Kapitel fünfunddreißig

NORDUGANDA

24. November, 09:04 Uhr GMT+3

 

 

Mehrak Omidi hielt sich am Armaturenbrett fest, als der offene Jeep über ein paar tiefe Furchen holperte. Die Luftfeuchtigkeit ließ etwas nach, und obwohl Bahame wie ein Verrückter fuhr, genoss Omidi den kühlen Luftzug in dem türlosen Fahrzeug.

Der Kultführer legte großen Wert darauf, bei seinen Leuten zu schlafen, und bestand darauf, dass es seine Gäste ihm gleichtaten, sodass sie den quälenden Insekten und den plötzlichen Wolkenbrüchen ausgesetzt waren, von denen dieser gottverlassene Teil der Welt ständig heimgesucht wurde. Omidi nickte immer wieder einmal kurz ein, ansonsten verbrachte er die Nächte damit, sich gegen die Malaria übertragenden Moskitos zu wehren und den Schlägereien Betrunkener sowie den sexuellen Aktivitäten der Leute um ihn herum zuzuhören.

So Gott wollte, würde er es bald überstanden haben. Wenn alles nach Plan verlief, würde er bald weg sein und nicht mehr zusehen müssen, wie dieses Land unter seiner eigenen Dekadenz zusammenbrach. Und mit Gottes Hilfe würde er nie wieder Grund haben, hierher zurückzukommen.

Bahame ließ den Jeep um eine blinde Kurve schlittern, dann trat er abrupt auf die Bremse und kam hinter einem riesigen Lastwagen zum Stillstand, der auf einer der seltenen freien Flächen wendete.

Der Anhänger ruckte unnatürlich vor und zurück, als hätte er ein Eigenleben. Aus der Stahlwand waren Löcher von etwa fünfzehn Zentimeter Durchmesser ausgeschnitten, aus denen verzweifelte Arme herausgestreckt wurden, die sich an den scharfen Kanten schnitten, sodass frisches Blut über alte Wunden rann. Hände griffen vergeblich ins Freie, während frustrierte tierähnliche Schreie die Geräusche des Dschungels übertönten.

Der Lastwagen kam zum Stillstand, und einige bewaffnete Männer stiegen aus dem Fahrerhaus und zogen einen verängstigten Jungen mit sich. Ihre Gesichter waren mit etwas bemalt, das wie weiße Kreide aussah, und alle trugen Amulette, die sie, so hatte Bahame ihnen versprochen, vor den Dämonen schützen würden, die sie mit dem Laster befördert hatten. Interessanterweise hatte er die Männer auch mit Schutzbrillen und Chirurgenhandschuhen ausgerüstet. Offenbar hatte der Medizinmann auch eine sehr praktische Seite.

Trotz ihrer Schutzausrüstung schienen die drei Männer fast genauso große Angst zu haben wie das Kind, das sie mit sich zogen. Sie machten einen großen Bogen um den Laster und hielten mindestens fünf Meter Abstand zu den blutigen Armen, die so verzweifelt herausgestreckt wurden.

»Komm«, sagte Bahame und sprang aus dem Jeep.

Er ging viel näher an den Anhänger heran als seine Männer, wenngleich auch er außer Reichweite der Arme blieb. Das Schaukeln des Anhängers wurde immer wilder, sodass Omidi einen Moment lang glaubte, er würde umkippen.

Er folgte dem Afrikaner ans Heck, wo eine lange Kette, die an der Tür befestigt war, dem verängstigten Jungen um den Hals gelegt wurde.

Der Junge versuchte verzweifelt, sich zu befreien, und seine Schreie übertönten sogar die unmenschlichen Laute aus dem Lastwagen, bis er Bahame kommen sah und verstummte.

Der Kultführer kniete nieder und sprach ein stilles Gebet, dann tauchte er den Daumen in eine Dose mit einem rötlichen Pulver und bestrich die Wangen des Kindes damit. Die Soldaten sahen wie gebannt zu, als ihr Führer die Götter und Dämonen anrief, den Jungen segnete und um den Sieg bat. Das Charisma des Mannes war verblüffend, und er machte schamlos davon Gebrauch.

Als er mit der Zeremonie fertig war, bedeutete er seinen Männern mit einer Geste, ihm in den Dschungel zu folgen. Sie nahmen eine Position ein, die sowohl ausreichende Deckung als auch eine gute Sicht auf den Jungen bot, der sich die Haut an Händen und Hals aufriss, als er sich verzweifelt gegen die rostige Kette wehrte.

Sie hockten etwa fünf Minuten im Gebüsch, dann zeigte Omidi auf die Funkfernbedienung in Bahames Hand. »Lässt du sie frei?«

»Wenn es so weit ist. Wir müssen warten, bis sie uns vergessen haben.«

Bahame hatte solche Operationen schon oft durchgeführt und offenbar viel darüber gelernt, wie er diese Waffe am besten einsetzen konnte, ohne dabei genauso zugrunde zu gehen wie seine Feinde. Einige der Leute im Anhänger hatten sie bestimmt im Wald verschwinden sehen, und sie würden eine beträchtliche Gefahr darstellen, wenn sie freigelassen wurden. Omidi fragte sich, wie viele junge Soldaten wohl geopfert worden waren, bevor sie gelernt hatten, mit dem Parasiten umzugehen.

Weitere zehn Minuten vergingen, ehe Bahame die Schutzhülle von der Fernbedienung in seiner Hand nahm und sie seinem Gast hinhielt. »Ich überlasse dir die Ehre.«

Omidi zögerte einen Augenblick, dann drückte er auf den Knopf. Man hörte kein Geräusch, doch von seiner Position aus sah er, wie der einfache elektrische Mechanismus an der Hecktür den Riegel zurückzuziehen begann. Die Kette, die den Jungen an die Tür gefesselt hatte, fiel zu Boden, und er lief los und zog die Kette hinter sich her, in Richtung seines Dorfes, das nicht weit entfernt an der Straße lag. Die Infizierten heulten wie wild, als sie ihr Opfer entschwinden sahen.

Der Riegel bewegte sich jedoch weiter. Nach etwa fünfundvierzig Sekunden hörte man ein berstendes Geräusch, die Türen flogen auf und ein riesiger Menschenknäuel stürzte heraus. Das frustrierte Kreischen verwandelte sich in aufgeregte Schreie, als sich die Infizierten aufrappelten und die Verfolgung aufnahmen.

Es war ein primitives System, doch es schien zu funktionieren. Ohne das Kind, auf das sich ihre Aufmerksamkeit konzentrierte, hätten sie sich ziellos zerstreut und wären irgendwann im Dschungel zugrunde gegangen. Auf der Spur des Jungen aber lenkte Bahame sie direkt zu dem Dorf, auf das er es abgesehen hatte.

Die Ares Entscheidung
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