21

Ein muskulöser, warmer Arm legte sich um sie, zog sie an eine Schulter, so stark wie ein Fels. Halb im Schlaf seufzte sie und kuschelte sich näher an ihn, weil er so warm war und ihr so ein Gefühl von Sicherheit gab und sie vor Müdigkeit schier umkippte. »Du bist zu Hause«, murmelte er, wobei er mit seiner anderen Hand ihr Kinn anhob. Er drückte seinen Mund zu einem sanften Kuss auf den ihren, ließ seine Zunge langsam in ihren Mund gleiten, immer tiefer, sodass die plötzliche Lust ihre Müdigkeit verjagte.

Ja, sie war zu Hause, ging es ihr unbestimmt durch den Kopf. Jaclyn seufzte wieder, legte ihm die Hand um den Nacken und strich ihm dann durchs Haar. Meine Güte, der roch aber gut; der Geruch nach Mann mischte sich mit der Hitze, dem Schweiß und der Nachtluft. Haut war Haut; wieso rochen dann Männer so anders als Frauen? Aber so war es eben, und sein Geruch ließ etwas in ihr schnurren wie in Kätzchen.

Seine linke Hand glitt über ihre Brüste, fanden durch die Kleiderschichten tastend ihre Nippel, die er dann mit den Fingern umfasste, um leicht an ihnen zu ziehen, sodass sie hart wurden und sich aufrichteten. Ihre Lust steigerte sich langsam – wie eine Welle, die heranrollte, sie Stück um Stück stärker erfasste und ihre Müdigkeit hinwegspülte, wenngleich sie sich noch immer völlig kraftlos fühlte. Ihr Körper kannte den seinen, kannte sein Gewicht und seine Hitze, wusste, wie er sich bewegte, wusste, was ihn aufstöhnen ließ und welche Laute er von sich gab, wenn er kam. Sie sollte ihn jetzt nicht küssen, sie sollte nicht zulassen, dass er sie so berührte, wie er es jetzt tat, aber sie war so müde und wäre an diesem Abend fast ermordet worden, und sie wollte ihn jetzt noch mehr als damals, als sie sich kennengelernt hatten.

Doch das war genau, was sie beim ersten Mal falsch gemacht hatte: loszupreschen ohne groß nachzudenken, das hatte sich ja nun als emotionale Katastrophe erwiesen. Jegliche Vorsicht einfach fahren zu lassen war eigentlich nicht ihre Art – in der Regel jedenfalls nicht. Eric hatte sie aus ihrer Kuschelzone geschleudert, hatte sie dazu gebracht, Dinge zu sagen und zu tun, die sie normalerweise nie tun würde. Kuschelzonen hatten bekanntlich die Eigenschaft, angenehm kuschelig zu sein – und sie zu verlassen war unbequem.

In ihrem Hinterkopf sprangen sämtliche Alarmglocken an. Sie musste auf die Bremse treten, sonst hätte sie jeden Moment einen hinaufgeschobenen Rock und keine Unterwäsche mehr an, und dann gäbe es kein Zurück mehr. Sie wollte das nicht noch einmal erleben, sie wollte ihm nicht die Vorgabe für weitere Kränkungen liefern.

Die Hand gegen seine Schulter gestützt, befreite sie ihren Mund von seinen Lippen und zog den Kopf weg, wobei sie ihr Gesicht abwandte. »Nein. Tut mir leid. Ich war halb eingeschlafen und … nein.«

Eine plötzliche Ruhe überkam ihn, dann stieß er langsam den Atem aus und zog sich zurück; er setzte sich im Fahrersitz gerade hin und ließ den linken Arm locker übers Lenkrad hängen. »Okay.« Wenn ihre Weigerung ihn verärgerte, so konnte sie dies seiner Stimme nicht entnehmen – er wusste seine Gefühle gut zu verbergen.

Sie sollte aus dem Auto aussteigen und ins Haus gehen. Sie war erschöpft, und sie musste schlafen, selbst wenn es bloß ein paar Stunden waren, bevor ein neuer anstrengender Tag begann. Mit ihm hier im Dunkeln zu sitzen beschwor nur Ärger herauf, aber sie war auf dem Heimweg eingenickt, und er hatte ihr die Fragen, die er ihr so dringend hatte stellen wollen, nicht gestellt; hereinbitten wollte sie ihn nun aber mit Sicherheit nicht. Das Auto war noch das kleinere Übel.

»Tut mir leid, dass ich eingeschlafen bin«, sagte sie, wobei sie ihrer Stimme einen möglichst forschen, förmlichen Ton verlieh, obwohl sie sich eigentlich schlapp wie eine Stoffpuppe fühlte. »Wonach wollten Sie mich so dringend fragen? Ich habe Ihnen alles gesagt, woran ich mich erinnern kann, meine Antworten werden also nicht anders ausfallen – außer Sie möchten, dass ich mir etwas aus den Fingern sauge.«

Er sagte einen Augenblick kein Wort, trommelte nur mit den Fingern auf dem Lenkrad herum. Sie wartete, fragte sich, was so kompliziert war, dass er nicht einfach damit herausrückte, sodass sie ihm mitteilen konnte, was sie wusste, damit sie endlich ins Haus und zu Bett gehen konnte. »Wir haben die Analyseergebnisse Ihrer Kleidung bekommen«, sagte er schließlich ebenso betont förmlich. »Keine Blutrückstände.«

»Natürlich nicht«, erwiderte sie irritiert. »Das war mir schon klar.« Vielleicht kam es, weil sie so müde war, aber es dauerte einen Moment, bis der Groschen fiel. Doch dann flackerte ihr Ärger so wild auf, dass es mit ihrer Müdigkeit vorbei war; ihre Muskeln zitterten bei dem Bemühen, sich unter Kontrolle zu bringen. Sie wollte sich keinesfalls noch einmal so gehen lassen wie am Abend zuvor – das hatte ihr nichts gebracht bis auf Erniedrigung. Sie nahm sich also zusammen.

»Ach, verstehe«, sagte sie angespannt. »Sie haben die Ergebnisse bekommen, die beweisen, dass ich Carrie nicht umgebracht habe – jedenfalls nicht, als ich diese Klamotten anhatte. Und jetzt bin ich wohl wieder recht zum Herumknutschen? Sie glauben mir jetzt also? Nein, stimmt nicht: Sie glauben nicht mir, sondern dem Analyseergebnis, Sie Trottel.« Es juckte sie in den Fingern, ihm eine zu knallen, so fest sie nur konnte. Doch sie ballte eine Faust, um dem Impuls zu widerstehen, stemmte die Arme in die Hüften. »Wissen Sie was? Sie können mich mal – am Arsch lecken.«

»Jederzeit gern«, sagte er, leise und verärgert. »Mir gefällt Ihr Arsch. Und nur für die Akten: Ich habe Ihnen von Anfang an geglaubt. Und Sergeant Garvey auch.«

»Dann haben Sie aber eine seltsame Art, dies zu zeigen«, blaffte sie zurück. »Sie hätten nur zum Telefon greifen, hätten mir nur sagen müssen, dass … Aber egal. Sie haben es nicht getan, und das sagt genug.«

»Nein, das besagt nur, dass ich mich an die Vorschriften gehalten habe, bis Sie als Verdächtige außen vor waren – und zwar aufgrund der Beweislage, nicht in meinem Denken. Ich musste Sie behandeln wie jede andere Verdächtige auch. Nein, ich musste mit Ihnen sogar noch neutraler umgehen, ansonsten hätte man mir den Fall entzogen. Wir sind momentan personell unterbesetzt, das ist der einzige Grund, weshalb ich den Fall überhaupt bearbeiten durfte, aber das wollte ich auch, denn ich war motivierter, genauer nachzuhaken als die anderen Detectives. Ich wusste nicht, was wir finden würden, ich wusste nicht, in welchem Maße die Indizienbeweise gegen Sie sprechen würden. Aber ich wusste, dass ich in einer Position sein wollte, die es mir gestattete, genauer nachzuforschen. Ich schätze, mit mir standen Ihre Chancen am besten, letztendlich von jeglichem Verdacht freigesprochen zu werden.«

»Herzlichen Dank«, sagte sie sarkastisch.

»Überwinden Sie Ihre Kränkung, und hören Sie mir zu.« Sein Ton war so hart wie Stahl, seine Miene nicht minder. Sein Mund bestand aus einer schmalen, grimmigen Linie; das Armaturenbrett warf einen harten Lichtschein auf seine markanten Gesichtszüge. »Ich konnte nichts tun, was dem Lieutenant oder dem Captain – oder womöglich gar dem Staatsanwalt – einen Grund zu der Annahme gegeben hätte, ich hätte den Fall Ihretwegen kompromittiert. Ich konnte keine tröstlichen Telefongespräche führen, denn das hätte herauskommen können. Ihretwegen musste ich absolut unparteiisch sein, und mich soll der Teufel holen, wenn ich mich jetzt dafür entschuldige, dass ich meine Arbeit gemacht habe.«

»Ich hätte vielleicht auf Sie hören sollen, da Sie ja von der Polizei sind, ich hätte besser mit Ihnen zusammenarbeiten sollen, damit ich keinen Ärger kriege, aber mich soll der Teufel holen, wenn ich hier irgendetwas überwinde. Und wissen Sie, warum? Wenn Sie sich in Ihrem tiefsten Inneren sicher waren, dass ich Carrie nicht getötet hatte, dann wäre Ihnen klar gewesen, dass die Blutuntersuchung negativ ausgehen würde. Ich verstehe, dass Sie sich an Ihre Vorschriften halten müssen. Ich selbst halte mich auch stets an die Vorschriften. Aber wissen Sie was? Ein verdammtes Scheißtelefonat hätte an der Beweislage absolut nichts geändert und hätte für mich einen großen Unterschied bedeutet. Sie haben dieses Telefonat nicht geführt.«

»Dann wollen Sie also weiterhin die Kleinkarierte geben und etwas vielleicht Positives verspielen, bloß weil ich getan habe, was in meinem Job erforderlich ist?«

»Was Sie getan haben«, betonte sie stinksauer, weil er wieder ihr die ganze Schuld zuschob. »Wenn ich hier kleinkariert bin, dann gilt das für Sie andersherum ja wohl auch. Jedenfalls haben Sie mir nicht vertraut, und jetzt vertraue ich Ihnen nicht mehr. Wir sind längst darüber hinaus, wieder dort anzufangen, wo wir aufgehört hatten, also halten Sie Ihre Hände und Ihren Mund im Zaum. Und was mich angeht: Meinetwegen brauchen wir uns bestimmt nie mehr wiederzusehen.«

»Nun, in dem Punkt liegen Sie falsch«, sagte er grimmig. »Für den Fall, dass Sie es vergessen haben sollten: Jemand hat gestern Nacht versucht, Sie zu töten. Peach hatte recht: Es wäre wirklich ein zu großer Zufall anzunehmen, dass die Sache nichts mit dem Mordfall Edwards zu tun hat. Der Mann, den Sie gesehen haben, hat vermutlich Ms. Edwards getötet, und er weiß, dass Sie ihn gesehen haben. Aber er hat ein stichhaltiges Alibi, und wie es momentan aussieht, kann ich keinen Durchsuchungsbefehl erwirken, außer Sie sind in der Lage, ihn zu identifizieren – das würde natürlich alles verändern.«

»Aber ich kann ihn nicht identifizieren«, erwiderte sie verzweifelt. »Ich habe nicht aufgepasst; ich könnte ihn nie und nimmer wiedererkennen. Das weiß er allerdings nicht.«

»Nein. Offensichtlich nimmt er an, dass Sie ihn sehr wohl identifizieren können. Vermutlich hat er eine Weile gebraucht, um herauszufinden, wer Sie sind, aber diese Information lässt sich mithilfe von ein paar öffentlichen Verzeichnissen ja herauskriegen. Jetzt müssen wir herausfinden, wie er wissen konnte, wo Sie heute Abend waren.«

Was er sagte, ergab für Jaclyn dann doch Sinn, und sie starrte ihn an. »Sie sagten, er habe ein Alibi. Dann wissen Sie also, wer er ist?«

»Ich habe einen guten Tipp. Was ich nicht habe, ist ein Beweis.«

»Wer?«

»Ich darf derartige Informationen nicht herausgeben«, erklärte er mit nachlassender Geduld. »An dem Fall wird schließlich noch gearbeitet.«

»Jemand, der meint, dass ich ihn identifizieren kann, hat soeben versucht, mich umzubringen. Glauben Sie nicht, dass es sicherer für mich wäre, wenn ich wüsste, um wen es geht? Wissen Sie … nur für den Fall, dass ich ihm noch einmal über den Weg laufe? Dann könnte ich Sie sogar anrufen und sagen, he, da ist er, kommen Sie ihn schnappen.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich kann Ihnen nicht sagen, wen ich für den potentiellen Täter halte, weil ich Sie nicht beeinflussen darf. Wenn ich Ihnen Fotos vorlege und Sie auf ihn deuten, dann muss gewährleistet sein, dass Sie sich sicher sind, ihn beim Empfangssaal gesehen zu haben, und nicht, weil ich etwas habe durchsickern lassen.«

Juristisch gesehen ergab das Sinn. Praktisch packte sie jedoch die Wut: »Sie riskieren also mein Leben, um Ihren Fall vorschriftsmäßig durchzuziehen?«

»Nein. Ich weiß, wer der Mann ist, deshalb klebe ich ja schier an Ihnen, damit er Ihnen nichts tun kann.« Er bedachte sie mit einem grimmigen Lächeln. »Und weil er weiß, wer Sie sind, wird er herauskriegen, wo Sie wohnen, wenn es ihm nicht schon längst bekannt ist. Ob es Ihnen nun passt oder nicht, meine Liebe: Momentan werden Sie mich bestimmt nicht los.«

Praktisch gesehen bedeutete dies, dass sie nicht allein bei sich zu Hause schlafen konnte, dass diese höllische Nacht noch kein Ende hatte. Eric ging nach drinnen, durchsuchte sorgsam das Haus, bevor er sie hereinließ, und selbst das nur, damit sie rasch ihren Koffer packen konnte. Sie stritt nicht herum, denn so dumm, wegen ihrer Schlafstätte ihr Leben zu riskieren, war sie nun sicherlich nicht. Gleichzeitig wollte sie sich jedoch mit Händen und Füßen wehren, falls er vorhatte, sie mit zu sich nach Hause zu nehmen: nie und nimmer.

Offensichtlich hatte er dies ja geahnt, denn er unterbreitete ihr diesen Vorschlag nicht. Stattdessen fuhr er sie zu einem Hotel für Langzeitgäste, wo sie eine Suite mit zwei Zimmern bekam: ein Wohnzimmer mit Küche plus ein extra Schlafzimmer. Zuhause war das natürlich nicht, aber so übel auch nicht. Als Vorsichtsmaßnahme checkte er sie sogar auf seine Kreditkarte und unter seinem Namen ein.

»Aber was ist mit meiner Arbeit?«, fragte sie, als sie mitten im Wohnzimmer stand und die Angst an ihr nagte. »Er wird doch auch wissen, wo ich arbeite. Mom und Peach und Diedra sind auch alle in Gefahr!«

»Heute ist Samstag«, erwiderte er. »Sie haben zu Ihrer Mutter gesagt, dass Arbeit besser für Sie ist, aber nicht, dass Sie ins Büro kommen, oder?«

Sie war so müde, dass sie kaum noch denken konnte, ließ sich die Frage aber durch den Kopf gehen: »Also ich wollte schon kurz vorbeischauen. Wir haben heute zwar keine Termine mit potentiellen Kunden, da unser Terminplan diese Woche ja eh schon so hektisch war, aber es stehen heute zwei Hochzeiten und eine Hochzeitsprobe auf dem Programm; ich habe also eigentlich gemeint, dass ich besser daran tue zu arbeiten.«

»Also an diesem Wochenende sind alle sicher. Wenn der Fall bis Montag nicht gelöst ist, sollten Sie sich allerdings ein paar Tage freinehmen.«

War es nicht Ironie des Schicksals, dass sie genau das Gleiche auch gedacht hatte, allerdings aus einem völlig anderen Grund? Irgendwie war die Idee, Urlaub zu machen, aber bei Weitem nicht so attraktiv, wenn sie nur dazu diente, dem Killer aus dem Weg zu gehen. Das nahm der Ruhe und Entspannung viel von ihrem Reiz, hatte etwas von Verstecken, von Untertauchen, was ja auch stimmte.

»Ist Ihrer Website zu entnehmen, welche Events Sie persönlich betreuen?« Sein Verstand arbeitete noch immer, er sorgte sich um alle Einzelheiten. Obwohl er sicher ebenso fix und fertig war wie sie. Um seine Augen lagen tiefe Ringe, sein Haar war zerzaust, und er musste sich rasieren. Doch selbst jetzt, wenn seine Füße ohne Socken in Joggingschuhen stecken, er zerknitterte Hosen und ein enges T-Shirt trug, an dem sich jeder Muskel seines Oberkörpers abzeichnete, war er so maskulin und sexy, dass ihr die Knie weich wurden. Mit einem Gefühl des Bedauerns wurde ihr plötzlich bewusst, dass sie vielleicht nie mehr jemanden kennenlernen würde, auf den sie körperlich so abfuhr wie auf Eric, und das schmerzte sie so, dass sie sich auf ihre Worte konzentrieren musste, als sie antwortete: »Nein, wir geben keinerlei derartige Informationen bekannt. Einige, das heißt, sogar viele unserer Klienten stellen die Info ins Facebook, aber man müsste zuerst einmal ihre Namen wissen und dann auch noch in die Liste mit ihren Freunden reinkommen – das scheint mir nicht praktikabel.«

»Da haben Sie recht«, stimmte er ihr zu. »Aber irgendwie hat er Sie heute gefunden, und wenn wir herauskriegen, wie das möglich war, dann ist dies das Bindeglied, das ihn verrät.«

Der Tag brach schon so bald an, dass beide kaum mehr als ein paar Stunden Schlaf abbekommen würden; Eric sogar noch weniger, denn er musste ja noch nach Hause fahren. Sobald er gegangen war, schloss Jaclyn die Tür ab und legte die Kette vor, zog sich dann aus und fiel ins Bett, nachdem sie sich kaum noch die Zeit genommen hatte, ihr Kostüm aufzuhängen. Sie dachte aber noch daran, den Wecker ihres Handys zu stellen. Und dann rollte sie sich zwischen den kühlen Laken zusammen und weinte, weil sie dachte, wenn sie jetzt sterben müsste, dann mit dem letzten Gedanken an Eric – und dass sich ihr keine Gelegenheit mehr bieten würde, ihm zu sagen, dass sie ihn liebte.