8
Party Time
Bei den Donohues ist es schon rappelvoll, als ich ankomme. Saidhbhs Bruder Eaghdheanaghdh (sprich: Ey-Änna) öffnet in einem Billy-Idol-Shirt die Tür und grunzt mich an. Er sagt nichts zu meinem Outfit, weil von ihm aus könnte ich wahrscheinlich die ganze Woche lang in diesem Traum-in-Grau-Look rumlaufen. Stattdessen greift er sich die Limoflasche in meiner Hand und schickt mich direkt rein, mitten in den schönsten Trubel.
Der Flur der Donohues ist winzig, und die Wohnzimmertür steht sperrangelweit offen, sodass man quasi schon mitten im Haus steht, wenn man nur zur Tür reinkommt.
Das Wohnzimmer quillt förmlich über vor Männern und Frauen, die rumstehen, diskutieren, plaudern und Witze machen. Die Luft ist völlig verqualmt und schmeckt nach Alkohol. James Last und sein Orchester schmettern lautstark aus der Stereoanlage. Taighdhg Donohue hat sich den Bart gestutzt und trägt einen neuen braunen Pullover. Er hat den Chefplatz in der Mitte des Zimmers und ist ganz in eine Diskussion mit einem anderen bärtigen Kerl vertieft, der sich konzentriert über die Backe kratzt.
Und ob, verdammt noch mal, ich gehe damit vors Dáil, sagt der Kerl. Das sind alles scheiß Wichtigtuer, jeder Einzelne von denen!
Taighdhg nickt und kratzt sich auch den Bart, während er gleichzeitig mit einem Auge den Raum im Blick behält und Leuten auf die Schulter klopft und Hände schüttelt und schnell ein paar Worte mit verschiedensten Leuten wechselt, die sich auf dem Weg zum Alkohol in der Küche an ihm vorbeiquetschen.
So isses, Taighdhg! Jawoll, Mick! Die Cats lagen heute in Führung, was? Will ich denen auch geraten haben, verdammt! Taighdhg, wie geht’s, wie steht’s? Alles senkrecht, Dick!
Taighdhgs Frau Sinead steht in der Küchentür, verteilt Drinks und trägt ein sackartiges, rosa glitzerndes Kleid mit Riesenausschnitt, das ihre labbrigen, ledrigen Hängetitten betont.
Na los, du, runter damit, das wärmt dich auf, das haut dir ’ne Luke in den Bart, ex und hopp, jawoll du Schlawiner, trainier noch mal schön den Ellenbogen am letzten Ferientag.
Mam nennt Sinead Donohue eine alte Oma im Strampelanzug. Sie nennt sie so, seitdem sie einmal mit frisch gefärbten Haaren, dickem Make-up, Skihose und einer großen Tasche Alk, die ihr um die Knöchel klimperte, verspätet zur Mitternachtsandacht kam. Mam kennt Sinead vom Sehen und wechselt vielleicht mal auf der Straße ein Wort mit ihr, aber Freundinnen sind sie nicht. Im wahren Leben ist Sinead Fremdenführerin in Dublin, was bedeutet, dass sie tagein, tagaus mit einer Horde Ausländer am Trinity College rumlatscht, damit sie das Buch von Kells bewundern und sich anhören können, dass Irland das tollste Land der Welt ist und dass damals, als in Europa wegen der Pest alle total am Arsch waren und sich gegenseitig die Köpfe abgebissen haben, wir hier in Irland so meinten: Ach, entschuldige, Liebes, ich kann noch nicht ins Bett kommen, ich muss erst noch dieses wundervolle Evangelienmanuskript fertig illustrieren. Oder sie karrt sie zum Kilmainham-Gefängnis und zeigt ihnen den genauen Ort, an dem die Briten den armen alten Widerstandshelden James Connolly auf einem Stuhl festbinden mussten, um ihn zu erschießen, weil er wegen seiner Verwundungen aus den glorreichen Osterschlachten 1916 schon fast auseinanderfiel und weil die Briten unmenschliche scheiß Bastarde sind. Und wenn an dem Tag zufällig irgendwelche englischen Touristen in ihrer Gruppe sind, dann macht sie einen riesigen Scherz draus und sagt, Die hier Anwesenden mal ausgeschlossen!
Dass sie Fremdenführerin ist, bedeutet, dass Sinead einen gewissen Berühmtheitsgrad hat und ziemlich eingebildet ist, worüber sich die anderen Mams ohne Ende aufregen.
Sinead verteilt freimütig Dosenbier und knutscht jeden ab, der zur Tür reinkommt. Sie sieht so aus, als hätte sie selbst schon ein paar Dosen intus, denn ihr Blick ist leer, und andauernd lächelt sie grundlos vor sich hin. Direkt vor ihrer Nase, unter einem riesigen, besonders auffällig platzierten Gemälde mit Bergen und Schafen drauf, lehnt Vater O’Culigeen, noch immer in seinem schwarzen Priesteroutfit, nur ohne seine Simon-Templar-Handschuhe, die Haare akkurater denn je zurückgegelt. Mit seinem winzigen, verkniffenen Mund nippt er Orangensaft aus einem kleinen Glas. Mit dem Oberkörper schaukelt er vor und zurück, als wäre seine Hüfte eine Wippe, und redet mit Kent Fosters Mam Joy.
Tja, ich habe gelesen, dass er seine ganzen Stunts selber macht, sagt der Klugscheißer zu ihr, todernst, Und das glaube ich glatt. Sie nennen ihn den härtesten Mann in Hollywood!
Die einzigen Leute, die ich in der Menge noch wiedererkenne, sind Mozzos Mam Janet, die Taighdhg von einem Irischkurs für Erwachsene an der Coláiste Mhuire ni Bheatha kennt, und Barry O’Driscoll, Vater von Liam O’Driscoll aus The Villas. Liam geht mit mir zur Schule und wird jeden Tag hin- und zurückgefahren, sogar zum Mittagessen. Der Rest der Welt inklusive seiner Frau glaubt, dass Barry seinen Sohn verhätschelt. Man könnte meinen, der Junge sei aus Glas, sagen sie. Der wird schon nicht kaputtgehen. Aber laut der Version Der Mütter beim Kaffeefrühstück ist Liams jüngerer Bruder Garrett als Kind ertrunken, und Barry ist nie darüber hinweggekommen und fürchtet ständig, Liam könnte auch etwas Furchtbares zustoßen.
Master Jim Finnegan!, brüllt Taighdhg, sodass alle für eine Sekunde innehalten. Komm rüber zu mir und lass mich deine Hand schütteln!
Einige der Erwachsenen rücken zur Seite und lassen mich durch. Taighdhg zerquetscht mir die Hand, packt mich an den Schultern, drückt zu und sagt, ich würde einen guten Fußballer abgeben, und dass Saidhbh und Mozzo drinnen sind und mit dem Essen helfen. Ich sage, Danke, Mr. Donohue, und bahne mir einen Weg in Richtung Küchentür, wo Sinead Donohue noch immer auf ihrem Posten steht und alles, was in Reichweite ist, abknutscht, während sie in der einen Hand eine Schüssel KP-Erdnüsse hält und in der anderen eine Dose Harp. Sie sieht mich sofort und bückt sich runter auf meine Höhe, um mir mit ihrem großen, feuchten Lippenstiftmund einen hastigen, schlabbrigen Kuss aufs Auge zu drücken.
Lass ihn um Himmels willen in Ruhe, Mam, tönt eine Stimme aus der Küche, Du traumatisierst den armen Kerl doch!
Ich werfe einen Blick hinter Mrs. Donohues glitzernden Körper und sehe Saidhbh, die am Waschbecken lehnt, sie trägt einen schwarzen Mini und eine weite weiße Bluse, deren oberster Knopf geöffnet ist, und um ihren Hals trägt sie eine Silberkette mit einem winzigen Jesus am Kreuz dran. Ihre Haare hat sie in einem Pferdeschwanz zurückgebunden, und ihre dunklen Augen sind so schön wie eh und je.
Sieh mal einer an, sagt sie, mustert mich einmal von oben bis unten, ein richtiger Ganove!
Innen drin bin ich hibbelig und aufgeregt, weil die Traum-in-Grau-Rechnung aufgegangen ist.
Also, sage ich, total lässig, was geht ab?
Ich warte nur auf die Pasteten, sagt Saidhbh und deutet auf den Ofen und dann auf einen riesigen Berg Cocktailwürstchen in der Schüssel, die vor ihr steht und darauf wartet, zu den Partygästen gebracht zu werden.
Cool, antworte ich.
Saidhbh sieht rüber zu ihrer weggedrehten Mam, greift hinter die Würstchenschüssel, zieht eine Dose Harp hervor, hält sie mir hin und fragt: Willst du?
Ich kann nicht, flüstere ich, wegen meinem Atem! Dad testet ihn später!
Verstehe, nickt sie und bietet mir stattdessen ein Glas Crazy-Prices-Limonade an.
Ich nehme einen Schluck, mache Ahhhh wie immer und starre schließlich geradeaus und versuche, ab und an einen heimlichen Blick auf Saidhbh zu werfen.
Sie sagt nichts, aber wenn ich sie ansehe, sehe ich, dass sie lächelt.
Sie bricht das Schweigen mit: Würstchen?, wobei sie den riesigen Würstchenhaufen in meine Richtung schiebt.
Danke, sage ich, schnappe mir eins von den auf Zahnstocher gespießten Würstchen und nehme einen Bissen.
Lecker, sage ich nach ein bisschen Kauen.
Die sind von Tom, dem Metzger, sagt Saidhbh.
Wusstest du, dass der Julie Kennedy heiratet?
Ja, sagt sie.
Schon komisch, sage ich.
Die Hintertür geht auf, und Mozzo kommt in einem langen schwarzen Hemd, schwarzer Armeehose und schwarzen Docs aus der Garage, fummelt sich am Kuhstall herum und gibt ein Geräusch von sich, das seine Zufriedenheit ausdrücken soll.
Was ’ne Fontäne!, sagt er laut, laut genug, dass Mrs. Donohue ihn hört. Und treffsicher!
Oh Moz, du bist so ein Spaßvogel, sagt sie, als wäre das Wort »Fontäne« das witzigste der Welt.
Ich tue mein Bestes, sagt er in ihre Richtung, bevor er abrupt stehen bleibt, als er mich sieht, wie ich ein Cocktailwürstchen in der Hand halte und mit Saidhbh rede. Er erstarrt und sperrt den Mund weit auf, bestimmt zehn Sekunden lang, wie bei Abbot und Costello, wenn sie einen Geist sehen. Dann sagt er: Und als wer gehst du?!, und lacht sich über seinen eigenen Witz kaputt, kommt rüber und boxt mir gegen die Schulter.
Cool, dass du da bist, Finno, astreine Party, was?
Er wartet meine Antwort nicht ab, sondern greift rüber zu dem Turm Harp-Dosen hinter Mrs. Donohue, nimmt sich in aller Seelenruhe eine Dose und drückt sie auf, sodass sie es auch schön hört. Sie dreht sich um, wirft ihm einen Spaßvogelblick zu und widmet sich dann wieder dem Abknutschen der Gäste.
Mozzo löst sich von Saidhbh, sein Arm liegt aber immer noch schwer auf ihren Schultern.
Und wie geht’s meinem kleinen Schmuddelkind?, sagt er, schmiegt sich an sie, zwinkert mir zu und macht Leckbewegungen mit seiner Zunge.
Dein Schmuddelkind unterhält sich mit unserem Gast, antwortet Saidhbh starr wie ein Stück Holz und stößt ihn mit dem Ellenbogen von sich weg.
Aha, verstehe, sagt Mozzo, steht stramm und wirft mir einen säuerlichen Blick zu. Tja, haben wir »unserem Gast« schon erzählt, dass ich und die Jungs gestern Abend niemand Geringeren als eine der beiden Biker-Schwuchteln in die Hände bekommen haben? Und weiß »unser Gast« schon, dass wir ihm ordentlich eins auf die Mütze gegeben haben?
Saidhbh richtet den Blick gen Himmel und schüttelt dabei den Kopf.
Du bist so ein Arsch, Declan, sagt sie und stürmt aus der Küche.
Hat ihre Tage, sagt er, als er sich mir zuwendet und einen ordentlichen Schluck aus seiner Dose nimmt.
Wie habt ihr ihn geschnappt?, frage ich.
Wen?
Die Schwuchtel.
Überraschungsangriff!, sagt Mozzo und boxt mir zum Spaß in die Eier, sanft genug, um als Witz durchzugehen, aber fest genug, dass ich mich vor Schmerzen krümme.
Taighdhg und seine ganzen Lehrerkumpels von der Coláiste Mhuire ni Bheatha haben sich zusammengetan und versuchen, ein Quiz in Gang zu bringen, aber Sinead will davon nichts wissen.
Fragt meinen Arsch!, sagt sie fest entschlossen, und alle außer Vater O’Culigeen johlen vor Lachen über ihre Unverfrorenheit. Einer der jüngeren Lehrer kniet sich hin, tut so, als wäre seine Harp-Dose ein Mikrofon, und fängt an, Sineads Hintern Quizfragen zu stellen.
Nun, Mrs. Donohues Arsch, verraten Sie mir, wie geht es Ihnen da unten?, sagt er.
Wieder johlen alle, denn das ist jetzt echt unverschämt. O’Culigeen ist kreidebleich und wendet sich wieder Joy Foster zu, um ihr noch ein bisschen mehr von Burt Reynolds zu erzählen.
Taighdhg tut so, als hätte er den bösen Witz nicht mitbekommen, geht rüber zu O’Culigeen und versucht, ihn zu überreden, den Quizmaster zu spielen.
Kommen Sie, Vater, sagt er, Sie sind der beste Mann für den Job. Und wenn Sie mögen, können wir Sie sogar Bunny nennen!
Taighdhg meint damit Bunny Carr, den Moderator der beliebtesten Quizshow, Quicksilver, dessen Frau an Polio erkrankt ist und in einer riesigen eisernen Lunge steckt wie ein kriminelles Genie. Mam nennt Bunny Carr einen großen Mann. Die Geduld eines Engels, sagt sie, mit so einer armen Frau. Da kann man noch so erfolgreich sein, was hat man davon? Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde!
Jau, sagt Janet Morrissey, Licht anlassen, Vater!
Auch hierüber johlen alle, denn das sagen die Kandidaten bei Quicksilver, wenn sie einmal aussetzen wollen.
O’Culigeen leckt sich Speichelreste aus seinen kaputten Mundwinkeln und sagt, dass er rein theoretisch nichts lieber täte, als den Quizmaster zu spielen. Dann druckst er herum und versucht, höflich zu sein, doch er kann sehen, dass Sinead Eaghdheanaghdhs Gitarre in den Händen hält und damit vor Barry O’Driscoll herumfuchtelt, der angeblich ein Gitarrengott ist, also sagt er, dass er es sich mit der Dame des Hauses nicht verscherzen möchte.
Der Wunsch der Ladys ist mir immer Befehl, sagt er und klingt wie einer dieser Idiotenschnösel aus dem Fernsehen. Und außerdem redet er totalen Müll, denn man sieht genau, wie geil er darauf ist, Quizmaster zu sein und alle glauben zu lassen, dass er allwissend und superwichtig ist.
Hört auf den Vater!, bellt Sinead, bevor sie Barry O’Driscoll anrempelt: Los jetzt, Barry, wir sind ganz Ohr! Spiel schon!
Barry fummelt an der Gitarre rum, tut jedoch nichts. Er merkt genau, dass Taighdhg immer noch total heiß auf ein Quiz ist und dass sich das Ganze zu einer großen Sache zwischen ihm und Sinead entwickelt. Taighdhg und Sinead merken das auch und beschließen, allen klarzumachen, dass das alles nur Spaß ist, indem sie anfangen, sich mit Pastetendeckeln zu bewerfen, während Taighdhgs Gang aus vollem Halse ruft: Quiz, Quiz, Quiz. Ich, ein Traum in Grau mit einem Glas Limonade, sitze neben Eaghdheanaghdh auf dem Sofa, der so mürrisch ist, dass er praktisch stumm ist, und sehe dabei zu, wie sich alle um Kopf und Kragen reden, was besser ist: Singen oder ein Quiz. Mozzo kippt sich in der Küche immer noch Harp hinter die Binde, und Saidhbh ist nicht wieder aufgetaucht, seitdem sie ihn einen Arsch genannt hat.
Weil Taighdhg und seine Gang Lehrer sind, stehen sie total auf Quizfragen. Sie lieben es, in jeder Runde die Antwort zu jeder einzelnen Frage zu kennen und einander zuzunicken und sich auf den Rücken zu klopfen und selbstzufrieden zu lächeln, wenn sie sich an die Namen der beiden Sängerinnen von Brotherhood of Man erinnern oder wissen, was Bagatelle heißt oder die Hauptstadt von diesem einen Land in Afrika oder das Jahr, in dem dieser junge Typ sich für Irland hat foltern lassen. Mam sagt, das kommt daher, weil es ihr Job ist, solche Sachen zu wissen. Das ist so, als würde man Dad sagen, er soll sich in aller Öffentlichkeit hinstellen und den Leuten etwas über Büromöbel erzählen, und dann würde er für seine Mühen auch noch eine Flasche Whiskey geschenkt bekommen. Er würde es lieben. Und er würde sie alle bezirzen und obendrein wahrscheinlich noch ein paar Bücherregale aus Honigahorn verkaufen. Sinead Donohue allerdings, die meistens im Fremdenführermodus ist, auch wenn sie gar keine Fremden führt, will einfach nur, dass alle den ganzen Abend lang singen und klatschen und klopfen und stampfen, und dann mit heiseren Stimmen nach Hause gehen und hinterher sagen, was für eine großartige, altmodische Party das gestern Abend bei den Donohues war. Genau wie in der guten alten Zeit auf dem Land, wenn Red Rocks Farrell und Clops Connelly dir um vier Uhr morgens mit »Danny Boy« die Tränen in die Augen getrieben haben.
Dank Vater O’Culigeens tatkräftiger Einmischerei wird am Ende ein Kompromiss erreicht. Taighdhg und seine Crew dürfen eine Blitzrunde Quizfragen organisieren. Währenddessen soll Barry O’Driscoll schon mal die Gitarre stimmen und sich für eine gute alte Gesangsrunde bereit machen.
Denen werden wir die Lust an ihren Quizfragen schon austreiben, sagt Sinead laut zu niemand Speziellem, und dabei werden wir sie noch richtig dumm dastehen lassen!
Alle finden, dass ein schnelles Quiz vor der Singerei eine Spitzenidee ist, und O’Culigeen steht da, grinst wie ein Honigkuchenpferd, stolz wie Oskar, und bekommt Orangensaft und Komplimente serviert.
Genau wie Salomo, der das Baby zweiteilen wollte, sagt ein kleiner, pockiger Wicht, der unbedingt etwas Aufmerksamkeit erheischen will.
So weit würde ich nicht gehen, sagt O’Culigeen, aber er lügt.
Die ganze Party wird in zwei Teams aufgeteilt, Team Taighdhg und Team Sinead, und wir brüllen einfach sämtliche Antworten raus, die uns einfallen, während O’Culigeen mit dem Quicksilver Quiz Book vor der Nase den Punktestand mitrechnet. Es geht hoch her, wobei Taighdhg und seine Truppe über jedes kleinste Detail in jeder einzelnen Frage diskutieren und Sineads Team einfach alles, was ihm einfällt, wie Störgeräusche dazwischenplärrt.
Geht es um den letzten »lebenden« amerikanischen Präsidenten oder einfach um den letzten?
Halt’s Maul, Donohue, und schreib den Ficker hin!
Pass auf, Walsh, oder ich hau dir eins auf die Mütze, dass dir das Gesicht wegfliegt!
Dir, und deiner Frau!
Weiter!
Mehr Sprit für Team Atrixo, wir sitzen hier auf dem Trockenen!
Keine Chance, O’Driscoll bekommt ausschließlich Fluppen vor seinem großen Auftritt!
Bezieht sich das auf eine offizielle Rebellion oder nur auf einen lokalen Aufstand?
Was macht das für einen Unterschied?
Bauern machen einen Aufstand!
Und ob, andauernd.
Wenigstens bin ich morgen früh nüchtern.
Wer’s glaubt…
Sinead!
Meinst du jetzt Griechenland oder das griechische Reich?
Scheiße, Daly, das ist doch jetzt nicht dein Ernst.
Nicht so viel fluchen, Timothy!
Wenn du’s unbedingt wissen willst, der volle Titel ist E. T. – Der Außerirdische und nicht nur E. T.
Der Außerbierische! Ich hab Durst!
Mach langsam, Bazzer, übernimm dich nicht.
Als würdest du viel vertragen …
Ach, und du schon?
Mehr als du.
Kommt, Jungs, um des lieben Herrgotts willen, sagt O’Culigeen, der in einem ersten Wutanfall eine Seite verknickt, Bitte nicht ausfallend werden!!
Jetzt wird das Quiz bitterernst, und es wird mucksmäuschenstill, wie in der Schule. Mozzo, der in Sineads Team ist, stiehlt sich rüber zu mir und sagt, dass Saidhbh, die nach dem Arsch-Ausbruch nicht mehr aufgetaucht ist, oben in ihrem Zimmer mit mir reden will.
Warum nicht mit dir?, sage ich, weil mir das Ganze nicht geheuer ist.
Mozzo zuckt mit den Schultern und sagt total traurig: Keine Ahnung, am Ende hat wohl der Bessere gewonnen.
Dann steht er auf und schlurft aus dem Zimmer, als würde er Höllenqualen leiden.
Während der nächsten Runden denke ich darüber nach. Nach jeder gebrüllten Antwort ergibt das alles mehr und mehr Sinn.
Wo wurde Der Sieger gefilmt?
Sie will nur quatschen.
Was war Bing Crosbys bürgerlicher Name?
Wie morgens Fiona, über irgendwelches Zeug quatschen.
Wie viele Brüder hat der Kennedy-Klan?
Irgendwas bereden. Genau.
Wer schrieb die Titelmelodie von Wanderly Wagon?
Fiona hat ihr gesteckt, dass man mit mir gut quatschen kann, und sie will mich testen.
Wie lautet der Mädchenname von Mike Murphys Frau?
Genau.
Während die letzte Runde läuft, ein von O’Culigeen höchstpersönlich erdachtes Bibelfigurenraten, stehle ich mich aus dem Zimmer. Er sieht, wie ich zur Tür flitze, und straft mich vor allen mit einem bitterbösen Blick.
Sieh an, wie der Herr Bischof, sagt er und spitzt seinen schmalen Mund wie eine alte Frau, Kann alles, weiß alles!
Einige der Partygäste lachen höflich, damit er das Gefühl hat, lustig zu sein, aber das geht mir am Arsch vorbei. Ich werde noch nicht mal rot. Ich habe Wichtigeres zu tun, als mir Sorgen darüber zu machen, O’Culigeen und seinen dicken Fettkopf beleidigt zu haben.
Ich komme oben an der Treppe an und mache bei dem geöffneten Leinenkorb halt, der nach klebriger Unterwäsche und Männerschweiß riecht. Ich gucke links und rechts den Flur entlang und hoffe auf einen Hinweis auf Saidhbhs Zimmer. Die Badezimmertür zu meiner Rechten fliegt auf, und irgend so ein alter Knacker mit Fettschürze und roten Augen kommt raus, fummelt sich am Kuhstall rum, grummelt etwas, als er an mir vorbeiläuft, und stapft fröhlich die Treppe runter. Für einen kurzen Moment ist es unten ganz still. O’Culigeen badet wahrscheinlich glückselig in all der Aufmerksamkeit, wenn er bei der 64 000-Dollar-Frage wissen will, wie dieser Steuereintreiber heißt, der aus dem Baum gefallen ist, oder dieser Typ, den Jesus von den Toten auferweckt hat.
Vorsichtig horche ich in die Stille hinein und höre deutlich, wie sich am Ende des Flures die arme Saidhbh die Augen ausheult. Ich folge dem Geräusch am Badezimmer vorbei zur nächstgelegenen Schlafzimmertür, an der eine Postkarte hängt, auf der eine Frau auf dem Sofa liegt und darüber steht: Man kann nicht alles auf einmal tun, aber man kann alles auf einmal lassen. Ich atme tief ein und klopfe direkt unter der Postkarte mit der Fingerspitze sanft gegen die Tür. Ich will nicht reinstürmen, aber sie soll wissen, dass ich für sie da bin. Ich klopfe noch einmal. Nichts. Nur mehr Heulen. Ich gebe der Tür einen leichten Stoß und stecke den halben Kopf, von meinen gegelten Haarspitzen bis zur Mitte der Nase, durch den offenen Spalt.
Das Zimmer ist ziemlich dunkel, nur ein schwacher Lichtschein kommt von einer kleinen Nachttischlampe. Trotzdem kann ich das Bett erkennen, einen Stuhl, einen Schreibtisch, einen Spiegel und ein riesiges Chicago-Poster direkt neben einem Bild vom toten Jesus in den Armen seiner Mutter Maria. Aber als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnen und ich genauer hinsehe, wirklich hinsehe, sitzt Saidhbh nicht in Tränen aufgelöst auf dem Bett, sondern liegt daneben, auf dem Boden. Und zwar ausgestreckt unter Mozzo. Er macht sich über sie her, in Schwarz, wie ein Vampir, und seine Hände fliegen über ihren Minirock und an ihr herum, wo immer es geht. Und sie, sie stöhnt sich einen ab, mit zurückgeknicktem Kopf wie in diesen ausländischen Filmen, wenn die Leute Sex haben.
Sofort ziehe ich vorsichtig die obere Hälfte meines Kopfes aus dem offenen Türspalt, totenstill, wie ein Roboter, ohne nachzudenken, und gehe auf Zehenspitzen wieder runter. Immer noch ohne nachzudenken, ohne ein Gefühl und beinahe atemlos, setze ich mich leise zurück auf die Couch, zurück in Taighdhgs Team. Ich starre stur geradeaus in die Luft und versuche zu verhindern, dass mein Kinn zittert und sich mir die Kehle zuschnürt. O’Culigeen, der wortlos die Punkte zusammenrechnet, wirft mir einen fiesen Blick zu, als wollte er sagen: Du steckst in ernsthaften Schwierigkeiten, Jungchen!
Ich sehe ihn geradewegs an, direkt in die Augen, so richtig trotzig, so nach dem Motto, ich hab nichts mehr zu verlieren, ich habe nichts mehr, so als wollte ich ihm sagen: Na los, versuch’s doch, du überhebliches Priesterarschloch!
Mozzo und Saidhbh kommen lachend und taufrisch ins Wohnzimmer gestolpert, total lässig, gerade als wir mit dem Singen anfangen wollen. Sinead Donohue sieht die beiden und versucht, spontan den Refrain von »We know what you’re up to« anzuleiern, um die zwei aufzuziehen, doch die Mehrheit der Partygäste ist nur daran interessiert, genügend John Players wegzupaffen und Harp in sich reinzuschütten und einen Whiskey hinterherzukippen, um den Mut aufzubringen, in aller Öffentlichkeit ein Lied zu singen. O’Culigeen jedoch, nüchtern wie ein neugeborenes Kalb, wirft Saidhbh so einen richtig bösen Blick zu, als würde er ihr sagen wollen, dass sie ihm schon noch alles erzählt, wenn er bei der nächsten Beichte ihr hübsches Gesicht sieht. Saidhbh ignoriert ihn, setzt sich neben mich und wuschelt mir durch die Haare, als wäre ich ein räudiger Hund, während Mozzo einen Arm um sie legt und mir boshaft zuzwinkert.
Durch all die Aufregung während der Quizrunde herrscht in dem Raum eine Bullenhitze, und um die ganze Schwitzerei zu stoppen, wurden alle Fenster aufgerissen. Barry O’Driscoll hat nur noch sein Hemd an und O’Culigeens Platz auf dem Quizmasterstuhl eingenommen, er stimmt Eaghdheanaghdhs Gitarre wie ein Profi – Kopf runter, keine halben Sachen. Taighdhgs Team hat das Quiz gewonnen, und der Preis ist, dass er den ersten Song des Abends singen darf. Einige Lehrer sind durch ihren Sieg noch ganz aufgekratzt und rufen Liedvorschläge wie »The Fields«!, sing »The Fields« für uns!, und »Kevin Barry«!, und »Galway Bay«!, doch Taighdhg gebietet ihnen allen mit einem ruhigen Handzeichen, zu schweigen. Er streicht sich wie ein weiser Mann über den Bart und flüstert dann etwas in O’Driscolls Ohr, der nickt und lächelt und anfängt, heftig über die Saiten zu streichen. Alle klatschen oder stampfen den Rhythmus mit und warten mit angehaltenem Atem darauf, welchen Song Taighdhg im Sinn hat. Er reckt den Kopf hoch, holt tief Luft und fängt an.
»I’ll tell me Ma when I go home …« Kaum hat er die ersten Worte ausgesprochen, explodiert der gesamte Raum vor Klatschen und Johlen. Ein beliebter Song. Ich kenne ihn, weil Mam ihn zu Hause auf einer Clancy-Brothers-Platte hat. Die meisten Leute stimmen brüllend in den Refrain mit ein. »She is handsome, she is pretty, she ist the Belle from Belfast City!«, aber ich sitze einfach nur da und klopfe ab und an auf mein Knie. Mozzo und Saidhbh haben Spaß und stoßen einander in die Rippen, als sie singen, »She is courting, one, two, three!«
Taighdhg bekommt einen Riesenapplaus, als er fertig ist, und singt noch drei Lieder, bevor es reihum geht. Jeder steht dann auf und singt sein eigenes Partylied. Doch obwohl man alleine singt, stimmen meistens alle mit ein, um dir zu helfen, vor allem, wenn du eine scheiß Stimme hast.
Sinead fängt an mit »The Wild Rover«. Das Lied haben wir in der Schule gelernt, und ich kenne es auswendig, aber ich tue gar nichts, singe nicht mit, klatsche nicht an der richtigen Stelle oder so. Es fällt niemandem auf, weil sich alle so prächtig amüsieren, ihre Harp-Dosen in die Luft recken und bellen, »And it’s no, nay, never! DRINK UP YOUR BEER!« Nach Sinead ist Janet Morrissey dran, die schon ordentlich einen im Tee hat und genügend Mut aufbringt, um ein Lied über Whiskey zu singen, das ich nicht kenne. Dann singt einer von den älteren Typen »McNamaras Band«, das haben wir zu Hause auf einem Greatest-Hits-Album von Perry Como, und alle drehen völlig durch vor lauter Aufregung.
So geht es im Uhrzeigersinn reihum, und nach etwa zehn Liedern ist Mozzo dran. Er zieht eine große Show ab und sagt, dass er seine Stimme verloren hat. Dann steht er theatralisch auf und fängt mit absichtlich heiserer Stimme drei verschiedene Lieder an, und alle lachen und lassen ihn damit durchkommen, weil er kein Spielverderber ist und sich zum Idioten gemacht hat. Nach Mozzo steht Saidhbh auf und singt »Danny Boy«, sie faltet die Hände mittig vor ihrem Minirock, das silberne Kreuz funkelt, und mit ihren großen braunen Augen sieht sie rauf zur Decke, als würde sie zu jemandem oben in ihrem Schlafzimmer singen. Taighdhg flüstert, dass sie die erste Solistin im Chor der Mhuire ni Bheatha ist, und als sie an die Stelle mit den hohen Tönen in der Mitte des Songs kommt, ist sie vermutlich die Einzige im Raum, die den richtigen Ton trifft. Alle anderen klingen zusammen wie ein stinkender Sack Katzen, der gerade einen Stromschlag bekommt. »Tis I’ll be heeeeeeeaaaarrrrrrr!«
Als sie fertig ist, bekommt Saidhbh eine Riesenrunde Applaus, doch niemand jubelt, weil die Stimmung nach dieser brillanten Vorstellung etwas getrübt ist. Mit blutunterlaufenen Augen und schweißnasser Stirn dreht sich Donohue zu mir und sagt todernst: Komm schon, Master Finnegan, raus damit. Stocksteif sitze ich da und spiele eine Sekunde lang wie ein Vollidiot mit dem Gedanken, »Tainted Love« zu singen, doch das würde nicht zu der gewandelten Stimmung passen. Das einzige Lied, das ich kenne, das so traurig ist wie »Danny Boy«, heißt »The Fields of Athenry«, oder einfach kurz »The Fields«. Aber »The Fields« ist ein Widerstandslied, und ich weiß nicht, ob dies der richtige Moment ist, mit Widerstandsliedern anzufangen. Ich kenne dieses Lied Wort für Wort, weil ich das ganze Ding im Sozialkundeunterricht siebenmal in mein Schmierheft geschrieben habe, um mich darüber lustig zu machen. Ich und Gary Connell haben immer gesungen »You stole Travelyan’s Cornflakes«, statt einfach nur »Corn«, und unser Lehrer Mr. Parr meinte, wir machen aus unserer heiligen Vergangenheit eine Farce.
Ich stehe auf, sehe runter zu Saidhbh und Mozzo auf der Couch, die unter einem Kissen versteckt Händchen halten, und entscheide in meiner Wut, es zu probieren. Ich gebe mein Bestes und versuche, nicht schief zu singen wie Paul Garvy in der Schule, der, seit er zehn ist, Stimmbruch hat. In dem Lied geht es um einen Jungen und ein Mädchen in alten Zeiten, die, von einer Gefängnismauer getrennt, zueinander singen. Er ist drinnen, weil er seinem Pächter Korn geklaut hat, keine Cornflakes, und jetzt soll er wegen seiner Missetat nach Australien geschickt werden, und sie sitzt draußen und erzählt, was für ein Riesenschlamassel das Ganze ist.
Ich merke direkt, dass das eine gute Wahl war. Denn sofort, als ich mit meiner hohen Aled-Jones-Stimme »By a lonely prison wall« anstimme, werden alle ganz still und andächtig, als würden sie in der Kirche sitzen. Der Song geht runter wie Butter, alle stimmen beim Refrain mit ein und schunkeln von links nach rechts, als wären sie in einem echten Konzert, und jammern leise darüber, wie supernervig es ist, wenn du dich ganz unsterblich in so einen jungen Kerl verliebt hast und der dir dann weggenommen wird und du plötzlich ganz allein da stehst, auf den steinigen schlammigen Feldern von Athenry. Ich spule das Lied ab, ich treffe jeden Ton und komme schließlich zur letzten Strophe. Das ist der Teil, wo der Kerl langsam sauer wird und über die Gefängnismauer zurücksingt, dass er doch gar nichts Schlimmes getan hat, wenn man es genau nimmt, außer gegen die Engländer zu kämpfen und zuzusehen, dass seine Familie was zum Beißen kriegt, und jetzt sein Kind nie mehr wiedersehen wird, und dass das eine himmelschreiende Ungerechtigkeit ist. Da steht Kent Fosters Mam Joy auf und verlässt schnurstracks den Raum und dann das Haus, ohne auch nur ihren Mantel zu holen oder irgendwem einen schönen Abend zu wünschen. Das könnte entweder daran liegen, dass ihr Mann Engländer war und sie deswegen was gegen den Teil mit den Engländern hatte oder weil ihr Sohn an Hautkrebs gestorben ist und sie ihn deswegen ungerechterweise auch nie wiedersehen wird, oder an beidem. Ich bin mir da nicht sicher, doch ich höre auf zu singen und drehe mich um zu der Tür, die Joy hinter sich zugeknallt hat.
Mach dir nichts draus!, brüllt einer der alten Knacker, die drüben beim Fenstersims an ihrem Powers nuckeln. Wegen der Alten brauchst du nicht aufzuhören!, sagt ein anderer. Mach weiter!
Ich sehe zu Taighdhg, der mir zunickt, und beende die letzte Strophe und den Refrain. Ich bekomme nicht so viel Applaus am Ende, weil alle irgendwie über Joy Foster nachdenken, aber ein paar Frauen sagen, dass ich stolz auf mich sein kann, so, als hätte ich gerade einen Boxkampf gewonnen.
Danach hat »The Fields of Athenry« sozusagen die Schleusen zu den Widerstandsliedern geöffnet. Sie kommen alle rausgeflutet. Jetzt, wo Joy Foster weg ist und niemand mit englischen Verwandten mehr übrig ist, heißt es volle Kraft voraus. Eaghdheanaghdh Donohue macht tatsächlich seinen Mund auf und peitscht die Menge mit »God Save Ireland Cry The Horses« in eine schweißtreibende Ekstase, dann springen alle vor Aufregung von ihren Plätzen, als Taighdhgs bärtiger Lehrerbuddy davon singt, wie die Briten vor der IRA weggelaufen sind »wie vor dem Teufel«. Das Ganze ist total verrückt, alle lassen ihre Drinks sinken und sehen einander mit wilden, aufgekratzten Blicken an, als könnten sie gar nicht glauben, was hier gerade passiert, was sie gerade tun, als ob sie ihre Körper nicht mehr unter Kontrolle hätten, und singen über die IRA-Burger-Bomber, als wären das irgendwelche Superhelden. Und alle stehen total drauf!
England, mach dich zum Kampf bereit, la da da da da, die echten irischen Soldaten sind da, la da dada da, das Elend hat ein Ende für das arme Irland, la di da di da, unser Tag wird kommen!
Tja, und während das alles vor sich geht, lungert O’Culigeen hinterm Sofa herum und versucht sich vorzudrängeln. Die Sache ist nämlich, dass er eigentlich drüben bei der Tür saß, die Joy zugeknallt hat, und sofort wusste, dass er als Letzter dran sein würde, als es im Uhrzeigersinn reihum ging, und dass dann schon alle von den Liedern gelangweilt sind oder, noch schlimmer, dass sich das mit dem Singen bis dahin schon komplett erledigt hat. Und so quetscht er sich schließlich getrieben von purer Verzweiflung durch die Menge und hockt sich auf die Sofalehne und wirft Taighdhg einen bedeutungsschwangeren Blick zu, während ein anderer Lehrer singt. Am Ende des Liedes klatschten wir, und so langsam kommt ein bisschen Langeweile auf, als Taighdhg uns alle um Ruhe bittet und um einen warmen Applaus für einen Mann der Kirche, einen Quizmaster und rundum ehrenvollen Gentleman – Vater Luke O’Culigeen!
Die meisten Leute johlen und jubeln. Sinead Donohue pfeift anerkennend. Mozzo hat mittlerweile seinen gesamten Arm um Saidhbh gelegt, sodass es jeder sehen kann, also stampft er nur ein paarmal mit seinen großen schwarzen Docs auf den Boden. Saidhbh, sichtbar angetrunken, lehnt still und zurückgezogen in seiner Achselhöhle. Ich sitze da auf meinem einsamen Sofakissen und klatsche leise, aber höflich, in Erwartung der kommenden Performance.
Nachdem der Applaus verebbt ist, steht O’Culigeen langsam auf und fährt sich mit der Hand durch seine schwarze Gelfrisur. Die andere, saubere Hand legt er Barry sanft auf die Schulter und flüstert ihm das Lied zu. Dann senkt er den Kopf wie im Gottesdienst nach dem »Herr ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach«-Part. Er lässt sich Ewigkeiten Zeit, und die Stille macht uns alle etwas nervös. Es ist noch nicht mal mehr klar, ob er überhaupt noch atmet, doch dann kommt plötzlich diese tiefe, tiefe Stimme wie ein Nebelhorn aus dem Nichts. O’Culigeen blickt auf, und seine Augen sind schon glasig vor Tränen. »When boyhood’s fire was in my blood«, donnert er los, während O’Driscoll auf seine Gitarre eindrischt, »I read of ancient free men.« Ich habe dieses Lied noch nie gehört, aber schon jetzt gefällt es mir. Diesmal wird nicht sofort gejubelt oder angefeuert. Es ist einfach nur still, Augen sind geschlossen und Münder stehen offen. Als würden wir alle die Kommunion empfangen.
O’Culigeen schmettert was über die Griechen und die Römer und ihren Freiheitskampf, und dann singt er, dass er betet, wir reißen unsere Ketten eines Tages endlich entzwei, und dann kommt die nächste Zeile, und die hat es in sich: »Und das besetzte Irland, als Nation nun wieder frei!«
Diese Zeile wiederholt er immer und immer wieder, fast kommen ihm die Tränen.
Als Nation nun wieder frei! Als Nation nun wieder frei! Und das besetzte Irland, als Nation nun wieder frei!
Alle mögen den Song und wippen fröhlich mit. Es ist, als hätte jemand den gesamten Geschichtsunterricht aus der Schule in ein einziges geniales Lied gepackt. Sofort schnappen wir das meiste vom Refrain auf und singen das letzte »Als Nation nun wieder frei!« schon mit. Wir sind begeistert. Und wir können den nächsten Refrain kaum abwarten. Doch O’Culigeen weiß genau, was er tut. Er nimmt gerade genug Tempo raus, als er von diesem besonderen Licht singt, das von oben her wacht, und von den Stimmen der Engel. Und dann drückt er so richtig auf die Bremse, als es wieder interessant wird – »Und wahre Männer machen unser Irland als Nation nun wieder frei!«
Dann singen wir den Refrain, alle drei »Als Nation nun wieder frei«, in Perfektion. Und diesmal richtig mit Gefühl, wir rufen es heraus, als wäre es uns ernst, unsere Augen glänzen vor Stolz, und wir erinnern uns an die ganzen armen jungen Kerle oben im Norden, die getötet werden, weil sie einfach nur die gleichen Jobs wie diese britengeilen, protestantischen Idioten wollen. Wir sind total begeistert, und fast hält es uns vor Begeisterung nicht mehr auf unseren Plätzen. Saidhbh ist aufgewacht und kniet neben Mozzo auf dem Sofa, der schon gar nicht mehr versucht, cool zu wirken, sondern stattdessen wie gebannt O’Culigeens Show verfolgt. Die meisten im Raum stehen sowieso, sie schunkeln von links nach rechts, mit einer Hand auf der Brust, als würden sie vor Gericht einen Eid ablegen.
Die letzte Strophe singt O’Culigeen megalangsam, mit fest geschlossenen Augen und vor Schmerzen gerunzelter Stirn, als würde er innerlich sterben. Er singt, dass er kein Junge mehr ist, sondern ein Mann. Und er hat Hoffnung, aber er hofft, seine Hoffnung wäre nicht einerlei. Und als wir »einerlei« hören, wissen wir schon genau, was kommt. Und wir brüllen fast vor Aufregung.
»Wird mein geliebtes Irland als Nation nun wieder frei!«
Beim letzten Refrain brennt die Hütte. Alle, wirklich alle, der gesamte Raum, von den Whiskey saufenden alten Säcken in der Ecke über die torkelnde Sinead bei der Tür und Taighdhg auf dem Boden zu den rüpeligen Lehrern und den aufgekratzten Frauen hinten über Mozzo und Saidhbh auf der Couch bis zu mir, alle singen gemeinsam aus voller Brust, mit brechenden Stimmen, sogar unsere Zähne sieht man. »Als Nation nun wieder frei!« Und das wollen wir, das wollen wir wirklich. »Als Nation nun wieder frei!« Wir wollen raus auf die Straße rennen und rufen »Als Nation nun wieder frei!« und die ganzen Briten bekämpfen, die hier rübergekommen sind und den guten alten James Connolly vor seiner Erschießung an einen Stuhl gefesselt haben, und all die Bastarde auf BBC, die Irenwitze reißen, und die ganzen Schnösel, die jedes Jahr beim großen Konzert »Rule Britannia« singen, und wir wollen Joy Fosters Tür eintreten und ihr sagen, dass sie sich zurück nach England verpissen soll, und wir wollen jeden verdammten Burger-Laden in London in die Luft jagen und ihnen allen sagen, dass sie aufpassen sollen, was sie sagen, denn die Iren sind zurück und die Iren sind verdammt noch mal das Größte!
Bei der letzten Zeile, »Und das besetzte Irland …«, stehen ich, Mozzo und Saidhbh Arm in Arm auf der Couch, ich habe meinen um Saidhbh gelegt und sie ihren um Mozzo, dessen eigener Arm über Saidhbh bis zu meinem Nacken reicht, »Als Nation nun wieder frei!!« Wir alle schreien triumphierend und hüpfen auf und ab. Als wäre es Silvester und alle würden rumrennen und einander in die Arme fallen und Irland anfeuern. Mozzo greift rüber und zieht mich in eine Dreierumarmung mit Saidhbh, und wir springen auf und ab und brüllen Juuuuhuuuuhuuuuuu! Saidhbh gibt mir ein Küsschen auf die Backe, und Mozzo guckt mich an und lächelt ein Das-geht-in-Ordnung-Lächeln. Ich springe von der Couch und denke, dass das hier die beste Party aller Zeiten im besten Land der Welt ist.
O’Culigeen ist völlig platt. Er hat sich in Barry O’Driscolls Quicksilver-Stuhl fallen lassen und reibt sich den Schweiß von seiner Stirn zurück in die schwarzen Haare wie der Junge in dem Witz mit der Rotze. Er wischt sich mit dem Arm über die Wangen, sodass sich Schweiß und Tränen in seinen schwarzen Ärmeln vermischen. Er atmet so schwer, als hätte er soeben die Ziellinie vom Dublin-City-Marathon überquert. Wir alle bilden eine Schlange, um ihm auf den Rücken zu klopfen und zu sagen, dass das das beste Partylied war, das wir je gehört haben.
Ich entferne mich von Mozzo und Saidhbh und gehe einfach zu ihm, genau wie alle anderen Erwachsenen. Ich berühre ihn an der Schulter und sage: Das war sehr schön.
Er sieht mir in die Augen, und irgendwie umgibt ihn eine große Traurigkeit, als er ruhig antwortet: Ich bin froh, dass es dir gefallen hat, mein Kind.
Ein paar Abendlichtstrahlen kommen noch von den Laternen in The Rise rein, ansonsten ist alles dunkel. Ich liege im Bett, nur meine Arme gucken aus der Ernie-und-Bert-Bettwäsche, und ich erzähle Fiona alles von der Party. Saidhbhs Minirock, Sineads Möpse, Harp, das Quiz, die Lieder, O’Culigeen, das volle Programm. Fiona erzählt, dass die Fetzen geflogen sind, nachdem ich weg war, weil Susan total hysterisch geworden ist und zwei Stunden nonstop geheult hat, weil sie älter ist als ich, aber nie irgendwohin darf.
Sie war so sauer, dass sie vor Wut angefangen hat, gegen die Heißmangel zu treten. Und als Mam sie davon abhalten wollte, hat sie ihr ein Sindy-Blechetui direkt an den Kopf geworfen und geschrien, dass sie sie hasst bis aufs Blut. Dass sie wünschte, sie wäre in Brenda Joyces Haus geboren worden und nicht in dieser stinkigen Bruchbude. Dad musste aus dem Fernsehzimmer angerauscht kommen und alle aus der Küche scheuchen, um Susan am Tisch eine Standpauke zu halten. Er sagte ihr, dass für Jungs andere Regeln gelten, weil Jungs nicht in so große »Schwierigkeiten« geraten können wie Mädchen. Sarah, die vom Flur aus alles mit angehört hatte, wurde wütend und platzte in die Küche rein und sagte, dass es Männer wie Dad sind, die irische Frauen in der Steinzeit festhalten. Dem folgte ein langer Streit, jeder gegen jeden, den ganzen Abend lang, darüber, wer besser ist, Männer oder Frauen.
Dads wichtigstes Argument war, dass Jungs alles in allem nicht in so große »Schwierigkeiten« geraten können wie Mädchen und deshalb auch anders behandelt werden. Sarah sagte, das ist so armselig, dass er das Wort »schwanger« noch nicht einmal aussprechen kann. Mam sagte Ssssch und nickte in Susans und Claires Richtung, als wären sie Kleinkinder, die noch an Feen und den Weihnachtsmann glauben.
Ein Junge wird nie heimkommen und Schande über dich gebracht haben, sagte Dad, bevor er ärgerlich hinzufügte: Er wird niemals SCHWANGER werden!
Fiona sagt, dass Mam das Fass schließlich endgültig mit der Frage zum Überlaufen brachte, was Dad tun würde, wenn eine seiner fünf Töchter schwanger nach Hause kommen würde. Er sagte, dass sie von dem Moment an nicht mehr seine Tochter wäre. Sarah schrie, dass sie liebend gerne schwanger sein würde, um das zu testen.
Na dann los, antwortete er: Teste mich ruhig!
Darüber lachte Fiona laut, und alle warfen ihr finstere Blicke zu, vor allem Sarah.
Während des gesamten Streits, ganz egal, wer was sagte und worüber – alleinerziehende Mütter oder Verhütung oder Sexismus in Schulen und der Politik –, kam Dad immer wieder zurück zu diesem einen Punkt. Er sagte, dass er theoretisch schon allein deshalb recht hat, weil es wissenschaftlich erwiesen ist und niemand abstreiten kann, dass sein Sohn, also ich, niemals schwanger zur Tür reinkommen kann! Und genau deshalb, aus diesem Grund, ganz eindeutig, wird dem Sohn bei seinen, also meinen, Aktivitäten etwas mehr Freiraum gegeben.
Fiona sagt, da haben sich alle Mädchen kollektiv die Haare gerauft und ihm gesagt, dass es um etwas ganz anderes geht.
Insgeheim, im tiefsten Innern, gefällt mir der Gedanke, dass Dad mich verteidigt, obwohl alle Welt gegen ihn ist.
Krass, sage ich, schließe die Augen und singe den Refrain »Als Nation nun wieder frei!« fünfmal hintereinander, bis Fiona mit einem Kissen nach mir wirft und sagt, ich soll die Klappe halten.