Kapitel siebenundzwanzig
KAMPALA, UGANDA
21. November, 17:41 Uhr GMT+3
»No problem. Hotel.«
Sarie kicherte leise auf dem Rücksitz, während Jon den Kopf in seine Hände sinken ließ. Sie hatten den Fahrer ein paar Kilometer von dem Waffenmarkt entfernt aufgegabelt, als er zu Fuß zurück nach Kampala trottete. Er war fast ein wenig schockiert, sie lebend wiederzusehen, setzte sich aber dankbar ans Lenkrad, nachdem er seine Rostschüssel von einem Taxi nach Beschädigungen abgesucht hatte.
»Nein«, wiederholte Smith zum fünften Mal. »Hospital. Wir wollen zuerst ins Hospital.«
Durch Howells Umweg, der sich als durchaus nützlich erwiesen hatte, blieb ihnen jetzt keine Zeit mehr, um noch ins Hotel zu fahren, bevor sie sich mit dem Direktor des größten Krankenhauses in Uganda trafen.
»No problem. Hotel.«
Smith stöhnte und ließ sich in seinen Sitz sinken.
»Ich glaube, Hospital und Hotel ist für ihn einfach dasselbe«, warf Sarie ein. »Wie heißt das Krankenhaus doch gleich?«
Dass ihm das nicht selbst eingefallen war, bedeutete, dass er erschöpfter war, als er gedacht hatte. Eine sechzigstündige Reise machte ihm heute doch deutlich mehr zu schaffen als noch mit dreißig.
»Mulago«, sagte er und betonte das Wort sorgfältig. »Nicht Hotel. Mulago Hospital.«
Die Augen des Fahrers weiteten sich verstehend. »Mulago? Du krank?«
»Ja! Genau! Ich bin krank. Sehr, sehr krank.«
»Mulago. No problem.«
Fünfzehn Minuten später kamen sie bei einem riesigen Kasten von einem Gebäude an, das von einem babyblau gestrichenen Geländer umgeben war.
»Mulago!«, verkündete der Fahrer, als Smith die Autotür aufriss und unter seinem Rucksack ins Freie schlüpfte.
Er beugte sich noch einmal ins Auto, um zu Howell zurückzublicken. Nachdem er sich auf dem Waffenmarkt für eine Stunde so gezeigt hatte, wie Smith ihn kannte, wirkte er jetzt wieder auffällig melancholisch und schweigsam – was gar nicht zu seiner Persönlichkeit passte. »Kannst du beim Wagen bleiben, Peter? Wir brauchen nicht lang.«
Der Brite lehnte sich auf seinem Platz zurück und starrte zum verschimmelten Autodach hinauf. »Ich habe sowieso nichts Besseres vor.«
»Hallo, ich bin Dr. Jon Smith, und das ist Dr. Sarie van Keuren. Wir haben einen Termin bei Dr. Lwanga.«
Die Frau stand überraschend flink von ihrem Platz hinter dem Schreibtisch auf. Der strenge Gesichtsausdruck, mit dem sie sie empfangen hatte, wich einem breiten Lächeln. »Natürlich«, sagte sie in leicht akzentuiertem Englisch. »Ich habe es ja hier notiert. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
Sie führte sie zu einer offenen Bürotür und trat feierlich zur Seite, um sie eintreten zu lassen.
»Dr. Lwanga?«, sagte Smith und trat auf den Mann mit Brille zu, der seltsam gebeugt stand, was wahrscheinlich von einer Kinderlähmung herrührte. Er klappte das Buch in seiner Hand zu und hinkte ihnen entgegen. »Dr. Smith und Dr. van Keuren. Es ist mir eine große Ehre.«
»Gleichfalls«, antwortete Sarie. »Sie haben ein schönes Krankenhaus hier.«
»Wir haben nicht viel Geld«, erwiderte er. »Aber man tut, was man kann.«
»Wir wissen, Sie haben viel zu tun, Doktor, und wir wollen Sie auch gar nicht lange aufhalten …«, begann Smith.
»Schon gut. Was kann ich für Sie tun?«
Smith verstummte und ließ Sarie den Vortritt, wie sie es vereinbart hatten. Sie war aufgrund ihrer Arbeit über die Malaria fast so etwas wie eine Berühmtheit auf dem afrikanischen Kontinent und wusste besser, welche Fragen sie stellen musste. Er würde nur zuhören und darauf achten, dass nicht ihr Temperament mit ihr durchging und sie zu viel verriet.
»Jon und ich machen eine kleine Expedition in den Norden – wir suchen einen parasitären Wurm, der Ameisen angreift. Bei unseren Nachforschungen sind wir auf einen anderen Parasiten gestoßen, der uns ebenfalls interessiert.«
»Ich fürchte, das ist nicht direkt mein Fachgebiet«, sagte Lwanga bedauernd.
»Wir sind zu Ihnen gekommen, weil wir gehört haben, dass der Parasit auch Menschen angreift und tollwutähnliche Symptome hervorruft, möglicherweise auch noch Blutungen aus der Kopfhaut. Er scheint nur im Norden aufzutreten, und dort sind Sie ja aufgewachsen, nicht wahr?«
Lwangas Gesicht wirkte seltsam erstarrt, als Sarie weitersprach.
»Wir haben absolut nichts darüber gefunden, welche Tiere von dem Parasiten betroffen sein könnten – nicht einmal eine Bestätigung, dass der Parasit wirklich existiert. Haben Sie zufällig schon einmal davon gehört?«
Der Afrikaner erwachte abrupt wieder zum Leben. »Ich fürchte, nein. Ich habe nie von etwas gehört, wie Sie es beschreiben.«
»Kennen Sie vielleicht jemanden, den wir fragen könnten – vielleicht ein Arzt, der im Norden arbeitet? Jemand, der uns einen Tipp geben könnte, an wen wir uns damit wenden können?«
»Es ist lange her, dass ich mein Dorf verlassen habe, und ich habe leider nie etwas dafür getan, den Kontakt aufrechtzuerhalten.« Er streckte ihr die Hand entgegen, zum Zeichen, dass für ihn das Gespräch beendet war. »Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht weiterhelfen konnte. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen. Ich muss meine Visite machen.«
»Das war ein eigenartiges Gespräch«, meinte Sarie, als sie in die Nachmittagshitze hinauskamen. »Ich will ja nicht zu negativ sein, aber ich bin mir nicht sicher, ob er ganz ehrlich zu uns war.«
Es fiel ihr sichtlich schwer, es nicht klipp und klar zu sagen – nämlich dass sie den alten Arzt für einen ausgemachten Lügner hielt, doch Smith hatte keine solchen Skrupel. In der Welt der professionellen Lügner, in der er sich bewegte, war Lwanga ein blutiger Amateur.
»Er hat genau gewusst, wovon Sie sprechen, Sarie. Haben Sie das Teeservice neben seinem Schreibtisch gesehen?«
»Ja.«
»Wie viele Tassen waren da?«
»Wie viele Tassen? Ich weiß es nicht.«
»Ah«, sagte Smith. »Sie sehen hin – aber Sie beobachten nicht aufmerksam.«
»Sherlock Holmes«, erwiderte sie lächelnd. »Bin ich dann Watson?«
»Noch nicht ganz, aber ich sehe ein gewisses Potenzial. Da waren drei Tassen, und aus der Kanne hat es gedampft. Sie wissen besser als ich, dass Afrikaner großen Wert auf Höflichkeit legen.«
Sie nickte langsam. »Er war eigentlich davon ausgegangen, dass wir ein bisschen länger bleiben.«
»Bis Sie mit den Infizierten angefangen haben, die aus der Kopfhaut bluten.«
»Und dass er keinen Kontakt mehr zu seinem Dorf hat, ist auch Quatsch, Jon. Die afrikanische Höflichkeit ist nichts gegen die afrikanische Verbundenheit mit der Familie.«
Sie traten auf den Bürgersteig, und Smith griff nach der Tür ihres Taxis. »Es spricht also immer mehr dafür, dass wir da auf etwas gestoßen sind.«
Dr. Oume Lwanga stand am Fenster und blickte auf die Straße hinunter. Das Telefon in seiner Hand war feucht von seinem Schweiß, und er musste fest zugreifen, damit es ihm nicht aus den Fingern glitt.
»Das haben sie genau so gesagt?«, fragte Präsident Charles Sembutu am anderen Ende der Leitung.
»Ja, Sir. Sie haben die tollwutähnlichen Symptome nicht näher beschrieben, aber sie dürften auch Wahnzustände und Tobsuchtsanfälle gemeint haben. Was sie noch erwähnt haben, waren Blutungen aus der Kopfhaut.«
»Das ist alles?«
»Sie interessieren sich für mögliche tierische Überträger des Parasiten, aber ihr eigentlicher Forschungsgegenstand ist angeblich ein Wurm, der Ameisen befällt. Auf den anderen Parasiten seien sie nur zufällig gestoßen, sagen sie. Sie sind sich nicht einmal sicher, ob er wirklich existiert.«
»Wo sind sie jetzt?«
»Sie steigen gerade in ein braunes Taxi ein, mit einer Kiste auf dem Dach.«
»Sitzt noch jemand drin, außer dem Fahrer?«
»Ich glaube, da ist noch jemand auf dem Rücksitz. Aber das kann ich von hier oben schwer sagen. Soll ich …«
Die Verbindung brach ab, und Lwanga beobachtete mit plötzlichem schlechtem Gewissen, wie das Taxi losfuhr. Ihr Schicksal lag jetzt in Gottes Hand.