DAVOR

»Ach. Halt doch die Klappe.«

Felix schob sich an Martinek vorbei und eilte nach hinten, zu dem halboffenen Glashäuschen am anderen Ende des Büros. Überall saßen die Kollegen, starrten in ihre Flachbildschirme und tippten irgendwas. Die Tasten klapperten, Telefone klingelten. Er setzte sich vor seinen Rechner, streifte die Schuhe ab und begann zu schreiben.

Zucker Junior bleibt verschwunden. Der Junior-Chef der Zucker AG, Tim Zucker, wird immer noch vermisst. Die Mutter des Achtundzwanzigjährigen gab an, dass ihr Sohn zuletzt nicht mehr in der Firma des Vaters gearbeitet, sondern eine Auszeit genommen habe. Über eine Reise sei nichts bekannt. Die Zucker AG, ein traditionsreicher Pharmakonzern, ist mit weltweit über 30.000 Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber der Region und entwickelt intelligente Impfstoffe gegen Grippeviren und hochinfektiöse Krankheiten, wie zum Beispiel Diphtherie, Cholera oder SARS.

Ob das seltsame Verschwinden von Tim Zucker Folgen für das Unternehmen haben wird, ist bis jetzt unklar. Der Aktienkurs gab nach Bekanntwerden jedoch leicht nach. Der Redaktion liegen vertrauliche Informationen vor, dass der Junior-Chef seine Wohnung im Stadtteil Westend unter mysteriösen Umständen verlassen hat. DIE WOCHE wird weiterhin berichten.

»Fauler Sack!« Marti beugte sich über Felix' Schulter. »Und dafür hast du den halben Nachmittag gebraucht?«

»Ich fang ja erst an. Nachher sprech ich noch mit den Bullen. Aber ich glaube, die tappen im Dunkeln.«

»Ganz was Neues.« Marti ging zur Kaffeemaschine. »Schwarz?«

»Ja.«

Felix öffnete das Kuchenpäckchen, die Alufolie knisterte. Marti kam mit zwei dampfenden Plastikbechern zurück. Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander und aßen den Kuchen.

»Komisch«, sagte Marti. Brösel fielen aus seinem Mund.

»Was?«

»Der Kuchen schmeckt nach ... nichts.«

Marti hatte Recht. Felix schluckte den letzten Bissen und schob den Kuchen von sich weg. Ungenießbar. Er wandte sich wieder seinem Artikel zu. Marti stand auf und klopfte sich die Beine ab. Er trug einen teuren dunklen Anzug. Seine Füße steckten in schwarzen, etwas zu modischen Lederschuhen. Sein Hemd war blütenweiß und frisch gebügelt. Jeden Tag hing ihm eine andere Krawatte um den Hals, korrekt gebunden. Doppelter Windsorknoten, behauptete er und strich dabei zärtlich über das Muster. Der Chef liebte ihn dafür. Aber er war kein Schleimer. Ehrgeizig, dachte Felix, während er Marti beobachtete. Ein Streber war er, ein Schwätzer. Immer auf seinen Vorteil bedacht. Aber kein Schleimer. Schleimer kamen nie zu spät.

Marti zog ein Tempo aus der Tasche, wickelte die Kuchenreste darin ein und entsorgte sie im Mülleimer.

»Und an was bist du dran?«, fragte Felix.

»Schwer zu sagen.«

»Mann, erzähl schon. Wir machen hier doch alle gerade nur Mist.«

»Ein Mädchen ist aus dem Krankenhaus abgehauen.«

»Aus dem Krankenhaus? Wie langweilig.«

»Sie hat seit einem Monat im Koma gelegen.«

»Okay.«

Eva trat in die Glasbox. Mit einer leichten Bewegung legte sie den Arm um Martis Hals. Hübsche, dunkle Augen, braunes Haar und ein helles Gesicht mit vielen Sommersprossen. Sie schnappte sich einen Kuchenkümmel vom Tisch und schob ihn sich in den Mund.

»Was gibt's denn zu mauscheln?«

»Ach, wir haben gewettet«, antwortete Marti.

»So? Was denn?«

»Wer dich heute noch ins Bett kriegt.«

Sie lachte, zeigte dabei eine Reihe schneeweißer Schneidezähne. Dann sah sie Felix an. »Der Chef will dich sprechen«, sagte sie.