Prolog
Die Seligsprechung
Im Alter von siebzehn Jahren sah ich eine
Fernsehdokumentation über Mutter Teresa von Kalkutta, die man dabei
zeigte, wie sie, getragen von starker, praktischer Liebe, auf die
Bedürfnisse der Armen einging. Sie hieß Something Beautiful for
God und änderte mein Leben. Ich entschloss mich, an der Seite
von Mutter Teresa zu arbeiten.
Dreißig Jahre später stand ich, verwirrt und den
Tränen nah, auf dem hinteren Teil des Petersplatzes in Rom inmitten
der fröhlichen Pilgerschar, die dorthin gereist war, um Zeuge der
Seligsprechung von Mutter Teresa zu werden. In einiger Entfernung,
vor der Menschenmenge, wogte dort, wo die Schwestern der
Missionarinnen der Nächstenliebe oder MNs, wie sie genannt werden,
sich versammelt hatten, ein Meer blau-weißer Habits. Elf Jahre lang
war ich eine von ihnen gewesen. Ich überlegte, was schiefgegangen
war.
Die Anwesenden brachen in Jubelrufe aus, als ein
riesiger, goldgerahmter Wandteppich mit dem Bild der lächelnden
»Saint of the Gutters« in ihrem ikonografischen Sari über dem
Eingang der Basilika entrollt wurde. Mitgerissen von der Menge und
der Musik, freute ich mich für Mutter Teresa. Ihr ganzes Leben lang
hatte sie danach gestrebt,
eine Heilige zu werden, und jetzt, 2003, sechs Jahre nach ihrem
Tod, war es so weit.
Ich hatte alles, was ich zu geben hatte, gegeben,
um Mutter Teresas Ideal, »Christus im Gewand der Notleidenden zu
dienen«, zu entsprechen, ihren Orden jedoch 1984 desillusioniert
verlassen. Meine jugendlichen Überzeugungen und Ideale hatten der
Realität dieses Lebens nicht standzuhalten vermocht.
Der Platz vor St. Peter war festlich geschmückt.
Über den dreihunderttausend Menschen, die sich versammelt hatten,
Mutter Teresas Leben zu feiern, flatterten unzählige Fahnen: Die
indische Trikolore in Safran, Grün und Weiß, der schwarze
Doppelkopfadler Albaniens, der in einen blutroten Himmel flog, und
die strenge rot-weiße Flagge Polens waren am häufigsten zu sehen.
Indien und Kalkutta waren sechzig Jahre lang Mutters Heimat
gewesen; Albanien, ihr Geburtsland; Polen, das Land ihres Papstes,
der, gebrechlich und kaum des Sprechens fähig, sich nun mühte,
seine Freundin seligzusprechen, ehe der Tod auch ihn holte.
Gesänge, Lieder und Gebete wurden in vielen
Sprachen angestimmt - Latein, Bengali, Arabisch, Albanisch,
Englisch, Französisch …
»Ich dürste nicht nach Wasser, ich dürste nach
Liebe.«
»Jesus ist es, der in sich selbst den Hunger der
Armen, ihren Durst und ihre Tränen spürt.«
Mutter Teresas Lehren hatten sich in meinen Geist
eingebrannt, und sie warfen sowohl Licht als auch Schatten auf mein
Leben. Auf diesem Platz beschloss ich, meine Geschichte zu
schreiben. Es wäre unaufrichtig gewesen, weiterhin zu
schweigen.