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Jaclyn war wild entschlossen, nicht an Eric Wilder zu denken, während sie sich fertig machte – nicht viel jedenfalls. Ihn total aus ihrem Denken zu verbannen war unmöglich, weil sie von seinen Bartstoppeln rote Striemen an den Brüsten hatte und eine weitere wunde Stelle am Kinn. Sie behandelte die Hautirritationen mit Aloe-Gel, deckte die Stelle an ihrem Kinn sorgfältig mit einem Abdeckstift ab und fragte sich, weshalb Intimität mit einem Mann etwas von einem Kampfsport hatte, der Helm und Schutzpolster erforderlich machte. Und er hatte sie noch nicht einmal hart rangenommen. Er war sogar erstaunlich zärtlich gewesen in Anbetracht der Gier, mit der sie übereinander hergefallen waren. Sie hätte ihn beißen sollen oder so, dann wären sie jetzt quitt.
Nur dass sie nicht gern zubiss. Oder schrie. Oder sonst was. Sie war eine ganz normale Frau, die von Natur aus vorsichtig war, ohne jeglichen Hang zum Drama. Ihr Dad hatte schon für ausreichende Dramatik gesorgt, vielen Dank, außerdem bekam sie es in ihrem Job mit so vielen Dramen zu tun, dass sie dem Broadway zehn Jahre lang Figuren hätte liefern können. Das war wohl der schwierigste Aspekt bei ihrer Arbeit: Ruhig Blut zu bewahren, wenn alles den Bach hinunterging und alle anderen sich in hysterischen Anfällen wanden. Eine Eventdesignerin musste eine Expertin beim Auffinden von Alternativen sein und tun, was zu tun war.
Vorsicht war ihr zur zweiten Natur geworden. Meine Güte, bevor sie sich vor zehn Jahren ihr erstes Auto gekauft hatte, da hatte sie sechs Monate lang den Wiederverkaufswert und die Reparaturkosten studiert, bis sie es dann riskiert hatte. Und Madelyn hatte vor ein paar Jahren doppelt so lang gebraucht, um sie zu überzeugen, dass das Fahren eines Jaguars eine super Geschäftsidee war. Sie hatte natürlich recht gehabt. In Buckhead und Umgebung waren Statussymbole wichtig, und der Jaguar vermittelte, dass Premier der angesagte Eventdesigner war, wenn jemand wirklich Furore machen wollte. Sie hatten die beiden Jaguare gebraucht gekauft, und Jaclyn war an das Unterfangen mit aufheulendem Scheckbuch und Daumenhalten herangegangen. Zwei Jahre später musste sie zugeben, dass Madelyn absolut recht gehabt hatte, wenngleich ihre beiden eigenwilligen Fahrzeuge viel Zeit in der Werkstatt verbracht hatten.
Es sah ihr also eigentlich gar nicht ähnlich, dass sie alle Vorsicht in den Wind geschlagen und mit einem Mann ins Bett gesprungen war, den sie gerade kennengelernt hatte. Sogar mit ihrem Ex-Mann hatte sie erst nach der Verlobung geschlafen. Sie hatte Madelyn beigestanden, als ihre Mutter nach der Scheidung von ihrem Dad die Bruchstücke ihres Herzens zusammengesammelt und dann zugesehen hatte, wie Jacky bei der Wahl einer Stiefmutter einen Fehlgriff nach dem anderen tat; nun war er gerade auf der Suche nach Frau Nummer sechs.
Selbst ihre nur periphere Teilnahme an derartigen privaten Flops hatte sie Männern gegenüber doppelt vorsichtig werden lassen, denn auch ihre eigene Ehe hatte die Lebensdauer einer Seifenblase gehabt. Wie hatte sie sich nur so täuschen können? Sie hatte geglaubt, die Ehe mit Steve würde ein ganzes Leben lang halten, doch mit der Anziehung war es in einem schon peinlich kurzen Zeitraum vorbei gewesen. Jetzt zweifelte sie an ihrer Urteilsfähigkeit gegenüber Männern, und zwar in einem solchen Ausmaß, dass sie zuletzt Sex gehabt hatte … als sie noch verheiratet gewesen war. Heiliger Himmel. Sie war seitdem nie mit einem anderen Mann zusammen gewesen. Sie verzehrte sich bestimmt nicht mehr nach Steve. Sie war auch nicht prüde, das meinte sie jedenfalls. Sie war beschäftigt. Sehr beschäftigt sogar.
Es gab viele Gründe, weshalb sie sich nicht mit einem anderen Mann zusammengetan hatte, und die meisten waren durchaus berechtigt. Sie war vorsichtig gewesen. Sie war clever gewesen. Impulsivität oder Leichtsinn lagen nicht in ihrem Naturell.
Es sah ihr nicht ähnlich, dass sie mit Eric einfach so ins Bett gehüpft war, aber sie hatte es dennoch getan, und genau das beunruhigte sie jetzt. War sie ihrem Vater ähnlicher, als sie gedacht hatte? Das absolut Letzte auf Erden, was sie wollte, war, zur Sklavin jeder Laune zu werden, die ihr gerade in den Sinn kam – wie Jacky. Für ihn waren Wunsch und Handeln immer gleichbedeutend gewesen, und sein Verhalten wies wenige Bremsfaktoren auf.
Sie liebte ihn – es war schwer, Jacky nicht zu lieben, weil er überhaupt nicht verschlagen war und nie jemandem wehtun wollte. Er war charmant, lebensfroh und absolut verantwortungslos und auf sich selbst bezogen. Natürlich tat er anderen weh, aber das bemerkte er gar nicht, denn da war er schon zur nächsten Fete unterwegs, zur nächsten Frau. Jaclyns Beziehung zu ihm war sporadisch, und zwar seit sie denken konnte. Ihre Sicherheit kam von Madelyn, der Fels in der Brandung in ihrem Leben; sie war viel länger mit Jacky verheiratet geblieben, als es gut für sie war, und sie hatte darum gekämpft, für Jaclyn das Heim und zumindest den Anschein von Stabilität aufrechtzuerhalten. Als Jaclyn dreizehn war, hatte Madelyn letztlich das Handtuch geworfen und die Scheidung eingereicht, denn durch Jackys verantwortungslosen Umgang mit Geld hatte ihnen allen der Ruin gedroht.
Jaclyn verzog im Spiegel ihr Gesicht zu einer Grimasse, als sie ihre Haarmähne zu einem Knoten drehte, den sie mit einigen langen Haarnadeln feststeckte. Natürlich hatten dieser bescheuerte Vater und die Scheidung sie geprägt. Jeder wurde durch die Erfahrungen in seinem Leben geprägt, das war also nichts Besonderes. Sie konnte nicht einmal behaupten, dass sie irgendwelchen traumatischen Ereignissen ausgesetzt gewesen wäre. Aber die Tatsache, dass sie nun einmal Jackys Tochter war, hatte sie sicherlich misstrauisch und vorsichtig werden lassen, weil er nämlich genauso war, wie sie nie sein wollte. Vielleicht wäre sie ja eh nie wie er geworden; vielleicht waren ihr Misstrauen und Vorsicht angeboren, was es ihr ermöglichte, ihn zu sehen, wie er war, ihn zu lieben und sich nicht von ihm aus dem Konzept bringen zu lassen. Wer weiß?
Aber das alles hatte nichts mit der Tatsache zu tun, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben einen One-Night-Stand gehabt hatte, und rückblickend betrachtet gefiel ihr die Vorstellung nicht sonderlich, dass sie entweder die Kontrolle oder den Verstand verloren hatte. Was sollte sie tun, wenn er sie wirklich in der kommenden Woche anrief? Wollte sie eine Beziehung? Stand diese Option überhaupt noch offen, oder hatte sie sich mit ihrem Verhalten in die Kategorie Sex-nach-telefonischer-Vereinbarung katapultiert?
Ach, verdammt noch mal, natürlich würde sie eine richtige Beziehung mit ihm zumindest einmal ausprobieren wollen. Sie hatte nie zuvor auf einen Mann so spontan, so überwältigend reagiert, und selbst wenn es ihr total Angst machte, wollte sie wissen, wohin das alles führte. Und wenn er dachte, dass sie in die Kategorie Sex-nach-telefonischer-Vereinbarung fiele, dann würde sie das schon merken – und zwar je eher, desto besser.
Sie atmete zweimal tief durch, straffte die Schultern, warf dann einen Blick auf die Uhr und seufzte. Nabelschau kostete Zeit.
Sie nahm sich eine Banane aus der Obstschale in der Küche, kippte den restlichen Kaffee in einen Mitnehmbecher und schaltete alle Geräte und Lichter aus, bevor sie in die Garage ging, nachdem sie noch die Tür hinter sich abgesperrt hatte. In der Garage sprang die Sicherheitsbeleuchtung an, die sie zu ihrem Auto geleitete. Tasche, Kaffee und Banane jonglierend, stieg sie in ihr Auto ein und verriegelte die Tür, bevor sie den Türöffner betätigte. Ja, Vorsicht war wirklich ihre zweite Natur.
Als sie sacht aus der Garage fuhr, tanzte der Regen auf der Windschutzscheibe. Sie bremste, stieß einen entnervten Seufzer aus. Sie war sich ziemlich sicher, dass der Wetterbericht nichts von Regen gesagt hatte, aber er fiel dennoch. Keine Braut wollte einen verregneten Hochzeitstag. Welch ein Glück, dass die Hochzeit heute nicht im Freien stattfand – und dass Madelyn zuständig war. Aber trotzdem: Ob es ein schlechtes Omen war, dass es bei der ersten Hochzeit in dieser Woche regnete?
Sie zögerte einen Moment, überlegte, ob sie noch mal ins Haus gehen und ihre Sandaletten mit Pfennigabsätzen gegen wetterfestere Schuhe austauschen sollte, doch ein weiterer Blick auf die Uhr ließ sie resolut die Garagentür absenken und das letzte Stück Weg zur Straße fahren. Sie konnte damit leben, wenn sie nasse Füße kriegte. Sie hatte keine Zeit, sich umzuziehen.
Es war noch dunkel, die Straßenbeleuchtung spiegelte sich auf dem nassen Asphalt, als sie aus der Wohngegend zur Hauptstraße fuhr, die nach Buckhead führte. In Hopewell gab es keinerlei Industrie, nur Geschäfte, Bürogebäude, Ärzte und Zahnärzte, Restaurants, chemische Reinigungen und dergleichen, aber keine richtige Industrie mit Fabriken. Da Hopewell neuer war als Buckhead, standen hier keine alten Villen, sondern eine ansehnliche Anzahl moderner Villen – nicht nur die üblichen Domizile, sondern richtig herrschaftliche Häuser mit viel Grund, einer dicken Mauer außen herum und Toren am Ende der Zufahrt.
In Hopewell gab es auch, was Jaclyn streng genommen als Mittelschichtsviertel bezeichnete – sie waren entstanden, bevor die Grundstückspreise in die Höhe schnellten. In einem dieser Häuser war sie aufgewachsen; Madelyn hatte es verkauft, als Premier den Löwenanteil ihrer Zeit beanspruchte und sie sich nicht mehr um die Instandhaltung kümmern konnte. Jaclyn hatte nichts zu ihrer Mutter gesagt, aber insgeheim hatte sie geweint, als der Verkauf besiegelt war. Das ordentliche Ziegelgebäude war ihr Zuhause gewesen, obwohl sie längst ausgezogen war. Nun war ihr Reihenhaus ihr Heim, dorthin begab sie sich am Ende des Tages. Dort entspannte sie sich, dort fühlte sie sich sicher und behaglich. Doch tief in ihrem Herzen blieb es doch nur ein Reihenhaus, und falls sie umziehen müsste, würde sie das absolut nicht kümmern, sah man einmal von dem Aufwand ab, der mit dem Packen und Auspacken einherging.
Zuhause bedeutete Familie, und Jaclyn wollte ihre eigene Familie haben. Wie verdreht musste sie sein, dass sie nicht ausreichend Zutrauen zu sich hatte, um ihre Vorsicht aufzugeben und einen Mann emotional an sich heranzulassen, wenn doch ihr größter Wunsch im Leben Nähe war? Vielleicht sollte sie ja eine Therapie machen. Oder vielleicht sollte sie sich ja einfach selbst einen Tritt in den Hintern verpassen und ihr Leben in Schwung bringen; sie steckte schließlich nicht den Kopf in den Sand, sondern verstand sehr wohl die Psychologie hinter ihrer übermäßigen Vorsicht. Diese Methode wäre jedenfalls nicht nur schneller, sondern auch billiger.
Premier befand sich in einem freistehenden Gebäude, in dem früher eine Zahnarztpraxis untergebracht war. Ihr und Madelyn hatte das Haus zugesagt, denn der zugehörige Parkplatz war groß und in gutem Zustand, und auch die Pflanzen in den Gartenanlagen gediehen prächtig. Sie kauften das Haus in ihrem vierten Geschäftsjahr und gestalteten die Räumlichkeiten so um, dass sie wie ein komfortables, teures Privathaus wirkten, in dem sich zufällig auch zwei Büros befanden. Sie hatten sich zuvor überlegt, in einem Bürogebäude Räume zu leasen, wodurch sie in den Genuss des Sicherheitsdiensts gekommen wären, doch die hohen Kosten hatten sie gezwungen, sich freistehende Häuser anzusehen. Jetzt waren sie mit ihrer Wahl beide sehr glücklich, denn schließlich gehörte das Gebäude ihnen; es vermittelte, dass sie sich richtig etabliert hatten, und zeugte von Prestige, was bei einem reinen Bürogebäude schlichtweg unmöglich war.
Da hier vier Frauen allein arbeiteten, und zwar oft bis spät in der Nacht – oder bereits früh am Morgen wie heute –, versuchten sie, das Gebäude möglichst abzusichern. Die Türen waren massiv und die Schlösser nicht minder, außerdem gab es Videoüberwachung und Kameras am Eingang, und die Fensterflügel schützte ein Dorngestrüpp. Sie waren nie auch nur mit dem geringsten Ärger konfrontiert gewesen. Die Gegend war wunderschön, und, ehrlich gesagt, welcher Idiot sollte schon bei einem Hochzeitsdesigner einbrechen? Ihre Dienste wurden per Scheck oder Kreditkarte bezahlt, das einzige Bargeld vor Ort bestand also aus den paar Scheinen in ihrer Brieftasche. Für einen Dieb war da selbst ein Verkaufsautomat noch attraktiver.
Jaclyn steuerte auf ihren Parkplatz direkt neben dem rückwärtigen Eingang, Madelyns Jaguar kam keine fünf Sekunden später an. Ein pinkfarbener Schirm erblühte wie eine riesige exotische Blume, in seinem Schutz stieg Madelyn aus dem Auto. Jaclyn tat es ihrer Mutter gleich, ihr schlichter Schirm war allerdings schwarz. Es regnete nicht stark, aber sie wollte den Tag nicht mit nassen Klamotten und verwaschenen Haaren beginnen.
»Ich habe Protein-Smoothies mitgebracht«, verkündete Madelyn und griff ins Auto, um die versprochenen Getränke herauszuholen.
»Welche Geschmacksrichtung?«
»Sei nicht so kritisch bei einem Geschenk. Vanille. Erdbeere war alle.«
»Ich habe eine Banane, die ich mit dir teilen kann. Wir können sie in die Smoothies schnippeln und dann alles durch den Mixer laufen lassen.«
»Gebongt.«
Da sie all ihre Sachen nicht auf einmal tragen konnte, packte Jaclyn ihren Aktenkoffer und ließ die Banane und den Kaffee im Auto; sie wollte noch einmal zurückkommen. Die Alarmanlage begann zu piepsen, und sie stellte ihren Aktenkoffer auf dem winzigen Tisch im kurzen Gang ab, um den Code einzutippen, der das System abschaltete. Madelyn ging an ihr vorbei, den Schirm, ihren eigenen Aktenkoffer und die beiden Smoothies vorsichtig in der Hand.
Fünf Minuten später saßen die beiden mit ihren aufgepeppten Smoothies am Konferenztisch und gingen die Hochzeit, die am Abend stattfinden sollte, noch einmal durch, um bloß kein Detail zu vergessen. Madelyn hatte den kleinen Fernseher in der Ecke eingeschaltet, und sie stießen beide einen Seufzer der Erleichterung aus, als der Wetterbericht sagte, dass es gegen Mittag aufklaren würde. »Gott sei Dank«, meinte Peach Reynolds gedehnt, die den Konferenzraum betrat, als gerade die Wettervorhersage lief. Sie fing automatisch an, eine Kanne Kaffee zu kochen – sie trank fast den ganzen Tag welchen. »Und während ich Gott danke, möchte ich auch noch der Klimaanlage meine tiefste Dankbarkeit aussprechen, weil die Schwüle nämlich unerträglich werden wird. Trinkt ihr wieder diese grässlichen Smoothies?«
Peach – sie hieß eigentlich Georgia – fand alles fürchterlich, was auch nur im Entferntesten gesund war; davon zeugte schon ihr Krispy Kreme-Krapfen mit Schokofüllung, den sie sich mitgebracht hatte. Sie hatte wallendes knallrotes Haar, schräge grüne Augen und fünfzehn bis zwanzig Pfund zu viel auf den Rippen, die schon mehr als sinnlich wirkten. Ihre körperliche Befindlichkeit kam aber offensichtlich bei Männern gut an, denn es mangelte ihr nie an Verehrern, wobei der Gerechtigkeit halber gesagt werden muss, dass damit auch ihr überschwängliches Wesen zu tun hatte. Madelyn war etwas zurückhaltender, aber nicht viel. Die beiden zusammen konnten einen Raum zum Kochen bringen, dass jeder Politiker blass vor Neid wurde.
»Klar«, antwortete Madelyn. »Aber wenn du im zarten Alter von sechzig an einem Herzschlag stirbst, verursacht durch himmelhohes Cholesterin, dann kann ich dir versprechen, dass ich dem Ganzen nicht noch die Krone aufsetzen und auf deinen armen kalten Körper einen Toast mit einem nahrhaften Smoothie aussprechen werde. Weil du meine Freundin bist, werde ich einen guten alten Whiskey dazu hernehmen.«
»Dann bin ich ja beruhigt.« Peach biss in ihren Krapfen und leckte die herausquellende Schokolade ab. »Aber ich lasse mich verbrennen, dann sprichst du deinen Toast also besser rechtzeitig, bevor ich selbst getoastet werde, für den Fall, dass du an diesem förmlichen Brauch unbedingt festhalten möchtest.«
»Das kann nicht sein.«
»Was kann nicht sein?«
»Dass du dich verbrennen lässt. Du hast mir gesagt, du wünschst dir eine pompöse Beerdigung; deine Exlover sollen weinen, wenn dein wunderbarer Körper im Sarg liegt, den du mit Liliengirlanden geschmückt haben wolltest – wobei ich übrigens finde, dass Girlanden bei einer Beerdigung von schlechtem Geschmack zeugen. Und du wolltest, dass ein Dudelsackspieler aufspielt und dass Schimmel deinen Katafalk zum Friedhof ziehen. Du kannst nicht in Schönheit im Sarg liegen und dich gleichzeitig verbrennen lassen. Das schließt sich irgendwie aus.«
»Du kriegst keinen Katafalk«, sagte Jaclyn. »Staatsoberhäupter kriegen so was. Denk doch bloß an den Verkehrsstau. Ich schätze, dazu bräuchtest du die Genehmigung des Gouverneurs.«
»Ach, mach mir nur alles mies! Wie kannst du nur!«, ärgerte sich Peach. »Ich hätte gedacht, dass ein Mensch zumindest bei seiner Beerdigung einmal kriegt, was er haben möchte. Aber lass wenigstens die Lieder spielen, die ich mir wünsche, okay?«
»Klar«, versprach Madelyn ihr, »solange es nicht gerade You Picked a Fine Time to Leave me, Lucille ist.«
»Spielverderber. Na gut, wie wäre es dann mit Floyd Cramers Last Date? Kapiert? Das wird es nämlich sein.«
»Du bist krank. Einfach krank. Du bist dann doch eh nicht mehr bei uns, wozu also die ganze Aufregung? Ich werde eine wunderhübsche Beerdigung für dich ausrichten, wie es sich für den Ruf und den Standard von Premier ziemt.«
»Du willst aus meiner Beerdigung einen Event machen? Ich weiß nicht, ob ich mich geschmeichelt fühlen oder verärgert sein soll, dass du meinen Tod für Werbezwecke nutzen willst.«
»Ach, meine Liebe, ich verspreche dir, dass deine Beerdigung der Event schlechthin werden wird. Ich muss nur dafür sogen, dass er auch geschmackvoll wird.«
»Apropos Geschmack … Jaclyn, meine Süße, dir ist doch schon klar, dass deine Hochzeit am Samstag die reinste Katastrophe wird, oder?«
Jaclyn schaute auf, ihre Lippen zuckten. »Ich habe eine Ahnung davon bekommen, als die Braut darauf bestand, dass ihre elf Monate alte Tochter, die im Übrigen nicht das Kind des Bräutigams ist, in einem roten Wägelchen den Kirchengang hinuntergeschoben werden soll.« Sie musste lachen. Die Hochzeit würde witzig werden, aber solange das Brautpaar mit den Arrangements glücklich war, betrachtete sie es als ihre Aufgabe, alles so zu machen, wie es gewünscht wurde. »Diedra dankt ihrem guten Stern, dass wir diese Woche so viele Reservierungen haben, dass sie eine der Hochzeitsproben am Samstag übernehmen kann anstelle der Hochzeit.«
»Ich bin bloß froh, wenn diese Woche vorüber ist«, sagte Madelyn und warf einen Blick auf den Terminkalender an der Wand. Da sie in der kommenden Woche so viele Buchungen hatten, versuchten sie nicht, irgendwelche weiteren Termine einzuschieben. Sie hatten alle Hände voll zu tun, sechs Hochzeiten bedeuteten schließlich auch sechs Hochzeitsproben. Sie rieb sich die Hände. »Unser Bankkonto freut sich jedenfalls sehr. Keiner der Schecks ist geplatzt.«
»Na dann hallelujah«, sagte Jaclyn trocken. »Also, wenn ich heute sämtliche Termine mit Carrie schaffe, ohne dass mir jemand abspringt – einschließlich meiner Wenigkeit –, wird die restliche Woche vergleichsweise locker.«
»Schmeiß hin, wenn es sein muss«, riet ihr Madelyn mit verkniffenen Lippen. »Lass dich von ihr nicht verarschen. Die Summe, die wir ihr erstatten müssen, ist es vielleicht wert, denn dann sind wir sie los.«
Ihre Verträge gestalteten sich so, dass Premier die Arbeit bezahlt bekam, die termingerecht geleistet war. Das schützte sie davor, in letzter Minute gefeuert zu werden und dann kein Geld zu bekommen, weil der Auftrag nicht komplett erledigt war. Ein paar sparsame – oder, je nach Standpunkt, betrügerische – Bräute beziehungsweise Brautmütter hatten das bereits versucht. Sobald ihnen allerdings klar wurde, dass ihnen das hohe Honorar nicht rückerstattet wurde, kamen sie aber zu dem Schluss, dass der Service von Premier eigentlich doch ganz ordentlich war.
»Sobald wir den magischen Punkt überwinden, nämlich Carries Annahme, dass sie ihre Meinung ändert und sich ihre Wünsche noch erfüllen lassen, ist alles okay. Nicht super, aber okay.«
Madelyn rollte mit den Augen. »Wir haben diesen Punkt bereits überschritten.«
»Nicht ihrer Vorstellung nach. Ich hoffe, dass sie heute Nachmittag so weit kommt. Sie ist allerdings nicht gerade vernünftig«, fügte sie noch hinzu – die Untertreibung des Jahres, wenn nicht der Dekade. Sie überlegte sich, ob sie Eric zu ihrer Unterstützung kommen lassen sollte – die riesige Pistole gut sichtbar im Halfter …
… und – peng – da stand er auch schon im Mittelpunkt ihres Denkens, dass sie ihn einen Moment lang körperlich fast in sich spürte. Eine warme Welle wogte durch ihren Körper, und sie bekam ein heißes Gesicht. Schnell schaute sie zu Boden, um ihren Gesichtsausdruck zu verbergen. Sie sollte solche Gedanken nicht haben, wenn ihre Mutter direkt neben ihr saß, heiliger Himmel. Sie sollte sich auf ihren Job konzentrieren und auf sonst gar nichts.
Aber wie sollte sie ihn einfach so ausblenden,
als hätte es diese Nacht nie gegeben? Sie konnte ihr Leben nicht so
aufspalten. Diese Sache lag meilenweit außerhalb ihres
Erfahrungshorizonts, und bis sie emotional und rational damit
umgehen konnte, was zwischen ihnen so explosionsartig passiert war,
musste sie natürlich an ihn denken – selbst wenn sie sich noch so
bemühte, es zu unter-
lassen.
Sobald diese Woche hinter ihr lag, hätte sie Zeit, über ihn nachzudenken.
Das Wetter besserte sich wie angekündigt, leichter Wind trieb den Regen gen Osten, und es kam der herrliche blaue Himmel heraus. An diesem Nachmittag stellte Jaclyn fest, dass sie lächelte, ein bisschen nur, obwohl sie unterwegs zu ihrem Termin mit Carrie war und den armen Selbstständigen. Die nächsten Tage würden hektisch werden, aber bislang lief alles glatt. Die Hochzeit Nummer eins war relativ klein, und somit dürfte es Madelyn kein Problem bereiten, sie allein durchzuziehen, insofern nicht etwas Unvorhergesehenes passierte. Unvorhergesehene Probleme gehörten mit zum Geschäft, aber sie versuchten, immer auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein.
Das Mittagessen war hervorragend gewesen, ein Salat zum Mitnehmen, den sie sich am Schreibtisch einverleibt hatte. Das Telefon hatte gut zwanzig Minuten lang nicht geläutet, sie hatte also Zeit gehabt, in Ruhe zu essen.
Und jetzt war der Himmel blau, der Verkehr hielt sich in Grenzen, und ihr Körper brummte vor Zufriedenheit wie schon den ganzen Tag über.
»Nicht an ihn denken, nicht an ihn denken«, murmelte sie. Sie musste in den nächsten Tagen auf Zack sein, bis zur letzten Hochzeit in dieser Woche. Wenn sie sich ablenken ließ, würde sie Fehler machen, Details vergessen. In fünf Tagen würde dieses Arbeitspensum hinter ihr liegen, dann konnte sie sich entscheiden … egal wofür. Vielleicht würde er ja gar nicht anrufen. Sie meinte zwar schon, aber wer vermochte das zu sagen? Vielleicht war er ja etwas Besonderes – diese Möglichkeit versetzte sie in Angst und Schrecken, gleichzeitig fühlte sie sich jedoch auch erregt und glücklich und kurz vor einer wichtigen Entscheidung. Wenn er anrief, und wenn er etwas Besonderes war … Ach, jetzt dachte sie ja schon wieder an ihn, allen Bemühungen zum Trotz!
Doch nichts war so schwierig, wie mit erhobenem Zeigefinger Carrie auf den Boden der Tatsachen zu bringen.
Der Empfangssaal hatte architektonisch etwas von einem griechischen Tempel mit Säulen und Urnen und Efeu, das sich die Wände hinaufrankte. Das Gebäude war rund zehn Jahre alt, und aus der Zeit zu schließen, die man auf eine Buchung warten musste, machte er sich für die Eigentümer bestens bezahlt. Carrie hatte darauf bestanden, dass ihre Hochzeit hier stattfinden sollte und nirgendwo sonst; sie hatte sogar den Hochzeitstermin verschoben, als der Saal an dem Tag bereits vergeben war. Dies war das einzige Mal gewesen, dass sie keinen hysterischen Anfall hatte hinlegen können, um ihren Willen durchzusetzen.
An einem Wochentag wie heute war der weitläufige Parkplatz kaum belegt, es standen allerdings einige Autos gleich beim Seiteneingang. Als Jaclyn Carries Wagen erkannte, verging ihr das Lächeln schnell. Carrie hatte die einzigartige Fähigkeit, die Zeit zu manipulieren – eine Minute kam einem wie eine Stunde vor, und eine Stunde erschien wie eine Ewigkeit in der Hölle. Bisweilen fragte sich Jaclyn, was der jeweilige arme Bräutigam wohl an der Frau fand, die er heiraten wollte; aber im Fall von Carrie hatte sie das Gefühl, sie müsse den Burschen anrufen und ihm reinen Wein einschenken.
Als sie ihren Aktenkoffer nahm, sich die Tasche über die Schulter schwang und aus dem Jaguar stieg, entdeckte Jaclyn Gretchens Auto. Ihr sank der Mut. Gretchen hätte erst in einer halben Stunde kommen sollen. Jaclyn würde nie jemand von den Selbstständigen zu einem Treffen mit der Monsterbraut bestellen, ohne dass jemand von Premier mit dabei war, um die Wogen zu glätten. Sie würde um ihren Jaguar wetten, dass Carrie die Schneiderin angerufen und den Termin geändert hatte. Das hatte nichts Gutes zu bedeuten.
Jaclyn schritt flotter aus, als sie in der Hoffnung auf den Seiteneingang zuging, nicht schon zu spät zu kommen. Sie war gerade einmal sechs Schritte den Gang hinuntergegangen, als sie feststellte, dass sie sogar viel zu spät kam.
Gretchen bog um die Ecke und rannte schier in Richtung Parkplatz – wie auf der Flucht. Sie hatte ein rotes Gesicht, mit einer Hand hielt sie ein kurzes Stück Stoff umklammert. Als sie Jaclyn sah, kam sie mit zusammengebissenen Zähnen schlitternd zum Stehen, dann ging ihr der Mund über.
»Sie könnte mir eine Million Dollar zahlen, und selbst dann würde ich ihr das Braukleid nicht noch einmal nähen. Kein Geld der Welt ist es wert, dieses Luder ertragen zu müssen!« Gretchen war klein und drall, in den Fünfzigern und attraktiv, mittelblond und stets adrett gekleidet. Sie war normalerweise auch umgänglich und ließ stets ein Lächeln sehen, heute jedoch nicht. »Die Brautjungfern können nackt gehen, mir ist das jetzt egal!«
Nun, das hörte sich recht endgültig an. Jaclyn atmete tief durch. »Was hat sie gesagt?«
Gretchen konnte mit Mühe die Tränen zurückhalten. »Unter anderem hat sie gesagt, dass die Qualität der Kleider unter aller Kanone sei und dass ich mich glücklich schätzen könne, dass sie mich nicht längst gefeuert hat. Da meine Arbeit so ein Pfusch ist, sehe sie keinen Grund, weshalb ich ihr die neuen Gewänder nicht in den nächsten zwei Wochen nähen könne, denn so beschäftigt wäre ich ja wohl sicher nicht, schließlich gäbe es ja genügend kompetente Schneiderinnen in dieser Gegend.« Gretchen zitterte das Kinn, dann riss sie sich zusammen. »Sie hat gesagt, dass sie mich fertigmachen würde, dass ich nie wieder einen Auftrag für eine wichtige Hochzeit kriegen würde, wenn ich nicht tue, was sie anordnet.«
Jaclyn legte Gretchen beruhigend eine Hand auf den Arm und sagte leise: »Sie wissen doch, mit wem Sie es zu tun haben. Lassen Sie sich von ihr nicht einschüchtern. Niemand mit Verstand im Kopf nimmt ernst, was sie redet.«
»Da kann ich nur hoffen, dass Sie recht haben.« Gretchen fasste sich wieder. »Wir werden es ja bald wissen. Jedenfalls bin ich außen vor. Das Leben ist zu kurz, um sich mit Leuten ihres Schlags herumzuärgern.«
Da konnte Jaclyn nur zustimmen; sie wollte aber dennoch alles tun, um im Rennen zu bleiben. Die Familie des Bräutigams war prominent. Seine Mutter kam aus einer alteingesessenen Familie in Georgia, die nur so in Geld schwamm. Und sein Vater war in der Politik hier in Georgia. Wenn sie den nächsten Monat durchstand, wäre sie eine gemachte Frau.
Aber trotzdem: Wenn Carrie je wieder Premier für einen Event engagieren wollte, dann hätten sie keinen Termin mehr frei – zu viel Arbeit. Und selbst wenn sie mittellos wären und Däumchen drehen würden, hätten sie zu viel Arbeit, um den Auftrag anzunehmen.
Sie traf Carrie im Hauptempfangssaal sitzend an; sie hatte auf einem Stuhl in der Nähe des einzigen Tisches Platz genommen, der für ihre Besprechungen hergerichtet war. Der restliche riesige Raum war leer, kahl und öd. Die Bühne hinten lag dunkel und verlassen da. Der Hartholzboden war unlängst gesäubert worden und spiegelte nur so, aber ohne die üblichen Stühle und Tische wirkte er etwas traurig. Wenn alles an seinem Platz stand – die mit Leinen gedeckten Tische und duftenden Blumenarrangements, das warme Büffet und die Torten, die Kerzen, die alles in zauberhaftes Licht tauchten, während die Musik durch den Raum schwebte –, dann war dieser Saal für einen Hochzeitsempfang ideal.
Momentan wirkte er bis auf das zerknitterte Stück Stoff, das einen halben Meter von der künftigen Braut entfernt auf dem Boden lag, einfach nur öd.
»Sie kommen zu spät«, schnauzte Carrie sie an, ohne Jaclyn eines Blickes zu würdigen.
Einen Monat noch …
»Ich bin fünf Minuten zu früh dran«, erwiderte Jaclyn gelassen. »Haben Sie die Uhrzeit des Termins mit Gretchen geändert, ohne mich zu informieren?«
Daraufhin bedachte Carrie sie mit einem funkelnden Blick: »Ich würde Ihnen wärmstens empfehlen, Ihren Kundinnen diese uneinsichtige Frau zu ersparen. In der Tat, ich bestehe darauf, dass …«
Jaclyn legte ihren Aktenkoffer auf dem Tisch ab. »Ich empfehle Gretchen immer wärmstens und werde es auch weiterhin so halten.«
»Sie ist inkompetent. Ihre Arbeit ist Pfusch.«
»An Ihrer Stelle wäre ich mit solchen Aussagen sehr vorsichtig. Sie könnte Sie wegen Geschäftsschädigung verklagen und würde vermutlich sogar Recht bekommen. Sie hat schon für überaus bedeutende Frauen dieser Stadt Kleider geschneidert, und einige könnten sich auf ihre Seite schlagen. Und ich muss Sie warnen: Sie hat viele enge Freunde in diesem Geschäft – es ist fast schon wie eine Zunft. Und überaus angesehen ist sie auch, vor allem im Südosten. Falls Sie sich je wieder ein Gewand schneidern lassen wollen, würde ich Ihnen nahelegen, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Die Kleider für die Brautjungfern sind fertig, sie sind wunderhübsch, und jetzt ist es Zeit, die anderen Themen anzugehen.«
Carries Kiefer verspannte sich, und einen Augenblick dachte Jaclyn, sie würde aufspringen und sie angreifen. Carrie konnte es wahrlich nicht ertragen, wenn sie ihren Willen nicht durchsetzen konnte. Ach, die armen Selbstständigen, die nachher noch mit ihr zu tun bekamen. Wenn sie sie doch nur hätte vorwarnen können! Doch die Achterbahn rauschte bereits bergab; sie konnte bestenfalls noch Einhalt gebieten.