerst, die du gehört hast.«

Sie schüttelte den Kopf. »Saxif D'Aan hat kaum darüber gesprochen, doch ich glaube, er fürchtet den Reiter mehr als das Pferd.«

»Ah!« Elric runzelte die Stirn. »Das hatte ich mir gedacht! Hast du den Reiter je zu Gesicht bekommen?«

»Nein, nie. Ich glaube auch nicht, daß Saxif D'Aan ihn schon einmal gesehen hat. Er scheint anzunehmen, daß es mit ihm aus sei, sollte der Reiter jemals auf dem weißen Hengst sitzen.«

Elric lächelte vor sich hin.

»Warum erkundigst du dich so nach dem Pferd?« wollte Smiorgan wissen.

Elric schüttelte den Kopf. »Ich habe so ein Gefühl, das ist alles. Eine vage Erinnerung. Aber ich werde nichts dazu sagen und so wenig wie möglich darüber nachdenken, denn zweifellos besitzt Saxif D'Aan die Gabe, Gedanken zu lesen - wie Vassliss schon andeutete.«

Sie hörten Schritte über sich, Schritte, die zur Tür der Kabine herabpolterten. Ein Riegel wurde zur Seite geschoben. Saxif D'Aan, wieder ganz der alte, stand auf der Schwelle, die Hände in die goldenen Ärmel gesteckt.

»Ihr verzeiht mir hoffentlich die wenig höfliche Art, mit der ich euch hierhergeschickt habe. Es bestand eine Gefahr, die ich um jeden Preis abwenden mußte. In der Folge entsprach mein Verhalten ganz und gar nicht der Norm, die ich mir sonst setze.«

»Eine Gefahr für uns?« fragte Elric. »Oder für dich, Graf Saxif D'Aan?«

»Unter den gegebenen Umständen galt die Gefahr uns allen, das versichere ich dir.«

»Wer reitet das Pferd?« fragte Smiorgan geradeheraus. »Und warum fürchtest du den Reiter?«

Graf Saxif D'Aan hatte sich wieder voll in der Gewalt und ließ daher keine Reaktion erkennen. »Das ist eine private Angelegenheit«, sagte er leise. »Würdet ihr jetzt mit mir essen?«

Dem Mädchen entfuhr ein kehliger Laut, und Graf Saxif D'Aan wandte sich mit stechendem Blick in ihre Richtung. »Gratyesha, du willst dich sicher waschen und wieder schön machen. Ich sorge dafür, daß dir alle nötigen Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden.«

»Ich bin nicht Gratyesha«, sagte sie. »Ich bin Vassliss, Tochter eines Kaufmanns.«

»Du wirst dich erinnern«, sagte er. »Zu gegebener Zeit wirst du dich an die Wahrheit erinnern.« In seiner Stimme lag eine solche Gewiß-heit, eine solche zwingende Besessenheit, daß selbst Elric einen leisen Schauer der Ehrfurcht verspürte. »Man wird dir die Sachen bringen, und du kannst diese Kabine als die deine ansehen, bis wir in meinen Palast auf Fhaligarn zurückkehren. Meine Herren.« Er bedeutete den Männern, daß die den Raum verlassen sollten.

»Ich lasse sie nicht allein, Saxif D'Aan«, sagte Elric. »Sie hat zuviel Angst.«

»Sie fürchtet nur die Wahrheit, Bruder.«

»Sie fürchtet dich und deinen Wahnsinn.«

Saxif D'Aan zuckte gelassen die Achseln. »Dann gehe ich als erster. Wenn ihr mich begleiten wollt, ihr Herren.« Er verließ die Kabine, und sie folgten ihm.

Elric sagte über die Schulter: »Vassliss, du kannst auf meinen Schutz rechnen.« Und er schloß die Kabinentür hinter sich.

Graf Saxif D'Aan stand an Deck und hielt sein edles Gesicht in die Gischt, die von dem mit übernatürlicher Geschwindigkeit dahinpreschenden Schiff erzeugt wurde.

»Du hast mich wahnsinnig genannt, Prinz Elric? Dabei mußt du dich in der Zauberei auskennen.«

»Natürlich. Ich bin königlichen Geblüts. In meiner Welt gelte ich als Könner auf diesem Gebiet.«

»Aber hier? Wie gut funktionieren deine Zauberkräfte hier?«

»Kaum, ich gestehe es offen. Die Entfernungen zwischen den Ebenen kommen mir größer vor.«

»Richtig. Aber ich habe sie überbrückt. Ich hatte die Zeit zu lernen, wie sie überwunden werden können.«

»Das soll heißen, du bist mächtiger als ich?«

»Das ist doch erwiesen, oder?«

»O ja. Aber ich hatte nicht angenommen, daß wir uns auf einen Kampf mit Zauberkräften einlassen wollten, Graf Saxif D'Aan.«

»Natürlich nicht. Und doch - spieltest du mit dem Gedanken, mich mit Zauberei zu überlisten, würdest du dir das nun gut überlegen, nicht wahr?«

»Es wäre töricht von mir, mit dem Gedanken auch nur zu spielen. Es könnte mich meine Seele kosten, und mindestens mein Leben.«

»Das ist richtig. Wie ich sehe, bist du Realist.«

»Vermutlich.«

»Dann können wir unseren Disput ja auf einfachere Weise regeln.«

»Du willst dich duellieren?« Elric war überrascht.

Graf Saxif D'Aan stimmte ein helles Lachen an. »Natürlich nicht - gegen dein Schwert? Das besitzt seine Macht in allen Welten, wenn auch in unterschiedlicher Stärke.«

»Ich freue mich, daß du dir dessen bewußt bist«, sagte Elric vielsagend.

»Außerdem«, fügte Graf Saxif D'Aan hinzu, und seine Goldgewänder raschelten, als er sich der Reling näherte, »würdest du mich nicht töten -denn ich allein besitze den Schlüssel, der euch aus dieser Welt entlassen könnte.«

»Vielleicht wollen wir lieber hierbleiben«, sagte Elric.

»Dann wärt ihr meine Untergebenen. Aber nein - es würde dir hier nicht gefallen. Ich bin freiwillig im Exil. Ich könnte nicht mehr in meine Welt zurückkehren, selbst wenn ich es wollte. Mein Wissen hat mich viel gekostet. Aber ich möchte hier eine Dynastie gründen, hier unter der blauen Sonne. Ich brauche meine Frau, Prinz Elric. Ich muß Gratyesha haben.«

»Sie heißt Vassliss«, sagte Elric halsstarrig.

»Das glaubt sie nur.«

»Dann ist es auch ihr Name. Ich habe geschworen, sie zu beschützen, dasselbe gilt für Graf Smiorgan. Und wir werden sie beschützen. Du müßtest uns beide umbringen.«

»Genau«, sagte Graf Saxif D'Aan mit der Miene eines Mannes, der sich Mühe gibt, einen begriffsstutzigen Schüler auf die richtige Antwort zu bringen. »Genau. Ich werde euch alle töten müssen. Du läßt mir keine andere Wahl, Prinz Elric.«

»Würde dir das denn nützen?«

»O ja. Es würde mir einen gewissen mächtigen Dämon einige Stunden lang Untertan machen.«

»Wir müßten uns wehren.«

»Ich habe viele Männer. Sie bedeuten mir nichts. Über kurz oder lang würden sie euch besiegen. Oder nicht?«

Elric schwieg.

»Meine Männer werden durch Zauberkräfte unterstützt«, fügte Saxif D'Aan hinzu. »Einige würden dabei umkommen, aber nicht viele, glaube ich.«

Elric blickte über Saxif D'Aans Schulter, starrte auf das Meer hinaus. Er war sicher, daß das Pferd dem Schiff noch immer folgte. Und er war sicher, daß Saxif D'Aan das ebenfalls wußte.

»Und wenn wir dir das Mädchen auslieferten?«

»Dann würde ich euch das Rote Tor öffnen. Ihr wärt meine Gäste. Ich würde dafür sorgen, daß ihr sicher durch das Tor tretet, daß ihr darüber hinaus in ein gastfreundliches Land in eurer Welt geleitet werdet, denn auch wenn ihr heil drüben ankommt, ist die Gefahr nicht vorüber. Denkt an die Stürme.«

Elric tat, als überlege er.

»Du hast nicht mehr lange Zeit für deine Entscheidung, Prinz Elric. Ich hatte gehofft, meinen Palast Fhaligarn jetzt zu erreichen. Ich kann dir nicht mehr viel Zeit zum Überlegen geben. Komm, triff deine Entscheidung! Du weißt, daß ich die Wahrheit sage.«

»Du weißt, daß ich in deiner Welt gewisse Zauberkräfte mobilisieren kann, nicht wahr?«

»Du hast ein paar befreundete Elementargeister zu Hilfe gerufen, das ist mir bekannt. Doch mit welchem Aufwand? Wolltest du mich direkt herausfordern?«

»Das wäre unklug«, sagte Elric.

Smiorgan zupfte ihn am Ärmel. »Hör auf mit dem sinnlosen Gerede! Er weiß, daß wir dem Mädchen unser Wort gegeben haben, daß wir mit ihm kämpfen müssen.«

Graf Saxif D'Aan seufzte. In seiner Stimme schien ehrliches Bedauern zu liegen. »Wenn ihr entschlossen seid, zu sterben.«, begann er.

»Ich wüßte zu gern, warum dir so daran liegt, daß wir uns so schnell entscheiden«, sagte Elric. »Warum hat das nicht Zeit, bis wir Fhaligarn erreichen?«

Graf Saxif D'Aans Gesichtsausdruck hatte etwas Berechnendes, und wieder blickte er Elric voll in die roten Augen. »Ich glaube, das weißt du«, sagte er beinahe unhörbar.

Aber Elric schüttelte den Kopf. »Ich glaube, du traust mir zuviel Intelligenz zu.«

»Vielleicht.«

Elric wußte, daß Saxif D'Aan seine Gedanken zu lesen versuchte; mit bewußter Anstrengung leerte er seinen Geist und glaubte sofort den Ärger des Zauberers zu spüren.

Im nächsten Augenblick hatte der Albino seinen Verwandten angesprungen, seine Hand traf Saxif D'Aan an der Kehle. Der Graf wurde von dem Angriff völlig überrascht. Er versuchte noch einen Ruf auszustoßen, doch seine Stimmbänder waren gelähmt. Nach einem zweiten Schlag sank er bewußtlos zu Boden.

»Schnell, Smiorgan!« rief Elric, der bereits in die Wanten gesprungen war und mit schnellen Bewegungen hochkletterte. Verwirrt folgte ihm Smiorgan.

Unter dem Krähennest zog Elric sein Schwert, stach unter dem Geländer hindurch nach oben und traf den Ausguck in den Unterleib, ehe der Mann auch nur merkte, was ihm geschah.

Im nächsten Augenblick hieb Elric auf die Taue ein, die das Hauptsegel hielten. Mehrere Räubergestalten kletterten bereits hinter Elric und Smiorgan her.

Das schwere goldene Segel löste sich, stürzte hinab, hüllte die Piraten ein und riß etliche mit in die Tiefe.

Elric kletterte in das Krähennest und ließ den toten Ausguck in die Tiefe stürzen, hinter seinen Kameraden her. Dann hob er das Schwert über den Kopf, es mit beiden Händen haltend, die Augen glasig, den Kopf der blauen Sonne zuwendend. Smiorgan, der unter ihm am Mast hing, erschauderte, als er ein seltsames Summen aus dem Mund des Albinos dringen hörte.

Wieder machten sich einige verwegene Gestalten an den Aufstieg, und Smiorgan hackte auf die Wanten ein und blickte befriedigt hinter sechs oder sieben Männern her, die in die Tiefe stürzten und sich auf dem Deck sämtliche Knochen brachen oder von den Wogen verschlungen wurden.

Graf Saxif D'Aan kam allmählich wieder zu sich; allerdings war er noch ziemlich mitgenommen. »Dummkopf!« rief er. »Dummkopf!« Aber es war nicht zu erkennen, ob er damit Elric meinte oder sich selbst.

Elrics Stimme wurde zu einem unheimlichen

rhythmischen Kreischen; er schrillte seine Beschwörung hinaus, und die Kräfte des Mannes, den er getötet hatte, strömten in ihn und halfen ihm. In seinen roten Augen begann ein Feuer von anderer, namenloser Farbe zu flackern, sein ganzer Körper bebte von den fremdartigen Lauten, für die seine Kehle nicht geschaffen war.

Im weiteren Verlauf der Beschwörung wurde seine Stimme zu einem vibrierenden Stöhnen, und Smiorgan spürte eine seltsame Kälte in sich aufsteigen, während er beobachtete, wie weitere Mannschaftsmitglieder am Mast emporzuklettern versuchten.

Graf Saxif D'Aan brüllte von unten: »Du wagst es nicht!«

Der Zauberer begann Armbewegungen zu machen, eigene Zauberworte kamen ihm von den Lippen. Smiorgan schrie entsetzt auf, als sich dicht unter ihm ein Wesen aus Rauch zu bilden begann. Die Kreatur schmatzte mit den Lippen, grinste und streckte eine Pfote aus, die im gleichen Augenblick zu Fleisch wurde. Wimmernd hieb Smiorgan mit dem Schwert danach.

»Elric!« rief er und kletterte höher empor, bis er die Reling des Ausgucks packen konnte. »Elric! Er schickt uns seine Dämonen auf den Hals!«

Elric aber kümmerte sich nicht um ihn. Sein Geist befand sich in einer anderen Welt, in einer noch dunkleren und öderen Welt als dieser. Durch graue Nebelschleier sah er eine Gestalt und rief einen Namen. »Komm!« rief er in der alten Sprache seiner Vorfahren. »Komm zu mir!«

Graf Simorgan fluchte, als sich der Dämon immer mehr verfestigte. Rote Hauer knirschten, grüne Augen starrten ihn zornig an. Eine Klaue streifte seinen Stiefel, und so sehr er auch mit seinem Schwert zuschlug, der Dämon schien die Hiebe gar nicht zu spüren.

Für Smiorgan war auf der Ausgucksplattform kein Raum mehr, trotzdem stellte er sich jetzt auf den Außenrand, entsetzt um Hilfe schreiend. Elric aber setzte seinen Zaubergesang fort.

»Elric! Ich bin verloren!«

Die Pranke des Dämons umkrallte Smiorgans Fußgelenk.

»Elric!«

Donner grollte über dem Meer; ein Blitzstrahl zuckte und erlosch. Aus dem Nichts dröhnte lauter Huf schlag, dann stieß eine Stimme ein Triumphgeheul aus.

Elric ließ sich gegen das Geländer sinken und öffnete die Augen gerade in dem Augenblick, da Smiorgan langsam nach unten gezogen wurde. Mit letzter Kraft warf sich der Albino vor, beugte sich weit vor, um mit Sturmbringer nach unten zu stechen. Das Runenschwert versenkte sich mühelos in das rechte Auge des Dämons. Die Kreatur brüllte auf, ließ Smiorgan los und hieb nach der Waffe, die ihm die Lebensenergie entzog.

Diese Energie strömte durch die Klinge in Elrics Körper. Sein Gesicht war von einem fürchterlichen Grinsen entstellt. Eine Sekunde lang fürchtete sich Smiorgan vor seinem Freund mehr als vor dem Dämon. Dieser begann sich langsam aufzulösen - seine einzige Möglichkeit, dem Schwert zu entrinnen, das seine Lebenskräfte absaugte, doch inzwischen waren andere Helfer Saxif D'Aans am Mast hochgeklettert und versuchten mit klirrenden Klingen die beiden Männer zu bedrängen.

Elric schwang sich wieder über das Geländer und balancierte gefährlich auf der Rahe, während er auf die Angreifer einschlug und dabei die alten Schlachtrufe seines Volkes anstimmte. Smiorgan konnte nur zusehen. Er bemerkte, daß Saxif D'Aan an Deck nicht mehr zu sehen war, und rief Elric eine Warnung zu.

»Elric! Saxif D'Aan! Er ist bei dem Mädchen!«

Elric griff nun die Piraten an, denen sehr daran gelegen war, dem singenden Runenschwert auszuweichen; einige sprangen lieber freiwillig ins Meer, als sich von der Klinge treffen zu lassen. Mit schnellen Bewegungen sprangen die beiden Männer von Rah zu Rah, bis sie an Deck zurückgekehrt waren.

»Wovor hat er Angst? Warum setzt er nicht mehr Zauberkräfte ein?« fragte Graf Smiorgan schweratmend, während sie zur Kabine rannten.

»Ich habe den Mann gerufen, der auf dem Pferd reitet«, sagte Elric. »Dafür hatte ich nur wenig Zeit - und konnte dir nichts davon sagen, wußte ich doch, daß Saxif D'Aan meine Absicht in deinen Gedanken lesen würde, wenn schon nicht in meinen!«

Die Kabinentür war von innen fest verschlossen. Elric hieb mit dem schwarzen Schwert dagegen.

Aber die Tür war ungewöhnlich widerstandsfähig. »Mit einem Zauberspruch versiegelt«, stellte der Albino fest. »Und ich wüßte nicht, wie ich sie aufbekommen soll.«

»Bringt er sie um?«

»Ich weiß nicht. Vielleicht versucht er sie auf eine andere Ebene zu bringen. Wir müssen.«

Hufschlag donnerte über das Deck. Der weiße Hengst stieg in ihrem Rücken auf die Hinterhand. Nur saß jetzt ein Reiter im Sattel, ein Mann in hellviolettem Mantel und gelber Rüstung. Er war barhäuptig und sehr jung, obgleich sein Gesicht mehrere ältere Narben aufwies. Sein Haar war dicht gelockt und blond, seine Augen dunkelblau.

Er zog fest die Zügel an und beruhigte das Pferd. Dann musterte er Elric mit durchdringendem Blick. »Hast du mir diesen Weg geöffnet, Melniboneer?«

»Ja.«

»Dann danke ich dir, obwohl ich dir keine Gegenleistung dafür bieten kann.«

»Du hast es mir schon entgolten«, antwortete Elric und drängte Smiorgan zur Seite, als sich der Reiter vorbeugte und seinem Pferd die Sporen gab, das direkt auf die verschlossene Tür zupreschte und hindurchbrach, als bestünde sie aus Papier.

In der Kabine gellte ein fürchterlicher Schrei auf, im nächsten Augenblick eilte Graf Saxif D'Aan, behindert von seinen goldenen Roben, ins Freie, entriß dem nächsten Toten das Schwert, warf Elric einen Blick zu, in dem weniger Haß als verwirrte Qual zum Ausdruck kam, und stellte sich dem blonden Reiter zum Kampf.

Der Reiter war abgestiegen und kam nun aus der Kabine; einen Arm hatte er um die zitternde Vassliss gelegt, die andere lag am Zügel seines Pferdes. Traurig sagte er:

»Du hast mir großes Unrecht angetan, Graf Saxif D'Aan, aber ein viel größeres hast du an Gratyesha begangen. Jetzt mußt du dafür bezahlen.«

Saxif D'Aan zögerte, und machte einen tiefen Atemzug. Als er wieder den Kopf hob, waren seine Augen ruhig, er hatte seine Würde wiedergefunden.

»Muß ich den vollen Preis bezahlen?« fragte er.

»Den vollen.«

»Etwas anderes verdiene ich auch nicht«, stellte Saxif D'Aan fest. »Viele Jahre lang bin ich meinem Schicksal entronnen, nicht aber der Erkenntnis meines Verbrechens. Sie liebte nämlich mich, nicht dich.«

»Ich glaube, sie liebte uns beide. Aber was sie dir schenkte, war ihre ganze Seele - und das würde ich keiner Frau abverlangen.«

»Dann wärst du also der Verlierer.«

»Du hast nicht erkannt, wie sehr sie dich liebte.«

»Erst - erst hinterher.«

»Ich habe Mitleid mit dir, Graf Saxif D'Aan.« Der junge Mann reichte dem Mädchen die Zügel seines Pferdes und zog das Schwert. »Seltsame Rivalen sind wir, nicht wahr?«

»Du hast all die Jahre im Nirgendwo zugebracht, wohin ich dich verbannt hatte - in jenem Garten auf Melnibone?«

»All die Jahre. Nur mein Pferd konnte dir folgen. Das Pferd Tendrics, meines Vaters, der auch aus Melnibone stammt und ebenfalls Zauberer war.«

»Wäre mir das damals bekannt gewesen, hät- te ich dich gleich umgebracht und das Pferd ins Nirgendwo geschickt.«

»Die Eifersucht machte dich schwach, Graf Saxif D'Aan. Aber jetzt wollen wir kämpfen, wie wir damals hätten kämpfen müssen - Mann gegen Mann, mit diesem Stahl, um die Hand eines Mädchens, das uns beide liebt. Das ist mehr, als du verdient hast.«

»Viel mehr«, sagte der Zauberer. Und er hob sein Schwert, um sich auf den jungen Mann zu stürzen, von dem Smiorgan annahm, daß er niemand anderer war als Prinz Carolak.

Das Ende des Kampfes stand von vornherein fest. Saxif D'Aan wußte das, Carolak vielleicht nicht. Saxif D'Aans Waffenkünste konnten sich mit denen jedes melniboneischen Adligen messen, vermochten der Übung eines Berufssoldaten aber nicht standzuhalten, der unzählige Male um sein Leben gekämpft hatte.

Der Kampf wogte hierhin und dorthin über das Deck, ein Kampf, der von Saxif D'Aans verwegenen Helfern mit unverhohlenem Staunen verfolgt wurde, ein Duell, das schon vor zweihundert Jahren hätte ausgefochten und entschieden werden müssen. Das Mädchen, das beide offenbar für die Reinkarnation Gratyeshas hielten, beobachtete sie ebenso besorgt, wie es ihr Original hätte tun können, als Saxif D'Aan vor langer Zeit in den Gärten seines Palastes auf Prinz Carolak stieß.

Saxif D'Aan kämpfte gut, und Carolak kämpfte edel, nutzte er doch bei vielen Gelegenheiten seinen klaren Vorteil nicht aus. Doch schließlich warf Saxif D'Aan sein Schwert fort und rief: »Genug! Ich lasse dir deine Rache, Prinz Carolak. Ich überlasse dir das Mädchen. Aber du wirst mir nicht deine verdammte Gnade schenken - du nimmst mir nicht meinen Stolz.«

Und Carolak nickte, trat vor und zielte geradewegs auf Saxif D'Aans Herz.

Die Klinge drang in die Brust, und Graf Saxif hätte sterben müssen, aber er starb nicht. Er kroch über das Deck, bis er den Fuß des Masts erreichte, und lehnte sich mit dem Rücken dagegen, während sein verwundetes Herz das Blut aus der Wunde pumpte. Und er lächelte.

»Es sieht so aus«, sagte er schwach, »als ob ich gar nicht mehr sterben könnte. Zu lange habe ich mein Leben mit der Hilfe von Zauberei aufrechterhalten. Ich bin kein Mensch mehr.«

Dieser Gedanke schien ihn zu bedrücken, doch Prinz Carolak trat vor, beugte sich über ihn und fand beruhigende Worte. »Du wirst sterben«, versprach er dem anderen, »und zwar bald.«

»Was wirst du mit ihr tun - mit Gratyesha?«

»Sie heißt Vassliss«, sagte Graf Smiorgan beharrlich. »Sie ist die Tochter eines Kaufmanns aus Jharkor.«

»Sie muß allein entscheiden«, sagte Carolak, ohne sich um Smiorgans Einwurf zu kümmern.

Graf Saxif D'Aan richtete die glasigen Augen auf Elric. »Dir muß ich danken«, sagte er. »Du hast mir den einzigen Mann gebracht, der mir Frieden schenken konnte, obgleich ich ihn fürchtete!«

»Ist das der Grund, warum deine Zauberei so schwach ausfiel?« fragte Elric. »Wolltest du, daß Carolak kam und dich von deiner Schuld erlöste?«

»Möglich, Elric. Es scheint, du bist in mancher Beziehung klüger als ich.«

»Was ist mit dem Roten Tor?« knurrte Smiorgan. »Kannst du es öffnen? Hast du dazu noch die Kraft, Graf Saxif D'Aan?«

»Ich glaube, ja.« Aus seiner blutbefleckten Goldkleidung zog der Zauberer einen großen Kristall von der tiefroten Farbe eines Rubins. »Dieser Stein wird euch nicht nur zum Tor führen, sondern es euch auch ermöglichen, hindurchzutreten. Eine Warnung muß ich allerdings aussprechen...« Saxif D'Aan begann zu husten. »Das Schiff.« - er keuchte - »das Schiff ist wie mein Körper durch Zauberkräfte gestützt worden - deshalb. « Der Kopf sank ihm nach vorn. Mit übermenschlicher Anstrengung hob er ihn und starrte an den Männern vorbei auf das Mädchen, das noch immer die Zügel des Schimmelhengstes hielt. »Leb wohl, Gratyesha, Prinzessin von Fwem-Omeyo. Ich habe dich geliebt.« Die Augen blickten starr auf sie, doch es waren schon die Augen eines Toten.

Carolak wandte sich um und blickte das Mädchen an. »Wie nennst du dich, Gratyesha?«

»Vassliss«, antwortete sie und lächelte in sein jugendliches, vom Kampf gezeichnetes Gesicht. »So nennt man mich, Prinz Carolak.«

»Du kennst mich?«

»Ich kenne dich jetzt.«

»Wirst du mich begleiten, Gratyesha? Willst du endlich meine Braut sein, in den fremden neuen Ländern, die ich jenseits der Welt gefunden habe?«

»Ja«, sagte sie.

Er half ihr in den Sattel seines weißen Hengstes und stieg hinter ihr auf. Vor Elric von Melnibone verneigte er sich. »Ich danke dir noch einmal, großer Zauberer, obgleich ich nie angenommen hätte, daß mir jemand vom königlichen Blute Melnibones helfen würde.«

Elrics Gesicht verriet Amüsiertheit. »In Melnibone, so heißt es, gilt es als verseucht.«

»Vielleicht von Milde verseucht.«

»Vielleicht.«

Prinz Carolak grüßte die Männer. »Ich hoffe, du findest deinen Frieden, Prinz Elric, so wie ich den meinen gefunden habe.«

»Ich fürchte, mein Friede wird eher wie der aussehen, den Saxif D'Aan erlangt hat«, antwortete Elric ernst. »Trotzdem danke ich dir für deine guten Worte, Prinz Carolak.«

Im nächsten Augenblick ritt Carolak lachend auf die Reling zu, gab seinem Pferd die Sporen und verschwand im Sprunge.

Stille herrschte an Bord. Die restlichen Räubergestalten sahen sich unsicher an. Elric wandte sich an sie:

»Merkt euch eins - ich habe den Schlüssel zum Roten Tor, und nur ich weiß, wie er benutzt wird.

Wenn ihr mir helft, dieses Schiff zu bedienen, sollt ihr von dieser Welt befreit sein! Was sagt ihr dazu?«

»Gib deine Befehle, Kapitän!« rief ein zahnloser Bursche und lachte humorlos. »Das ist das beste Angebot, was wir seit hundert Jahren oder länger gehört haben!«