Kapitel zweiundsechzig
DIEGO GARCIA
27. November, 22:00 Uhr GMT+5
»Gehen Sie weiter, meine Herren.«
Smith blickte nach hinten und sah den Soldaten an, der ihnen als Bewacher zugeteilt war. Von überall her kamen bewaffnete Männer in Schutzanzügen gelaufen und umringten sie. Der Privatjet, auf den er und Howell zugingen, schien frisch aus der Montagehalle zu kommen; da war nichts, was darauf hingedeutet hätte, wem er gehörte, oder dass es irgendeinen Bezug zu den Vereinigten Staaten gab. Smith stieg die Treppe zu einer offenen Tür hinauf und zögerte kurz, ehe er einstieg.
Zu seiner Linken war eine durchsichtige Kunststoffwand aufgestellt worden, die das vordere Drittel vom Rest des Flugzeugs abtrennte. Rechts hatte man alle Sitze, bis auf die beiden hintersten, entfernt. Außerdem war eine Filteranlage installiert worden, um die Luftversorgung trennen zu können. Auf einem der Sitze stand eine Flasche Single-Malt-Whisky, auf dem anderen warteten zwei Gläser und zwei Paar Handschellen. Fred Klein hatte mit seiner gewohnten Gründlichkeit wieder einmal an alles gedacht.
Howell folgte ihm durch den Mittelgang und ließ sich auf einen der Sitze sinken. Er begutachtete die Flasche und lehnte sich mit einem zufriedenen Stöhnen in dem weichen Leder zurück. Smith hielt ihm die Gläser hin, und der Brite füllte sie und hob das seine. »Auf die kleinen Freuden des Augenblicks.«
Smith hob sein Glas ebenfalls und genoss den rauchigen Geschmack des Whiskys, der in seiner rauen Kehle brannte. Als er sich zurücklehnte, fiel ihm ein Gerät von der Größe eines Schuhkartons bei der Kunststoffwand auf. An der Oberseite leuchteten mehrere grüne LEDs, und wenn er sich nicht sehr täuschte, enthielt das Ding genug Plastiksprengstoff, um das ganze Flugzeug in die Luft zu jagen, falls es notwendig sein sollte.
»Wie geht es Ihnen, Gentlemen?«
Smith beugte sich vor und blinzelte erst einmal, weil der Mann, der da aus dem Cockpit kam, so gar nicht zu der Stimme passte, die er eindeutig als Fred Kleins identifiziert hatte. Er hatte einen militärischen Bürstenschnitt, und seine Brille war durch blau getönte Kontaktlinsen ersetzt. Statt des zerknitterten Anzugs, in dem er schon zur Welt gekommen zu sein schien, trug er eine frisch gestärkte Uniform der U.S. Army. Eine zweckmäßige Verkleidung, die ihn vor unwillkommener Aufmerksamkeit bewahrte und außerdem verhinderte, dass Peter Howell den alten Agenten erkannte.
»Jetzt besser, Brigadegeneral«, sagte Howell und deutete mit der Whiskyflasche in der Hand einen militärischen Gruß an.
Klein setzte sich ihnen gegenüber auf die andere Seite der durchsichtigen Kunststoffwand. »Nach dem, was ich gehört habe, dachte ich mir, ihr Jungs könntet sicher einen Drink vertragen.«
»Danke, Sir«, sagte Smith, um der Linie zu folgen, die Klein vorgab.
Klein nickte kurz, ehe er zum Thema kam. »Man hat mir gesagt, wenn Sie infiziert sind, würden die Symptome nach sieben bis fünfzehn Stunden auftreten.«
»Ja, Sir«, antwortete Smith und rechnete zum hundertsten Mal zurück, wie lange ihr Kampf mit Dahab zurücklag: sieben Stunden und neununddreißig Minuten. »Es beginnt normalerweise mit Verwirrung, dann kommen die Blutungen, die Sie ja kennen, und schließlich die Tobsucht.«
Das Flugzeug setzte sich in Bewegung, und Klein zeigte in ihre Richtung. »Schnallen Sie sich an.«
Es war klar, was er damit meinte, und nachdem sie ihre Sicherheitsgurte geschlossen hatten, nahmen sie die Handschellen und fesselten sich mit einer Hand an den Sitz.
»Man hat mir auch gesagt, dass ich nichts mehr für Sie tun kann, Colonel, wenn Sie die Symptome zeigen.«
»Das ist richtig, Sir. Aber es wäre mir lieber, wenn Sie mich nicht so sterben lassen würden – und ich glaube, da spreche ich auch für Peter.«
»Wenn es notwendig sein sollte, sind wir vorbereitet, um die Situation anders zu lösen.«
»Danke, Sir.«
Wieder ein kurzes Nicken von Klein. »Worüber ich vor allem mit Ihnen sprechen wollte, ist das Problem, das sich durch die jüngste Entwicklung ergeben hat. Wir haben mit den besten Experten gesprochen, und sie glauben alle, dass van Keuren in der Lage ist, den Parasiten zu einer vernichtenden Waffe zu machen, und das in sehr kurzer Zeit. Der Transport von lebenden Parasiten ist anscheinend eines ihrer Spezialgebiete – sie hat eine größere Arbeit darüber geschrieben.«
Smith nahm einen kräftigen Schluck Whisky, während er der schmerzhaften Wahrheit ins Auge sah. Er hätte verhindern können, dass Sarie den Iranern in die Hände fiel, doch er hatte es nicht über sich gebracht, das zu tun, was dafür notwendig war. Jetzt würde er nicht nur an ihrem Tod schuld sein, sondern vielleicht am Tod von Millionen Menschen.
»Ich habe ausführlich mit dem Präsidenten gesprochen«, fuhr Klein fort. »Und wir haben nicht viele Alternativen. Fangen wir mit den schlechten Nachrichten an. An die Weltöffentlichkeit brauchen wir uns gar nicht erst zu wenden – wir haben keine Beweise, dass der Iran dahintersteckt, abgesehen von den Aussagen zweier Männer, die – so ungern ich es sage – wahrscheinlich in ein paar Stunden tot sein werden.«
»Was ist mit militärischen Optionen?«, fragte Howell.
»Kompliziert. Wir haben keine wirklich überzeugenden Argumente, um unsere Verbündeten mit an Bord zu holen, und Russland und China würden nicht tatenlos zusehen, wenn wir im Iran einmarschieren. Außerdem hätten wir im Moment gar nicht die nötigen Truppen dafür. Ein ganz gezielter Angriff wäre schon möglich, aber wir haben keine Ahnung, wo Omidi ist oder wohin er den Parasiten bringt.«
»Ich weiß selbst, dass ich es vermasselt habe«, versetzte Smith gereizt. »Müssen wir jetzt unbedingt darauf herumreiten?«
Klein zog überrascht die Augenbrauen hoch, und Smith fragte sich, ob seine heftige Reaktion von seiner Frustration und Erschöpfung herrührte, oder von etwas anderem.
»Das war nicht als Vorwurf gemeint, Colonel. Jeder, der mit der Sache zu tun hat, weiß, dass Sie getan haben, was Sie konnten. Also, wo war ich noch gleich?«
»Ich hoffe, Sie wollten jetzt zu den guten Nachrichten kommen, Brigadegeneral«, warf Howell ein.
»Die guten Nachrichten. Ja. Die CIA hat verschiedene Notfallpläne für den Fall eines Bioterrorangriffs ausgearbeitet, und einer davon passt gut für dieses Szenario. Wir haben ein Expertenteam zusammengestellt, um noch an dem Plan zu feilen. Außerdem halten wir überall in den Staaten die entsprechende Ausrüstung bereit und ziehen Truppen aus dem Ausland ab, damit sie bei der Umsetzung helfen können.«
»Gibt es schon Prognosen, wie hoch die Opferzahl sein könnte?«, fragte Smith.
»Dreihunderttausend Infizierte – im günstigsten Fall. Weitere zwanzig- bis dreißigtausend in dem allgemeinen Chaos. Wahrscheinlicher wäre, dass es in den Bereich der Million geht.«
»Und das ist die gute Nachricht?«, erwiderte Smith. »Dass eine Million Menschen sterben könnten?«
»Wir hoffen natürlich, dass wir darunter bleiben. Anhand der Leiche des infizierten Mannes aus dem Flugzeug können wir vielleicht etwas herausfinden, das uns weiterhilft. Und wenn es nur Informationen sind, die wir für unseren Notfallplan verwerten können.«
»Ein Notfallplan? Das ist alles? Der Iran entwickelt eine Waffe, gegen die eine Atombombe fast harmlos aussieht, und wir arbeiten an einem Notfallplan?«
»Nein, das ist nicht alles. Wir sind in Kontakt mit dem iranischen Widerstand.«
»Mit dem Widerstand? Sie meinen Farrokh?«
»Nicht direkt. Es hat ein, zwei Gespräche mit Leuten gegeben, die behaupten, dass sie mit ihm zusammenarbeiten. Aber das läuft natürlich nicht über offizielle Kanäle, Colonel. Sie können sich vorstellen, was passiert, wenn herauskommt, dass wir mit dem Führer des iranischen Widerstands zu tun haben.«
Howell hatte sein Glas weggestellt und trank nun direkt aus der Flasche. »Bei allem Respekt, Sir, aber das klingt, als wären Sie sich selbst nicht ganz sicher.«
»Wir wissen eben nicht, ob wir auf diese Leute zählen können. Sehen Sie, wir sind das Risiko eingegangen, ihnen mehr oder weniger offen zu sagen, was los ist, und wir haben sie gebeten, unserem Special-Forces-Team bei der Suche nach der Anlage zu helfen, in der Omidi den Parasiten vorbereitet.«
»Wie haben sie reagiert?«
»Sie haben Nein gesagt. Aber vielleicht akzeptieren sie einen Besuch des ermittelnden Arztes und seines britischen Begleiters.«
»Sie akzeptieren es vielleicht?«
»Mehr kann ich nicht tun. Sie sind ziemlich misstrauische Kerle.«
»Also, falls wir nicht vorher sterben, wollen Sie uns in den Iran schicken?«
»Ja. Sie werden über die Türkei eingeschleust und treffen sich mit einer Einheit des Widerstands. Bringen Sie sie dazu, Ihnen zu vertrauen und Ihnen zu helfen, van Keuren zu finden. Dann kontaktieren Sie uns und sagen uns, was Sie herausgefunden haben.«
Smith sah seinen Chef an. »Ist das alles?«
»Ich weiß, wir erwarten verdammt viel von Ihnen, Jon. Und um ehrlich zu sein, wir rechnen nicht einmal damit, dass Sie Erfolg haben. In dem unwahrscheinlichen Fall, dass Sie an Farrokh herankommen, kann es durchaus sein, dass er Sie für Spione hält und tötet.«
»Und dann sterben eine Million Menschen«, sagte Smith.
Klein schüttelte den Kopf. »Eine Million Amerikaner. Wir haben Pläne für einen Vergeltungsschlag ausgearbeitet – und ich kann Ihnen sagen, das wird nicht lustig.«
»Mit wie vielen Opfern rechnen Sie im Iran?«
»Nachdem wir ihre Streitkräfte ausgeschaltet haben, würden wir die größeren Städte zerstören und ihre Strom- und Wasserversorgung lahmlegen. Die Opferzahlen lassen sich kaum schätzen, weil es so etwas in der Geschichte noch nie gegeben hat. Ich kann Ihnen aber sagen, dass in der Folge wahrscheinlich zehnmal mehr verhungern, verdursten oder an Krankheiten sterben würden als beim eigentlichen Angriff. Wenn wir nicht das Skalpell einsetzen können, dann muss es eben der Hammer sein.«