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Der Abschlussball

Der Abschlussball, bei uns »Debs« genannt, ist das Highlight des Schultrimesters, des Schuljahres und des gesamten sozialen Schulkosmos. Im Grunde ist es das Highlight von so ziemlich allem, was in der Schulzeit passiert, von den ersten nervösen Schritten durchs Hauptportal an der Hand deiner Mam bis zum letzten Gang hinaus nach der letzten Klausur. Anders gesagt, ist es der Höhepunkt des gesamten Lebens, das du hier verbracht hast, unter diesem Dach und innerhalb dieser Tore. Und er kommt in Form eines riesigen Abschlussballs am Ende des letzten Sommertrimesters, ein bisschen wie die Prom in Amerika, nur mit einer Extraportion Suff und Kotzerei, die das Ende deines Lebens als sorgloser kleiner Schülerbubi symbolisiert, der ein sorgenfreies Leben führt, und den Anfang deiner Erwachsenenexistenz als einer, der zu viel trinkt und dem irgendwie andauernd schlecht ist.

Die Debs finden im gesamten Land in coolen und nicht ganz so coolen Bars statt, und Fiona sagt, sie wären so eine Volkskrankheit, bei der die gesamte Nation sich eine Nacht lang Augen und Ohren zuhält und so tut, als wäre es das Normalste auf der Welt, dass Zehntausende sonst so brave Siebzehnjährige sich bis in die frühen Morgenstunden die Kante geben und hauptsächlich in hoffnungslos verwahrlosten Haufen enden, die Klamotten zerrissen, verdreckt, die Gesichter verschmiert und den Inhalt ihres umgedrehten Magens vor sich auf dem Gehweg.

Mal die Sau rauslassen, nicht wahr?, sagt Mam zu Garys Mam, als sie bei aufgeweichten Keksen über Seamus Kennedys Debs plaudern und wie ihm die Nase gebrochen wurde, als er unten am Hafen versucht hat, in den frühen Morgenstunden bei ein paar richtig harten Säufern aus der Stadt einen Kurzen zu bestellen und dabei noch seinen Anzug anhatte. Er war mit seiner Debs Fianna Malarky da – man nennt beides Debs, die Party und das Mädchen. Sie stand in ihrem lila Rüschenkleid neben ihm, und die Barbesitzer, völlig besoffene Dubliner, wollten sie reinlassen und ihn nicht, und dann haben sie ihm eins übergebraten und ihn bewusstlos in einer Seitenstraße liegen lassen, weil er sie alte Knacker genannt hat.

Garys Mam ist auch der Meinung, dass das die eine große Chance für die Kinder dieser Nation ist, mithilfe eines vortänzlichen Aperitifs, eines Dinners, eines Jazzbandauftritts mit anschließender Disco, gefolgt von einer Sauftour bis in die frühen Morgenstunden und einer peinlich berührten Taxifahrt nach Hause, die wie auch immer geartete Sau rauszulassen, die seit dreizehn Jahren in ihnen herumtobt.

Hauptsächlich spukt dieses Thema meinetwegen in den Köpfen von Mam und Garys Mam rum. Alle wissen, dass ich zu Saidhbhs Debs gehe, was eine Riesensache ist, vor allem, weil ich noch lange nicht volljährig bin und weil dies die einzige gute Neuigkeit ist, die es seit Monaten in unser Haus geschafft hat. Selbstverständlich musste Saidhbh bei Mam um Erlaubnis bitten, mich mitzunehmen, und es war ein Riesenaufhebens, Susan und Claire wurden nach oben verbannt, während Saidhbh und Mam am Kaminfeuer darauf warteten, dass Dad auftauchte und die Sache mit verschlafenen Augen ebenfalls abnickte. Dann vollführten Saidhbh und Mam eine halbe Umarmung, als wären sie sich nun einig über das Datum der Hochzeit und alles, und dann ließ Mam Saidhbh rauf in mein Zimmer rennen, um mir die großartigen Neuigkeiten zu verkünden – das war natürlich vor dem großen Krach darüber, dass ich rein technisch gesehen keine Jungfrau war.

Dank Gary spricht sich das Ganze auch an der Schule rum. Und es dauert nicht lange, da heißt es Debs hier und Debs da, und alle nennen mich Finno den Madser, weil ich die erste vierzehnjährige Schwuchtel in der Geschichte der Schule bin, die je einen Debs live und in Farbe mitbekommen durfte, und dann auch noch mit einem Mädchen. Gary erzählt mir, dass einige der Lehrer gesagt haben, dass das eine Schande ist, aber dass sie verstehen können, warum ich gehen darf, wo mein Vater doch im Sterben liegt und so.

Natürlich geht mir bei dem Gedanken, dass Saidhbh die ganze Sache abbläst, der Arsch ganz tief auf Grundeis. Ich wüsste überhaupt nicht, wie ich anfangen sollte, die Sache zu erklären. Mam alles erzählen und hoffen, dass es sich von ihr aus über ihren morgendlichen Kaffeeinformationsservice weiterverbreitet? Und wie sollte ich dann den anderen gegenübertreten und ihr dreifaches oder gar vierfaches Mitleid ertragen, und das in dem Wissen, dass ich der einzige Kerl in diesem Land bin, bei dem im Leben kein einziges Fitzelchen mal ausnahmsweise gut läuft. Und so schreibe ich ihr eine ganze Nacht lang in einer Mischung aus Sorge, Einsamkeit und dem bloßen, die Eingeweide zerquetschenden Elend, am anderen Ende von Saibhdhs Zorn zu stehen, diesen ellenlangen, irren Brief – mit Kugelschreiber auf Schmierpapier und hingekritzelten Kringeln über den gesamten Rand verteilt, in dem steht, wie sehr ich sie liebe und wie viel Angst ich habe, sie zu verlieren, und dass ich das mit der Jungfräulichkeit nur nicht erzählt habe, weil ich mir nicht sicher war, was für eine Art Mann sie wollte, und nicht sicher war, ob ich dieser Mann sein könnte oder ob ich überhaupt schon ein Mann war. Verstehst du?, schreibe ich. So Macho und so.

Nachdem ich den Brief mit einem »Streng geheim«-Stempel aus Garys Schnickschnacksammlung versehen habe, werfe ich ihn um sieben Uhr morgens in ihren Briefkasten, indem ich vorgebe, kurz eine frühmorgendliche Runde um den Block zu joggen, weil ich angeblich versuche, für den großen Tag in Form zu kommen. Mam sieht mich äußerst irritiert an, als ich im rot-schwarzen Jogginganzug zurückkomme, als würde sie sich fragen, was genau ich beim Abschlussball zu tun gedenke, für das ich sportlich gesehen in Topform sein muss. Ich sage ihr, dass das alle Jungs machen, einfach damit wir ein paar Kilos verlieren und in unseren Anzügen eine möglichst gute Figur machen, was sie offenbar zufriedenstellt.

Ist ja auch egal, der Brief erfüllt jedenfalls seinen Zweck, und Saidhbh kommt etwas später am gleichen Morgen vorbei, gleich nachdem Mam Claire und Susan zur Sorrows gebracht hat, und sie ist ganz komm-in-meine-Arme-mäßig traurig und plötzlich wieder fest davon überzeugt, dass wir das eine Paar auf diesem Planeten sind, das dazu bestimmt ist, für immer zusammenzubleiben. Eine Sache wäre da aber noch, sagt sie. Und das ist der Sex. Sie glaubt, dass es falsch von uns war, damit so Hals über Kopf anzufangen, und wegen meinem Alter und so findet sie, wir sollten damit aufhören. Sie spielt sogar mit dem Gedanken, runter zur Kirche in Kilcuman zu gehen und um eine weiße Weste zu winseln, und zwar beim Gemeindepfarrer höchstselbst, Vater O’Culigeen.

Bei diesen Worten bekomme ich Panik und sage ihr, sie soll keine Idiotin sein, und in einem riesigen Wortschwall füge ich noch hinzu, dass Liebe gut ist und Gott Liebe ist und Liebe Sex und Sex Liebe ist und dass, wenn Liebe gut ist und Gott gut ist und Sex Liebe ist, auch Gott Sex ist und Sex gleich gut gleich Gott ist. Und dass kein Pfarrer das je verstehen wird, es sei denn, er hatte schon Sex oder Liebe oder beides. Und um einen draufzusetzen, sage ich noch, dass O’Culigeen wahrscheinlich der letzte Mensch auf dieser Welt ist, der das alles je versteht, weil er ein lebloser alter Holzklotz und nicht qualifiziert dazu ist, über irgendetwas anderes als die Bibel zu reden und den Preis von Olivenöl und die Rückkehr des verfickten verlorenen Sohnes! Sie umarmt mich noch einmal und sagt mir, ich soll nicht so ein blasphemischer kleiner Hitzkopf sein und dass sie jetzt gerade eh nicht beichten kann, weil O’Culigeen aus familiären Gründen irgendwo an den Arsch der Welt fahren musste – einer seiner Brüder wird beerdigt –, und dass es ihr nicht einmal im Traum einfallen würde, bei irgendwem anders die Beichte abzulegen als bei ihm.

Und in der Zwischenzeit, sagt sie und zwickt mich in die Nase, kein Sex für dich.

Am Morgen nach dem Abschlussball haben wir dreimal hintereinander Sex, und es ist der Hammer. Mitten auf dem Wohnzimmerboden der Donohues. Wir sind beide noch verpennt und zerknautscht vom Vorabend, Saidhbh hatte ein langes lila Kleid mit verstärktem Filz am Dekolleté und weichen Puffärmeln an und ich den Anzug und extra viel Gel in den Haaren. Im Klospiegel des Abrakebabra auf der Dame Street sehen wir, dass wir ziemlich zerstört aussehen, und wir haben so viel getrunken und so viel getanzt, dass wir eher in einer Art wackligem Nebel herumwabern, statt zu laufen oder zu stehen. Natürlich hat Saidhbh meiner Mam versprochen, dass mir während des ganzen Abends kein Tropfen Alkohol über die Lippen kommt, man denke nur an mein Alter. Aber die Absprache war schon vergessen, als uns das Taxi auf dem Dury’s-Parkplatz in Ballsbridge absetzte und wir mit einer ganzen Horde von Saidhbhs Mhuire-ni-Bheatha-Kumpels abhingen, die alle ihre eigenen Schnapsflaschen dabeihatten, weil die Preise für Getränke drinnen astronomisch waren. Ich habe in den ersten zehn Minuten schon genug Schlucke genommen, um unterm Tisch zu landen, und mich dann mit ein paar älteren Debs-Typen unterhalten, die echt in Ordnung waren und mich andauernd mit den Ellenbogen angestoßen und mich behandelt haben, als wäre ich heute Abend ihr Maskottchen – am Tisch bekam ich immer als Erstes mein Getränk und einen ordentlichen Hieb gegen die Schulter, wenn ich mein Pint ausgetrunken hatte. Saidhbh bekam sie alle dazu, mich einen Madser zu nennen, und wenig später war ich einer von ihnen, und wir haben gesoffen und Witze gerissen, und ich habe genau wie sie Erdnüsse in Richtung Bardamen geschnipst.

Während die Jazzband spielte, haben Saidhbh und ich auf dem Klo geknutscht und rumgefummelt. Allerdings war ich quasi von den Augen abwärts gelähmt. Fergus, einer von den älteren Jungs, Typ Rugbyspieler, kam an und hämmerte gegen die Kabinentür und sagte, er muss da mit seiner Alten rein, also seiner Debs namens Barbara, und dabei brüllte er immer wieder, dass, wer auch immer da drin war, also wir, sich verdammt noch mal verpissen sollte. Doch als Saidhbh zurückbrüllte, er solle sich selbst verpissen und dass diese Kabine dauerhaft besetzt ist, hat er sich am Türrahmen hochgezogen, und als er auf uns runtersah, ich halb nackt und Saidhbhs Klamotten wer weiß wie hochgeschoben, hat er sich einfach nur totgelacht und den anderen zugerufen, dass der kleine Madser hier auf dem Pott ganz schön beschäftigt ist.

Natürlich wäre es uns nicht im Traum eingefallen, morgens zu mir zu gehen. Mam hätte bei meinem Anblick einen Schock gekriegt und bei meinem Gestank und dem Wissen, dass an diesem Abend jedes erdenkliche heilige Vertrauen und Versprechen gebrochen worden war. Mal ganz abgesehen davon, dass es für Dad zu viel gewesen wäre, seine drogeninduzierte Abschottung im Morgengrauen für kurze Zeit zu durchbrechen, nur um seinen einzigen Sohn übernächtigt und voll wie zehn Eimer vorzufinden.

Nein, stattdessen stranden wir um acht Uhr morgens in den Donohue-Towers, just in dem Moment, als Taighdhg und Sinead aus dem Haus gehen, still gefolgt von Eaghdheanaghdh. Die Donohues sind, was Alkohol angeht, viel cooler als meine Eltern. Vor allem, weil ihr Dad schließlich ein Alki ist und den Kindern ja schlecht eine Moralpredigt über die Schattenseiten des Alkoholkonsums halten kann, wenn er morgens ohne einen vorsorglichen Schluck Jameson noch nicht mal die Schuhe zubekommt.

Saidhbh sagt, dass ihr Dad noch nicht mal was unternehmen würde, wenn er plötzlich trocken wäre oder wie meine Mam über Nacht zum Antialkoholiker mutieren würde, weil er mit dem ganzen politischen Kram viel zu beschäftigt ist, um sich den Kopf über etwas so Nebensächliches wie jugendlichen Alkoholkonsum zu zerbrechen. Als Lehrer führte er quasi das Land und war andauernd bei Gewerkschaftstreffen und forderte Leute auf, Ortsgruppen zu bilden und zu streiken und auf Demos zu gehen und dies und das zu wählen. Was auch ein Grund dafür ist, warum seine Nerven so blank liegen, weil er so erschöpft davon ist, dieses Land zu retten.

Zurzeit hat er sich knietief in die Rechte von IRA-Gefängnisinsassen und die Konsequenzen des Zusatzartikels acht reingearbeitet. Bei Ersterem geht es darum, sicherzustellen, dass die englische Regierung die IRA-Jungs im Gefängnis nicht windelweich prügeln lässt, nur weil sie allen Londonern das Weihnachtsfest vermiest haben, indem sie die englische Version von Clery’s in die Luft gejagt haben. Und bei Letzterem geht es darum, sicherzustellen, dass unser Land nicht von westlichen, englischen Heiden überrollt wird, die aus unseren ganzen Frauen Schlampen machen und ihre ungeborenen Babys gegen ihren Willen mit kaputten Staubsaugern und Vorschlaghämmern töten. Sie sagt, das ist total wichtig und eine der größten Schlachten, in die die Lehrer je gezogen sind, und eine Möglichkeit, der Welt zu zeigen, dass wir hier in Irland anerkennen, dass uns die Babys im Bauch genauso wichtig sind wie die Erwachsenen auf der Straße oder im Pub.

Und sie hat recht. Denn Taighdhg sagt kaum ein Wort zu uns, als wir wie zwei Landstreicher-Zombies aus einem Horrorfilm vor seiner Tür auftauchen. Er überlässt es Sinead, die sich mit riesigen Ohrringen und noch riesiger auftoupierten Haaren, wie es sich für eine Fremdenführerin gehört, ordentlich aufgetakelt hat, zu sagen, dass wir uns hoffentlich schön amüsiert haben bei der Party gestern Abend und dass frisches Brennan’s-Toastbrot im Brotkorb wartet, während sie mit etwas Spucke in der Handfläche versucht, Eaghdheanaghdh einen Seitenscheitel zu machen. Die drei drücken sich auf der Türschwelle an uns vorbei und ins Auto und brausen nach einigen stotternden Startschwierigkeiten und aufheulendem Motor lautstark auf und davon in den frühmorgendlichen Berufsverkehr.

Saidhbh führt mich ins Haus, auf direktem Wege ins Wohnzimmer, wo sie die Zeitungen vom Boden aufhebt, um eine freie Fläche in der Mitte zu haben, am Gasofen, und schiebt den Wohnzimmertisch in eine Ecke, genau vor den Plattenspieler. Dann krallen wir uns wortlos ineinander, wie die Tiere. Es ist einfach unbeschreiblich, und wenn wir nicht vor einer halben Stunde bei Abrakebabra unsere Jumbo-Döner gegessen hätten, würde ich sagen, dass wir einander ein für alle Mal verschlingen. Es ist gleichzeitig Essen und Trinken, wie Mam über die besten Suppen sagt, die sie kocht. Wobei ich nicht glaube, dass sie an Dads Pimmel denkt, wenn sie das sagt.

Wir tun es stundenlang, von vorne, von hinten, von oben, von unten, kopfüber und dann noch ’ne Runde. Hinterher liegen wir ausgestreckt auf dem Teppich, lachend und außer Atem kichern wir und heulen fast über die schiere Unmöglichkeit, dass zwei Menschen so glücklich sein können, und gleichzeitig verschwitzt und nackt und mit leicht flauem Magen.

Ich dusche und ziehe mir wieder meinen dreckigen Anzug an und sage ihr aus Scherz, aber irgendwie auch, um ihr auf den Zahn zu fühlen, dass sie nächstes Mal bei O’Culigeen einiges zu beichten hat, wenn er aus seinem Kaff zurück ist. Sie nimmt mein Gesicht in die Hände und gibt mir einen festen Kuss, wobei sie ihre Zunge heftig in meinen Mund presst und über meinen Gaumen lutscht, als wollte sie beweisen, dass wir jetzt jenseits von Blümchensex sind und Dinge machen können, wie einander freundschaftlich die Zunge in den Hals zu stecken, und dann zieht sie mit einem Augenrollen den Kopf zurück und sagt: Das sagt der Richtige!

Ich hüpfe The Rise rauf wie ein Typ, der vor Glück in Flammen steht. In der Einfahrt parkt kein Auto, was bedeutet, dass Mam wohl schon zur Messe ist. Was sehr praktisch ist und auch bedeutet, dass ich das große Post-Party-Gespräch erst führen muss, wenn meine Version fertig ist und sitzt und ich behutsam all die Teile entfernt habe, die mit Saufen und Fummeln und Sexorgien auf dem Wohnzimmerboden die Straße runter zu tun haben.

Ich schlüpfe durchs Garagentor und habe mir gerade die Weetabix-Packung geschnappt, als es plötzlich auf der Treppe poltert und an der Küchentür niemand Geringeres als Dad auftaucht, dem die letzten Haarbüschel auf dem Kopf vor Ärger zu Berge stehen, während sein Mund funkensprühende Wut ausspuckt. Er nennt mich einen Stricher, und wer zur Hölle hat mir erlaubt, mir die Nächte um die Ohren zu schlagen? Ich sage ihm, dass doch Debs war und dass beim Debs alle über Nacht wegbleiben, doch er brüllt nur: Der scheiß Debs interessiert mich nicht, und hechtet mit wehendem Morgenmantel auf mich zu. Er sagt, meine Mam wäre ja vielleicht im vorletzten Jahrhundert irgendwo am Arsch der Welt geboren worden, aber er ist ein Dubliner, und Dubs sind nicht blöd, und Dubs wissen genau, was ich die ganze Nacht lang getrieben habe. Er wiederholt noch einmal, dass er nicht doof ist, und nur, weil er den ganzen Tag oben im Bett liegt, heißt das noch lange nicht, dass er nicht hört, dass Saidhbh und ich »das Unanständige« machen, wann immer wir können. Er sagt, dass er genau weiß, wie der Hase läuft, und dass das hier meine letzte Verwarnung ist. All das sagt er, während er mich am Kragen meines Anzuges festhält. Er stinkt fürchterlich. Wie morgendlicher Mundgeruch, vermischt mit Pipi und ein bisschen Tod.

Er sagt, dass ich für mein Alter eine absolute Schande bin, und schubst mich weg. Allerdings sind seine Arme ganz schwach. Und es ist ein bisschen so, als würde ich von einer benebelten, haarlosen Vogelscheuche mit schlechtem Atem geschubst werden. Es ist ganz leicht, ihn abzuschütteln, und ich stelle die Weetabix-Packung auf den Tisch und schieße die Treppe hoch, bevor er sich am Cornflakes-Regal festhalten und aufrappeln kann.

Normalerweise würde er jetzt aufgeben und ins Wohnzimmer humpeln und den Rest des Morgens schwitzend und außer Atem auf dem Sofa verbringen. Er hat schon seit Monaten niemanden mehr die Treppe raufgejagt, vielleicht sogar schon seit einem Jahr nicht mehr. Wegen seinem Zustand. Aber diesmal ist bei ihm irgendwas übergekocht. Und tatsächlich höre ich ihn, als ich gerade meine Zimmertür erreicht habe, wie er in einer Art irrem Halbkaracho aus der Küche die Treppe hochsprintet, wobei er mit dem Rohrstock das Geländer entlangklackert. Als hätte er jeden einzelnen letzten Kraftimpuls seines spindeldürren Körpers runter in seine Beine gepumpt.

Scheiße! Ich spurte aufs Klo und schließe die Tür ab. Binnen Sekunden ist er da. Er hämmert heftig dagegen und brüllt mich an wie ein Bastard. Er sagt, ich bin eine Schande, eine ekelhafte Schande und verdammt noch mal nicht sein Sohn. Eine gute halbe Stunde lang drischt er so auf die Tür ein und nennt mich eine ekelhafte Schande, wenn er genug Atem geholt hat. Natürlich geht ihm irgendwann vollends die Luft aus, und er setzt sich mit dem Rücken zur Tür auf den Boden.

Mam kommt aus der Kirche nach Hause und schreit auf, als sie ihn dort sieht. Ich komme hervorgekrochen und helfe ihr, ihn ins Bett zu tragen, bevor sie den Arzt ruft. Dad bekommt noch mehr Schmerzmittel und eine riesige Flasche Lucozade-Sportgetränk, und von jetzt an soll er nur noch zweimal am Tag aufstehen. Den Debs erwähnt er mit keinem Wort mehr. Bei mir nicht. Bei Mam nicht. Und wann immer es möglich ist, vermeidet er von diesem Tag an, mit mir zu sprechen oder mir in die Augen zu sehen oder meine Anwesenheit sonst irgendwie zur Kenntnis zu nehmen.