2

Early Days

Saidhbh und ich sind jetzt offiziell ein Paar. Ich weiß. Es ist total verrückt. Man denke nur an die drei Jahre Altersunterschied und die Tatsache, dass sie die herzzerreißend fantastische Saidhbh Donohue ist, mit blassem Lippenstift, glänzend braunen Haaren, Buttons und Röhrenjeans, und ich einfach nur jemand, der viel Fahrrad fährt, Spiderman-Schlafanzüge trägt und bei Familienfeiern im Hintergrund bleibt, vor allem, wenn sie im Vordergrund steht oder oben auf der ersten Etage mit einem Typen in Springerstiefeln rummacht. Es ist verrückt. Und normalerweise würde ihre Religion das nicht erlauben, und alle Priester der Welt würden sie dafür eine dreckige alte Kinderschänderin nennen, weil sie sich mir mit so etwas wie Romantik im Hinterkopf auch nur genähert hat. Aber dieses eine Mal macht sie eine Ausnahme, extra für mich.

Das Ganze fängt natürlich am ersten Tag nach O’Culigeens erstem Übergriff an. Sie hört von Mozzo alles über die letzte Nacht, als er in Tränen aufgelöst zu ihr gestürmt kommt und sagt, dass seiner Mam gerade ein Job angeboten wurde, just heute Morgen, völlig aus dem Blauen heraus, als Hausmeisterin in einer Kirche einer Gemeinde oben auf der Nordseite, und dass sie nach Clontarf ziehen müssen, weit weg von The Rise. Er sehnt sich nach Mitgefühl von Saidhbh und heult riesen Krokodilstränen. Noch nicht mal seine Docs hat er an. Und er sieht ihr in die Augen und hält sich an ihrer Bomberjacke fest und fleht sie an, sich etwas auszudenken, einen Plan. Er sagt, dass er nirgendwohin geht. Und dass er auf dem Boden in Saidhbhs Zimmer schläft, wenn sie ihn lässt. Sie spielt das Ganze runter und sagt, dass die Nordseite nicht so übel ist und dass sich Mozzo doch mein Fahrrad nehmen und sie damit besuchen fahren kann, wann immer er will. Bei diesen Worten dreht er natürlich total durch und sagt ihr, sie soll meinen Namen nie wieder erwähnen und dass er mir schon gezeigt hat, wo’s langgeht, indem er mir unten am Kanal ordentlich den Arsch versohlt hat, und ich jetzt ganz genau weiß, welche Schnecke zu welchem Typen gehört.

Bei diesen Worten wiederum dreht Saidhbh durch und nennt Mozzo ein Riesenbaby und lässt ihn alleine auf ihrer Bettkante sitzen und kommt zu uns gestürmt, um zu sehen, ob es mir gut geht. Mam schickt sie rauf zu mir und sagt, dass ich den ganzen Tag schon so still bin und kaum ein Wort darüber verloren habe, wo mein Fahrrad abgeblieben ist und warum ich erst zu so später Stunde vom Herrn Pfarrer zurückgekommen bin.

Und tatsächlich bin ich dank O’Culigeens erster abendlicher Angrabschaktion total fertig, als Saidhbh ankommt und sagt, dass sie sich voll die Vorwürfe macht und glaubt, dass es ihre Schuld ist, dass sie mich hier auf dem Bett vorfindet, verängstigt und still und mit der Frage beschäftigt, was aus meiner Welt geworden ist. Sie sitzt eine Ewigkeit bei mir. Sieht sich um. Hebt ein paar Schulbücher von mir vom Boden auf und sagt, dass Peig die Hölle ist, auch wenn man auf eine Schule geht, wo alle den ganzen Tag nur Irisch sprechen. Peig ist so ein Buch, das man im Irischunterricht durchnimmt, weil es einfach komplett auf Irisch geschrieben ist, ohne ein einziges Wort Englisch. Und die wahre Lebensgeschichte von so einer alten Schrulle, die irgendwo am Arsch der Welt lebt und eine Million Kinder hat, von denen die eine Hälfte emigriert und die andere Hälfte an der Irischer-Arsch-der-Welt-Krankheit krepiert, und als sie das schreibt, ist sie schon uralt und zündet sich eine Pfeife an und heult sich einfach darüber aus, wie schwierig es ist, eine alte Schrulle am Arsch der Welt zu sein, wenn dir tausend schlimme Erinnerungen durch den Kopf rasseln. Alle in der Schule sind gezwungen, es zu lesen, und wenn man es nicht kann, schafft man seinen Abschluss nicht, also hassen es alle umso mehr. Wir können diese jammernde alte Schachtel einfach nicht leiden, mit ihren Geschichten über die alte Zeit, als man die Nattern aus der Kuhscheiße essen musste, um zu überleben. Die meisten von uns übermalen das Wort Peig mit abgefahrenen Graffitis und ändern es zu »Pute« oder »Penis«. Aber Hosenscheißer-Sweeny hat den Vogel abgeschossen. Er hat das I und das G durchgestrichen und Schlam davorgeschrieben.

Sie hat total viel Geduld, also Saidhbh jetzt, und am Anfang sind wir nur Freunde. Wir gucken uns im Ambassador Police Academy II an und finden ihn scheiße bis auf die Stellen, an denen der schwarze Typ die ganzen Elektrogeräusche mit seinem Mund macht. Das Ambassador ist ein riesiges altes Kino, das nach Bazooka-Joe-Kaugummi und Pisse riecht. Es liegt ganz am Ende der O’Connell Street, wo massenweise Schlägertypen und Drogenabhängige rumlungern, die in Sozialwohnungen auf der Nordseite wohnen und Pferde als Haustiere haben und die dich für weniger als einen halben Schuss am Morgen abmurksen würden. Normalerweise wäre es eine große Sache für mich, da alleine hinzugehen, ohne eine große Schwester, die mich vor den messerschwingenden Junkies beschützt (wobei mir nie ganz klar ist, was genau meine Schwestern zu meinem Schutz tun sollten, wenn so ein Penner ankommen würde, außer vielleicht, ihn kurzzeitig mit ihren kunterbunten Neonpullovern von Ton-Sur-Ton zu blenden). Aber als Saidhbh kommt, um mich einzusammeln, nickt Mam ihr auf diese Weise zu, die bedeutet: Pass auf ihn auf, ich vertraue dir, du bist für heute seine Mam.

Am Anfang reden wir auch nicht so viel, ich und Saidhbh. Auf der Busfahrt in die Stadt sagen wir kaum ein Wort. Was ein bisschen komisch ist, weil die Fenster vom Aufeinandertreffen des miesen, kalten, nassen Dublin-Wetters mit der stickigen, dampfenden Wärme der Busheizung total beschlagen sind. Wir könnten quasi auch im Kreis rumfahren und würden es nicht merken, also gibt es nicht viel, was wir uns ansehen könnten, um uns abzulenken. Stattdessen male ich ein Gesicht ans Fenster, mit meinem kleinen Finger – für präzisere Linien. Ein stinknormales schreiendes Gesicht mit Fangzähnen. So was male ich gerade andauernd. Und ich kann mich nicht entscheiden, ob das daran liegt, dass ich American Werewolf im Filmclub der Schule gesehen habe oder ob das irgendwie so ’ne Art tief in mir drin sitzender Angstschrei ist. Ist ja auch egal, es sieht jedenfalls gut aus, und Saidhbh ist beeindruckt.

Saidhbhs Lieblingsfach ist Kunst, sie kennt sich also aus. Seit sie laufen kann, hat sie jedes Jahr eine Eins in Kunst bekommen. Sie will aber nicht wirklich Künstlerin werden. Sie will Lehrer werden, so wie ihr Vater. Sie sagt, dass sie wohl hauptsächlich Kunst machen wird, wenn sie in Rente ist. Dann wird sie grüne Landschaftsbilder malen und sie im Sommer um den St. Stephen’s Green Park herum an amerikanische Touristen verkaufen, die sich immer daran erinnern wollen, wie Irland aussieht, wenn sie zurück in den US of A sind, und dabei wird sie stinkreich werden.

Sie stößt mich mit dem Ellenbogen an und nennt mich einen kleinen Künstler. Ich stoße zurück und sage, Ach lass den Quatsch, aber wie ein alter Ire, dessen Familie schon seit tausend Jahren in Dublin wohnt und der findet, dass es die beste Stadt auf der Welt ist und der voll auf Guinness und Lustigsein steht und eine dicke Plauze hat.

Wir stoßen einander andauernd an, Saidhbh und ich. Eigentlich stoßen wir uns mehr an, als dass wir reden. Nach einem Monat traue ich mich immer noch nicht, sie nach Mozzo zu fragen, weil ich Angst habe zu hören, dass er noch immer ihr Freund ist und jeden Tag von Clontarf anreist, um sie zu sehen. Und sie traut sich nicht, ihn zu erwähnen.

Das mit dem Kino geht eine Ewigkeit so weiter, fast das ganze Schuljahr bis zu den ersten frostigen Dezembertagen. Nummer 5 lebt!, Drei Amigos!, Jumpin’ Jack Flash und Zoff in Beverly Hills. Wir gucken uns alles an. Wobei Saidhbh bei Letzterem vor dem Kinobetreiber so tun muss, als ob sie mein Vormund wäre, weil der Film ab sechzehn ist und darin diese Szene vorkommt, in der sich der Herr des Hauses ins Zimmer der mexikanischen Haushälterin schleicht und stöhnend und schwitzend unter ihr liegt, während sie sich rekelt und in einem weißen Nachthemdchen direkt auf seinem Pimmel rumwackelt. Ich und Saidhbh erstarren während dieser Szene zu Statuen. Wir atmen kaum, als sich das auf der Leinwand abspielt. Nicht dass wir vorher Händchen gehalten hätten oder so. Aber während die Szene läuft, würde jeder sofort merken, dass wir beide einfach stur geradeaus starren, dass sich bei uns kein Muskel regt, noch nicht mal die Augen. Wir erstarren einfach, nervöse Gedanken im Kopf.

Ich denke an die Jungs in der Schule, an Hosenscheißer-Sweeny und Steven Casey, und mir wird klar, dass das hier genau das Richtige wäre, um sie an einem Montagmorgen in den Wahnsinn zu treiben, sie würden ihre Hüften hauruckmäßig vor und zurück bewegen und mit ihren Händen das Finger-ins-Loch-Zeichen machen. Und für einen Moment denke ich darüber nach, wie ich das Gespräch darauf lenken kann, direkt vor Technisches Zeichnen, wenn wir in einer Schlange warten, um in den kalten Neubau mit den Zeichenschienen und den schrägen Tischen zu kommen. Ich stelle mir vor, wie ich nicke und das gute alte Ich-hab-mir-den-Gaumen-verbrannt-Gesicht mache und den Jungs sage, dass Mexikanerinnen megaheiß sind. Und ich stelle mir vor, in ihre Gesichter zu sehen, und frage mich, ob einer von ihnen sagen wird, ich soll meine Fresse halten und mich wieder um meinen Schwuchtelkram kümmern. Aber hauptsächlich denke ich darüber nach, wie traurig mich die Szene macht. Und ich frage mich, ob Saidhbh und Mozzo auch diese Rekel-Wackel-Nummer abgezogen haben. Und ob Saidhbh ein weißes Seidennachthemdchen hat. Und ich fühle mich schlecht, wenn ich daran denke, wie es für mich in Sachen rekeln und wackeln gelaufen ist, und wie zur Hölle es so weit kommen konnte, dass ich die schwitzende mexikanische Haushälterin spiele und Vater O’Culigeen den geilen Hausherrn.

Auf dem Nachhauseweg reden Saidhbh und ich nicht über die Szene. Wir sagen, dass der Film echt lustig war, vor allem, als der Typ mit dem Bart in den Swimmingpool gefallen ist. Und dann, wenn zwischen uns Stille herrscht, singe ich. Das tue ich oft. Eine der vielen Angewohnheiten, die ich in dieser Zeit entwickle. Es ist auch kein ausgewachsenes Sich-die-Seele-aus-dem-Leib-Singen. Ich drehe mich nicht zu Saidhbh und brülle »Oh What a Beautiful Morning« aus Oklahoma (ein Familie-Finnegan-Favorit). Nein, viel stiller. Ich fange einfach an, manchmal ohne es zu merken, leise ein paar Zeilen von Jimmy zu singen, wie andere Leute ein Gespräch anfangen. Saidhbh und ich laufen also von der Bushaltestelle auf der Ballydown Road zurück durch The Villas, und ich singe ganz hoch, aber auch ganz sanft »You leave in the morning with everything you own in a little, black case!«.

Meistens singe ich noch ein paar Zeilen mehr, vermutlich bis zum Ende von »Mother will never understand …«, und dann höre ich auf und fange einfach wieder von vorne an. Sechzehn Schritte die Rosemount Lane runter. »Alone on the platform the wind and the rain …« Noch zwanzig Schritte bis zur Ecke Clannard Crescent. »On a sad lonely face.« Und dann nochmal fünfunddreißig bis zu dem kleinen Weg in die Castle Mount Road. »Mother will never understand.«

Das Beste daran ist, dass es Saidhbh offenbar nicht stört. Um genau zu sein, gefällt es ihr sogar. Manchmal läuft sie einfach still neben mir her und hört mir beim Singen zu, ganz hoch, Jimmy-Style. Und manchmal summt sie sogar mit, auch total hoch, aber sie summt auch das Keyboard dazu. »Da, da, da-da, dam, da, da, da-da, dam, da, da, da-da, dam.« Und ab und zu singt sie sogar mit, nur dass sie den Text ein kleines bisschen verändert, einfach weil sie es kann. »On YOUR sad lonely face!«

Und noch mal, das ist nicht wie bei Oklahoma oder Annie, schieß los! Oder irgendeinem anderen F-F-F, der jedes Jahr zu Weihnachten auf BBC 2 rauf und runter läuft. Viel sanfter als das und manchmal kaum wahrnehmbar. Aber in diesen Momenten, wenn wir uns über den kalten Asphalt einen Weg zurück zu unseren feuchten, winterlichen Häusern bahnen und in dieser Tonlage singen, die Dad in seinem hochnäsigen Angeberton als »sweet simpatico« bezeichnen würde, dann glaube ich, wenn auch nur einen Augenblick lang, dass es Reinheit und Schönheit auf der Welt gibt. Und dass ich einen Teil davon ganz für mich haben kann.

Und dann kommen wir zum schwarz-weißen Eisentor von Saidhbhs Haus. Normalerweise ist unser Abschied total simpel und geht von Saidhbh aus. Sie nennt mich einen kleinen Madser und macht dann noch irgendwas Schwesterliches, zum Beispiel kneift sie mir in den Oberarm, während sie sich runterbeugt und mir ein Küsschen auf die Backe gibt und mir auf nette Art und Weise sagt, ich soll abzischen. Aber diesmal, und ich könnte schwören, dass das an dem mexikanischen Hausmädchen im weißen Seidenhemdchen liegt, das uns beiden immer noch durch den Hinterkopf geistert, fühlt sich alles etwas komisch an. Ich warte darauf, dass sie mich einen Madser nennt, oder Finno oder sogar Jimbo, aus Scherz, aber sie tut es nicht. Sie steht vor mir, nimmt ein paar Atemzüge, als ob sie zehn verschiedene Sätze auf einmal anfangen will, tut es aber nicht.

Wir stehen vor dem Tor, sodass man uns vom vorderen Fenster des Hauses aus wegen einer immergrünen, wuchernden Riesenhecke nicht sehen kann. Taighdhg, der allwissende Dad, und Eaghdheanaghdh, der stumme Bruder, können uns nicht bespitzeln. Saidhbh trägt eine Jeanslatzhose über ihren Doc Martens und eine alte braune Sportjacke von Taighdhg, die sie neu erfunden hat und die jetzt dank der Buttons von Madness und The Clash, ihrem Markenzeichen, wieder cool aussieht. Ihre braunen Haare hat sie sich in einem lockeren Last-Minute-Zopf aus dem Gesicht gebunden. Und selbst jetzt, im tiefsten Winter, ist ihre Haut leicht gebräunt, wodurch ihr weißlicher Lippenstift noch zauberhafter aussieht. Sie ist einfach perfekt.

Das Schweigen zwischen uns dauert ewig lange. Wir stehen einfach da wie bestellt und nicht abgeholt. Ich halte es nicht mehr aus und platzte plötzlich mit »You leave in the morning with everything you own in a little, black case!« raus. Ganz offensichtlich hat sie für heute genug von Jimmy und würgt mich ab, indem sie sagt, ich soll mich vom Acker machen, und sich für das kleine Wangenküsschen runterbeugt. Wenn ich sage »runterbeugen«, meine ich eigentlich »ein wenig nach vorne lehnen, aber leicht nach unten« – wir sind fast gleich groß, trotz des Altersunterschieds, aber sie hat immer hohe Absätze an – nicht die hochhackigen Dinger zum Aufbrezeln, sondern die soliden fünf Zentimeter, die dir ein ordentliches Paar Docs an einem guten Tag bringt.

Ist ja auch egal, jedenfalls lehnt sie sich für den Wangenkuss nach vorne, und aus Gründen, die allein ich und die Macher von Zoff in Beverly Hills kennen, drehe ich ganz plötzlich im letzten Augenblick den Kopf rum und gehe auf Frontalkontakt, mit den Lippen.

Für eine Nanosekunde, genau in diesem Moment des unbeholfenen und erschlichenen Kontaktes, denke ich, Das ist es. Das ist der Moment, wo alles anfängt! Wo sich mein Leben zum Besseren wendet! Endlich! Aber dann zieht sie blitzschnell den Kopf zurück und sagt: Was soll der Scheiß?! Und sie sieht mich an, als hätte sie gerade einen riesengroßen, dampfenden Haufen Scheiße geküsst. Sie nimmt die Hand zum Mund und macht eine halbe Wegwischbewegung (als wäre ich hier derjenige, der Lippenstift trägt), und dann hastet sie kopfschüttelnd zurück ins Haus.

Das war’s dann erst mal für eine weitere Ewigkeit. Weihnachten ’84 kommt und geht, dann der ganze Januar und die ersten beiden Februarwochen. Es dauert ganz genau bis 18:45 Uhr am Abend vor meinem vierzehnten Geburtstag. Kein Wort. Kein Anruf. Keine einzige Hollywoodkomödie. Nichts. Die Leitung wird ganz offiziell gekappt. Und das alles wegen einem einzigen verunglückten Kuss.

Folglich ist Weihnachten total öde. Alle schenken mir das Falsche. Für sie bin ich das ewige Kind. Die haben keine Ahnung, was in mir drin oder um mich herum passiert.

Am Tag selbst lasse ich mir nichts anmerken. Ich zerreiße einfach das Geschenkpapier und sage: Wow! Boba Fett! Und nochmal: Wow! Einen Snowtrooper mit Rucksackzubehör habe ich mir schon immer gewünscht! Die Schwestern schenken sich Klamotten und Ohrringe und CDs von den Thomson Twins und Paul-Young-Poster. Mam schenkt Dad tausend praktische Sachen, so Wischdinger für die Windschutzscheibe und ein Steckteil für den Kofferraum, in das die Wischdinger reinkommen. Als er an der Reihe ist, ihr ein Geschenk zu überreichen, wandern unsere Blicke zu ihm, und wir alle denken, weil er ein Dad ist und weil er immer noch die Todmüde-Krankheit hat, dass er es vergessen hat oder dass er einfach nicht die Kraft hatte, ihr eins zu kaufen, geschweige denn einzupacken. Aber er wird ganz still und kichert und verschwindet aus dem Zimmer und kommt mit einem riesigen Karton zurück, groß genug, dass ein Wäschetrockner darin Platz hätte.

Wir alle wissen, dass Mam sich einen Trockner wünscht, seit sie Maura Connell in Aktion gesehen hat, schon vor über einem Jahr. Mauras Mann Tim hat mal kurz zehn Minuten Pause bei seinem Pilotenjob gemacht und hat ihr heimlich in der Stadt bei Clery’s einen gekauft. Hat ihn liefern lassen und alles. Das war ein richtiger Event, als der Clery’s-Wagen angefahren kam. Alle taten so, als wäre es der Papst höchstselbst, der mal kurz bei Maura vorbeischaut, um Hallo zu sagen und ihr ein Geschenk von Gott da zu lassen. Und so schielt Mam jeden Tag, wenn sie im Garten die widerlich feuchte Wäsche an das orangene Leinendings hängt, dass Dad für sie aufgespannt hat, oder wenn sie sie wieder abnimmt, neidisch zu Mauras Hintertür rüber, denn dort pustet ein dickes schwarzes Rohr den feuchten Dampf von ihrem Trockner nach draußen – und kündet von der federleichten, staubtrockenen Wäsche darin, die nur darauf wartet, mühelos rausgeholt und makellos gefaltet zu werden, um am Ende fröhlich auf den Betten der Familienmitglieder zu landen.

Leider sieht Mam auf den ersten Blick, dass es sich nicht um einen Trockner handelt, denn Dad kann das Geschenk quasi einhändig über seinem Kopf balancieren. Er lässt es vor ihr auf den Boden plumpsen, sagt, Fröhliche Weihnachten, und versucht, sich ein Lachen zu verkneifen. Mam lacht so halb, weil sie Mitleid mit ihm hat und ihre Enttäuschung verbergen will, und fängt an, das Geschenk zu öffnen. Nach einer Schicht Geschenkpapier weiß sie, wie der Hase läuft. Wir alle wissen es. Es ist Dads Lieblingsstreich. Ein winziges Geschenk zu kaufen und es dann eine Million Mal einzupacken, bis es so groß wie ein Haus ist. Das macht er jedes Jahr entweder zu Weihnachten oder bei einem unserer Geburtstage. Er glaubt, das ist einfach zum Totlachen, als gäbe es nichts Witzigeres auf dem Planeten Erde, als jemandem dabei zuzusehen, wie er Geschenkpapier aufreißt und dabei leicht enttäuscht aussieht.

Die Sache ist, nachdem Mam ihren Ärger darüber, dass sie keinen Trockner bekommt, erst mal verdaut hat, findet sie es irgendwie auch lustig. Und nach jeder Papierschicht sagt sie: Oh Matt, du bist ein unmöglicher Kerl! Und darüber kichert er noch mehr als vorher, er wird richtig rot im Gesicht, als würde er sich die beste Folge Benny Hill aller Zeiten angucken. Nach kurzer Zeit ist natürlich die Luft raus, und Mam hält ein tennisballgroßes Päckchen in der Hand, und um sie herum türmen sich Berge von zerrissenem altem Zeitungspapier (Dad hört nach etwa drei Schichten mit dem Geschenkpapier auf und ersetzt es durch alte Ausgaben des Irish Independent). Am Ende stellt sich das Geschenk als entweder Ohrringe oder eine Halskette heraus – nicht zu billig und nicht zu teuer –, und Mam ist völlig aus dem Häuschen und sagt, dass es total glamourös aussieht und direkt aus Denver Clan kommen könnte. Sie dreht sich zu uns und wir ohen und ahen alle einstimmig, obwohl wir eigentlich nur glücklich darüber sind, dass sie am Ende des Papierklumpens angekommen ist, und auch darüber, dass Dad es geschafft hat, lange genug aus seinem Dauerschlaf auszubrechen, um ein Geschenk zu besorgen und daraus eine seiner typischen Comedynummern zu machen.

Dann bittet Mam die Mädchen, ihr dabei zu helfen, das Chaos in Plastiksäcken zu beseitigen, dann wendet sie sich speziell an mich und sagt, ich soll mich beeilen. Schließlich ist heute Weihnachten, sagt sie. Und du willst doch nicht zu spät zu Vater O’Culigeen kommen!!

Nein, denke ich leise bei mir, bloß nicht. Also sammle ich meine Star-Wars-Actionfiguren zusammen und trage sie in meinen Armen hoch in mein Zimmer und lasse sie auf mein noch immer ungemachtes Bett fallen. Boba Fett und Luke in Hoth-Outfit. Ich knie mich vor sie hin, wie ich es so viele Jahre lang getan habe, und bereite sie auf ein riesiges Abenteuer vor. Normalerweise hat das, was ich spiele, nichts mit den Star-Wars-Filmen zu tun. Stattdessen lasse ich meine Actionfiguren vor einer riesigen Flutwelle (meiner Decke) davonrennen und im letzten Moment von einer Klippe (dem Kopf von meinem Bett) in einen reißenden blauen Fluss (meinen Teppich) springen. Aber heute, an diesem Weihnachtstag, sehe ich sie nur an. Es ist, als wäre mein Kopf, der sich all diese Geschichten ausgedacht hat, plötzlich ein Megamix und jemand hätte auf Pause gedrückt.

Mam kommt angerauscht, steckt mich in meine schicksten Weihnachtsklamotten, ein braunes Jackett mit passender Hose, und setzt mich dann bei der Kirche ab, direkt vor O’Culigeens Tür, ganze fünfundvierzig Minuten bevor der Gottesdienst anfangen soll.

O’Culigeen macht sich fast in die Hose, als er mich sieht. Er sagt mir, dass ich göttlich aussehe und dass ich das schönste Weihnachtsgeschenk bin, das sich ein Pfarrer wünschen kann.