Ben
Es war so klar, dass sie es doch tut. Er konnte sie nicht eine Sekunde aus den Augen lassen. Er hätte bei ihr bleiben sollen. Wenn ihr etwas zustieß, würde er sich das nicht verzeihen.
Und der einzige Grund, warum Jens ihr nicht gefolgt war, war die Tatsache, dass er ans Bett gefesselt war. Nichtsdestotrotz hatte er Gisela bei ihm gelassen. Bei dieser Familie konnte man sich einfach nie sicher sein. Die beiden Geschwister hatten ganz offensichtlich einen Todeswunsch.
Der Aufzug im Inneren des Polizeipräsidiums öffnete sich, als er im obersten Stockwerk ankam und er lief schnurstracks auf das Büro des Polizeipräsidenten zu. Er machte sich nicht die Mühe anzuklopfen und riss sofort die Tür auf. Oliver stand an der Fensterwand und drehte sich zu ihm um. Er schien jemand anderen erwartet zu haben, denn sein Ausdruck wechselte von freudiger Erleichterung schnell zu Argwohn.
„Ben? Was machst du denn hier?“, fragte er vorsichtig, seine Hand schwebte über seinem Holster.
„Ich brauche deine Hilfe. Oder eher, du brauchst meine Hilfe. Wie auch immer, wir werden uns jetzt ein für alle Mal die GSD vornehmen.“
„Wir? Ich dachte deine Freundin hat ihre eigene Partei gegründet und uns den Rücken zugekehrt. Meine Männer wurden relativ unsanft aus den Vierteln befördert.“
„Als ob du gerne mit einem Mann wie Goldmann zusammenarbeitest. Du tust es nur, weil dir eine Alternative fehlt. Verurteilst du uns dafür, dass wir uns von einem Mann abwenden, der uns eingesperrt, gefoltert und erpresst hat?“
„Nein, es wundert mich, dass ihr es geschafft habt.“
„Du könntest es auch. Die Polizei braucht Goldmann nicht. Schließ dich uns an. Gemeinsam hat er keine Chance. Und die GSD auch nicht.“
„Dies ist nicht euer Kampf, Ben. Du kennst den Hintergrund nicht. Es geht hier nicht darum, wer wen im Wahlkampf aussticht oder wer die stärkere Armee hinter sich vereinen kann. Dies ist persönlich. Überlass es uns mit der GSD fertig zu werden.“
„Weil das bisher so wunderbar funktioniert hat?“, fragte er sarkastisch.
„Es wird heute enden. So oder so.“
„Was soll das heißen?“
„Isabella ist gerade in der Zentrale der GSD. Sie wird Wagner konfrontieren.“
„Das gleiche tut in diesem Moment Emma.“
„Was?“
„Scheint so, als wären wir gar nicht so verschieden, was?“
„Ist dieses Mädchen denn völlig wahnsinnig? Sie sollte sich nicht in Dinge einmischen, die sie nichts angehen!“
„Die sie nichts angehen? Wagner hat ihren Bruder entführt, zusammengeschlagen und ihn erpresst, damit er uns alle ausspioniert. Deine angeblich so heldenhafte Freundin hat ihn beinahe getötet. Du kannst froh sein, wenn Wagner sie zuerst findet, denn Emma wird mit der Mörderin ihres Bruders nicht lange fackeln. Und diese Isabella mag eine ausgefeilte Killerin sein, aber wenn es dazu kommt, setze ich mein Geld auf Emma.“
Oliver kam wütend auf ihn zu. „Sie wird alles ruinieren. Wenn Isabella etwas zustoßen sollte, gibt es niemanden mehr, der Wagner aufhalten könnte. Oder noch schlimmer – niemanden, der Jonas aufhalten könnte.“
„Wer ist Jonas?“
„Das tut nichts zur Sache.“ Verärgert lief Oliver durch das Büro auf und ab.
„Dann lass uns hinfahren. Schick deine Männer. Lass uns die Zentrale stürmen. Du kannst doch nicht hier tatenlos sitzen bleiben und auf einen positiven Ausgang warten. Oder sind deine Männer zu unfähig, um ein paar Rebellen zu überwältigen?“
„Ein paar Rebellen? Das sind nicht nur ein paar Rebellen. Wenn ich das befehlige, dann wird es zu einem Krieg kommen.“
„Und eine Regierung unter der GSD, das wäre besser?“
Oliver rieb sich die Stirn, die sich in strenge Falten geworfen hatte.
„Willst du verantwortlich sein für diese Schreckensherrschaft, die uns dann alle erwartet? Für die Hinrichtung von Unschuldigen, welche nach einem Wahlsieg unweigerlich folgen wird? Ich kenne die GSD. Ich kenne ihre Methoden. Sie werden eine Säuberung durchführen, die ihresgleichen sucht. Willst du, dass all das auf deinen Schultern lastet?“
Oliver schwieg weiterhin.
„Dies hier ist nicht persönlich. Es geht hier nicht nur um dich oder um Isabella. Das hier geht uns alle an. Und als Polizeichef ist es deine Aufgabe, die Bürger dieser Stadt zu schützen. Jetzt hast du die Gelegenheit dazu. Wirst du sie nutzen oder lieber still zusehen?“
Endlich sah Oliver auf und blickte ihn nachdenklich an. Er schien mit sich zu kämpfen. Dann nickte er.