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Jaclyn schlüpfte am nächsten Morgen in der Frühe um fünf aus dem Bett. Sie stand da und hörte verwirrt das leichte Schnarchgeräusch, das Eric von sich gab. Kein richtiges Schnarchen, aber doch lauter als Atmen. Es hörte sich fast wie ein leichtes Knurren in seinem Hals an – kaum vernehmbar. Eine unbewusste Warnung an die Raubtiere in der Nähe vielleicht?
Im schwachen Schein der Nachtbeleuchtung im Bad hob sie schweigend ihren Schlafanzug auf und schlich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer – nicht nur, um ihn schlafen zu lassen, sondern weil sie ihn nicht wecken wollte. Gestern Nacht, als sie ihn hereingelassen hatte, da hatte sie sich so darauf konzentriert, wie er roch, sich anfühlte und schmeckte – und auf ihre unglaubliche Lust –, dass sie alles andere einfach ausgeblendet hatte. Nach ihrer zweiten Sexrunde war sie jedoch aufgestanden, um ins Bad zu gehen, und dabei hatte sie die große schwarze Pistole auf dem Nachttisch entdeckt. Wie hatte sie die nur übersehen können, als sie einander wie die Wahnsinnigen ausgezogen hatten? Sie hatte das Gefühl, über eine Klapperschlange gestolpert zu sein, ohne sie zu sehen, oder etwas in dieser Art.
Waffen lösten bei ihr ein ungutes Gefühl aus; sie verstand absolut nichts von ihnen und wollte auch nichts davon wissen. Auch wenn sie in den Südstaaten geboren und aufgewachsen war, ging sie nicht zur Jagd, sondern ins Theater und zum Shoppen – auf Schnäppchenjagd; aber dazu brauchte sie keine Waffe, sondern eine Kreditkarte.
Ihr Vater war kein Mann, der sich gern im Freien aufhielt, und ihr Exmann auch nicht. Im Freien war ihr Ex eigentlich bloß, wenn er zu einem Football-Spiel ging und im Stadion saß, ein Bier trank und sich wie ein richtiger Mann fühlte, obwohl ihm Football eigentlich gar nicht so wichtig war; er ging bloß hin, um sein Image als guter, loyaler Typ aufzupolieren. Zu seinen Gunsten war zu sagen, dass er, wie Jaclyn sich erinnerte, bei der Sache Sinn für Humor sehen ließ. Steve war kein übler Bursche, er war für sie bloß nicht der Richtige.
Tatsache war, dass sie nie mit Waffen zu tun hatte, nie mit einem Mann geschlafen hatte, der mit einer Waffe zu Bett ging. Was würde passieren, wenn sie ihn wachrüttelte? Würde er zur Pistole greifen? Sie wollte es lieber nicht ausprobieren, deshalb war sie besonders vorsichtig, keinen Lärm zu machen, als sie die Schlafzimmertür schloss.
Was nun?
Diese Frage war vielschichtiger als eine Zwiebel. Die naheliegendste Antwort war, ins zweite Badezimmer zu gehen. Nach der Toilette – und der Feststellung, dass Sex so ähnlich wie Sport war und man wund wurde, wenn man es mit solchen Energieanwandlungen nicht regelmäßig hielt – zog sie ihren Schlafanzug an, goss sich ein Glas Wasser ein und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, weil ihre Bürste im Schlafzimmer lag.
Als Nächstes: Kaffee.
Sie setzte den Kaffee auf, und während er durchlief, stand sie in der Küche herum. Tausend Dinge schossen ihr durch den Kopf. Bei dem Gedanken an Eric wurde ihr unbehaglich zumute, deshalb konzentrierte sie sich auf ihre Arbeit. Sie hatte heute viel zu tun, und das bedeutete, dass sie den Bullen aus ihrem Bett kriegen und auf den Weg bringen musste, damit sie sich fertig machen konnte. Und aus dem Bett kriegte sie ihn nur, wenn sie ihn weckte. Und ihn zu wecken bedeutete, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, was allerdings wiederum davon abhing, wie nervös er war, aber er würde ja wohl nicht gleich zur Pistole greifen. Wenn Bullen die Frauen, mit denen sie geschlafen hatten, immer erschießen würden, käme das ja in sämtlichen Nachrichten.
Nun, dieser Gedanke war tröstlich. Oder doch nicht.
Zu spät. Ihr wurde klar, dass sie Eric hätte aufwecken sollen, bevor sie aufgestanden war, aber da hatte sie nicht logisch gedacht. Sie wollte nicht, dass er sie mit zerzausten Haaren sah oder sie womöglich küsste, wenn ihr Atem schlecht roch. Oder, Gott behüte, hörte, wie sie pinkelte. Nichts von dem schien Männer je zu beunruhigen, sie jedoch schon. Da half es auch nichts, dass sie dreimal Sex gehabt hatten: zuerst heißen, wilden Sex, dann entspannten Sex und schließlich Kuschelsex um zwei in der Früh – sie kannte ihn noch nicht. Sie wusste viel von ihm, aber hauptsächlich in körperlicher Hinsicht; als Menschen kannte sie ihn nicht.
Aber eines wusste sie mit Sicherheit: dass sie eine Dusche brauchte und sich fertig machen musste. Sie musste bis sieben im Büro sein. Sie musste in die Gänge kommen, und zwar flott. Sie musste diesen Bullen aus ihrem Bett und aus dem Haus kriegen, damit sie alles schaffte, und Zeit für irgendwelches Wortgeplänkel hatte sie nicht.
Die Kaffeemaschine beendete ihr Gezische und Gefauche und piepste, um anzuzeigen, dass der Kaffee fertig war. Dankbar nahm sie zwei Tassen, hielt dann aber inne und bedachte sie mit einem nachdenklichen Blick. Ja, das würde klappen. Sie wusste, wie sie ihn mit einem Minimum an Ärger durch die Tür kriegen würde.
Eric wachte auf, als sich Jaclyn aus dem Schlafzimmer stahl. Mit zusammengekniffenen Augen bewunderte er die schlanken, anmutigen Kurven ihres Körpers, bevor sie aus seinem Blickfeld verschwand und sorgfältig die Schlafzimmertür schloss. Sie war nicht irgendwie üppig, aber was da war, hatte genau die richtige Form – von ihren kleinen Brüsten mit den festen kleinen Nippeln bis hin zur Rundung ihres Hinterns. Und ihre Beine … heiliger Himmel, ihre Beine waren allein schon ein feuchter Traum: schlank und mit festen Muskeln, die Haut weich wie Seide.
Aber er hätte gestern Nacht nach Hause fahren und nicht bei ihr übernachten sollen. Was nun? Er hasste die Peinlichkeit am Morgen danach. Ob sie auf einen Morgenquickie scharf war? Ihm wäre nichts lieber gewesen, nur dass er nach Hause musste, duschen, rasieren, die Kleidung wechseln und dann zur Arbeit fahren. Frauen reagierten gern verschnupft, wenn man sie abblitzen ließ, egal wie gut die Entschuldigung war. Vielleicht hätte sie ja bloß noch ein bisschen kuscheln wollen oder – meine Fresse – über den gestrigen Abend reden. Warum wollten Frauen bloß immer über den vergangenen Abend reden, zumindest wenn Sex mit im Spiel war? Aber so war es eben. Sie waren von dem Augenblick an aufeinander scharf gewesen, als sie im Rathaus zusammengestoßen waren. Und sie hatte Ja gesagt. Eigentlich war das alles gar nicht so kompliziert.
Er wollte sie wiedersehen, ja, klar, aber er wollte nicht alles, was er gestern Abend getan oder gesagt hatte, sezieren. Nicht dass er viel gesagt hätte. Sie beide nicht. Zwischen den Sexrunden hatten sie beide geschlafen. Als sie sich in der Kneipe begegnet waren, hatte sie selbstsicher geplaudert, im Bett hingegen hatte sich das Gespräch auf ein Minimum beschränkt. Es war schön, mit einer Frau zusammen zu sein, die nicht meinte, beim Sex eine tiefschürfende Unterhaltung führen zu müssen. Ihm gefiel das. Sie gefiel ihm – bis jetzt jedenfalls.
Aber weil er sie wiedersehen wollte, konnte er jetzt wohl nicht einfach so aufstehen, sich anziehen und verduften. Er musste den Weg ebnen, sichergehen, dass er nichts tat, was sie verstimmte – wie eben aufzustehen, sich anzuziehen und zu verduften. Deshalb hätte er das ja gestern Nacht tun sollen: mit einer Umarmung und einem Kuss und dem Versprechen, sie später anzurufen. Aus irgendeinem blöden Grund schien es Frauen nicht zu stören, wenn ein Typ nachts ging; wenn aber einer bis zum Morgen blieb, kamen alle möglichen seltsamen Regeln ins Spiel, und weiß der Geier, wie die lauteten.
Er drehte sich herum und warf einen Blick auf den Wecker. Seine Augenbrauen zogen sich in die Höhe: kurz nach fünf. Sie hatte gesagt, sie hätte diese Woche viel zu tun, und wenn sie um fünf in der Früh aufstand, war das sicher nicht übertrieben. Er hatte keine Ahnung, was eine Hochzeitsdesignerin genau machte, das so viel Zeit in Anspruch nahm. Wie schwierig mochte dieser Job sein? Aber sie nahm ihre Arbeit ernst, und das gefiel ihm. Zu viele Leute setzten sich heute einfach über ihre Verpflichtungen hinweg – als würden bloß Blödmänner anständig arbeiten. Klar, als Detective hatte man es wohl eh überwiegend mit Abschaum zu tun, aber er wurde tagtäglich mit so einer elitären Snobhaltung bei Leuten konfrontiert, die nicht einen Bruchteil des Respekts verdient hatten, den sie für sich in Anspruch nahmen.
Er hörte sie nirgendwo im Haus, roch aber plötzlich das Aroma von frisch aufgebrühtem Kaffee, das ihn sogleich aus dem Bett katapultierte. Nach einer Stippvisite im Bad zog er sich an. Er hatte seine Unterwäsche und Hosen an und saß noch auf dem Bett, um sich die Socken und Schuhe anzuziehen, als die Tür aufging und Jaclyn mit einer großen Tasse Kaffe in der einen Hand und einem Becher in der anderen hereinkam.
»Ich wusste nicht, wie du deinen Kaffee magst, deshalb habe ich zwei Päckchen Zucker und zwei mit Milch mitgebracht und einen Löffel«, sagte sie, wobei sie ihm den Kaffeebecher hinstreckte. Verdutzt griff er danach. Der Zucker, die Milch und der Löffel zum Umrühren lagen in einem Frühstücksbehälter aus Plastik, zudem eine ordentlich gefaltete Papierserviette. »Ich bin arg in Eile, ich muss noch unter die Dusche springen«, fuhr sie fort. »Könntest du darauf achten, dass die Tür zu ist, wenn du gehst? Danke, du bist ein Schatz. Ruf mich in einer Woche an oder so.« Sie beugte sich zu ihm hinunter, gab ihm einen schnellen Kuss auf die Stirn und verschwand dann im Bad. Er hörte, wie sich der Türriegel umdrehte, und gleich darauf rauschte das Wasser.
Puh.
Da saß er nun also auf dem Bett, glotzte seinen Becher mit Kaffee-to-Go an. Steh auf, zieh dich an und geh. Noch direkter hätte sie nur sein können, wenn sie ihn eigenhändig vor die Tür gesetzt hätte.
Ganz offensichtlich war ihr nicht daran gelegen, sich mit ihm über den gestrigen Abend zu unterhalten. Einen Augenblick war er hin- und hergerissen zwischen Erleichterung und … ach, Scheiße! Er war ein bisschen beleidigt. Frauen wollten doch angeblich immer gern darüber reden. Das zeigte ihr Interesse – dass sie die gemeinsamen Schwingungen und die Anziehung spürten. Was sollte er jetzt denken? Dass Jaclyn Sex hatte haben wollen und sonst nichts, und dass sie ihn nach vollbrachter Tat loswerden wollte?
Er stellte den Kaffee auf den Nachttisch und zog sich fertig an. Als er seine Dienstwaffe in das Pistolenhalfter an seinem Gürtel steckte, fragte er sich, ob sie die Waffe erschreckt haben könnte. Sie war keine Bullenbraut, deshalb hatte es ihr ja vielleicht nicht gepasst, dass er seine Waffe automatisch griffbereit abgelegt hatte. Er hatte sich das damals in der Dienststelle in Atlanta zur Gewohnheit gemacht, und jetzt war es ihm so in Fleisch und Blut übergegangen, dass es ihm gar nicht mehr auffiel.
Sie kam ihm nicht zickig vor, aber er kannte sie nicht gut genug, um das wirklich beurteilen zu können. Aus irgendeinem Grund wollte sie jedenfalls nicht, dass er zum Frühstück blieb. Nun gut, er würde sich ihrem Willen beugen. Eigentlich wollte er es ja selbst so haben.
Er warf einen Blick auf die verschlossene Badezimmertür und murmelte: »Ich komme mir benutzt vor.« Dann grinste er, schnappte sich den Kaffee und ging die Treppe nach unten.
Als Eric das Haus verließ, vergewisserte er sich, dass die Tür auch wirklich zu war. Es fiel leichter Regen, und die Straßenbeleuchtung schimmerte auf dem nassen Pflaster. In der Morgendämmerung war die Luft kühl, es wehte eine schwüle Brise aus dem Westen. Vielleicht würden sich die Wolken ja halten und der Tag nicht so schrecklich heiß werden. Er hatte die Wettervorhersagen nicht gehört, deshalb war er über den Regen dann doch überrascht, allerdings angenehm. Die Beamten, die den Verkehr regelten, würden seine Meinung wohl nicht teilen – er selbst hatte Regen immer gehasst, wenn er so einen Einsatz hatte –, aber ansonsten kam ihm immer jede Unterbrechung der Hitze gelegen.
Er blieb einen Augenblick auf ihrer kleinen überdachten Veranda vor dem Haus stehen und sah sich um, ob alles normal wirkte – keine verdächtigen Autos, keine verdächtigen Personen –, dann ging er das kurze Stück den Gehsteig hinunter zu seinem Auto. Das war eine gute Gegend hier, somit würde ein alter Klapperkasten von Auto unangenehmes Aufsehen erregen. Es war noch niemand unterwegs, aber in einigen der Häuser brannte schon Licht, was auf weitere Frühaufsteher schließen ließ.
Sobald er in seinem Auto saß, nahm er von seinem Kaffee-to-Go den Deckel ab, kippte beide Päckchen Zucker hinein und eines der Milchdöschen und rührte mit dem Löffel alles um. Er hob den Becher an, um einen ersten Schluck zu probieren. Als der Kaffee seine Geschmacksnerven erreichte, spuckte er das Gebräu schaudernd in den Becher. Heiliger Himmel, was war denn das für ein Zeug?
Ein aromatisiertes Gebräu, aber scheußlich. Warum mussten die Frauen immer den Kaffee versauen? Was war falsch an einem Kaffee, der auch nach Kaffee schmeckte? Wer brauchte ein Ahorn-Erdbeer-Erdnuss-Gebräu oder so was? Und was noch schlimmer war: Nicht nur das Aroma war seltsam, sondern es war auch eine Labberbrühe. Diese Frau hatte tolle Beine, aber einen anständigen Kaffee konnte sie jedenfalls nicht kochen.
Aus irgendeinem seltsamen Grund mochte er sie deshalb aber nur noch lieber. Hätte sie einen wirklich guten Kaffee gekocht, wäre das schon zu viel der Perfektion gewesen. So war es besser. Er war weiß Gott nicht perfekt, und somit brachte sie diese fürchterliche Brühe eher auf Augenhöhe.
Aber er brauchte wirklich eine Tasse Kaffee, denn von diesem Gebräu brachte er nicht einen Schluck hinunter. Ein Stück die Straße hinunter befand sich ein Krämerladen, der rund um die Uhr offen hatte, da gab es auch Kaffee – vielleicht nicht gerade den frischesten auf Erden, aber bitteren, abgestandenen Kaffee war er ja gewohnt; deshalb nahm er ja Zucker und Milch – damit er genießbar wurde. Zu schade, dass der Zucker und die Milch nicht halfen, um Jaclyns fürchterliches Gebräu trinkbar zu machen. Falls sie wirklich so eine Art Beziehung eingingen, dann würde er das Kaffeekochen übernehmen, weil er diese Brühe beim besten Willen nicht hinunterkriegte.
Als er den Laden erreichte, tankte ein Bursche in Klamotten wie ein Bauarbeiter gerade einen Ford Pick-up auf. Ein zehn Jahre alter schwarzer Kleinwagen war seitlich geparkt – wohl der fahrbare Untersatz des Angestellten. Als Eric auf den Parkplatz einbog, beendete der Bauarbeiter die Auftankaktion und stand einen Moment da; er wartete, dass die Zapfsäule den Kreditkartenausdruck ausspuckte. Er riss ihn ab, faltete ihn sorgfältig und steckte ihn in die Brieftasche, dann stieg er in seinen Ford und fuhr davon.
Auf dem Weg in den Laden nickte Eric dem Angestellten zu, einem hageren Burschen mit fliehendem Kinn, der durchs Fenster beobachtet hatte, wie der Bauarbeiter tankte. Eric ging schnurstracks zur Kaffeetheke hinten, wo Motorenöl, Kraftstoffadditive und Windschutzscheibenflüssigkeit in Regalen standen. Der Angestellte wirkte irgendwie alarmiert und verzog sich hinter die Theke.
Eric warf in den spiegelnden Kaffeemaschinen einen flüchtigen Blick auf sich und schnitt eine Grimasse. Kein Wunder, dass der Bursche besorgt dreinblickte. Er musste sich nicht nur rasieren, sondern hatte sich nicht mal mit den Fingern die Haare gekämmt, als er Jaclyn verlassen hatte. Das Hemd hatte er sich auch nicht in die Hose gesteckt – war ja eigentlich auch nicht nötig, denn schließlich wollte er ja nach Hause, um zu duschen und sich umzuziehen. Aber er hatte sich sein Sakko übergezogen, um die Waffe zu verbergen. Insgesamt erweckte er den Eindruck, als hätte man von ihm gerade ein Foto für die Verbrecherkartei gemacht.
Er nahm sich einen großen Becher vom Stapel und warf zwei Stück Zucker hinein und eine Portion Milch, dann füllte er den Becher randvoll mit Kaffee. Als er gerade den schwarzen Deckel aufsetzte, hörte er, wie ein Fahrzeug mit röhrendem Auspuff in Richtung Laden donnerte. Der Motor wurde nicht abgestellt.
Mist. Was würde jetzt passieren? Was zum Teufel war da los?
Er duckte sich instinktiv, um sich vor der Person zu verbergen, die durch die Tür kam. Vielleicht war es ja überflüssig. Vielleicht hatte der Fahrer ja nur Ärger, sein Auto zu starten, vielleicht war die Batterie schwach, und er wollte deshalb nicht das Risiko eingehen, den Motor abzustellen, weil er womöglich nicht mehr anspringen würde.
Er hörte das Glockenspiel, als die Tür aufging, und in dem Moment war der laufende Motor lauter. Da ist nichts, dachte er. Sogar ein Vollidiot würde sehen, dass das Auto praktisch direkt vor der Tür parkte, und bemerken, dass jemand hier drin bei dem Angestellten war. Aber nur ein Bulle würde einen laufenden Motor hören und sofort an einen Raubüberfall denken. Sein Alarmsystem lag nach dieser heißen Sexnacht blank, das war alles. Der Verkehr draußen nahm langsam zu, je heller es wurde, kein günstiger Zeitpunkt für einen Raubüberfall, das wusste jeder Vollidiot.
Da war nichts …
Peng!
Etwas wurde umgeworfen; der Knall war wie eine Explosion in dem kleinen Gebäude, man hörte Geschrei und Flüche, dann eine raue Stimme, die brüllte: »Gib mir das Geld, Arschloch, sonst jag ich dir ’ne Kugel in den Kopf!«
Mist. Also doch. Verdammt, er hatte es ja gewusst. Er hatte es gewusst, als das Auto draußen vorfuhr. Er hielt seine Waffe in der Hand, hatte sie jedoch nicht bewusst gezogen. Sie war einfach da, weil er instinktiv gewusst hatte, dass dieses Auto Ärger bedeutete. Und ebenso instinktiv hatte er die Position des Angestellten erfasst – er wusste, dass der Räuber zwischen ihm und dem Angestellten stand. Er könnte schießen, aber wenn er nicht traf, würde er womöglich den Angestellten töten.
Und wenn er einen Schuss abgab, musste er in den nächsten Monaten Berge von Formulare ausfüllen, selbst wenn er den verdammten Räuber nicht traf; und wenn er ihn doch traf, würde man ihn zum Schreibtischdienst verdammen, bis eine interne Untersuchung stattfand.
So schnell, wie er die Waffe gezogen hatte, steckte er sie wieder in das Halfter, griff sich eine Dose Motoröl aus dem Regal und schleuderte sie dem Räuber mit aller Kraft an den Kopf. Der Typ trug ein schwarzes Sweatshirt, die Kapuze hatte er sich über den Schädel gezogen, was ganz schön heiß sein musste, aber jedenfalls traf die Dose ihn am Kopf – es klang, als würde eine Honigmelone zu Boden fallen. Obwohl der Stoff den Aufprall milderte, stürzte der Typ wie mit dem Schlachtbeil niedergestreckt. In diesem Fall mit dem Motoröl.
Eric zog wieder die Waffe und machte einen Satz zur Tür, die er mit der Schulter traf, um dann neben dem Fluchtfahrzeug zum Stehen zu kommen. Seine Waffe richtete sich durch das geöffnete Autofenster auf den Fahrer – ein junges Mädchen in einem knappen rückenfreien Top und Shorts. »Polizei!«, bellte er. »Stellen Sie den Motor ab, und verschränken Sie die Hände hinter dem Kopf.«
Das Mädchen starrte in den Lauf seiner imposanten Dienstwaffe, die auf sie gerichtet war. Ihre Unterlippe begann zu zittern, ihr Gesicht verzog sich, und sie heulte los. »Er hat mich gezwungen!«
»Ja, okay«, murmelte Eric. Sein verdammter Kaffee wurde kalt, er brauchte eine Dusche, es war offensichtlich, dass er nicht zu Hause gewesen war, was allen Anlass zu Klatsch geben würde, und da war er nun und musste sich mit Bonnie und Clyde auseinandersetzen. Er warf schnell einen Blick über die Schulter. Er sah, dass der Angestellte hinter der Theke hervorgekommen war und mit jemandem telefonierte. Der Räuber lag noch schachmatt auf dem Boden.
»Ich habe gesagt, Sie sollen den Motor ausmachen!«
Sie schniefte noch, kam seiner Aufforderung jedoch nach.
»Okay. Und jetzt aussteigen. Wir gehen zu Ihrem Freund rein.«
»Er ist nicht mein Freund!« Sie stieg aus, und während er ihr Handschellen anlegte, quatschte sie die ganze Zeit daher, dass sie den Typen nicht kenne, dass er sie an einer roten Ampel gezwungen habe einzusteigen, dass er ihr eine Pistole an den Kopf gehalten und sie gezwungen habe, hierher zu fahren, und dass sie überhaupt nicht gewusst habe, was Sache war.
»Und deshalb sind Sie nicht einfach weggefahren, als er reinging?«, fragte Eric trocken, als er sie in den Laden bugsierte, wo er ein Auge auf sie haben konnte. Der Angestellte fuhr herum, da er das Mädchen in Handschellen offensichtlich nicht so beruhigend fand, wie dies hätte der Fall sein sollen; und die Augen gingen ihm schier über, als er die Waffe in Erichs Hand sah. »Polizei«, sagte Eric und ließ kurz seine Dienstmarke sehen. Mann, warum konnte dieser Blödmann nicht zwei und zwei zusammenzählen und erkennen, dass er ein Bulle war?
Der Typ auf dem Boden stöhnte, bewegte sich langsam. Er würde höllische Kopfschmerzen haben, vielleicht eine Gehirnerschütterung, jedenfalls benutzte Eric seine Ersatzhandschellen, um auch ihn außer Gefecht zu setzen. Er konnte die Sirene schon hören. Gute Reaktionszeit, dachte er. Aber schließlich war Hopewell nicht Atlanta, da hatte die Nachtschicht nicht so viel zu tun.
Nicht einmal eine halbe Minute später brausten zwei Polizeiautos mit Blaulicht und heulenden Sirenen auf den Parkplatz. Eric schaute auf seine beiden Gefangenen, dann auf den hysterischen Angestellten, und stieß einen Seufzer aus. Er hatte doch bloß eine verdammte Tasse Kaffee trinken wollen.