6. Die Handtasche
Ich kann mich noch
erinnern, als ich eines Tages aus dem Produktionsbüro nach Hause
kam, meine Freundin im Flur stand mit einem Lächeln im Gesicht, die
Augen glänzten, und ich wusste, irgendetwas musste passiert sein.
Ich sah sie an, und plötzlich fing sie an, wirres Zeug zu reden.
Sie schrie immer nur: »... Nussloch ...
Nussloch ... Nussloch.« Ich dachte direkt an einen
schwedischen Porno und sagte: »Kein
Problem, können wir besorgen!« Sie meinte aber die Stadt
Nussloch. Wir müssten unbedingt nach Nussloch. Für alle, die sich
jetzt fragen, wo Nussloch liegt: direkt bei Wiesloch.
Sie: »Wir müssen nach Nussloch!«

Sie: »Da gibt es Handtaschen!!!«

Sie: »Ja!«
In Nussloch gibt es also Handtaschen. Ich bin ja froh, dass wir endlich wissen, wo es Handtaschen gibt. In Berlin gibt es ja keine Handtaschen mehr. Ist ganz schwer ranzukommen, maximal auf dem Schwarzmarkt. Doch das spielt gar keine Rolle. Es geht nicht um die Möglichkeit, eine Handtasche zu kaufen, vielmehr geht es um die Möglichkeit, bei einem Handtaschenkauf zu sparen.
Man muss eventuell dazu sagen, dass Nussloch circa 650 Kilometer von uns zu Hause entfernt ist, und selbst wenn es sich dabei um einen Fabrikverkauf handelt, alleine der Sprit für die Strecke plus die gefahrenen Kilometer mit Sicherheit das ganze Gesparte wieder auffressen. Ganz unabhängig davon, dass es ökologisch und ökonomisch absoluter Schwachsinn ist, da wir ja die Strecke auch wieder zurückmüssen. Doch das Lustige an der Denkweise meiner Freundin – oder überhaupt von Frauen – war und ist eine ganz einfache. Frauen denken separat. Die Kosten für die Handtasche, die gespart werden, spart sie von ihrem Geld. Die Kosten, die durch die Fahrt in dem Auto des Mannes entstehen, zahlt er von seinem Geld. Unter dem Strich hat die Frau doch gespart. Wenn man jetzt aber glaubt, dass man mit dem Kauf einer Handtasche im Vorfeld die Gefahr eines Fabrikverkaufs umgeht, hat man(n) sich getäuscht. Die Frau nimmt natürlich die Handtasche aus einem Geschäft als Geschenk an, doch in die Fabrik will sie dann trotzdem.

Wir sind also um 6 Uhr morgens nach Nussloch geballert. Muss man auf seine »To-do-Liste« schreiben, bevor man stirbt. Ein Haus bauen, einen Baum pflanzen und morgens um 6 Uhr nach Nussloch fahren!
Spannend wurde es aber
erst, als wir in Nussloch ankamen. Sie wurde schon beim Passieren
des Ortschilds ganz nervös auf dem Sitz, als wir dann aber den
Parkplatz vom Fabrikverkauf erreicht hatten, riss sie die Tür auf
und sprang aus dem fahrenden Auto, rollte sich kurz ab und rannte
in die Fabrikhalle – immer mit der Angst im Nacken, dass eine
andere Frau ihr gerade die Handtasche wegnimmt, die sie haben
wollte. Sie rannte also rein und war weg. Ich habe sie nicht mehr
gesehen, nur noch fliegende Kartons und Handtaschen. Nach gut 4
Stunden kam sie wieder, stand vor mir, das Lächeln wurde nur durch
ihre Ohren unterbrochen, die Augen glänzten nicht nur, man hätte
Schlittschuhe drauf fahren können. Sie hielt mir eine Handtasche
vor die Nase und schrie schon fast euphorisch: »Guck mal, ‘ne Handtasche!«


Am besten war aber von allen Sätzen und Antworten die Antwort auf meine Frage, wofür sie denn die Handtasche gebrauchen kann. Denn es handelte sich bei dieser Tasche um eine klassische Klemmtasche. Die klemmt man sich direkt unter den Arm. Es passt nichts rein. Die jungen Mädels in den Diskotheken stellen sie auf die Tanzfläche und tanzen gemeinsam drum herum wie die Indianer um das Feuer. Wofür eine Handtasche kaufen, wo nichts reinpasst?

Ich habe sie aber gefragt, und sie sagte ganz trocken auf die Frage, wofür sie die Handtasche braucht, einfach: »Die kann man so halten!«
Vokabeln |
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Wir müssen nach Nussloch! | Du fährst mich dahin! |
Da gibt es Handtaschen!!! | Ich kaufe und du bezahlst! |
In der Fabrik ist es billiger. | Ich werde mir mehrere Handtaschen kaufen. |
Das sind nur 650 Kilometer. | Du zahlst den Sprit und ich kaufe ein! |
Ich hab ja keine Tasche zu dem einen Kleid. | Ich weiß, dass ich keine Handtaschen mehr brauche, aber ich will welche! |
Vielleicht finden wir ja auch etwas für dich. | Man kann da mit Kreditkarte zahlen. |
Wir müssen früh los. | Ich hab keine Lust, dass die besten Stücke schon weg sind. |
Guck mal, ‘ne Handtasche! | Egal was du sagst, die will ich! |
Die kann man so halten! | Ich trage sie und du zahlst sie. |
Wie findest du die? | Die nehme ich auch. |
Tolle Farbe! | Ich weiß nicht, wozu ich sie tragen kann. |
Ich hab noch nichts Rotes! | Ich brauche noch ein rotes Kleid! |
Damit ich für dich gut aussehe. | Meckere nicht! |
Kann ich zum nächsten Jahrestag anziehen. | Denk immer daran, dass du mal einen Jahrestag vergessen hast! Ich weiß es und du weißt es. |