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ELF
Phil hielt auf dem Weg zur Arbeit an einem Mini-Markt an, um sich ein Lotterielos zu kaufen. Normalerweise verschwendete er sein Geld nicht, beschloss jetzt aber, es könne nicht schaden, den Nutzen seines neuen Gottes auszuprobieren. Er fand, ein Lotterielos sei ein guter Test für einen geringen Wohlstandsgott. Denn Phil glaubte nichts, wofür er keine Beweise hatte.
Er gewann zwanzig Dollar.
Aus wissenschaftlichem Interesse kaufte er noch einmal fünf Lose. Drei davon waren Gewinner, und bei einem bekam er seinen Einsatz zurück. Am Ende hatte er hundert Dollar. Unter normalen Umständen wäre er jetzt gegangen, aber er setzte das Experiment fort. Er gab den Gewinn für Lose aus. Manche gewannen. Andere verloren. Und er endete wieder bei der Hundert-Dollar-Schwelle.
Phil hätte noch eine Runde Lose gekauft, aber er musste zur Arbeit. Sein Verständnis des Gott-Anhänger-Verhältnisses sagte ihm, dass es eine Obergrenze für das Glück gab, das Lucky bieten konnte. Seiner Meinung nach gab es nur einen gewissen Wohlstand, der die Runde machte. Und bis er sich mehr Gunst verdiente, um seinen Anteil zu erhöhen, fand er einen Hunderter schon gar nicht so schlecht. Nur eine kleine Hilfe. Genau, was Lucky versprochen hatte.
Auf der Schnellstraße war Stau, und der Navigationszauber fuhr von selbst ab. Er wehrte sich nicht dagegen. Der Augapfel, der an seinem Rückspiegel hing, schien zu wissen, was er tat. Er leitete ihn über Seitenstraßen und kleine Gassen auf einer Strecke, die er niemals selbst gewählt hätte. Aber es funktionierte. Und sein Wagen fädelte sich so reibungslos ein – es war beinahe, als hätten die anderen Fahrer alle eine Erklärung unterschrieben, ihn vorbeizulassen. Das Einzige, worüber sich Phil hätte beschweren können, war, dass der Zauber so gut funktionierte, dass ihm irgendwann ein bisschen langweilig wurde. Morgen würde er daran denken, sich etwas zu lesen mitzunehmen. Vielleicht konnte er sich auch einen DVD-Player installieren lassen.
In seiner Arbeitswabe wartete ein neuer Computer. Er fuhr mit den Händen am Monitor entlang.
Elliots Kopf erschien über der Trennwand. »Sie haben ihn ganz hinten im Lagerraum gefunden. Keiner wusste, dass er überhaupt existiert. Muss falsch abgestellt worden sein. Sie haben ihn Bob angeboten, aber das Ding ist relativ alt, also hat er abgelehnt. Glücksfall für dich, was? Und da mein Auto gestern ganz poliert, mit vollem Tank und einem Zwei-für-eins-Gutschein von Applebee’s unter dem Scheibenwischer vor meiner Wohnung stand und dein Hemd heute keine Marmeladenflecken hat, kann ich nur annehmen, dass du die Sache mit deinem neuen Gott in Ordnung gebracht hast.«
»Jau. Von jetzt an läuft alles glatt.«
Phil lehnte sich zurück. Sein Stuhl brach zusammen, und er krachte auf den Boden.
Elliot konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen.
»Das ist einfach zu gut!«, keuchte er unter schallendem Gelächter.
Phil untersuchte den Stuhl. Die Schrauben waren alle herausgefallen.
»Aber seltsam ist es schon«, bemerkte Elliot unnötigerweise. »Du hast doch nichts getan, um deinen Gott zu verärgern, oder?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Ach, wahrscheinlich nur ein Streich. Das machen sie ständig. Oder es könnte auch Zufall sein. Solche Sachen passieren, selbst wenn das Glück auf deiner Seite ist.«
Phil steckte die Schrauben wieder in ihre Löcher. Er rüttelte an dem losen Stuhl.
»Hey, Mann, den hier brauchst du vielleicht.« Elliot hielt ihm über die Trennwand einen Schraubenzieher hin.
»Danke«, sagte Phil. »Wo hast du den her?«
»Aus meinem Schreibtisch. War schon da, als ich in die Wabe eingezogen bin. Lustiger Zufall, was?« Elliot grinste teuflisch. »Oder?«
Phil lächelte, als fände er das komisch, doch sein Lächeln wurde von der heraufdämmernden Erkenntnis begleitet, dass das Leben vielleicht doch nicht so leicht war, wenn man einem Glücksgott nachfolgte. Der Gedanke ging ihm immer wieder durch den Kopf. Am Anfang war er leicht zu ignorieren, aber während der Tag voranschritt, nahm er immer mehr Raum ein, bis er ihn so ablenkte, dass es nicht nur ihm, sondern auch seiner Umgebung auffiel.
Ohne einen Gott, der über einen wachte, konnte man davon ausgehen, dass Dinge einfach passierten. Einen Zwanziger auf der Straße zu finden war Glück, und wenn einem eine Taube auf die Schulter kackte, bedeutete das nur Pech. Es lag ein Vorteil darin, den Launen eines gleichgültigen Universums ausgeliefert zu sein. Man musste nicht jede Kleinigkeit interpretieren, die einem so im Lauf des Tages passierte.
Hätte sich Phil einen Schutzheiligen der Gärtner ausgesucht, wäre es viel einfacher gewesen, diese kleinen Vorkommnisse zu ignorieren, solange die Tomaten gut wuchsen und die Erdhörnchen nicht die Karotten fraßen. Wären Autos das Fachgebiet seiner Gottheit gewesen, hätte Phil wissen können, dass ein Leck im Kühler wahrscheinlich ein Zeichen dafür war, dass er zu nachlässig in der Huldigung gewesen war, und eine Windschutzscheibe frei von Insekten bedeutete ein göttliches Daumen-Hoch. So oder so konnte man dann einen verstauchten Knöchel oder einen Riss im Fundament als zufälliges Ereignis abtun.
Phils Gott war ein Gott des Glücks, und in seinen Zuständigkeitsbereich fiel alles. Die ganzen kleinen Dinge jedenfalls. Und Phil verstand allmählich, dass das Leben oftmals gerade von diesen Momenten abhing.
Die Unterstützung der Götter war nicht absolut. Mindestens einmal im Jahr wurde einer von Zeus’ Anhängern vom Blitz erschlagen, weil er annahm, er sei immun dagegen. Die Wahrheit war: Mit Zeus auf seiner Seite sank das Risiko zwar beträchtlich, aber kein Gott, nicht einmal einer aus der obersten Liga – wie der König des Olymps – konnte alle seine Anhänger gegen jeden verirrten Blitz immun machen. Und Lucky konnte Phil nicht vor jedem bisschen Pech schützen.
Doch Phil konnte nicht anders als ein Zusammenwirken göttlicher Missbilligung hinter jedem Hauch von Pech zu sehen. Die höchste Ironie war, dass solche Momente mit Lucky an seiner Seite tatsächlich rar waren, was sie nur noch offensichtlicher werden ließ. Und Phil bildete sich nicht nur ein, dass diese Pech-Momente jetzt ein bisschen seltener auftraten.
Fünf Minuten musste er nach einem funktionierenden Kugelschreiber suchen. Selbst die Kulis, die ihm die Kollegen gaben, waren ganz plötzlich unerklärlicherweise ausgetrocknet, sobald er sie in die Hand nahm.
In der Mittagspause ließ der Kellner Phils Essen dreimal fallen und musste es in die Küche zurückschicken. Der Kellner entschuldigte sich. Das Restaurant berechnete ihm sein Essen nicht. Aber Phil war sich sicher, dass nicht ihre Inkompetenz das Problem war.
Ungefähr eine Stunde lang gingen ständig seine Schnürsenkel auf. Er versuchte Knoten und Doppelknoten, aber nichts half. Er stolperte nicht, war aber ein paar Mal kurz davor.
Er ignorierte den Kuli-Zwischenfall und versuchte, nicht zu viel auf das fallen gelassene Essen zu geben. Aber nach dem Schnürsenkelproblem hätte er beinahe Lucky angerufen. Er gab dem Impuls allerdings nicht nach. Er wollte nicht einer dieser Leute sein, die in jeder Kleinigkeit das Werk göttlicher Mächte sahen. Oder noch schlimmer: einer dieser anderen Typen, die bei der kleinsten Unannehmlichkeit um göttliches Eingreifen flehten. Göttliche Gunst sollte sein Leben leichter machen, aber nur ein Idiot erwartete, dass sie alle seine Probleme löste.
Er beschloss, nicht mehr darüber nachzudenken. So ganz schaffte er es nicht, aber es gelang ihm, sich nicht mehr so sehr darauf zu konzentrieren. Bis zum Feierabend beschäftigte der Gedanke nur noch einen kleinen Teil seiner Gedanken, und meistens konnte er diesen Teil ignorieren.
Elliot und Phil verließen das Büro gemeinsam. Sie stiegen die Treppe zum obersten Parkdeck hinauf, wo sie aus Gewohnheit parkten. Eigentlich waren sie weniger Freunde als vielmehr zwei Typen, die fünf Tage die Woche acht Stunden am Tag nebeneinander verbrachten. Keiner hatte etwas gegen den anderen, aber sie trafen sich nie außerhalb des Büros.
»Ein Tag näher am Tod«, bemerkte Elliot grinsend. »Wenn ich zu Tartaros komme, werde ich zumindest an die Plackerei gewöhnt sein. Bis in alle Ewigkeit einen Felsblock einen Hügel hinaufzustemmen klingt fast entspannend, jedenfalls im Vergleich zu noch einer langweiligen Sitzung zum Thema« – er schüttelte sich – »Dynamiken des Teamworks.«
Phil kicherte, während sie auf das Parkhausdach traten. Die Hälfte der Parkplätze war leer, sodass sie die Ebene gut überblicken konnten. Die abflauende Hitze des Tages stieg vom Asphalt auf. Eine Schar Finken saß auf Phils Wagen. Und nur auf Phils Wagen.
Alle Vögel waren rot mit schwarzen Punkten und strahlend blauen Augen. Sie waren unheimlich still und rührten sich kaum. Außerdem verkrusteten sie sein Auto mit Vogelkacke. Elliots Wagen, direkt neben dem von Phil, war unberührt geblieben.
Gleichzeitig wandten die Vögel den Blick ihrer blauen Augen in Phils Richtung. Mit plötzlichem Kreischen erhob sich der Schwarm in die Luft und flog auf Phil zu. Dann wirbelte er wie ein Zyklon um Phil und Elliot herum. Das Kreischen wurde zu einem grausigen Chor. Phil hielt sich die Ohren zu. Doch es war nicht das Geräusch, das drohte, sein Gehirn in Pudding zu verwandeln. Es war etwas Übernatürliches dahinter, ein psychischer Angriff. Das Rauschen erschwerte das Denken, hielt ihn aber nicht davon ab, sich zu überlegen, wie schmerzhaft es wohl war, von hundert kleinen Vogelschnäbeln zu Tode gepickt zu werden.
Phil und Elliot rannten los. Phils Wagen war näher und öffnete ihnen zuvorkommend die Türen. Sie sprangen hinein, und die Türen knallten wieder zu. Durch pures Glück schaffte es keiner der Vögel, gemeinsam mit ihnen hereinzukommen. Das Auto schirmte sie von dem ohrenbetäubenden Tschilpen der Vögel ab.
Phil sank auf seinem Sitz zusammen und atmete auf.
»Danke«, sagte er zu dem Navigationszauber am Rückspiegel.
Der Augapfel wippte in seine Richtung.
Die Finken landeten im Kreis um sein Auto. Sie wurden wieder still.
»Danke, Lucky.« Er wandte sich an Elliot. »Alles in Ordnung?«
»Ja. Und bei dir?«
Phil suchte sich nach möglichen Schnitten oder Prellungen ab, aber die Vögel hatten wundersamerweise keinen Schnabel an ihn gelegt.
Ein besonders großer Fink starrte ihn wütend durch die Windschutzscheibe an. Dann, innerhalb eines Augenblicks, waren sie plötzlich fort, erhoben sich in die Lüfte und verschwanden.
Der Navigationszauber, der an Teris Rückspiegel hing, war nicht perfekt. Er hatte Probleme mit dem parallelen Einparken. Und auch wenn er ziemlich gut darin war, Staus zu meiden, konnte er keine Wunder bewirken.
Eine Reihe von kleinen Blechschäden, ein ernsterer Unfall und ein querstehender Sattelschlepper hatten den Verkehr zum Kriechtempo gezwungen. Sie konnte nichts weiter tun, als es auszusitzen. Der Zauber machte es jedoch leichter. Sie musste nicht aufpassen und konnte sich die Zeit mit Lesen vertreiben.
Wahrscheinlich war dies der Grund, warum sie den Lastwagen nicht kommen sah.
Ihr Wagen fuhr gerade über eine Kreuzung, als ein Zementlaster angerast kam und ins Heck ihres Coupés krachte. Sie schleuderte wie ein Kreisel, prallte von einem anderen Wagen ab und kam quer über zwei Spuren zum Stehen.
Es passierte so schnell, dass es vorbei war, bevor sie wusste, wie ihr geschah. Doch das war nur der erste Teil des Unfalls.
Bremsen quietschten, als ein weiteres Auto in das Coupé fuhr. Sie wurde noch ein Stück weiter geschleudert, einem anderen Lastwagen in den Weg. Er kam auf sie zu, und sie schrie auf. Sein Schutzblech war höher als ihre Motorhaube, also prallte der Laster von oben auf das Coupé. Sein riesiges Vorderrad rollte über die Haube und direkt auf die Windschutzscheibe zu. Teri duckte sich in ihren Sitz, als könnte das dagegen helfen, zerquetscht zu werden.
Doch das Coupé wurde nicht zerquetscht. Selbst dann nicht, als das große Gefährt mit einem Reifen auf ihrem Dach zum Stehen kam.
Sie brauchte ein paar Sekunden, bis ihr klar war, dass sie nicht verletzt worden war. Und noch ein paar Sekunden, bis ihr wieder einfiel, dass sie in einem unzerstörbaren Wagen fuhr. Nicht einmal die Windschutzscheibe hatte einen Riss. Sie war ein bisschen erschrocken und aufgewühlt, aber selbst das erschien ihr minimal. Vielleicht gab es eine Art Zauber, der die Passagiere bei einem Zusammenprall vor dem Schlimmsten schützte.
Lucky hatte ihr das Leben gerettet.
Sie kurbelte das Fenster herunter und spähte zu dem Laster hinauf, der über ihr stand. Vorsichtig stieg sie aus und begab sich in eine sichere Entfernung. Die Kreuzung war ein einziger Blechhaufen. Der Zementlaster, der die Massenkarambolage ausgelöst hatte, hatte sich in eine Ladenfront gebohrt. Der Lasterfahrer spähte aus der offenen Tür. Er sah sich am Schauplatz um. Sein Blick traf ihren, und er runzelte die Stirn.
Dann sprang er auf den Gehweg und rannte davon. Sie verlor ihn in der Menge aus den Augen.
Ein Trio rot gefleckter Tauben landete auf dem Laster. Sie bewegten sich seltsam untaubenhaft. Sie ruckten nicht mit den Köpfen, wie Tauben das sonst taten, sondern saßen einfach auf dem Laster und starrten auf sie herab. Nur auf sie.
Ein Schauder überlief sie, doch das musste von dem Unfall kommen, dem Lärm, dem Chaos. Die Tauben waren lediglich ein seltsamer Anblick. Aber auf ihrer Couch schlief eine geflügelte Schlange, und ihre beste Freundin ging mit einem Waschbär aus. Also hatte sich Teris Definition von auffälligen Merkwürdigkeiten in den letzten Tagen verändert.
Dennoch zählten die komisch gefärbten Tauben dazu.
Eine Sirene lenkte ihre Aufmerksamkeit ab. Als sie wieder hinsah, waren die Vögel verschwunden.
Doch sie bekam sie nicht aus dem Kopf.
Bruce schaffte es nach Hause, ohne erwischt zu werden.
Alles war ihm so einfach erschienen. Einen Laster stehlen, auf die richtige Gelegenheit warten und Teri Robinson dann unter seiner Stoßstange zerquetschen. Er hatte lieber Teri als Phil ausgewählt, denn sie war eine Frau, und das ließ sie seiner Meinung nach weniger bedrohlich erscheinen. Das war irrational, wie er wusste, vor allem da die Waffe seiner Wahl ein Zwanzigtonner war. Aber dies hätte sein erstes Menschenopfer für Gorgoz werden sollen. Er hatte im Namen seines finsteren Gottes eine kleine Menagerie geschlachtet, doch Menschen waren ein großer Schritt. Dennoch war er bereit gewesen, als der Befehl kam. Dies war seine Chance, sich Gorgoz zu beweisen und in den Rängen aufzusteigen.
Und er hatte es versaut.
Aber er war in Sicherheit. Keiner hatte ihn gesehen. Außer vielleicht Teri, aber das war im besten Fall ein flüchtiger Blick gewesen. Sie würde ihn wiedersehen. Und nächstes Mal würden sie keine Wunder retten.
»Hallo, Wanze.«
Beim Klang der Stimme fuhr er zusammen.
Die gepunktete Ratte auf seinem Sofa starrte ihn an.
Bruce kniete sich nieder. »Meister, ich habe dich enttäuscht.«
»Ja, das hast du.«
»Es wird nicht wieder vorkommen«, sagte Bruce.
»Nein, wird es nicht.«
Das Trippeln Dutzender winziger Nagerfüße erfüllte den Raum. Und Bruce wusste, die Zeit war gekommen, die Zeche zu bezahlen. Er bedauerte, dass es so enden sollte: vernichtet, bevor er auch nur die Chance zum Aufstieg hatte, bevor er die Gelegenheit hatte, zumindest etwas Lohnendes für all das Blut zu bekommen, das er in Gorgoz’ Namen vergossen hatte. Aber ehrlich gesagt war er nicht überrascht.
Das Gewimmel von Eichhörnchen, Ratten und einem raubgierigen, rot gefleckten Wombat warf sich auf ihn, verschlang ihn – und Bruces Laufbahn in Gorgoz’ Kult nahm ein blutiges Ende.