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Sechs Hochzeiten in fünf Tagen. Heiliger Himmel.

Jaclyn Wilde konnte nur eines denken: Ihre Mutter Madelyn hatte wohl einen bis zwölf Martini mit Champagner zu viel intus gehabt, als sie so viele Reservierungen in so kurzem Abstand angenommen hatte. Madelyn war ihre Partnerin bei Premier, dem Topunternehmen, das in Atlanta und Umgebung engagiert wurde, wenn jemand seine Gäste so richtig beeindrucken wollte. Es wäre ja nicht so schlimm gewesen, wenn es sich bei den Buchungen nicht durchweg um Hochzeiten gehandelt hätte. Eine Party war simpel verglichen mit einer Hochzeit, denn es kamen keine Gefühlsturbulenzen auf. Eine Hochzeit hingegen war mit sämtlichen Emotionen überfrachtet, die der Mensch so im Repertoire hatte. Da ging es nicht nur um die Braut, sondern auch um die Mutter der Braut, die Mutter des Bräutigams, die Brautjungfern, die Eltern des Blumenmädchens und die Ringträger, die Cousins, die zur Hochzeitsfeier nicht eingeladen wurden, um die passenden Farben, das Datum, den Veranstaltungsort, um die verdammte Schriftart der ebenso verdammten Einladungskarten …

»Jaclyn Wilde«, rief die Angestellte und riss Jaclyn aus ihrem Gedankenkarussell. Die Stimme der Angestellten war zu fröhlich. Kam es ihr denn gar nicht in den Sinn, dass diese Art Frohsinn beim Eintreiben von Strafgebühren für Verkehrsübertretungen fehl am Platze war? Dass sie sich irgendwie trist anhören sollte, war ja vielleicht zu viel verlangt, aber zumindest könnte sie gelangweilt und unverbindlich klingen, anstatt beim Einkassieren des Geldes vor Entzücken fast schon zu tanzen.

Jaclyn unterdrückte ihre Irritation; sie beruhte eher auf der fast nicht zu bewältigenden Arbeitsbelastung, die ihr in der kommenden Woche bevorstand, als auf dem Strafzettel, den sie wegen der Geschwindigkeitsüberschreitung kassiert hatte. Weiteren Stress hatte die Tatsache verursacht, dass sie vergessen hatte, die Strafgebühr zu überweisen, eben weil sie alle so hart gearbeitet hatten; und heute war der Fälligkeitstag, und deshalb hatte sie von der Arbeit freinehmen müssen – wodurch sich natürlich der Stress verstärkte, weil sie nun ja mit allem in Verzug geriete –, ansonsten erginge ein Haftbefehl. Ja, das wäre der wahre Stressreduzierer gewesen …

Dass sie die Überweisung verbummelt hatte, war ihre Schuld. Wenn die Stadt Hopewell, in der sie lebte und wo sie den Strafzettel kassiert hatte, Onlinezahlungen akzeptieren würde, wäre die Sache längst erledigt. Tat sie aber nicht. Jaclyn stand auf, schob schweigend das Geld hinüber und schritt einen Augenblick später den Gang hinunter – der Strafzettel war bereits vergessen, denn diesen Punkt hatte sie ja nun auf der Liste der zu erledigenden Dinge abhaken können.

Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Die Zeit reichte gerade noch, um rechtzeitig zum nächsten Termin zu kommen – Carrie Edwards, eine Schlampe, wie sie im Buche stand, und einer der Gründe, weshalb sich die sechs Hochzeiten in fünf Tagen zu einer schier unmöglichen Mission auswuchsen. Und Carries Hochzeit zählte noch nicht einmal dazu; ihre Hochzeit sollte erst in einem Monat stattfinden, doch Carrie nahm mit ihrem theatralischen Getue und ihren ständigen Sinneswandeln einfach zu viel von ihrer Zeit in Anspruch, viel zu viel sogar. Eine Brautjungfer hatte ihr schon gesagt – Carrie, nicht Jaclyn –, dass sie sich zum Teufel scheren solle, ein Debüt in Jaclyns Erfahrung. In der Regel bissen die Teilnehmer einer Hochzeitsgesellschaft die Zähne zusammen und machten alles mit, egal was die Braut beschloss. Und wenn einmal eine ausstieg, dann mit einer höflichen Entschuldigung. Nicht jedoch dieses Mädchen: Sie war volles Rohr auf Carrie losgegangen und hatte kein Blatt vor den Mund genommen.

Als der Eklat passierte, hatte Jaclyn sich davongemacht; sie hatte sich ein breites Grinsen genehmigt und die Faust zum Triumph erhoben, doch dann ihren Gesichtsausdruck unter Kontrolle gebracht. Und sie war zurückgekehrt, um einen Zickenkrieg mit Haareziehen und Augenauskratzen abzuwenden. Es hätte sie gefreut, wenn Carrie ein blaues Auge davongetragen hätte, aber Geschäft war nun mal Geschäft.

Wäre sie nicht so in ihre Gedanken versunken gewesen, hätte sie vielleicht schneller reagiert, doch als plötzlich eine Tür aufschwang, erwischte es sie kalt, und sie stieß mit einem groß gewachsenen, dunkelhaarigen Mann in dunklem Anzug zusammen, der gerade ins Foyer trat. Sie rief kurz ein scharfes »Huch!« aus. Durch den Aufprall riss es ihr den Aktenkoffer aus der Hand, der dann über den grau gefliesten Boden segelte. Sie spürte, wie ihr ein Fuß, der elegant in einem Schuh mit zehn Zentimeter hohen Absätzen steckte, wegrutschte, und so packte sie panisch den Mann am Arm, um nicht vollends das Gleichgewicht zu verlieren. Ihre freie Hand fasste dabei in sein offenes Sakko, und sie hielt eine Handvoll Stoff seines Hemdes umklammert, als hinge ihr Leben davon ab. Mit dem Arm stieß sie dabei seitlich an etwas Hartes, und einen kurzen Moment lang war Leder zu sehen, bis sie schließlich erstaunt das Halfter und gleich darauf die Pistole identifizierte – und den Bullen. In Anbetracht der Tatsache, dass sie sich im Rathaus befand, war die Schlussfolgerung ebenso logisch wie unausweichlich.

Der Arm, den sie gepackt hatte, wurde stahlhart, denn der Mann spannte sofort die Muskeln an, damit er ihr Gewicht halten konnte. Er drehte sich halb um, wobei sein zweiter Arm ihre Taille umfasste, um sie aufzufangen. Einen kurzen Moment – höchstens die eine Sekunde lang, die erforderlich war, um wieder das Gleichgewicht zu finden – war sie fest an den überaus warmen, sehr massiven und eindeutig männlichen Körper gepresst.

Er gab sie in just jenem Augenblick frei, als sie wieder sicheren Boden unter den Füßen hatte, ging jedoch nicht auf Distanz. Nicht sofort jedenfalls. Zittrig stieß sie den Atem aus. »Mannomann. Puh.« Ihr Herz, das dank des Zusammenstoßes und ihres vereitelten Sturzes auf Hochtouren arbeitete, pochte so gegen ihren Brustkorb, dass sie jeden Schlag spürte. Eine Bauchlandung auf dem Boden des Rathauses wäre an diesem total bekloppten Tag ja überaus passend gewesen; doch das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, war ein gebrochener Knöchel oder etwas in dieser Art. Selbst ein verrenkter Knöchel würde Premier solche Zeitprobleme bescheren, dass sie sich nicht mehr in den Griff kriegen ließen.

»Alles in Ordnung, Madam?«

Er neigte beim Sprechen den Kopf zu ihr hinunter, und sein Atem, der nach Pfefferminzkaugummi roch, strich ihr über die Stirn. Seine Stimme war ein warmer Bariton mit einem leichten Kratzen, das seine Stimme gerade so rau machte, dass der Ton nicht sanft klang, sondern eher irgendwie … Sie wusste nicht recht, wie, aber jedenfalls war da etwas. Aber Moment mal: Hatte er sie gerade mit Madam angesprochen?

Sah sie etwa so mitgenommen aus?

Jaclyn unterdrückte ihren ersten Ärger. Seine Ausdrucksweise ließ sich mit seiner Dienstmarke begründen. Aber die eigentliche Erklärung war wohl der Süden der USA. Er gab keinen Kommentar zu ihrem Aussehen ab; er war Polizist – ein Beamter mit besten Umgangsformen. Sie stieß erneut den Atem aus. Schließlich wurde ihr bewusst, dass sie noch immer seinen Arm und sein Hemd gepackt hielt. Er konnte also gar nicht einen Schritt beiseitetreten, nicht solange sie sich so an ihm festklammerte. Sie zwang ihre Finger, sich von Hemd und Arm zu lösen, und machte dann einen Schritt nach hinten, um eine gewisse Distanz zwischen sie beide zu legen.

»Alles okay«, sagte sie, während sie zu ihm aufsah. »Danke, dass Sie mich aufgefangen haben. Ich hatte nicht aufgepasst, wo ich hingehe.« Ein kleiner Anteil ihres Gehirns, der für Hormone und irrationale Entscheidungen reserviert war, ließ einen bewundernden Pfiff hören. Mit einem Mal fühlte sie, dass sie überhitzt und total erregt war. Mann, dieser Typ sah wirklich gut aus, und zwar nicht irgendwie jungenhaft, der Eindruck beruhte auf Stärke und Kompetenz, nicht auf regelmäßigen Gesichtszügen. Es gab eben Jungs – und es gab Männer. Der hier war ein Mann. Und dieser Mann hatte das gewisse Etwas – undefinierbaren Sexappeal, Reife und Stärke, und das alles vermischt zu einem potenten Ganzen.

Er ließ den Anflug eines Lächelns sehen, eine hübsche, natürliche, simple Biegung seiner Lippen. »Nicht gerade günstig, was den Verkehrsfluss angeht.«

»Erwähnen Sie bloß das Thema Verkehr nicht!«, erwiderte Jaclyn fast atemlos.

Er warf einen kurzen, verständnisinnigen Blick in die Richtung, aus der sie soeben gekommen war, und sein Lächeln wurde etwas breiter. Ihr gefiel dieses Lächeln besser, als es eigentlich gut für sie war.

In ihrem Beruf lernte Jaclyn viele Männer kennen. Leider standen sie alle kurz vor der Hochzeit. Nicht immer natürlich, aber es musste schon etwas Besonderes vorhanden sein, dass ihre Aufmerksamkeit derart geweckt wurde: ein bestimmter Blick, die unerwartet gleiche Wellenlänge … Und, ehrlich gesagt, war es schon sehr lang her, seit sie Zeit gehabt hatte, überhaupt einen Mann zu bewundern.

Und jetzt hatte sie auch keine Zeit dazu. Sie musste sich wirklich beeilen, wenn sie nicht zu spät kommen wollte.

»Danke noch mal. Tut mir leid, dass ich Sie fast umgerannt habe.« Sie nickte dem höflichen Polizisten noch einmal schnell zum Abschied zu – freundlich, aber auch wieder nicht zu freundlich – und schaute sich dann nach ihrem Aktenkoffer um.

Das Ding war quer durch das weitläufige Foyer gesegelt, um schließlich am anderen Ende an der Wand liegen zu blieben. Bevor Jaclyn den Aktenkoffer noch holen konnte, beugte sich schon ein Mann in fleckigen Jeans und einem schmuddeligen T-Shirt, das sich über seinen riesigen Bierbauch spannte, beflissen hinunter, um ihn aufzuheben. »Hier, bitte, Madam«, sagte er und hielt ihr mit seiner fleischigen Hand den schlanken Koffer hin, wobei sein derbes Gesicht ein schon absurd süßes Lächeln sehen ließ.

»Danke«, sagte Jaclyn, als sie den Griff packte und den Dickwanst mit einem herzlicheren Lächeln bedachte als den Polizisten vorhin; sie fand ihn nicht attraktiv, deshalb war es nicht so gefährlich für sie, freundlich zu sein, wie vorhin bei dem Bullen. Während sie durch das Foyer schritt, ging es ihr durch den Kopf, wie hirnrissig – logisch betrachtet – diese Begründung war, aber wie hieb- und stichfest für die weibliche Intuition. Bauchgefühl eben. Sie hatte keine Zeit für den Polizisten, sie hatte keine Zeit, sich zu ihm hingezogen zu fühlen, und deshalb tat sie auch nichts, damit er sich zu ihr hingezogen fühlen könnte.

Als sie davonging, war sie sich ziemlich sicher, dass er ihr nachschaute, aber sie wagte nicht, sich umzudrehen, um sich zu vergewissern. Sie musste sich auch gar nicht umdrehen. Sie konnte spüren, wie seine Augen sich in ihren Rücken bohrten.

Sie hastete zum Parkplatz hinaus, wobei sie mit der Fernbedienung ihren stahlgrauen Jaguar aufsperrte, bevor sie dort ankam. Fast gleichzeitig riss sie die Tür auf, warf ihren Aktenkoffer auf den Beifahrersitz und setzte sich hinters Steuer. Als Erstes verriegelte sie die Tür, eine Sicherheitsmaßnahme, die ihr bereits zur zweiten Natur geworden war. Während sie mit der einen Hand den Zündschlüssel umdrehte, zog sie mit der anderen den Sicherheitsgurt in Position.

Da sie keinen weiteren Strafzettel kassieren wollte, hatte sie ein Auge auf den Tacho. Für ein Treffen mit Carrie Edwards würde sie sicher nicht aufs Gas treten. Sie musste das Auto also nur in die richtige Richtung steuern, doch selbst da liebäugelte sie noch mit der Idee, ihre Mutter anzurufen und zu sagen: »Ich muss mich ständig übergeben, habe Nesselsucht und womöglich die Masern; könntest du vielleicht meinen Termin mit Carrie übernehmen?« Was machte es, wenn Madelyn damit beschäftigt war, für die morgige Hochzeit die letzten Details zu arrangieren, und auch noch eine Hochzeitsprobe bewerkstelligen musste? Madelyn hatte Carries Buchung entgegengenommen, und somit wäre es eigentlich nur richtig, wenn sie jetzt auch an den Freuden, mit einer solchen Person Umgang zu haben, zumindest beteiligt
wäre.

Jaclyn seufzte. Nein, das konnte sie ihrer Mutter nicht antun. Nein, eigentlich nicht. Sie hatte es wahrlich nicht eilig, zu dem Termin mit Carrie zu kommen; sie war das schlimmste Übel in einer Branche, die bei manchen Frauen bisweilen ihre unschönste Seite zutage brachte. Es gab Kundinnen, deren Betreuung von Anfang an Spaß machte – aber es gab auch welche, denen sie am liebsten eine Hochzeit im Standesamt oder in einer Kapelle in Las Vegas, die die ganze Nacht über offen hatte, ans Herz gelegt hätte. Aber natürlich war sie nicht so dumm, das laut zu sagen. Schließlich verdiente sie mit Hochzeiten ihr tägliches Brot.

Der Termin mit Carrie fand heute in Buckhead im Büro von Premier statt. Morgen standen mehrere Konsultationen auf dem Programm – mit der Frau vom Catering-Service, der Konditorin und dem Floristen –, allesamt im Empfangssaal von Hopewell. Carrie hatte ihre ersten Anweisungen bereits vor Monaten erteilt, aber es mussten noch diverse Entscheidungen in letzter Minute getroffen werden – und die Monsterbraut ließ sich Zeit. Die Braut sollte für diese Konsultationen die verschiedenen Selbstständigen aufsuchen, aber Carrie hatte darauf bestanden, Hof zu halten: Alle Handwerker und freien Unternehmer mussten zu ihr kommen. Sie nahm sich sehr wichtig, deshalb mussten alle zu ihr kommen – nicht umge-
kehrt.

Da die Hochzeit groß und sehr teuer war – der Bräutigam war der Sohn eines Staatssenators –, hatten alle eingewilligt. Und natürlich hatte die Braut darauf bestanden, dass auch Jaclyn mit von der Partie war. Carrie Edwards bestand auf vielem. Der morgige Tag würde also genauso bekloppt werden, diesmal allerdings wegen Carrie, außerdem musste sie die erste der sechs Hochzeiten in fünf Tagen über die Bühne bringen. Auch wenn Madelyn die Hochzeit durchzog, kam es unvermeidlich zu Notfällen in letzter Minute, die ihre besondere Mithilfe erforderlich machten – und wenn es nur darum ging, ewig herumzutelefonieren, um einen Ersatz für das Hochzeitsauto zu finden, das die falsche Farbe hatte oder nicht anspringen wollte; oder das Blumenmädchen hatte den Smoking des Bräutigams vollgekotzt, und nun musste ein neuer aufgetrieben werden. An einem Hochzeitstag konnte wirklich alles passieren – sie mussten gewappnet sein.

Jaclyn kam knapp fünf Minuten vor dem vereinbarten Termin bei Premier an. Natürlich war Carrie bereits da und wartete in ihrem Privatbüro. Diedra, Jaclyns Assistentin, saß an der Rezeption, wo sich Bücher, Stoffmuster und Fotos nur so stapelten. Sie bedachte Jaclyn mit einer übertriebenen Beileidsbekundung, die auch von Frustration zeugte, wobei sie in Richtung Bürotür nickte.

Jaclyn straffte die Schultern und drehte den Türknauf. Bevor sie noch eintreten konnte, hatte Carrie sich auch schon umgedreht, ein unzufriedener Ausdruck lag auf ihrem schönen Gesicht. Sie sah wirklich umwerfend aus: eine wohlproportionierte Figur mit Kurven, goldblondes Haar, weicher Teint, strahlend grüne Augen. Ihr Wesen umfasste allerdings die gesamte Skala von unsympathisch bis gemein. »Was für ein Kaffee soll denn das sein? Sie können sich doch sicher eine bessere Marke leisten. Er ist zu bitter. Und ich muss sagen, Ihre Sekretärin …«

»Diedra ist nicht meine Sekretärin, sie ist meine Assistentin«, unterbrach Jaclyn sie, als sie ins Büro trat und die Tür hinter sich schloss. Sie überging die Bemerkung hinsichtlich des Kaffees, der ihr selbst sehr gut schmeckte. Schließlich hielt ja niemand Carrie fest und kippte ihr den Kaffee in den Schlund; es stand ihr frei, ihn nicht zu trinken, wenn er ihr nicht zusagte. Außerdem hätte sie einen der aromatisierten Tees oder auch ein Erfrischungsgetränk wählen können.

»Also, sie war unhöflich.« Carrie ließ sich nicht gern unterbrechen. Sie schätzte es auch nicht, wenn sie nicht in jeder Hinsicht ihren Willen durchsetzen konnte. Und einen gewissen Groll hegte sie auch noch immer, weil Jaclyn den Sänger Michael Bublé für den Hochzeitsempfang nicht hatte gewinnen können. Komm auf den Teppich, Mädchen. Jaclyn hatte sich nicht erblödet, es überhaupt zu versuchen.

»In welcher Hinsicht, meine Liebe?« Sie befleißigte sich eines beruhigenden Tonfalls und fügte noch »meine Liebe« hinzu, obwohl ihre Lippen sich vor Abscheu kräuselten, als sie die Worte aussprach. Manchmal vermochte ein beruhigendes »meine Liebe« oder »meine Teuerste« die reizbarste Kundin zu besänftigen – doch bei so mancher Klientin war eher ein Pfeil mit einem Beruhigungsmittel erforderlich. Carrie hätte vermutlich dieselbe Dosis gebraucht, die man einem durchgeknallten Nashorn verabreichen würde.

»Sie wollte, dass ich draußen warte.«

»Das kommt, weil ich nicht möchte, dass sich jemand in meinem Büro aufhält, wenn ich nicht da bin«, erwiderte Jaclyn ruhig. »Das werden Sie doch sicher verstehen.«

»Welch ein Unsinn. Wieso sollten Sie darauf Wert legen?«

»Weil ich hier vertrauliche Informationen aufbewahre. Vielleicht sollte ich von nun an ja einfach die Tür abschließen. Das hätte ich schon lang so handhaben sollen.« Bei den vertraulichen Informationen handelte es sich nicht um die Nummern von Kreditkarten oder Versicherungen, sondern um die Details von Hochzeiten – und ja, einige Klienten würden viel Geld bezahlen, um zu erfahren, was der eine oder andere plante oder wie viel Geld jemand ausgab. Hochzeiten waren ein gnadenloses Geschäft.

Carrie bedachte sie mit einem unfreundlichen, kühlen Blick, aber offensichtlich wurde ihr klar, dass sie bei diesem Punkt keinen Boden gewinnen konnte, und so ging sie zu ihrer nächsten Beschwerde über. »Ich habe meine Ansicht hinsichtlich der Kleider für die Brautjungfern geändert«, verkündete sie. »Die Farbe des Stoffes ist zu schlicht, alle in einheitlichem Grau wie beim Appell an der Militärakademie von West Point. Ich finde, es würde besser aussehen, wenn das Mädchen neben mir ein schwarzes Kleid trüge, das nächste dann eines, das einen Ton heller ist, und so weiter und so fort. Das wäre doch wirklich spannend, finden Sie nicht? Und anstatt pinkfarbener Schärpen hätte ich gern aquamarinfarbene. Pink ist zu Paris Hilton. Ich wünsche mir etwas Ausgefalleneres wie Aquamarin. Aber kein grünstichiges Aquamarin, sondern eher ins Bläuliche spielend. Sie können sich ja wohl des Problems annehmen, oder?«

Jaclyn biss sich auf die Zunge. Die armen Brautjungfern hatten bereits ihre scheußlichen Gewänder bezahlt, und Carrie hatte natürlich keinen billigen Stoff ausgesucht. Nicht die Farbe war scheußlich, sondern der Schnitt. Sie hatte versucht, Carrie von Rüschen und Schleifen abzubringen, aber wenn Carrie auch nur im Entferntesten mit einem guten Rat konfrontiert wurde, hatte sie bislang immer prompt das Gegenteil getan. Wenn die armen Brautjungfern von dieser Veränderung erfuhren – wenn sie erfuhren, dass sie Geld für ein weiteres Kleid ausgeben mussten, und in diesem Fall sogar noch mit kräftigem Preisaufschlag wegen der Blitzbestellung –, dann würden sie vielleicht alle auf und davon rennen. Das Mädchen, das Carrie die Meinung gesagt hatte und sich dann von der Hochzeitsgesellschaft verabschiedet hatte, war eindeutig klug gewesen.

»Carrie«, sagte Jaclyn beruhigend, »es ist eigentlich zu spät für diese Änderung. Ich denke, Sie werden mit dem Aussehen der Kleider Ihrer Brautjungfern sehr zufrieden sein, wenn Sie die Mädchen mit den Blumen sehen, die Sie ausgesucht haben.«

»Ich trage mich mit dem Gedanken, auch die Blumen zu ändern«, entgegnete Carrie. Ein Glitzern in ihren Augen verriet Jaclyn, dass es ihr Spaß machte, so schwierig zu sein. »Sie passen einfach nicht. Ich habe gestern Abend die Probefotos studiert, und sie sehen aus, als hätte jemand Pepto Bismol, das Zeug gegen Sodbrennen, erbrochen. Ich habe ein absolut zauberhaftes Blumenarrangement in einer Zeitschrift gesehen. Wenn ich die Blumen ändere, muss ich allerdings auch den Look der Brautjungfern komplett umgestalten.«

»Das ist aber mit erheblichen Kosten für Ihre Freundinnen verbunden.«

Carrie schürzte die Lippen, ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. »Das wird ihnen nichts ausmachen. Das ist mein besonderer Tag, und sie werden tun, worum ich sie ersuche. Egal was.« In ihrem Ton schwang ein unausgesprochenes Und wehe, wenn nicht mit.

»Wenn Sie darauf bestehen, können Sie die Schneiderin anrufen und …«

»Ich möchte, dass Sie das übernehmen«, sagte Carrie unbekümmert. »Ich habe keine Zeit dazu.« Sie öffnete ihre teure, überdimensional große Handtasche, nahm das Stoffmuster heraus und warf es auf den Tisch. Jaclyn sah auf den ersten Blick, dass es edle, schwere Seide war – eine weitere teure Wahl, die jede Brautjungfer mehrere hundert Dollar kosten würde, wenn nicht gar tausend. »Davon abgesehen war sie, als ich sie heute Vormittag angerufen habe, um die Sache mit ihr zu besprechen, unausstehlich und uneinsichtig.«

Sich mit der Schneiderin auseinanderzusetzen gehörte eigentlich nicht mit zu Jaclyns Job. Sie arrangierte den Event als solchen. Aber sie kannte Gretchen recht gut; sie bewegten sich in den gleichen Kreisen, sie arbeiteten beide oft für dasselbe Hochzeitspaar. Gretchen war nie unausstehlich oder uneinsichtig, doch auch hier zeigte sich Carrie Edwards’ Fähigkeit, bei jedem die negative Seite zutage zu bringen.

»Ich will sehen, was ich tun kann, aber versprechen kann ich nichts. Uns läuft die Zeit davon, und zwar so sehr, dass Ihnen bald keine andere Wahl mehr bleiben wird, als die Kleider für die Brautjungfern von der Stange zu kaufen …«

»Nein. Niemals!«

»Dann müssen Sie an Ihrer ursprünglichen Auswahl festhalten. Also, was die Blumen angeht, so hat der Florist bereits viel Zeit investiert, damit auch wirklich jeder Aspekt der Hochzeit und des Empfangs gut koordiniert und so originell ist, wie es Ihren Wünschen entspricht«, erinnerte sie Carrie. »Wenn Sie Ihre Meinung hinsichtlich der Brautjungfernsträuße ändern, dann wirkt sich das auf das Brautbouquet und die Anstecksträußchen sowie auf die Arrangements beim Empfang aus.« Bishop Delaney war ein Genie. Allerdings verfügte er über eine sehr niedrige Toleranzschwelle, wenn es um irgendwelchen Blödsinn ging, und wenn er ausstieg, dann wäre es schwierig, zu diesem Zeitpunkt noch einen würdigen Ersatz zu finden. »Wenn Sie auf Ihren Änderungen bestehen, müssen Sie sich darauf einstellen, dass es Sie erheblich teurer kommt als ursprünglich vereinbart.«

»Wieso?«, wollte Carrie wissen. »Wenn ich die anderen Blumen nicht verwende, weshalb sollte ich sie dann bezahlen?«

»Weil der Florist bereits erhebliche Zeit auf das Design der Arrangements verwendet hat, und er wird keinen Verdienstausfall hinnehmen, nur weil Sie Ihre Meinung geändert haben. Seine ursprüngliche Bestellung wurde bereits bearbeitet, und ich weiß nicht, ob er sie rückgängig machen kann.« Morgen sollte Bishop Fotos und Zeichnungen von seinen großen Plänen vorlegen – also nicht gerade der Moment, um wieder am Punkt null anzufangen. Jaclyn wollte jedenfalls nicht zwischen Bishop und Carrie geraten, wenn die beiden sich die Köpfe einschlugen.

Manchmal kam sie sich vor, als würde sie einem eigensinnigen, ungezogenen Kind Manieren beibringen, aber das Glitzern in Carries Augen war dazu doch zu berechnend. Sie stellte solche Ansprüche, weil sie so oft damit durchgekommen war. Vermutlich gaben viele Leute einfach nach und akzeptierten lieber ihren Verdienstausfall, als sich weiterhin mit Carrie herumschlagen zu müssen. Und das bedeutete, dass sie gelernt hatte, sich noch sturer zu stellen, wenn jemand sie auf ihr Benehmen hin ansprach. Wenn sie sich schlecht benahm, bekam sie in der Regel, was sie wollte.

Jetzt zog sie die Nase kraus und schniefte, bevor sie verdrossen Jaclyns Einwand mit einer Geste abtat. »Wir diskutieren das morgen mit dem Floristen. Er wird sicher vernünftig sein. Momentan ist meine Hauptsorge, das Problem mit den Kleidern der Brautjungfern zu lösen.«

Jaclyn atmete tief durch: ein – und aus. Sie würde sich dieser verzogenen, unsympathischen, dummen Pute nicht beugen. »Warum treffen wir uns nicht morgen mit der Schneiderin und sprechen unsere Möglichkeiten durch?« Vielleicht könnte sie gemeinsam mit Gretchen Carrie überzeugen, dass es für diese Änderung viel zu spät war, dass schlichtweg die Zeit fehlte, den Stoff zu bestellen und die Kleider zu nähen. Nicht, dass die Vernunft und die Monsterbraut viel miteinander gemein gehabt hätten. Jaclyn wusste nicht zu sagen, ob sie überhaupt je Bekanntschaft geschlossen hatten. Um Gretchen ein weiteres Telefonat zu ersparen, sagte sie: »Ich rufe heute Nachmittag an und arrangiere alles.«

Carrie rollte mit den Augen. »Nun, tja, das ist ja nun auch Ihr Job.«

Jaclyn hatte es früher schon oft mit schwierigen Bräuten zu tun gehabt, aber Carrie war wirklich die absolute Krönung. Einer der Vorteile, wenn man seine eigene Chefin war, bestand in der Möglichkeit, frei zu entscheiden, wann das Maß voll war. Jaclyn stand also in Zeitlupe auf, legte die Hände auf den Schreibtisch und sagte: »Dies ist auch ein Job, den ich hinschmeißen kann. Ich lasse mich nicht schikanieren, und meine Assistentin auch nicht. Ist das jetzt klar?«

Carrie funkelte sie beleidigt an. »Schikanieren? Ich habe hier überhaupt niemanden schikaniert! Ich möchte schlicht und ergreifend eine spektakuläre Hochzeit, und ich sehe nicht ein, weshalb …«

»Anstatt spektakulär wird sie eine Katastrophe, wenn Sie nicht aufhören, ständig Ihre Meinung zu ändern«, erwiderte Jaclyn unverblümt. »Und ich sage das, weil es nämlich mein Job ist, dass alles gut klappt; und das bedeutet, dass ich Ihnen mitteile, wenn Sie über das Ziel hinausschießen. Ich sage damit nicht, dass der Florist absolut nicht in der Lage sein wird, zu diesem Zeitpunkt noch die Blumenarrangements umzugestalten. Ich sage nur, dass Sie dieser Wunsch etwas mehr kosten wird und dass Sie sich bei Gretchen erkundigen sollten, ob es überhaupt möglich ist, neue Kleider für die Brautjungfern zu fertigen, bevor Sie etwas an den Blumen ändern. Und Sie sollten auch bei Ihren Brautjungfern nachfragen, weil die eine oder andere nämlich, ganz egal für welche Farbe Sie sich letztlich entscheiden, aussteigen könnte, um nicht ein weiteres Kleid bezahlen zu müssen, das sie nie mehr in ihrem Leben tragen wird. Nun, falls Sie für die Kosten aufkommen wollen, wird natürlich sicher niemand Einwände haben …«

»Machen Sie sich nicht lächerlich«, fauchte Carrie. »Die Braut bezahlt nicht die Kleider der Brautjungfern.«

»Unter besonderen Umständen wohl schon. Und seine Meinung im letzten Moment zu ändern ist so ein besonderer Umstand.« Vielleicht, so ging es Jaclyn optimistisch durch den Kopf, würde Carrie, wenn sie mit der jungen Frau Tacheles redete, ja aufhören herumzunerven oder Premier feuern. Jaclyn könnte einen Seufzer der Erleichterung ausstoßen, und Carrie würde ihr Auge auf einen anderen Eventdesigner werfen, den die Aussicht auf einen dicken Scheck blind für die Situation machte.

»Ich kenne meine Freundinnen«, erklärte Carrie. »Keine von ihnen ist so kleinlich.« Sie warf ihre goldblonde Mähne nach hinten, griff dann in ihre Handtasche und zog die geplante Speisekarte für den Empfang heraus – wenn sie doch nur zu einem Entschluss hinsichtlich des Kebabs käme: Rindfleisch oder Lamm. Wie schwierig konnte das sein? »Und noch etwas …«

Jaclyn blieb ruhig, doch als Carrie unablässig erklärte, was akzeptabel war und was nicht, verabschiedete sie sich geistig und traf eine ernste Entscheidung: Bevor dieser Tag zur Neige ging, würde sie sich einen guten, hochprozentigen Drink genehmigen.