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Der Mann legte Trümmersteine der Kapelle auf die zugeschüttete Stelle. Er hatte seine Arbeit verrichtet. Nichts deutete auf das kleine Grab unter ihm hin. Endlich, nach so langer Zeit, konnte es in geheiligter Erde ruhen, hier an diesem sakralen Ort. Eigentlich hätte er es schon früher machen müssen, aber da hatte das Buch noch nicht so klar zu ihm gesprochen. Erst in den letzten Jahren waren die Hinweise eindeutiger geworden und die Stimmen lauter. Aus seiner Hosentasche zog er die kleine grüne Bibel, das Bändel hatte er schon zu Hause in die Seite mit der Textstelle gelegt. Es war das Buch Tobit. Er setzte sich auf einen der warmen Steine, die untergehende Sonne beschien durch das Seitenfenster das Textblatt:

 

› 2,7 Nach Sonnenuntergang ging ich hinaus, um ein Grab zu schaufeln, und begrub den Toten.

2,8 Meine Nachbarn aber sagten hämisch: Er hat schon gar keine Angst mehr, wegen dieser Tat hingerichtet zu werden. Eben erst hat er fliehen müssen, und schon begräbt er wieder die Toten.

2,9 Als ich ihn begraben hatte und in der Nacht nach Hause kam, legte ich mich an der Hofmauer zum Schlafen nieder, weil ich unrein geworden war. Mein Gesicht ließ ich unbedeckt,

2,10 ohne auf die Sperlinge zu achten, die in der Mauer nisteten. Da ließen die Sperlinge ihren warmen Kot in meine offenen Augen fallen, und es bildeten sich weiße Flecke in meinen Augen. Ich ging zu den Ärzten, doch sie konnten mir nicht helfen.‹

 

»Im Winter wäre schon längst Sonnenuntergang gewesen, am 22. Dezember sowieso, da wird es schon nachmittags um vier dunkel. Heilandzack!«

Er steckte die Bibel in die Hosentasche.

Der Mann stieg durch das Fenster der Kapelle. Er suchte noch Sommerblumen. Er fand Knabenkraut und am Tümpel die gelbe Wasserlilie. Ein letztes Mal stieg er in die Kapelle, legte die Blumen auf das unsichtbare Grab und kletterte aus der Kapelle wieder heraus.

Den Weg nach Hause wählt er wiederum in der sicheren Variante, durch den Moosforst schob er die Karre leicht bergan. Als er aus dem Forst herauskam, blieb er stehen und schaute zum Hagelloch.

Er hob die Faust und schüttelte sie.

»Dort gehört ihr beide eigentlich hin, ihr Drecksauen, auf den Schindanger und nicht auf den Gott’sacker!«

Die wichtigste Arbeit hatte er verrichtet, es lag in geheiligter Erde. Und die beiden hatten ihre gerechte Strafe bekommen. Dass er es nicht geschafft hatte, die zwei auf den Schindanger zu verlegen, weil ihn die Kräfte verließen, störte ihn nun nicht mehr.

Noch einmal schüttelte er die Faust.

»Ihr Drecksauen, ihr dreckigen!«

Er hob die Karre an den beiden Holzenden an und ging, leise vor sich hin singend, seinen Weg weiter.

So, nun zurück zur Werkstatt. Jetzt kommt der krönende Abschluss!

 

 

»Der Kirchturm winkt mir drohend zu,

doch bringt er mir auch meine Ruh.

Dort wird nun meiner Hände Werk

das Zeichen meiner großen Stärk.

Noch einmal stürzt das warme Blut,

aus feinem Herz und brennt wie Glut.«