5. KAPITEL

Johns Jeep schlug dumpf gegen die Leitplanke. Der Aufprall drückte ihn mit solcher Wucht gegen den Gurt, dass er beinahe den Griff ums Lenkrad verloren hätte. Seine linke Schläfe prallte gegen die Scheibe der Fahrertür, das Geräusch von splitterndem Glas erfüllte seinen Kopf.

Dann wurde plötzlich alles tödlich still.

John blinzelte gegen die Sterne an, die hinter seinen Augenlidern explodierten, und schüttelte zaghaft den Kopf, um wieder klar denken zu können. Besorgt blickt er zu Hannah. „Geht es Ihnen gut?“

„Ja, ich glaube schon.“

Er blickte zur Straße zurück und sah gerade noch die Rücklichter des SUV verschwinden. „Was für ein verrückter Fahrer!“

Sie strich sich mit zitternden Händen die Haare aus dem Gesicht und sah ihn an. „Was ist mit Ihnen? Ist mit Ihnen alles okay?“

„Ja, mir geht es gut.“ Das war gelogen, sein Kopf tat höllisch weh, aber im Moment machte er sich mehr Sorgen um sie. Ihr Gesicht war aschfahl. Aber selbst mit dem Adrenalin, das durch seine Adern pumpte, und der Wut, die in ihm tobte, bemerkte er, wie hübsch sie dennoch war. Was für ein Unsinn, dass er gerade jetzt daran dachte, wo er sich doch mehr Gedanken über diesen Irren machen sollte! Er hatte sich nur einen Teil des Nummernschilds des SUV gemerkt, der sie beinahe in den sicheren Tod geschickt hätte.

„Bleiben Sie, wo Sie sind.“ Er legte eine Hand an den Türgriff. „Ich komme rum, um nach Ihnen zu sehen, okay?“

„Mir geht es wirklich gut.“

„Aber Sie sind im dritten Monat schwanger.“ Er löste den Sicherheitsgurt und versuchte, seine Tür zu öffnen, sie klemmte. Mit einem unterdrückten Fluch stemmte er die Schulter dagegen, worauf sie sich knarrend öffnen ließ. Als John in den peitschenden Wind trat, merkte er, wie weich seine Beine waren. Verdammt, so etwas war ihm noch nie passiert! Er beugte sich vor, stützte die Hände auf die Knie und atmete ein paar Mal tief durch. Sein Herz raste immer noch und pumpte Adrenalin in seine Muskeln.

Dieser verrückte Hundesohn hätte sie beinahe umgebracht.

Die Dämmerung brach herein, und nirgendwo war ein Zeichen von dem SUV zu sehen. Meilenweit gab es keinen Verkehr; die Tatsache, dass sie allein auf einem einsamen Stück des Highways standen, bereitete ihm tiefes Unbehagen.

Er dehnte seinen Hals, um die Anspannung zu lösen, und ging dann vorn um den Jeep herum, wobei ihm nur zu bewusst war, dass sich Hannah kein Stück bewegt hatte. Verdammt, das Letzte, was sie brauchen konnte, waren weitere emotionale oder körperliche Verletzungen! Obwohl er nicht so schnell gefahren war, um ernsthafte Verletzungen hervorzurufen, brauchte es nicht viel, um ein Schleudertrauma zu erleiden.

Er riss die Beifahrertür auf und fand Hannah erschöpft gegen die Rückenlehne gelehnt vor. Sie schaute ihn aus ihren dunklen Augen an. „Ich habe Ihnen doch gesagt, dass es mir gut geht“, sagte sie.

„Ja, das haben Sie. Jetzt drehen Sie sich zu mir.“ Er streckte beide Hände aus und legte sie an ihr Gesicht. Dann ließ er sie zu ihrem Hals, zu ihren Schultern, ihren Armen und kurz zu ihren Hüften und ihren Oberschenkeln gleiten.

Hannah zitterte.

„Ist Ihnen kalt?“

„Äh, nein.“

„Haben Sie irgendwelche Schmerzen? Schwindel? Übelkeit? Krämpfe?“

„Mit geht es gut, John. Ich bin nur ein wenig erschrocken.“

„Das sagen alle meine Patienten.“

Sie verdrehte die Augen. „Ich bin nicht länger Ihre Patientin.“

„Ich bin Sanitäter, Rotschopf. Tun Sie mir den Gefallen, okay?“ Er grinste, um sie zu beruhigen, aber es fühlte sich falsch an. Innerlich zitterte er immer noch. Vielleicht war er derjenige, der sich entspannen musste. Seine Patientin schien das alles gut wegzustecken. „Können Sie Ihre Arme und Beine bewegen?“

Sie wackelte mit den Fingern und veranstaltete dann einen kleinen Stepptanz mit ihren Füßen auf dem Boden. „Ich brauche nur ein wenig Musik.“

„Hören Sie auf, so eine Klugscheißerin zu sein, und steigen Sie kurz einmal aus, ja?“

Sie lächelte. „So schnell waren wir gar nicht.“

„Schnell genug. Kommen Sie. Einmal kurz aufstehen.“

Sie glitt vom Sitz und blickte über die Leitplanke hinweg auf den Abhang. „Oh, mein Gott!“

Die Farbe wich so schnell aus ihren Wangen, dass John einen Moment lang fürchtete, Hannah könnte in Ohnmacht fallen. Schnell lehnte er sie gegen den Jeep. „Ich dachte mir schon, dass Sie das sagen würden.“

„Guter Gott, wenn Sie den Jeep nicht zum Stehen gebracht hätten, wären wir, hätten wir …!“, haspelte sie.

„Pssst! Denken Sie nicht einmal daran.“ John war jemand, der Menschen berührte. Er klopfte seinen Freunden auf den Rücken, hielt seinen Patienten die Hand, um sie zu beruhigen, und er drückte besorgten Familienmitgliedern zum Trost die Schultern. Der Drang, Hannah jetzt zu berühren, war ungewöhnlich stark. Normalerweise hätte er jetzt ohne Zögern seine Hand ausgestreckt, um sie zu trösten, aber eine innere Stimme mahnte ihn zur Vorsicht.

Er stieß den angehaltenen Atem aus und schaute den Highway entlang. Er versuchte immer noch, sich einzureden, dass die Rempelei keine Absicht gewesen war, auch wenn es so ausgesehen hatte. „Das war verdammt knapp.“

„Zu knapp.“

Er sah sie an und wusste, dass sie das Gleiche dachte wie er. Der Fahrer hatte ganz bewusst versucht, sie an dieser Stelle des Highways von der Straße abzudrängen, damit sie den sicheren Tod fanden.

„Meinen Sie, er ist weg?“, fragte sie.

John schaute über seine Schulter und spürte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten. „Ja. Nicht dass ich damit gerechnet hätte, dass er anhalten und Hilfe leisten würde.“ Er hob die Hand und berührte die schmerzende Stelle an seiner Schläfe, an der sich eine Beule in der Größe eines Hühnereis gebildet hatte. Er schaute seine Finger an und war froh, kein Blut daran zu sehen.

„Sie sind verletzt“, sagte sie.

Er wusste, dass ihn ihre Sorge nicht so berühren sollte, doch das tat sie. „Vorsichtig, Rotschopf! Ich mag es, wenn sich Frauen um mich sorgen.“

„Darauf wette ich.“ Sie sah aus, als wollte sie ihn berühren, doch dann steckte sie ihre Hände in die Manteltaschen. „Das ist eine ganz schön dicke Beule.“

„Ich habe einen verdammt harten Schädel.“

Sie lächelte nicht, doch er sah das amüsierte Funkeln in ihren Augen, und ihm wurde ganz warm ums Herz. „Sie glauben vermutlich, dass ich paranoid bin“, sagte sie. „Aber der SUV, ich meine, er schien das vorsätzlich zu machen.“

„Vielleicht war es ein Betrunkener.“ Sobald er die Worte ausgesprochen hatte, wusste er, dass keiner von ihnen daran glaubte.

Eine Windböe fegte durch die Baumwipfel. Hannah begann, mit den Zähnen zu klappern.

„Steigen Sie in den Jeep.“ John beugte sich vor und fischte sein Handy aus dem Fußraum, wohin es bei dem Aufprall gerutscht war. Dann ließ er ihr ausreichend Platz, um wieder in den Wagen zu klettern. „Sie sollten nicht hier draußen in der Kälte stehen.“

„Sagt der Mann mit der Beule von der Größe eines VW Käfers an der Schläfe.“

„Ich bin nicht derjenige, der sich von einer Unterkühlung erholt.“ Er wählte eine Nummer. „Machen Sie die Tür zu. Ich rufe das Lake County Sheriff’s Department an.“ Er fluchte, als eine Aufnahme ihm sagte, dass die gewählte Nummer vorübergehend nicht erreichbar sei. „Verdammt!“

„Was ist los?“, wollte sie wissen.

„Ich komme nicht durch. Das passiert auf diesem Teil des Highways häufiger. Die Berge blockieren das Signal.“

„Und was machen wir jetzt?“

„Die RMSAR-Zentrale ist nur ein paar Meilen von hier entfernt. Wenn ich den Jeep noch mal zum Laufen bringe, können wir von dort aus anrufen.“

John schlug die Beifahrertür zu. So wenig ihm der Gedanke gefiel, Hannah in die Zentrale mitzunehmen, wo er sich definitiv Fragen bezüglich seiner Beziehung zu ihr stellen musste, so sehr wusste er, dass es vermutlich eine sehr gute Idee war, Buzz Malone von den jüngsten Ereignissen zu erzählen. Denn John war sich ziemlich sicher, dass jemand versucht hatte, sie beide umzubringen.

Trotz der heißen Luft, die aus der Heizung des Jeeps strömte, zitterte Hannah immer noch, als sie wenige Minuten später die Zentrale der Rocky Mountain Search and Rescue erreichten. Sie wusste nur nicht, ob sie vor Kälte zitterte oder aufgrund der Tatsache, dass John seit dieser seltsamen Begegnung mit dem SUV den Blick nicht mehr vom Rückspiegel genommen hatte.

Sie wollte glauben, dass der SUV-Fahrer nur ein Rowdy oder sturzbetrunken war, aber egal wie sehr sie versuchte, sich davon zu überzeugen, Hannah wurde das Gefühl nicht los, dass sie jemand absichtlich verfolgte. Die Frage war nur, wer und warum? Warum hatte jemand John von der Straße gedrängt? Oder vielleicht war John gar nicht das Ziel gewesen, sondern sie. Vielleicht wollte jemand sie über die Klippe schicken.

Er bog auf einen schmalen Schotterweg ab und parkte neben einem Pick-up-Truck mit riesigen Rädern, auf dessen Türen in goldenen und schwarzen Lettern das Logo der Rocky Mountain Search and Rescue stand. „Wir haben Glück“, sagte er. „Buzz ist noch da.“

„Ist das der Expolizist?“, fragte sie.

„Er wurde vor ein paar Jahren angeschossen und in Rente geschickt, aber er hat immer noch Kontakt zu seinen alten Kollegen. Wir werden einen Bericht über den Vorfall mit dem SUV beim Sheriff von Lake County einreichen. Und vielleicht hat Buzz ein paar Ideen, wie wir Ihrer Identität auf die Spur kommen können.“ Er sah sie an. „Sind Sie bereit?“

Nickend öffnete sie die Tür und stieg aus dem Jeep. Die Nacht empfing sie mit eisigen Fingern und einem Wind, der wie Eispickel in ihre Haut stach. Es war inzwischen stockdunkel, aber eine Straßenlaterne erhellte ein rustikales Gebäude und mehrere kleinere Nebengebäude. Ein Schneepflug stand wie ein schlafender Dinosaurier zu ihrer Linken. Zwanzig Meter entfernt in einem erleuchteten Hangar schimmerte der Helikopter glänzend wie ein Neuwagen.

„Das hier ist also die Rocky Mountain Search and Rescue“, sagte sie und ging auf das Hauptgebäude zu.

„Wir haben einen Vollzeitpiloten, vier Sanitäter und ein halbes Dutzend Freiwillige. Die meisten sind Polizisten und Feuerwehrleute, aber wir haben auch ein paar Jungs, die einfach gerne helfen und die Action mögen. Außerdem haben wir eine Pferdeeinheit, die von Jake Madigan geleitet wird. Und dann gibt es da noch die schöne Bell 412, die Sie gerade bewundert haben.“ Er grinste. „Sie sieht gut aus, oder?“

Sie wünschte, er würde sie nicht so anlächeln. Jedes Mal, wenn er es tat, spürte sie ein Flattern in ihrer Magengegend, das absolut nichts mit ihrer Schwangerschaft zu tun hatte.

„Wir können innerhalb von vier Minuten fertig und mit dem Heli in der Luft sein.“ Er erreichte die Tür als Erster, zog sie auf und trat beiseite, um Hannah eintreten zu lassen. „Der Rest des Teams ist rau, aber harmlos. Also lassen Sie sich nicht von den Jungs einschüchtern.“

„Da sie mir das Leben gerettet haben, werde ich gnädig sein.“

„Es sind gute Jungs. Nur ein wenig …“ Er überlegte.

„Ungestüm?“

„Ich wollte ‚unausstehlich‘ sagen.“

„Damit komme ich schon klar.“

„Daran habe ich keinen Zweifel.“ Er grinste. „Aber sie lieben die Herausforderung.“

„Ich auch.“

Sie straffte die Schultern und ging durch die Tür. Das Erste, was ihr auffiel, war die Musik. Rock ’n’ Roll erfüllte das Haus mit einer kreischenden Serenade von einer Steel-Gitarre und einer weichen männlichen Stimme. Der Geruch nach abgestandenem Kaffee und brennendem Kiefernholz vermischte sich mit dem subtileren Duft von Männern. Vor ihr zu ihrer Linken öffnete sich ein Schiebefenster, und ein junger Mann, der kaum das College hinter sich gelassen hatte, steckte seinen Kopf heraus und grinste John an. „Ich dachte, du hättest heute frei, Maitland. Was ist los? Hast du in deiner Freizeit nichts Besseres …?“ Er biss sich auf die Zunge, als er Hannah sah. „Oh, ich habe Sie gar nicht bemerkt.“ Sein Blick huschte von ihr zu John und wieder zurück. „Hi, ich bin Aaron.“ Er streckte seine Hand durch das Fenster. „Aber alle hier nennen mich nur Vermittler.“

„Schön, Sie kennenzulernen, Vermittler.“ Sie hielt ihm ihre bandagierte Hand entgegen, und er schüttelte sie vorsichtig. „Ich bin Hannah.“

Er kniff die Augen zusammen. „Sind Sie nicht die …?“

„Ja, ich bin die …“ Sie suchte verunsichert nach dem richtigen Wort.

„Die Unbekannte, die wir auf dem Elk Ridge gerettet haben“, beendete John den Satz.

„Ich erinnere mich an die roten Haare.“ Aarons Lächeln wurde breiter.

„Ich bin verdammt froh, Sie kennenzulernen, Hannah. Der Name gefällt mir wesentlich besser als ‚Unbekannte‘!“

Sie lachte. „Mir auch.“

„Wie geht es Ihnen?“

Ich mag diesen jungen Mann, dachte sie und erwiderte sein Lächeln. „Mir geht es sehr gut.“ Ich habe nur nicht die geringste Ahnung, wer ich bin. „Danke.“

„Wo ist Buzz?“, fragte John.

Aaron ließ Hannahs Hand los und zeigte den Flur hinunter in den hinteren Bereich des Gebäudes. „Er ist im Büro und flucht über das Budget. Was ist los?“

„Verdammt, das Budget habe ich ganz vergessen!“ John strich sich mit der Hand über den Kiefer. „Uns wollte vor ein paar Minuten irgend so ein Wahnsinniger vom Highway drängen. Ich konnte Lake County nicht über mein Handy erreichen, also dachte ich, dass wir die Anzeige von hier aus erstatten.“

Eine Bewegung am anderen Ende des Flurs erregte Hannahs Aufmerksamkeit. Sie blickte auf und sah einen Mann mit whiskybraunen Augen, Haaren in der Farbe des mitternächtlichen Himmels und einer Miene, die der Teufel selber gezeichnet haben musste. Er stand im Korridor und blickte verwundert zwischen ihr und John hin und her, als seien sie gerade von einem anderen Planeten hierher gebeamt worden. „Verdammt, Maitland, dein Umgang hat sich in letzter Zeit entschieden verbessert!“

John ging auf ihn zu. „Flyboy. Wie läuft’s?“

„Immer besser.“ Der andere Mann wandte seinen Blick nicht eine Sekunde von Hannah ab. Neugierde und Schalk blitzten in seinen Augen auf. „Habe ich da gerade etwas von Lake County gehört?“, fragte er John.

„Ja, ich muss Anzeige erstatten.“

„Die sind gerade mit einem Unfall und mehreren Verletzten auf dem Highway 285 beschäftigt“, erwiderte er.

John blieb stehen. Hannah spürte, wie seine Spannung anstieg. „Sind wir gerufen worden?“

Der andere Mann sah John einen Moment lang an. „Boulder hat das übernommen. Wir sind nur auf Stand-by.“ Sein Blick glitt zu Hannah zurück. Flyboy verzog seinen Mund zu einem Lächeln, das für einen Mann viel zu sinnlich war. „Willst du uns einander nicht vorstellen, Maitland?“

„Nein. Ich muss mit Buzz sprechen.“

„Er ist hinten und kämpft mit dem Budget.“ Ohne seinen Blick von Hannah zu nehmen, schlenderte der Mann an John vorbei. „Maitland, du hast die Manieren eines Gürteltieres.“ Grinsend streckte er Hannah seine Hand entgegen. „Ich bin Tony Colorosa.“

Lächelnd trat sie vor und reichte ihm ihre Hand. „Ich bin Hannah. Schön, Sie kennenzulernen.“

„Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite.“

„Sie sind der Hubschrauberpilot.“

„Und ein verdammt guter.“

„Ich wollte Ihnen danken, dass Sie mich vom Berg gerettet haben.“

„Hey, kein Problem.“

Mit einem Mal spürte Hannah einen dicken Kloß in ihrem Hals. Na toll, sie stand hier umgeben von einer Kilotonne Testosteron und war kurz davor, weinend zusammenzubrechen. Das würde den Korridor sich ganz schnell leeren.

„Nein, ich meine es ernst“, sagte sie. „Sie haben mein Leben gerettet. Das werde ich nie vergessen.“

Sie sah überrascht, wie Tony ihre Hand an seine Lippen führte und einen Kuss auf ihren bandagierten Handrücken andeutete. Tony flirtete mit ihr. Dieser Mann sprühte nur so vor Charme. Hannah errötete und entzog ihm ihre Hand.

„Wer hat hier die Manieren eines Gürteltiers?“ Ein dritter Mann mit grünen Augen und einem schmalen Ziegenbart schlurfte auf den Flur und blieb abrupt stehen, als er Hannah sah. Er musterte sie gekonnt.

John runzelte die Stirn. „Das ist Pete Scully, unser Juniorsanitäter.“

Der junge Mann mit dem Ziegenbart grinste. „Glauben Sie nichts von dem, was John Ihnen über mich erzählt hat, denn es stimmt vermutlich nicht einmal die Hälfte.“

Hannah lächelte. „Schön, Sie kennenzulernen.“

Neben Pete Scully trat ein noch größerer Mann vor. Er war schlank und sah Hannah aus eisengrauen Augen an. Er trug einen wadenlangen Staubmantel, gut eingetragene Cowboystiefel und einen Gürtel mit einer Schnalle, die so groß war wie seine Handfläche. Sie schätzte ihn auf Mitte dreißig, aber er hatte dieses leicht verwitterte Aussehen, das ihr verriet, dass er seinen Großteil seiner Zeit draußen verbrachte.

„Jake Madigan ist der Deputy Sheriff unten in Chaffee County“, stellte John ihn vor. „Er ist einer der Freiwilligen bei Rocky Mountain Search and Rescue und Leiter der Pferdeabteilung. Er hat letztes Jahr unseren vermissten Pfadfinder gefunden.“

„Ma’am.“ Jack lüpfte seinen schwarzen Stetson.

„Können wir Ihnen irgendwie helfen?“, fragte Pete.

Da sie das Gefühl hatte, den neugierigen Männern ihre Anwesenheit zu erklären, ging Hannah einen Schritt auf Pete und Jake zu, doch John hielt sie zurück. „Sie ist mit mir hier, Scully“, sagte er. „Wir müssen mit Buzz reden.“

Ihr Herz klopfte gegen ihre Rippen, als John sie näher zu sich zog. Sie redete sich ein, dass diese Geste nichts zu bedeuten hatte. John hatte sie nicht für sich beansprucht und er hatte ihr auch keinen Grund gegeben zu glauben, dass er an mehr interessiert sei. Er wollte sie nur ins Frauenhaus bringen und seinen Freund, den Expolizisten, bitten, ihr zu helfen, ihre Identität herauszufinden.

Warum also hüpfte ihr Puls herum wie eine Kröte auf der heißen Herdplatte?

Da sie sich den Grund nicht eingestehen wollte, lächelte Hannah Johns Teamkollegen an und versuchte, die Hitze, die seine Hände in ihr entfachten, zu ignorieren.

Pete Scully zwinkerte ihr zu, dann grinste er breit. „Du scheinst einen großartigen freien Tag zu haben, Maitland.“

„Das stimmt.“ John führte sie sanft von seinen Kollegen weg den Flur hinunter. „Wenn wir gerufen werden, bin ich dabei.“

Hannah blickte den Männern über die Schulter hinweg hinterher. Der junge Mann, den sie Vermittler nannten, lehnte sich aus dem Fenster und starrte ihnen mit unverhohlener Neugierde nach. Jake Madigan hatte seinen Hut wieder aufgesetzt, der seine Augen beschattete, dennoch spürte sie seinen Blick auf sich. Tony Colorosa stand mitten im Flur und grinste wie ein ungezogener Schuljunge. Und Pete Scully sah John vielsagend an und wackelte mit den Augenbrauen wie Groucho Marx.

„Idioten“, murmelte John.

„Männer“, sagte Hannah leise.

Er sah sie an, dann grinsten sie beide. „Ja“, stimmte er zu.

Am Ende des Flurs geleitete John sie in eine kleine Küche, wo der Geruch von Kaffee in der Luft hing. Am anderen Ende bemerkte sie eine Bürotür, die offen stand und aus der gelbes Licht fiel. John ging direkt zur Kaffeemaschine, nahm einen Styroporbecher in die Hand und goss etwas aus einer grünen Kanne ein. „Das ist entkoffeinierter Kaffee. Schmeckt wie verbranntes Gummi, ist aber heiß.“ Als sie zögerte, fügte er hinzu: „Sie zittern. Das wird Sie ein wenig aufwärmen.“

Hannah zweifelte, ob sie wegen der Kälte draußen zitterte oder ob es nicht vielmehr Nachwehen der Angst waren, die vom Unfall mit dem SUV herrührten. Dennoch nahm sie den Becher dankbar an. „Danke.“

„Ist der Mantel warm genug?“

„Oh ja!“

„Angesichts Ihrer jüngsten Unterkühlungen sollten Sie jetzt nicht frieren.“ Er lächelte schief. „Anweisungen des Sanitäters.“

Sie blickte in die endlosen Tiefen seiner blauen Augen, und auf einmal wurde ihr wieder ganz warm. Dieser Mann hatte keine Probleme, Blickkontakt zu halten, so viel stand fest. Verstört von der Wärme, die sich in ihrem Körper ausbreitete, ließ Hannah ihren Blick zu Johns Mund gleiten. Sie stockte. Sie hatte letzte Nacht von diesem Mund geträumt. Im Traum war sie die wie gemeißelt wirkenden Linien mit ihren Fingerspitzen entlanggefahren. Sie erinnerte sich an das Gefühl seines Atems auf ihrer Haut, der ihren Herzschlag beschleunigte. Er stand nur einen Schritt von ihr entfernt, sodass sie sein Aftershave riechen und die Begierde in seinem Blick sehen konnte. Er sollte ihren Mund nicht auf diese Weise anstarren, aber die Anziehung war zu stark, um ihr zu widerstehen. Der Augenblick dehnte sich, das Versprechen von etwas Süßem, Aufregendem, aber Flüchtigem erfüllte den Raum.

„Ich sollte Sie warnen, dass Rocky Mountain Search and Rescue nicht für Verletzungen haftbar gemacht werden kann, die durch den Genuss von dem entstehen, was wir hier lose als Kaffee bezeichnen.“

Hannah erstarrte so abrupt beim Klang der tiefen männlichen Stimme, dass sie ihren Kaffee verschüttete. Sie drehte sich um und sah einen älteren Mann, der sie vom Türrahmen der Küche aus neugierig beobachtete. Harte Augen von der Farbe eines Winterhimmels blickten von John zu Hannah und wieder zurück.

„Was treibt dich an deinem freien Tag in die Zentrale, Maitland?“

„Wir hatten ein Problem auf dem Highway und müssen mit Lake County sprechen“, sagte John.

„Hast du daher dieses Hühnerei an deinem Kopf?“

„Tja“, John berührte die fragliche Beule, „wir brauchen außerdem deinen Rat und dachten, wir kommen einfach vorbei.“

Der andere Mann nickte. Sein Blick ging zu Hannah. „Ich bin Buzz Malone.“

Obwohl sie und John nichts Unangemessenes getan hatten, errötete sie. Sie rang um Fassung und trat vor, um ihm die Hand zu geben. „Ich bin Hannah.“

Falls er sich wunderte, warum sie ihm nicht ihren Nachnamen sagte, zeigte er es nicht. „Wie geht es Ihnen?“ Sein Händedruck war fest, sein Blick ruhig und ein wenig zu intensiv, um angenehm zu sein.

„Besser.“ Sie sah auf ihre bandagierten Finger, weil sie nicht wusste, wie sie ihre Amnesie erklären sollte, ohne wie eine Verrückte zu klingen. „Nur ein paar Erfrierungen und eine Gehirnerschütterung.“

„Freut mich zu hören. Das hätte wesentlich schlimmer ausgehen können.“ Buzz zeigte auf sein Büro. „Kommen Sie rein und setzen Sie sich.“

Hannah wusste nicht, warum, aber als sie das Büro des Mannes betrat, überfiel sie ein unbehagliches Gefühl. Der Schatten einer Gewitterwolke schien sich über sie zu legen, der einen gewalttätigen Sturm vorhersagte. Sie wusste, dass es albern war, sich hier bedroht zu fühlen, wo doch keiner der beiden Männer eine Gefahr darstellte. Aber egal, wie sehr sie sich auch bemühte, sie konnte das Gefühl nicht abschütteln. Sie schob es auf den Vorfall mit dem SUV und setzte sich in einen der Stühle, die vor dem Schreibtisch standen.

„Warum musst du einen Bericht beim Lake County einreichen?“, fragte Buzz an John gewandt, nachdem sich alle gesetzt hatten.

John zog seinen Parka aus und hängte ihn über die Rückenlehne seines Stuhls. Hannah versuchte, nicht auf seine breite Brust zu achten oder darauf, wie die engen Jeans Johns Hüften umspannten. Der Mann war ein echter Herzensbrecher.

Ihre Reaktion löste ein leises Schuldgefühl in ihr aus. Sie war schwanger und vermutlich mit einem anderen Mann liiert, vielleicht war sie sogar verheiratet, und trotzdem erregte sie ein fremder Mann.

„Auf unserem Weg vom Krankenhaus ins Frauenhaus von Denver wurden wir von irgendeinem Irren in einem SUV von der Straße gedrängt“, sagte John.

Der ältere Mann nahm den Telefonhörer in die Hand, wählte eine Nummer und reichte den Hörer an John weiter. „Ein betrunkener Fahrer?“, fragte er.

„Vielleicht.“ John beugte sich vor, um den Hörer zu nehmen. „Aber ich glaube nicht. Es sah nach Absicht aus.“

„Hast du das Kennzeichen?“

„Aus Colorado.“ John hielt sich den Hörer ans Ohr. „Die ersten drei Buchstaben sind HBS.“

Hannah hatte in ihrer panischen Angst gar nicht daran gedacht, sich das Kennzeichen zu merken.

Buzz notierte sich die Buchstaben. „Tja, das engt es auf ein paar Tausend ein“, sagte er trocken. „Was ist mit der Marke?“

John hob seine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen, und sprach ins Telefon. Er erzählte von dem Vorfall und beschrieb den Wagen bis hin zu seinen außergewöhnlichen Felgen. Die ganze Zeit über machte sich Buzz auf seinem Block Notizen.

Hannah sah sich in dem kleinen Büro um, während John Bericht erstattete. Vergeblich versuchte sie, das angespannte Gefühl in sich zu unterdrücken, das seit Betreten des Raumes auf ihr lastete. Was verursachte ihr nur solches Unbehagen? An John lag es auf gar keinem Fall. So wenig sie es auch zugeben wollte, aber er war ihr in den letzten Stunden zu einer Quelle des Trosts geworden. Sie glaubte auch nicht, dass Buzz Malone dieses Gefühl hervorrief. Er hatte ihr keinen Grund geliefert, ihm zu misstrauen. Trotzdem konnte sie nicht leugnen, dass ihr Herz schneller schlug. Sie widerstand dem Drang, sich ihre unter den Verbänden feuchten Hände an der OP-Hose abzuwischen, und schaute sich stattdessen die Plaketten und gerahmten Zertifikate an, die an der Wand hinter dem Schreibtisch hingen. Das Foto eines Jungen mit Cowboyhut wärmte ihr das Herz. Eine gerahmte Empfehlung vom Denver Police Department verriet ihr, dass Buzz in seiner Zeit bei der Polizei sehr erfolgreich gewesen war. Auf dem Bücherregal am Fenster zog ein Foto von mehreren uniformierten Polizisten ihren Blick an.

Aus dem Nichts heraus explodierte eine Erinnerung in ihrem Kopf mit der Schlagkraft einer Granate. Vor ihrem inneren Auge sah sie gestochen scharfe Schwarz-Weiß-Fotos. Ein Mann in einer Polizeiuniform und mit sandfarbenen Haaren und braunen Augen lächelte sie vertraut an. Bevor sie sich einen Reim darauf machen konnte, schoss ihr ein weiteres Bild durch den Kopf. Derselbe Mann trat hervor, doch nun lächelte er nicht mehr. Angst überwältigte sie. Es war eine Angst, die so vertraut und dennoch bitter war – und furchtbar hässlich. Der Mann war wütend. Er bedrohte und berührte sie und tat ihr weh. Widerstreitende Gefühle von Liebe und Hass und jeder Grauschattierung dazwischen tobten in ihr. Sie erinnerte sich an körperliche wie seelische Schmerzen, die so tief gingen, dass sie sie bis in die Tiefen ihrer Seele spürte.

Die Bilder trafen sie wie der Schlag. Ihr Herz schlug panisch in ihrer Brust. Angstschweiß lief ihr kalt den Rücken hinunter. Aus der Ferne hörte sie John, der beruhigend auf sie einredete. Seine Hand ruhte auf ihrem Arm, es tröstete sie.

„Hannah?“ Er tätschelte ihren Arm. „Hannah, geht es Ihnen gut?“

Sie riss ihren Blick von dem Foto. So abrupt, wie sie gekommen waren, verschwanden die Bilder wieder. Hannah schnappte nach Luft und schluckte die Tränen herunter. Sie konzentrierte sich auf das starke Gesicht vor sich und sah, dass John mit besorgter Miene vor ihr kniete. „Was ist los?“, fragte er. „Stimmt etwas nicht?“

„Ich, mir geht es gut“, flüsterte sie. „Ich habe nur …“

Buzz war aufgestanden und sah sie von seinem Schreibtisch aus mit einer seltsamen Mischung aus Sorge und Misstrauen an.

„Mein Gott, Sie zittern ja!“, sagte John. „Haben Sie Schmerzen?“

Hannah erwachte wie aus einem Traum. Verlegenheit verdrängte den letzten Rest von Angst und Gefahr, die sie vor wenigen Sekunden noch überwältigen wollten. „Mir geht es gut.“

„Ist Ihnen schwindelig?“, hakte er nach. „Haben Sie Kopfschmerzen?“

„Nein, nichts dergleichen. Ich habe mich nur eine Sekunde lang seltsam gefühlt.“ Sie senkte den Blick, nicht sicher, wie sie das alles erklären sollte. Erst da bemerkte sie, dass sie ihren Kaffee fallen lassen hatte. Der Becher lag in einer Pfütze zu ihren Füßen. „Tut mir leid wegen des Kaffees.“

„Machen Sie sich keine Sorgen, der Boden ist robust.“ John fing ihren Blick auf und ließ ein angespanntes Lächeln aufblitzen. „Er hält sogar Buzz’ Kaffee aus.“

Der ältere Mann kam um den Schreibtisch herum. „Kopfverletzungen?“

„Gehirnerschütterung. Die CT war in Ordnung. Keine Blutungen.“

„Sie ist blass.“ Buzz ging in Richtung Tür. „Ich hole ein Glas Wasser.“

Hannah hob die Hand und rieb sich die Stelle zwischen ihren Augenbrauen, von der sich die Kopfschmerzen ausbreiteten. „Ich wollte keine Umstände machen.“

„Das haben Sie auch nicht. Sie waren nur für ein paar Sekunden nicht da. Ich dachte, Sie fallen in Ohnmacht.“ Er legte einen Finger unter ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. „Was ist passiert?“

Ja, was war passiert? Kaum hatte sie sich in Buzz’ Büro umgesehen, da hatte sie ihr Kopf schon an einen Ort geführt, an dem sie vor Angst erzitterte. Es war ein ganz schrecklicher Ort, von dem sie hoffte, ihn nie wieder betreten zu müssen. „Ich glaube, ich hatte eine Art Flashback.“

Buzz kam mit einem Becher Wasser zurück und sah Hannah ernst an. „Trinken Sie“, sagte er und reichte ihr den Becher.

Da sie etwas mit ihren Händen tun musste, um sie vom Zittern abzuhalten, griff Hannah nach dem Becher und trank einen großen Schluck. Sie nutzte den Moment, um ihre Gedanken und sich zu sammeln.

„Ich habe gehört, dass Sie etwas von einem Flashback gesagt haben“, sagte Buzz. „Was meinen Sie damit?“

Hannah blickte auf und sah den älteren Mann wieder hinter seinem Schreibtisch stehen. Die Hände in die Hüften gestemmt, wartete er auf eine Erklärung, die sie ihm nicht geben wollte. „Wir hatten noch keine Chance, es zu erklären. Aber wir sind unter anderem auch hier, weil ich an einer Art Amnesie zu leiden scheine.“

„Amnesie?“ Die Skepsis war nicht zu überhören. „Im Sinne von Gedächtnisverlust?“ Sein Blick glitt zu John. „Stimmt das?“

Sein Tonfall brachte ihm einen scharfen Blick von John ein. „Sie hat eine Gehirnerschütterung erlitten, Buzz, und dadurch einige Erinnerungen verloren.“ Er strich sich mit der Hand über den Kiefer und sah Hannah an. „Sie erinnert sich nicht einmal mehr an ihren Namen.“

Hannah zuckte innerlich zusammen, als sie den Zweifel im Gesicht des anderen Mannes sah. Sie wusste nicht, warum, aber seine Meinung war ihr wichtig. Vielleicht lag es daran, dass sie John auch wichtig war.

„Damit ich das richtig verstehe.“ Buzz’ Blick glitt von Hannah zu John und wieder zurück. „Sie sind ohne Erinnerungen im Krankenhaus aufgewacht und erinnern sich nicht einmal mehr an Ihren eigenen Namen?“

Sich gegen die Ungläubigkeit in seiner Stimme wappnend, nickte sie kurz.

„Was ist mit Ihrer Arbeit, oder wo Sie wohnen?“

„Ich weiß, es klingt unglaubwürdig.“ Sie hasste die Unsicherheit in ihrer Stimme. „Aber es stimmt, und es ist sehr beängstigend.“

Buzz musste nicht sagen, dass er ihr nicht glaubte. Hannah sah es auch so. Sie hätte mit seinen Zweifeln rechnen müssen, immerhin war eine Amnesie ein seltenes Krankheitsbild, und wenn sie sie nicht aus erster Hand erleben würde, wäre sie auch misstrauisch gewesen. Trotzdem schmerzte es, dass Buzz an ihr zweifelte.

„John hat mir erzählt, dass Sie einmal Polizist waren“, fing sie an. „Wir dachten, Sie könnten vielleicht helfen, anhand meiner Fingerabdrücke oder auf irgendeinem anderen Weg meine Identität festzustellen. Vielleicht auch anhand einer Vermisstenmeldung.“

„Oder eines Haftbefehls.“

John sah seinen Teamleiter aus zusammengekniffenen Augen an. „Das reicht.“

Der andere Mann sah sie unverwandt an. Er wirkte noch nicht einmal verärgert. „Ich habe es nicht gern, wenn einer meiner Sanitäter mit einer Waffe bedroht wird“, sagte er. „Sie haben Glück, dass Sie im Moment nicht schon in einer Gefängniszelle sitzen.“

Hannah spürte, wie sie zurückzuckte. Ihr Herz hämmerte wie wild in ihrer Brust. Sie wünschte, sie könnte leugnen, die Waffe gehabt zu haben, aber das konnte sie nicht. Immerhin erinnerte sie sich noch an das tödliche Gewicht in ihrer Hand und an ihre Entschlossenheit, sie auch zu benutzen. „Es tut mir leid. Ich hätte niemals …“

„Den Mann erschossen, der versucht hat, Sie zu retten?“, gab Buzz barsch zurück.

„Ich weiß nicht einmal, warum ich sie hatte oder woher sie kam.“

„Das ist ja sehr bequem.“

„Ich bin keine Kriminelle“, sagte sie.

„Ich dachte, Sie erinnern sich nicht daran, wer Sie sind“, erwiderte Buzz.

John sah Buzz finster an. „Verdammt, Buzz, das reicht!“

Der ältere Mann hob eine Augenbraue. „Ich kann nicht fassen, dass du ihr diese Geschichte glaubst.“

„Ich glaube ihr.“ Johns Blick blieb fest.

„Ach, komm schon!“

„Sie kann das im Moment nicht gebrauchen, Buzz.“

„Ich kann für mich selber sprechen“, fiel Hannah ihm ins Wort.

Beide Männer ignorierten sie. „Und wann sollen wir ihr die harten Fragen stellen, John?“

„Daran arbeiten wir.“

„Das habe ich gesehen, als ich in die Küche kam.“

John strich sich über seine Bartstoppeln. „Sie ist schwanger.“

Der ältere Mann senkte den Kopf und massierte sich den Nasenrücken. Dann sah er John über seine Fingerknöchel hinweg an. „Ich würde gerne kurz mit dir sprechen.“ Er nahm die Hand herunter und sah Hannah an. „Allein.“

Verletzt, dass er nicht einmal in Betracht zog, ihr zu glauben, und enttäuscht darüber, dass sie sein Misstrauen nicht zerstreuen konnte, stand Hannah auf. Eigentlich war es doch egal, was Buzz Malone über sie dachte. Es war auch egal, was John über sie dachte. Aber sie wusste, dass sie sich mit diesen Gedanken selbst belog.

Sie straffte die Schultern, reckte das Kinn und sah Buzz direkt in die Augen. „Was mich angeht, irren Sie sich.“

„Das hoffe ich“, erwiderte er leise.

Dann drehte sie sich ohne ein weiteres Wort auf dem Absatz um und verließ den Raum.