DANACH

»Ach du heilige …«, flüsterte Marti. Erst einmal musste er den ersten Schock verdauen, dann machte er ein paar Schritte in den Raum hinein und atmete aus. Auf einmal stieg der ganze aufgestaute Frust in ihm hoch. Seine verzwickte Lage war bereits ein Stück Normalität geworden. Aber dieser seltsame Tag in seinem Leben kam ihm allmählich wie eine ganz persönliche Zumutung vor. Er spürte den unbestimmten Drang, die umgeworfenen Stühle aufzurichten und ein paar Sachen aufzuheben. Aber er war sich sicher, dass das Heiner nicht trösten würde. Sein gemütliches Wohnzimmer war vollkommen zerstört.

Marti wanderte in dem Chaos umher, schob mit dem Fuß wahllos Dinge beiseite. Dabei spähte er aus dem Fenster auf die Terrasse, bis ihm die Augen wehtaten. Er wusste nicht, was stärker war, seine Verwunderung oder seine Neugier. Immer neue Fragen kamen ihm in den Sinn. Die Leute, die das hier veranstaltet hatten, mussten irgendeine Rechnung mit Heiner offen haben. Als Reporter hatte er schon viele Tatorte gesehen, aber nichts Vergleichbares. Ein kleiner Gauner, selbst ein absoluter Amateur machte sich doch nicht die Mühe, alles kurz und klein zu schlagen. Da steckte richtig viel Wut dahinter.

Es kam ihm immer seltsamer vor, dass es im Haus so still war. Was, wenn der Überfall noch gar nicht lange her war? Kurz glaubte er, irgendwo ein Geräusch zu hören, ein Poltern. Er lief zurück in den Flur.

»Hallo?«

Nichts. Er wartete. Die verdammte Stille ging ihm inzwischen richtig auf den Keks. Vielleicht hatte das hier auch etwas mit der Evakuierung in der Stadt zu tun. Oder Heiner war einfach nur das Opfer eines stinknormalen Einbruchs geworden und hatte sich dummerweise gewehrt. Vielleicht war er noch hier. Aber vielleicht waren auch die Typen noch im Haus, die das ganze Chaos veranstaltet hatten. Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.

Marti sah sich noch einmal im Wohnzimmer um. Er hob eine der zertretenen Lampen vom Boden auf, riss den Schirm ab und drehte die Glühbirne heraus, damit er den schweren Messingfuß als Knüppel verwenden konnte.

So bewaffnet suchte er Zimmer für Zimmer das Erdgeschoss ab. Das Wandtelefon neben der Eingangstür machte keinen Pieps, die Leitung war tot. Vorsichtig legte er den Hörer zurück auf die Gabel und stieg leise die Treppe zum ersten Stock hinauf. Oben verwandelte sich seine Unruhe in Paranoia. Seine Schritte auf dem dicken Teppich kamen ihm absurd laut vor. Er ertappte sich dabei, wie er sich seltsam geduckt bewegte, wie Quasimodo. Den Lampenfuß hielt er dabei als Schlagstock auf Schulterhöhe. Vor lauter Anspannung musste er kichern.

Ein dumpfes Poltern ließ ihn zurückschrecken. Es kam definitiv aus dem Raum, den er für Heiners Schlafzimmer hielt.

Ist da wer?, wollte er sagen, aber die Worte blieben ihm in der Kehle stecken.

Vorsichtig und sehr, sehr langsam drückte er die Klinke der Schlafzimmertür hinunter. Behutsam stieß er sie mit dem Messingfuß soweit auf, dass er durch den Spalt hineinsehen konnte.

Etwa drei Meter entfernt stand Heiner halb zusammengekrümmt mit dem Rücken zu ihm. Die Jalousien waren heruntergelassen, der Raum lag in einem matten Halbdunkel. Das Bett war zerwühlt, es stand zwischen Heiner und der Tür. Doch Marti konnte erkennen, dass Heiner sich auf der Stelle hin- und herbewegte.

Es war dieses kaum merkliche, irre Pendeln, das ihm verriet, dass etwas Furchtbares passiert sein musste. Was ihn aber wirklich erstarren ließ, war der bestialische Gestank, der mit der warmen Luft aus dem Zimmer strömte. Er konnte ein Würgen nicht unterdrücken. Das Geräusch war leise, aber es stoppte Heiner in seiner unheimlichen Bewegung. Eine Sekunde lang war alles still.

Dann drehte er sich zu Marti um.