14

VIERZEHN

In den folgenden Wochen fügte sich für Teri und Phil alles bestens.

Lucky verbrachte immer weniger Zeit im Haus. Seine Treffen mit Janet wurden regelmäßiger, und normalerweise übernachtete er vier oder fünf Mal die Woche bei ihr. Sie verbrachten mehr Zeit mit Quick als mit ihrem eigenen Gott. Manchmal sahen sie Lucky tagelang überhaupt nicht, und nur zerknitterte Hawaiihemden im Wäschekorb sagten ihnen, dass er auf eine Stippvisite vorbeigekommen sein musste, kurz geduscht und sich etwas zu essen geschnappt hatte, bevor er wieder zu Janet gegangen war.

Als sie vorschlugen, dass Quick das Gästezimmer benutzen könnte, lehnte er ab. Das Zimmer war mehr als nur ein Kämmerchen voll mit Luckys Klamotten und einem unbenutzten Bett. Es war der Schrein für ihren Gott, der Sakralraum, seiner Besänftigung gewidmet. Auch wenn er ihn nicht oft benutzte, zählte das Zimmer trotzdem als Huldigung.

Quick schlief also weiterhin auf dem Sofa, aber er war ein ruhiger Typ und ein passabler Koch. Und er war rücksichtsvoll genug, das Haus dann und wann zu verlassen, um ihnen ihre Privatsphäre zu geben. Normalerweise schlängelte er einfach nur ein paar Stunden um den Block oder setzte sich mit einem Glas Tomatensaft und einem Buch in den Garten. Es war kein sehr göttliches Verhalten, aber er hatte die Wege der Huldigung und Gunst schon vor langer Zeit aufgegeben.

»Ich versuche nur, den Kopf wieder klar zu bekommen«, hatte er erklärt. »Ich kann dieses Spiel im Moment nicht gebrauchen.«

Beide Sterblichen wussten, dass dies nur Ausflüchte waren, aber sie sahen keine Notwendigkeit, ihn zu drängen. Er war unsterblich. Er hatte viel Zeit, um »sich selbst zu finden«. Es ging sie eigentlich nichts an. Sie verbuchten den Schlangengott, der in ihrer Mitte lebte, einfach als eine zusätzliche Ehrbezeugung Lucky gegenüber, und solange Quick bereit war, ab und zu den Abwasch zu machen, fiel er ihnen nicht weiter zur Last.

Janets und Luckys Beziehung wandelte sich viel schneller von Verliebtheit zu echter Zuneigung, als einer von beiden zugeben wollte. Aber Teri bemerkte es. In ihren Mittagspausen mit Janet ertappte sie Janet dabei, wie sie sehnsüchtig lächelte – und musste nicht erst raten, an wen oder was sie dachte. Mehr und mehr drehten sich ihre Gespräche um etwas »Süßes«, das Lucky getan hatte. Oder um eine romantische Geste oder einfach etwas Lustiges, das er gesagt hatte. Teri dachte daran, etwas Entmutigendes einzuwerfen, aber sie sah keinen Sinn darin, sie mit kaltem Wasser zu überschütten, nur weil das Ganze höchstwahrscheinlich zu einem hässlichen Ende verdammt war. So war es schließlich bei den meisten Beziehungen, wenn sie es sich recht überlegte.

Es fiel jedoch auch schwer, negativ zu sein, wenn man das Glück gepachtet hatte. Alles lief gut. Es war zwar keine große oder offensichtliche Veränderung, aber spürbar. Abgesehen von den zwanzig oder dreißig Dollar Kleingeld, die Phil und Teri täglich fanden, gab es auch noch andere subtile Vorteile. Ihre Schlange an der Supermarktkasse war immer die schnellste. Selbst das überfüllteste Restaurant hatte bei ihrer Ankunft zufällig noch einen freien Tisch. Sie waren stets der zwanzigste Anrufer beim Radio-Gewinnspiel, fanden Dinge, die sie brauchten, immer im Schlussverkauf und mussten sich selten mit Verkehrsstaus herumschlagen. Lucky brachte vielleicht nicht ihr Leben in Ordnung, aber er entfernte all die kleinen Ärgernisse, die dafür sorgten, dass man sich schlechter auf die größeren Probleme konzentrieren konnte. Phil nutzte das, um sich einfach zu entspannen, während Teri feststellte, dass sie jetzt viel mehr erledigt bekam.

Es gab immer noch die Launen des Glücks. Phil trat mindestens einmal am Tag in Kaugummi, und Teri stellte fest, dass die Dusche sie auf unerklärliche Weise ungefähr einmal pro Woche plötzlich mit kaltem Wasser übergoss. Doch das waren nur kleine Unannehmlichkeiten und nichts im Vergleich zu dem Frust, den ein einziger schlechter Tag auslösen konnte.

Das Merkwürdigste waren die Tiere: die Vögel, Eichhörnchen, streunenden Hunde und Katzen, die in ihrer Umgebung auftauchten. Immer rot. Immer gefleckt. Immer mit den großen blauen Augen.

Lucky sagte ihnen, darüber müssten sie sich keine Gedanken machen und dass die Tiere irgendwann verschwinden würden. Sie sollten ihnen nur ein bisschen Zeit lassen.

Doch die Tiere blieben nicht aus.

Phil und Teri gewöhnten sich an ihren Anblick. Am Ende erschienen sie ihnen weniger bedrohlich als der tägliche Kaugummi an Phils Schuh. Deshalb bemerkten die beiden Sterblichen sie nach einer Weile fast gar nicht mehr.

Und das Leben, gesegnet von Glück und glücklichen Zufällen, war gut.

Phil sah die Supervisorin nicht zum ersten Mal durchs Büro gehen. Er hatte ihr schon ein paar Mal zugenickt. Und einmal hatte er ihr sogar die Hand geschüttelt, als er während einer Small-Talk-Runde vorbeikam. Aber sie stand viel zu weit über ihm auf der Firmenleiter, als dass er während der raren Gelegenheiten, wenn sie aus dem siebten Stock herunterkam, mehr mit ihr zu tun gehabt hätte. Üblicherweise erschien sie wie ein Geist aus einem besonderen Aufzug, sprach mit einem der Abteilungsleiter des vierten Stocks und verschwand dann wieder dorthin, wo sie hergekommen war. Deshalb war es überraschend, dass sie scharf rechts in Phils Reihe von Zellenbüros einbog. Alle hielten den Blick auf ihre Arbeit gerichtet, als sie den Gang entlangging.

Er beugte sich über seine Tastatur und starrte mit zusammengekniffenen Augen auf den Bildschirm, als hinge sein Leben davon ab. Es dauerte eine Weile, bis er merkte, dass sie neben seiner Kabine stehengeblieben war.

Er wagte einen Blick aus dem Augenwinkel, um sicherzugehen, wollte den Blick aber nicht von seiner Arbeit abwenden – aus Angst, beim Trödeln erwischt zu werden. In seinem peripheren Blickfeld war sie ein verschwommener Schatten, die Verkörperung all der lauernden nebulösen Gefahren. Man sah sie kaum und sprach nie über sie, wartete nur darauf, dass sie unvorsichtige Mitglieder der unteren Stufen des mittleren Managements auffraß, die erkennen ließen, wie überflüssig ihre Positionen waren.

Die Supervisorin sagte nichts. Sie stand nur da.

Er tippte langsamer und wandte den Kopf. Sie war nicht halb so Furcht einflößend, wie er angenommen hatte, aber er hatte sie auch noch nie zuvor direkt angesehen. Sie war eine kleine, stämmige Frau. Ihr schlichtes, graues Kostüm war faltenfrei, und ihre Haare waren zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Sie lächelte nicht, sah aber auch nicht zornig aus. Sie wirkte eher unergründlich.

»Phillip Robinson.« Es war keine Frage, aber ein freundlicher Ton lag in ihrer Stimme, auch wenn ihr Gesichtsausdruck neutral war. »Ich möchte gerne, dass Sie mit mir kommen.«

Er unterdrückte ein trockenes Schlucken.

Sie gab ihm gerade genug Zeit, um seine Arbeit zu speichern, bevor sie sich umdrehte und davonmarschierte. Er rannte ihr nach. Elliot warf ihm einen fragenden, leicht ängstlichen Blick zu, und Phil zuckte mit den Schultern. Sie führte ihn zu dem besonderen Aufzug, der sich nicht von einem gewöhnlichen Aufzug unterschied, ihn aber dennoch mit Furcht erfüllte.

Er fragte nicht, worum es ging, und sie sagte es ihm nicht. Er sah zu, wie die Stockwerksnummern aufleuchteten, bis der Aufzug die Sieben erreicht hatte. Zwar war es nicht ganz der neunte Stock, aber doch näher, als er ihm je gewesen war.

»Hier entlang, bitte.«

Er endete in einem Büro. Eine Sekretärin bewachte die Tür, machte aber keine Anstalten, sie am Eintreten zu hindern. Das Büro wirkte eher wie ein kleines Apartment mit all den Annehmlichkeiten einer Art-Deco-Wohnung. Nicht nach Phils Geschmack, aber beeindruckend, und sei es auch nur, weil er wusste, wie sehr andere so etwas schätzten.

Die Büroleiterin verschwand ohne ein weiteres Wort. Sie schloss die Doppeltür hinter sich und überließ ihn seinem Schicksal.

Ein korpulenter Mann saß hinter dem ausladenden Schreibtisch. Er war voluminös, aber nicht fett und strotzte vor körperlicher Kraft. Sein Haarschnitt kostete wahrscheinlich mehr, als Phil im Monat verdiente. Phil wusste nicht, wer er war, nahm aber an, dass es jemand Wichtiges sein musste.

Der Mann stand auf, breitete die Arme weit aus und begrüßte ihn ausgelassen. »Phil, wie schön, dass Sie es geschafft haben! Willkommen, willkommen!«

Phil wagte sich näher, trotz der Visionen davon, wie der riesige Schreibtisch umkippte und ihn unter sich begrub. Er beschloss, die erste Regel des Firmenüberlebens anzuwenden: den Boss bei Laune halten.

»Hallo« – er las das Namensschild auf dem Schreibtisch – »Mr Rosenquist.«

»Oh, bitte. Warum so förmlich? Nennen Sie mich Van.« Rosenquist lächelte und entblößte dabei perfekte weiße Zähne. Alles an dem Mann, von seiner Sonnenbräune über den gestutzten Schnurrbart und den eckigen Kiefer, war ein Muster der subjektiven Perfektion, für die so viele Tausende von Dollars ausgaben.

Rosenquist trat die Reise um seinen Schreibtisch an. Bis er um die zweite Ecke herum war, hatte Phil eine namenlose Furcht befallen. Er erwartete nicht, dass sich der Chef auf ihn warf und ihn verschlang, aber sein Bauch reagierte beinahe, als hätte er es getan. Dies war gefährliches Terrain für einen Angestellten seiner Position, und nicht jeder, der sich auf dieses Gebiet wagte, schaffte es auch in einem Stück wieder hinaus.

Der Boss nahm Phils verschwitzte Hand und quetschte sie.

»Kann ich Sie für eine Tasse Kaffee begeistern? Tolles Zeug hier. Importiert. Ich glaube, es kommt vielleicht sogar aus einem Land, mit dem wir ein Handelsembargo haben, aber ich frage lieber nicht nach. Plausible Abstreitbarkeit.«

Phil trank nur morgens Kaffee, und den mochte er stark und schwarz. Alles andere interessierte ihn nicht. Doch Rosenquist goss ihm bereits eine Tasse aus einer sanduhrförmigen Kanne ein. Er reichte sie Phil, der sie in beiden Händen hielt, etwas unsicher, was er damit tun sollte.

»Riechen Sie das?«, fragte Van. »Ist das nicht wunderbar?«

Phil inhalierte gehorsam das Aroma. Er fand es unangenehm, behielt das aber für sich.

»Ich nehme an, Sie fragen sich, warum ich Sie heraufgerufen habe.«

»Ja, Sir … Van.«

Rosenquist schenkte sich selbst auch einen Kaffee ein, roch daran und setzte die Tasse ab. »Die Wahrheit ist, dass Sie da unten einen verdammt guten Job für uns machen, Phil.« Er schlug Phil auf die Schulter. »Einfach einen verdammt guten Job.«

Phil wappnete sich für den nächsten Teil. Das »…  aber wir müssen Stellen streichen« oder das »… aber durch die Umstrukturierung wird Ihre Stelle überflüssig«.

»Wir könnten einen Mann wie Sie im siebten Stock gebrauchen.«

»Mich?« Phil versuchte, nicht allzu überrascht zu klingen.

»Ja, Sie. Wir haben hier bald eine neue freie Stelle. Leitender Vizepräsident, verantwortlich für komplizierten Regierungspapierkram. Nicht die endgültige Stellenbezeichnung, aber im Wesentlichen trifft es das. Und Sie sind in der engeren Wahl.«

»Ich?« Diesmal misslang es ihm komplett, seinen Unglauben zu verbergen.

Rosenquist kicherte. »Es ist in dieser Phase noch nicht garantiert, das verstehen Sie vermutlich. Wir sondieren auch noch andere. Aber ich denke, es schadet nicht, wenn ich Ihnen sage, dass Sie im Moment der Spitzenreiter sind.«

»Aber warum ich?«

»Warum nicht Sie? Darf ich ehrlich sein? Natürlich darf ich. Sie sehen aus wie die Art Mann, die Ehrlichkeit zu schätzen weiß. Hab ich recht?«

Phil nickte. Als hätte er Nein sagen können.

»Falls Sie diese Stelle bekommen, wird sie in Wahrheit nicht viel anders sein als das, was Sie zurzeit tun. Aber unsere Anwälte sagen, wir brauchen jemanden in einer offizielleren Position. Juristische Gründe. Fragen Sie mich nicht, ich könnte es nicht erklären. Also haben wir ein Memo in alle Abteilungen geschickt, dass sie uns mögliche Kandidaten nennen sollen, basierend auf der Papierkram-Fehlerrate.«

»Sie überwachen, wie viele Fehler wir machen?«

»Oh, alles wird irgendwo überwacht. Die Liste wurde zu uns heraufgeschickt, und es war eine ziemlich lange Liste. Wir haben sie nach Leistungsbeurteilungen und Dienstalter auf die besten zehn Kandidaten zusammengestrichen. Es war immer noch eine ziemlich lange Liste. Dann hat ein Computerfehler den größten Teil der Daten gefressen – und nur noch vier blieben übrig. Also sieht es ganz so aus, als hätten Sie Schwein gehabt.«

Phil lächelte. Das war wieder einmal Luckys Werk.

»Es ist nichts Glamouröses. Sie werden aus Ihrer Arbeitsnische ausziehen, aber Ihr Büro wird nicht viel besser aussehen. Ihre Bezahlung wird nur die eines leitenden Angestellten sein. Können Sie das akzeptieren?«

»Derselbe Job«, fasste Phil zusammen, »mehr Geld.«

»Viel mehr Geld«, fügte Rosenquist hinzu.

»Damit kann ich leben.«

Die Sprechanlage summte. Es folgte ein kurzer Austausch zwischen dem Chef und seiner Sekretärin. »Sie müssen mich leider einen Augenblick entschuldigen, Phil. Muss ein paar Feuer löschen. Machen Sie es sich bequem. Ich bin gleich zurück.«

Phil stellte seinen Kaffee ab und ging zum Fenster. Das genauso große Gebäude gegenüber verdeckte die Sicht, aber wenn er ganz nahe am Glas stand, konnte er beinahe die Straße unten sehen.

Eine Bewegung vor dem Fenster erregte seine Aufmerksamkeit. Eine rote Taube mit schwarzen Punkten saß auf dem Sims. Der Vogel starrte ihn mit seinen strahlend blauen Augen an und pickte zweimal ans Fenster. So fest, dass ein Riss im Glas entstand. Er machte sich Sorgen, der Vogel könnte durchbrechen und einen Sturzflug auf sein Auge vollführen. Aber er flog davon.

Er wich zurück, behielt aber im Blick, ob der Vogel vielleicht zurückkam. Das tat er nicht, und nach einer Minute fühlte er sich sicher genug, den Blick von der Scheibe abzuwenden. Aus dem Augenwinkel beobachtete er sie aber trotzdem weiter.

Er griff nach einer Tasse, aber da er nicht ganz bei der Sache war, stieß er sie versehentlich vom Tisch. Eilig kniete er sich hin, um sie aufzuheben, aber der Kaffee hatte sich schon auf dem Teppich verteilt. Er fand ein paar Papierhandtücher in der Bar und versuchte mit wenig Erfolg, das Verschüttete aufzutupfen.

»So eine Sch…!«

Es war nicht genug in der Kanne, um die Tasse wieder ganz aufzufüllen. Phil nahm das halb volle Getränk. So hatte der Chef immer noch eine volle Tasse, und Phil musste weniger trinken. Er gratulierte sich gerade zu seiner Cleverness, als Rosenquist zurückkam.

»Van, es tut mir leid, aber ich habe Kaffee auf Ihren Teppich …«

»Keine Sorge. Die Putzkolonne wird sich darum kümmern.« Rosenquist schlug Phil so hart zwischen die Schulterblätter, dass sein Rückgrat eine bleibende Krümmung davontrug. »Sie sind jetzt eine Führungskraft.«

»Ich habe den Job?«

»So gut wie.« Der Chef nahm seine Tasse und wartete darauf, dass Phil dasselbe tat. Der gehorchte und sie stießen damit an.

Rosenquist nahm einen herzhaften Schluck von seinem Getränk, während Phil nur daran nippte. Es war nicht besonders gut, aber im Moment schmeckte es wie Nektar vom Olymp.

»Jetzt wird es noch ein paar Tage dauern, bis alles geregelt ist«, erklärte Rosenquist. »Die ganz normalen bürokratischen Hürden. Aber ich bin zuversichtlich, inoffiziell sagen zu können: Willkommen im siebten Stock.«

»Danke, Van.«

Der Chef drückte Phil noch einmal schmerzhaft die Hand. Er ertappte ihn dabei, wie er einen Schulterblick aufs Fenster warf.

»Stimmt was nicht?«, fragte Rosenquist.

»Nein«, sagte Phil. »Alles super.«

»Freut mich zu hören.« Er warf einen Blick auf seine Tasse herab. »Hey, hab ich Ihnen nicht die rote Tasse gegeben?«

»Ich weiß nicht, Van. Haben Sie?«

Rosenquists Lächeln erstarb. »Haben Sie die Tassen vertauscht?«

»Vielleicht. Ich habe nicht drauf geachtet, als ich sie nachgefüllt …«

Rosenquist goss seinen Kaffee auf den Boden und spähte in die Tasse.

»Stimmt etwas nicht, Van?«

Der Boss warf seine Tasse beiseite. Schweißperlen bildeten sich auf seinem Gesicht. Er ließ Phil los und fasste sich an die Brust.

»Van, bleiben Sie einfach ruhig. Ich rufe einen Arzt.«

Rosenquist torkelte vorwärts. Phil versuchte, den zusammenbrechenden Manager aufzufangen. Rosenquist war schwerer, als Phil erwartet hatte, und sie endeten beide auf dem Boden, der Chef zuoberst. Phil hatte Schwierigkeiten mit dem Atmen, und es war nicht nur das Gewicht, das auf ihm lastete. Die beiden Hände um seine Kehle hatten auch etwas damit zu tun. Phil schnappte ein paar Mal keuchend und erstickt nach Luft, während er in Rosenquists blutunterlaufene, zuckende Augen starrte.

Rosenquist sog einen letzten angestrengten Atemzug ein, dann wurde sein Körper steif, und er brach zusammen. Phil wälzte ihn zur Seite und holte tief Luft. Rosenquist atmete nicht mehr, sein Gesicht war zu einer grausigen Grimasse erstarrt. Phil hatte noch nie eine eingefrorene Grimasse gesehen, aber er war sich ziemlich sicher, dass dies eine war.

Die folgenden Minuten verschwammen in einem Nebel. Er erinnerte sich noch, die Sekretärin alarmiert zu haben, die den Krankenwagen rief. Der kam zwar schnell, aber bis dahin war es offensichtlich zu spät. Phil saß in einem Sessel in der Lobby und versuchte, aus den Ereignissen schlau zu werden.

Ein Herzinfarkt in diesem besonderen Augenblick erschien ihm unglückselig. Ziemliches Pech. Er fragte sich mehrmals, ob das seine Aussicht auf eine Beförderung schmälerte. Dann fühlte er sich schuldig, weil er so etwas dachte, während eben ein Mensch gestorben war.

Er überlegte weiter. War es Glück?

Oder war es Lucky?

Phil ging früher von der Arbeit weg, damit er vor Teri zu Hause war. Er fand Lucky auf dem Sofa vor dem Fernseher. Anscheinend war das alles, was Lucky in seiner Freizeit tat. Phil war zu der Erkenntnis gelangt, dass Götter bei all ihrer unglaublichen Macht eines nicht besaßen, das das Leben lebenswert machte: ein Zeitlimit.

Schweigend schaltete Phil den Fernseher aus und setzte sich Lucky gegenüber.

»Ich wollte das sehen«, sagte Lucky.

Phil nahm sich einen Moment, um seine Gedanken zu sammeln. Er hatte nicht viel Zeit, bis Teri durch die Tür kam.

»Heute ist mein Chef gestorben.«

»Tut mir leid, das zu hören, Mann.«

Phil hob die Hand, und ein überraschter Ausdruck ging über Luckys Gesicht.

»Hast du ihn umgebracht?«

Lucky setzte sich auf. »Wie bitte?«

»Ich mache dir keinen Vorwurf«, sagte Phil. »Ich muss es nur wissen. Hast du ihn umgebracht?«

»Ich bringe keine Leute um.«

Phil atmete lange ein.

»Du kannst mir die Wahrheit sagen.«

Lucky gluckste, aber als Phil nicht mitlachte, runzelte der Gott die Stirn.

»Ich sage das nur noch ein Mal, Junge.« Lucky nahm die Sonnenbrille ab und sah Phil in die Augen. »Ich. Bringe. Keine. Leute. Um.« Er griff nach der Fernbedienung. »Das ist nicht mein Ding.«

Er schaltete den Fernseher ein. Phil stand auf und drückte den Aus-Knopf am Gerät.

»Ich sage nicht, dass du ihn absichtlich umgebracht hast. Aber vielleicht war es ein Versehen.«

»Oh, ich weiß nicht. Ist schon lange her, seit ich versehentlich jemanden umgebracht habe.« Er lachte, als wäre das ein guter Witz, aber Phil war sich da nicht so sicher.

»Also gut, also gut. Offensichtlich treibt dich etwas um, Phil. Setz dich, dann klären wir das.«

Phil übernahm den größten Teil des Redens. Er fasste den Vorfall im Büro rasch zusammen, zum Teil, weil er die Sache klären wollte, bevor Teri durch die Tür kam, zum Teil aber auch, weil seine Gedanken rasten. Er erwähnte die gefleckten roten Tiere, die ständig irgendwo auftauchten. Nicht immer und überall. Nicht immer offensichtlich. Aber sie waren da.

»War’s das?«, fragte Lucky in seiner typischen lässigen Art. Dieses eine Mal wirkte es abschätzig. »Das ist alles vollkommen normal, Phil. So was kommt ständig vor. Das nennt sich Hauptzahnrad-Syndrom. Du musst dich immer noch an die Vorteile göttlicher Gunst gewöhnen. Und im Moment entwickelst du das Gefühl, das ganze Universum drehe sich um dich.«

Phil gefiel das nicht – was sich wohl in seinem Gesicht ausgedrückt hatte.

»Mach dir nichts draus«, sagte Lucky. »Dein Ego dreht nicht durch. Du versuchst nur, aus der ganzen Sache schlau zu werden. Ich habe vielleicht keinen kleinen Einfluss auf die Art, wie dein Leben läuft, aber ich bin auch nicht allmächtig. Du und ich, wir sind nur zwei Typen im großen Ganzen. Wir regieren nicht das Universum. Dinge werden passieren. Gute und schlechte, die mit uns beiden absolut nichts zu tun haben.«

Phils Zweifel wurden schwächer.

»In deinem Leben sind auch schon Leute gestorben, bevor ich eingezogen bin, stimmt’s?«, fragte Lucky.

Phil nickte.

»Und du hattest auch schon vorher merkwürdiges Glück, oder?«

Er nickte wieder.

»Na also, da hast du’s.«

»Aber was ist mit den Tieren?«

»Das hat vielleicht tatsächlich etwas mit mir zu tun.« Phil meinte, ein schuldbewusstes Aufblitzen in Luckys Augen gesehen zu haben, aber er war sich nicht sicher, denn Lucky hatte seine Sonnenbrille wieder aufgesetzt. »Aber ich bin mir sicher, dass es deswegen keinen Grund zur Sorge gibt.«

Teri kam durch die Tür.

»Hi.« Sie umarmte Phil und bemerkte seine distanzierte Reaktion. »Stimmt was nicht?«

»Einer meiner Chefs ist gestorben.«

»Oh, das ist schrecklich!« Sie umarmte ihn fester. »Willst du darüber reden?«

Mit dem Kopf auf ihrer Schulter musterte er Lucky, der wieder fernsah. Er glaubte nicht, dass Lucky ihm alles sagte, aber er wollte jetzt nicht weiterbohren. Falls Lucky recht hatte, falls das alles nur Phils Einbildung war, dann würde es Teri nur wieder aufregen, wenn er ihr von seinen Bedenken erzählte. Sie hatte sich gerade erst an das neue Arrangement gewöhnt.

Lucky hatte nicht unrecht. Es war absurd zu glauben, dass alles um ihn herum etwas mit einer großen kosmischen Verschwörung zu tun hatte. War er wirklich schon so verrückt, dass Leben und Tod anderer ihm nur noch wie Omen zu seiner eigenen Interpretation vorkamen?

Der Gedanke daran war ihm ein bisschen peinlich.

Teri war eine dringend benötigte Ablenkung von seinen Gedanken. »Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«, fragte sie.

»Schon okay. Ich hatte nur einen chaotischen Tag.« Er zwang sich zu einem Lächeln. »Aber ich bin mir sicher, es ist nichts.«