4. KAPITEL
Schwanger.
Das Wort hallte durch ihren Kopf wie ein heftiger Donnerschlag. Hannah starrte die Ärztin ungläubig an. Der Schock raubte ihr den letzten Rest Gelassenheit, den sie in den letzten Stunden zusammenkratzen konnte.
Sie bekam ein Baby.
Und sie konnte es kaum glauben.
Wie sollte sie schwanger sein, wenn sie nicht wusste, wie es passiert war? Wen hatte sie genügend geliebt, um ein Kind von ihm zu empfangen? Wie konnte sie ein Baby in sich tragen und sich nicht daran erinnern?
„Ganz ruhig, Rotschopf.“
Sie riss ihren Blick von Dr. Morgan los und sah zu John. Seine verhaltene Mimik verriet ihr, dass er beinahe so überrascht war wie sie. Er schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, aber zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, wirkte es unecht.
„Alles wird gut“, sagte er.
Sie schluckte den Kloß in ihrer Kehle herunter und wandte sich wieder an die Ärztin. „Ich kann nicht schwanger sein“, platzte es aus ihr heraus. „Daran müsste ich mich doch erinnern.“
Dr. Morgan tippte mit ihrem Stift gegen das Klemmbrett. „Ein Irrtum ist ausgeschlossen. Ich habe die Ergebnisse persönlich überprüft. Sie sind definitiv schwanger.“
Hin- und hergerissen zwischen hysterischem Lachen und Weinen starrte sie die Ärztin an. Dann blickte sie auf ihren Bauch. Sie fühlte sich nicht schwanger. „Sind Sie absolut sicher?“, fragte sie.
„Ich weiß, solche Neuigkeiten können schockieren.“
„Ich würde es nicht gerade als Schock bezeichnen, wenn einem ein Zehntonnenfelsen auf den Kopf geschmissen wird.“
John räusperte sich. „Geht es dem Baby angesichts des Unfalls gut?“
Unbewusst legte Hannah eine Hand auf ihren Bauch.
„Dem Baby geht es sehr gut“, sagte Dr. Morgan.
„Aber ich bin gestürzt!“
„Der Körper ist erstaunlich widerstandsfähig. Sie sind eine starke Frau.“
Hannah atmete erleichtert auf, sie war so dankbar, dass sie gerade lag. Das alles hier war zu viel für sie. Sie fühlte sich wie bei einer rasanten Achterbahnfahrt, und ihr Waggon stand kurz davor, zu entgleisen. Sie war erst wenige Stunden wach, und doch war ihr Leben ein einziges Chaos.
Hundert Fragen schossen ihr gleichzeitig durch den Kopf. „Wie weit bin ich?“
„Ungefähr im dritten Monat.“
„Und bin ich gesund?“
„Wie ein Pferd.“
Eine weitere Schockwelle erfasste sie, als ihr die gesamte Tragweite dieser Nachricht ins Bewusstsein drang. Wie sollte sie sich in sechs Monaten um ein Baby kümmern, wenn sie nicht einmal wusste, wer sie war?
„Abgesehen von Ihrem Gedächtnisverlust sind Sie vollkommen gesund“, sagte Dr. Morgan. „Deshalb werde ich Sie auch entlassen.“
Bei dem Gedanken, die schützenden Wände des Krankenhauses zu verlassen, flammte erneut Panik in ihr auf. „Mich entlassen?“
„Eine Freundin von mir leitet ein Frauenhaus in Denver. Angela Pearl ist ein Schatz. Sie wird Sie für ein paar Tage aufnehmen, bis Ihre Erinnerungen zurückgekehrt sind. Ich werde sie gleich anrufen. Sie hat einen alten Van und könnte Sie hier abholen.“
Hannah versuchte, die jüngste Nachricht zu verdauen. Sie wurde also schon entlassen. Und das ausgerechnet in ein Frauenhaus. Guter Gott, sie war obdachlos, sie war misshandelt worden, und sie war schwanger! Darüber hinaus besaß sie keinen einzigen Cent, sie wusste von keinen beruflichen Fähigkeiten und kannte keinen einzigen Freund auf der Welt, den sie um Hilfe bitten konnte. Jedenfalls erinnerte sie sich an keinen.
Hannah spürte ihre Hand auf ihrem Bauch und fragte sich, ob es wohl noch schlimmer kommen konnte.
Das Paracetamol wirkte nicht. Es linderte weder den Kopfschmerz noch die Übelkeit – und auch nicht die Schmerzen, die sich langsam, aber sicher in Hannahs Knochen ausbreiteten. Und ganz sicher minderte es nicht den Schock zu wissen, dass sie im dritten Monat schwanger war.
Hannah trat aus der Dusche und trocknete sich schnell ab. Sie versuchte vergeblich nicht daran zu denken, was die nächsten Stunden wohl bringen würden. Es bereitete ihr große Angst, in diese große Welt da draußen hinauszugehen. Abermals schob sie ihre Hand schützend auf ihren kaum sichtbar gewölbten Bauch. Die Geste überraschte sie und zauberte ein unerwartetes Lächeln auf ihr Gesicht. „Alles wird gut“, flüsterte sie. „Mummy muss sich nur an die Vorstellung gewöhnen, dass du dadrin bist.“
Als sie auf die Stelle blickte, an der ein kleines Leben in ihr wuchs, erfasste sie ein wohliges Gefühl. Es fühlte sich so richtig und unausweichlich an, dass sie beinahe ihre Ängste vergaß. Hannah spürte instinktiv, dass alles gut werden würde.
Sie klammerte sich an den Gedanken und schlüpfte in die ausgeblichene OP-Hose und das weiche blaue Sweatshirt mit dem aufgestickten Logo des Krankenhauses. Aufgrund der Erfrierungen an ihren Füßen konnte sie keine normalen Schuhe tragen, aber der Atemtherapeut hatte ihr ein Paar unförmiger offener Sandalen spendiert, die groß genug für ihre bandagierten Füße waren. Damit würde sie in nächster Zeit gewiss keinen Modepreis gewinnen, aber es war warm und gemütlich. Da sie gerade erst dem Tod von der Schippe gesprungen war, konnte sie kaum mehr erwarten.
Sie lebte. Ihre äußeren Verletzungen waren minimal, nur ihr Gedächtnisverlust trieb sie langsam in den Wahnsinn. Aber die Prognose ist gut, sagte sie sich. Selbst wenn sie den Psychiater aufsuchen müsste, den Dr. Morgan ihr empfohlen hatte, Hannah würde niemals aufgeben, bevor sie nicht ihre wahre Identität entdeckt hatte.
Sie drückte die Tür auf und verließ das Badezimmer. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie Cora, ihre Krankenschwester, sah, die sich über das Bett beugte und eine Übernachtungstasche packte. Die Tasche hatte definitiv schon bessere Tage gesehen. „Das hätte ich doch selber erledigen können“, sagte Hannah.
Cora drehte sich um und hielt ihr zwei Packungen Kekse entgegen. „Mögen Sie lieber Erdnussbutter oder Schokolade?“
„Schokolade, glaube ich.“
„Eine Frau ganz nach meinem Geschmack.“ Die ältere Frau drehte sich wieder um und legte beide Kekspackungen in die Tasche. „Wenigstens erinnern Sie sich daran, was Sie gerne essen.“
„Ich sehe, Sie sind abfahrbereit?“
Beim Klang der tiefen männlichen Stimme setzte Hannahs Herz einen Moment lang aus. Sie drehte sich abrupt um und sah John Maitland in der Tür zu ihrem Zimmer stehen. Sein kurzes Haar hätte an einem anderen Mann vielleicht konservativ gewirkt, aber der Stoppelbart und das sorglose Grinsen weckten in ihr ganz andere als konservative Bilder. Er sah so gut aus, dass sich selbst die vorsichtigste Frau nach ein wenig Leichtsinn sehnte. Sosehr Hannah auch glauben wollte, dass sie gegen seine blauen Augen und die wie gemeißelt wirkenden Lippen immun war, das leichte Flattern in ihrem Magen verriet ihr das genaue Gegenteil.
Sein Blick glitt an ihr hinunter. „Schickes Outfit.“
„Die Schwestern haben gesammelt und mir das Sweatshirt, die Hose und sogar eine Jeans gespendet.“ Ihre Stimme verebbte, als er auf sie zutrat und kurz vor ihr stehen blieb.
„Sie sehen in OP-Kleidung richtig gut aus, Rotschopf.“
Das Handtuch glitt aus ihren Händen auf den Boden. „Ich dachte, Sie müssten in die Zentrale zurück.“
„Ich betreibe nur ein wenig Nachsorge.“
„Ich wusste nicht, dass Sanitäter so etwas tun.“
„Ich schon, wenn es sich um hübsche rothaarige Patientinnen handelt.“
Sie blinzelte verlegen und spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. „Sie flirten ja schon wieder mit mir.“
„Eine schlechte Angewohnheit von mir.“ Er schob die Hände in die Hosentaschen.
Da sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte, zwang sie sich zu lachen. Okay, Gehirn, du kannst jetzt wieder anfangen, zu arbeiten, flüsterte eine verzweifelte kleine Stimme in ihrem Kopf.
„Was macht Ihr Kopf?“
Er dreht sich, dachte sie, dann schüttelte sie sich innerlich. Sie sollte sich von seiner Gegenwart nicht irritieren lassen, aber ihr Herz schlug Purzelbäume in ihrer Brust und weigerte sich, ausreichend Blut in ihr Gehirn zu pumpen. Ihr wurde schwindelig.
„Besser“, piepste sie atemlos. Seine Nähe und vor allem seine Größe verunsicherten sie. Der Mann war mindestens ein Meter neunzig groß. Seine Schultern waren beinahe so breit wie die Tür. Hannah schätzte ihre eigene Größe auf ein Meter achtundsechzig. Das war zwar nicht klein, aber neben John Maitland fühlte sie sich wie ein Zwerg.
Ihre kognitiven Fähigkeiten kamen abrupt zum Erliegen, als der würzige Duft seine Aftershaves in ihr Gehirn vordrang. Sie konnte weder lächeln noch ansatzweise irgendetwas Intelligentes sagen. Sollte ihr Herz noch etwas schneller schlagen, würde es explodieren. Dann hatte sie wirklich ein Problem. Wenigstens wäre sie dann am richtigen Ort, um direkt in den OP geschoben zu werden.
Warum musste dieser unverschämt attraktive Kerl die Dinge noch komplizierter machen, als sie eh schon waren? Da sie das Kind eines anderen unter ihrem Herzen trug, sollte er ihr nicht einmal auffallen.
„Irgendwelche Veränderungen, was Ihre Erinnerungen angeht?“, fragte er.
„Die größte Erkenntnis, die ich bisher hatte, war, dass ich wohl Schokolade Erdnussbutter vorziehe.“
„Das ist doch schon mal ein Lichtblick.“ Er grinste schnell – und tödlich. „Wenigstens setzen Sie die richtigen Prioritäten.“
Okay, Herz, du kannst dich jetzt beruhigen. In der Hoffnung, eine Sekunde zu gewinnen, in der sie sich fassen konnte, kniete sie nieder und hob das Handtuch auf, das sie fallen gelassen hatte. John schien in genau demselben Moment die gleiche Idee gehabt zu haben, denn er beugte sich vor und griff nach dem Handtuch.
„Ich hab’s schon“, sagte sie, als sich ihre Blicke trafen. Sie sah nur noch Blau. Es war ein so elektrisierendes Blau, das sie an die Abenddämmerung in den Bergen erinnerte, erfrischend und klar und so lebendig, dass sie einen Schritt vortreten und sich in seinen Tiefen verlieren wollte, um erst später über die Konsequenzen nachzudenken.
Er grinste noch breiter. „Ich auch.“
Sie zog ein wenig an dem Handtuch.
Er erwiderte den Zug.
Verunsichert wandte sie den Blick ab und blinzelte auf ihre in Socken und Sandalen steckenden Füße. Verlegenheit ergriff sie. Na super. Nicht nur, dass ihr Gehirn auf maximal fünfundzwanzig Prozent seines Leistungsvermögens lief, sie hatte auch noch einen Riesenkratzer auf der Nase, einen blauen Fleck auf der Wange, Würgemale am Hals und Schuhe an, die selbst die praktischste Frau in Anwesenheit von Mr Umwerfend in der hintersten Ecke verstecken würde.
„Machen Sie sich keine Gedanken über Ihre Schuhe“, sagte er. „Die sehen fabelhaft aus.“
Hannah gab ein ersticktes Lachen von sich und ließ das Handtuch los. „Die Schwestern des Lake County Hospital wissen scheinbar mit schwierigen Fällen umzugehen.“
Er legte eine Hand sanft an ihren Oberarm und stand auf, wobei er sie sanft mit sich zog. „Ich habe Ihnen etwas mitgebracht.“
„Eine Krankenhauspackung Ginkgo?“, murmelte sie.
Er lächelte und reichte ihr eine Einkaufstüte. „Besser.“
Sie betrachtete das Logo auf der Tüte, und ihr Herz schlug erneut einen kleinen Salto. „Das war nicht nötig.“
„Routinenachsorge“, sagte er vollkommen ernst.
Da sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, griff sie nach der Tüte und schaute hinein. Beim Anblick des Mantels spürte sie einen Kloß in ihrem Hals.
„Der ist daunengefüttert“, sagte er, „und hat eine Kapuze, um Sie warm zu halten.“
„Danke.“ Ihre Stimme brach, als sie mit den Fingern über das seidige Material strich. „Der ist wunderschön und so praktisch. Ich meine, ich hatte nicht mal daran gedacht, dass ich so etwas brauchen könnte.“
„Wir haben draußen Minusgrade.“ Er griff in die Tüte und zog den Mantel heraus.
Cora kam herüber und musterte den Mantel mit den kritischen Augen einer Mutter. „Oh ja, der wird Sie schön warm halten. Und das Blau passt gut zu Ihren roten Haaren.“ Sie nahm John den Mantel ab und hielt ihn Hannah so hin, dass sie hineinschlüpfen konnte. „Nun ja, John Maitland, ich habe mich schon immer gefragt, ob Ihre Mum einen Gentleman großgezogen hat. Ich schätze, das hat sie.“
Er zwinkerte ihr zu. „Einen Halunken in der Kleidung eines Gentlemans.“
Cora verdrehte die Augen. „Hab ich’s doch gewusst.“
Hannah steckte beklommen ihre Arme in die Ärmel. Ihr wurde bewusst, dass sie all die Sachen, die sie erhalten hatte, niemals bezahlen konnte. Sie hatte weder das Geld für ihre Krankenhausrechnung noch für die Übernachtungstasche und auch nicht für die Kleidung darin. Nicht einmal den Mantel konnte sie zahlen.
„Passt perfekt“, bemerkte Cora. „Und er sieht sogar schick und warm aus.“
Hannah sah auf und ertappte John dabei, wie er sie aufmerksam musterte. Sie unterdrückte den Drang, zu erschauern. Nicht weil ihr kalt war, sondern weil der prüfende Blick des Mannes seltsame Dinge mit ihren Nerven anstellte. Und zwar mit allen zwei Millionen kleinen Nerven.
„Ich habe keine Möglichkeit, Ihnen das Geld zurückzuzahlen“, platzte es aus ihr heraus. „Ich meine, ich habe kein …“ Weiter kam sie nicht.
„Der Mantel ist ein Geschenk“, fiel ihr John ins Wort.
Cora schnaubte. „Ich will nichts von Rückzahlungen hören, Liebes. Sie konzentrieren sich jetzt erst einmal darauf, sich im Heim einzuleben und Ihre Erinnerungen zurückzuholen.“
Hannah versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie der Gedanke ängstigte, das Krankenhaus zu verlassen. Sie konnte es sich nicht leisten, Angst zu haben. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, sich wie eine verängstigte Zwölfjährige zu verhalten. Sie wollte ihr komplettes Leben zurück, einschließlich der Vergangenheit, selbst wenn diese unangenehm sein sollte. Sie musste wissen, wer sie war, wo sie wohnte und wer der Vater des Kindes war, das in ihr heranwuchs.
Sie musste wissen, wer versucht hatte, sie zu töten.
Der Gedanke daran verursachte ihr eine Gänsehaut.
Als die Gegensprechanlage neben dem Bett knisterte, zuckte Hannah zusammen. Cora zeigte darauf und lächelte. „Ich muss los. Mr Bowerfind den Flur hinunter braucht mich. Sie passen gut auf sich auf, hören Sie?“
Aus einem Impuls heraus streckte Hannah die Hände nach der Frau aus und umarmte sie. „Danke“, flüsterte sie. „Für alles.“
Cora erwiderte die Umarmung und hielt Hannah dann auf Armeslänge von sich. „Ich erwarte einen Anruf von Ihnen, wenn Sie sich bei Angela Pearl eingelebt haben.“
„Ich werde mich melden. Danke.“
Schniefend tätschelte Cora Johns Arm und verließ dann das Zimmer.
Hannah sah ihr nach. Das Schweigen zwischen ihr und John bedrückte sie. Dieser Mann war einfach so präsent. „Ich muss dann auch mal los“, sagte sie schnell.
Er blickte zu der einsamen Tasche, die auf ihrem Bett stand. „Kann ich Ihnen behilflich sein?“
„Nein, das schaffe ich schon. Danke.“
Er rührte sich nicht, und das Schweigen wurde unangenehm. Gut, er hatte ihr netterweise den Mantel geschenkt, aber das bedeutete doch nicht, dass sie ihn so umarmen würde wie Cora. Der Mann hatte vielleicht ihr Leben gerettet, aber Hannah musste sich nicht an ihr Leben erinnern, um zu wissen, dass John Maitland gefährlich war. Er war viel zu attraktiv, und sie war im dritten Monat schwanger. Also gab es einen Mann in ihrem Leben, einen Mann, mit dem sie offensichtlich eine ernsthafte Beziehung führte, auch wenn sie sich nicht an seinen Namen erinnern konnte.
John Maitland verstörte sie, und dieses Gefühl konnte sie im Moment nicht gebrauchen. Sie mochte ihr Gedächtnis verloren haben, aber nicht ihren Verstand.
Völlig verwirrt von Johns Wirkung auf sie, von der nüchternen Realität und dem unbehaglichen Gefühl von Verletzlichkeit atmete sie tief durch und drehte sich zu ihm um. Sie lächelte, obwohl ihre Augen vor Tränen brannten. „Cora ist schlimmer als eine Glucke. Kekse, um Himmels willen!“
Sogar in ihren eigenen Ohren klang ihre Stimme falsch, und sie zuckte innerlich bei jedem übertrieben fröhlichen Wort zusammen. Sie wusste nicht, warum sie beweisen wollte, dass sie nichts von alledem hier berührte. Sie wusste nur, dass es auf einmal wichtig war, diesen Mann hier wissen zu lassen, wie stark und kompetent sie war. Und dass sie alles unter Kontrolle hatte.
Ohne ihn anzusehen, ließ sie den Mantel über ihre Schultern gleiten und legte ihn über die Tasche. „Ich danke Ihnen sehr, dass Sie noch mal vorbeigekommen sind, aber jetzt muss ich auschecken.“
„Hannah.“
„Meine Entlassungspapiere sind noch nicht unterzeichnet, und ich habe noch eine Million Dinge zu tun.“
Sie zuckte zusammen, als ein Paar starker Hände sich sanft um ihre Oberarme schloss. Sie wusste nicht, warum, aber etwas in ihr drängte sie, ihn nicht anzusehen. Er sollte sie nicht in ihrer wahren Verfassung sehen. Nicht mit ihrem verbeulten Gesicht und den Tränen, die ihr in den Augen standen. Er sollte ihre Angst nicht spüren und nicht ihre aufgewühlten Gefühle. Sie kannte diesen Mann nicht, aber sie ertrug den Gedanken nicht, dass sie ihm leidtat.
Langsam drehte er ihr Gesicht zu ihm. „Warum geben Sie sich jetzt so tapfer?
Hannah wich seinen wachen Augen aus. „Ich weiß nicht, was Sie meinen.“
„Ich weiß, dass das hier nicht leicht für Sie ist. Sie müssen nicht …“
„Mir geht es gut – und nur fürs Protokoll: Sie können aufhören, mich wie ein rohes Ei zu behandeln.“ Das war relativ dumm von ihr, denn die verdammten Tränen bahnten sich bereits ihren Weg über Hannahs Wangen, wobei sie den letzten Rest von Hannahs Würde mit sich nahmen. Entschlossen, ihre Gefühle zu zähmen, hob sie die Hand und wischte sich die Tränen mit dem Verband ab. Sie wollte sich niemals die Blöße geben und die Kontrolle über ihre Gefühle verlieren, wenn dieser Mann so nah bei ihr stand. Denn dann lief sie Gefahr, sich in seine Arme zu flüchten und zuzulassen, dass er noch einmal seine starken Oberarme um sie schloss. In einer kleinen Ecke ihres Kopfes fragte sie sich, was der Vater ihres ungeborenen Kindes wohl dazu sagen würde.
Der Gedanke schreckte sie so, dass sie einen Schritt zurücktrat, um eine sichere Distanz zwischen ihnen zu schaffen. „Müssen Sie nicht wieder irgendwelche Leute retten?“
Er lupfte seine dichten dunklen Augenbrauen. „Hören Sie, ich hatte keine Hintergedanken, als ich Ihnen den Mantel gebracht habe. Ich dachte nur …“
„Es liegt nicht am Mantel, für den ich Ihnen sehr dankbar bin. Sie sollen nur wissen, dass ich die Situation unter Kontrolle habe.“
„Sicher.“
„Ich muss nicht mehr gerettet werden.“
„Ich bin auch nicht hier, um Sie zu retten.“
„Dann ist ja gut. Ich will nicht, dass Sie einen falschen Eindruck von mir bekommen.“
„Das würde mir im Traum nicht einfallen.“
„Ich komme mit der Situation gut zurecht.“
„Das ist unübersehbar.“ Er zog ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und reichte es ihr. „Hier.“
Hannah nahm es und wischte sich die Tränen von den Wangen. Gut, sie hatte ein wenig die Fassung verloren, aber reagierten nicht alle Schwangeren ein wenig überemotional? Sie wusste ja nicht einmal, woher diese verdammten Tränen überhaupt kamen. Sie wusste nur, dass sie große Angst hatte, dass sie allein war und sich so verloren vorkam, dass sie es bis in die Magengrube spürte.
Er legte eine Fingerspitze unter ihr Kinn und zwang sie so, ihn anzusehen. „Es ist okay, Angst zu haben.“
Ihr erster Impuls war, es zu leugnen. Etwas in ihr setzte Angst zu haben mit Schwäche gleich. Doch ihr Drang, auf eigenen Beinen stehen zu wollen, stark zu sein und alles unter Kontrolle zu haben, musste irgendetwas mit ihrer Vergangenheit zu tun haben. Mit einem Vorfall, der sie für immer verändert und eine tiefe Wunde in ihrer Psyche hinterlassen hatte.
Sie löste sich von ihm und sah ihm in die Augen. „Ich habe keine Angst“, sagte sie. „Ich bin nur ein wenig unruhig.“
„Unruhig?“ Er besaß doch wirklich die Frechheit, sich darüber zu amüsieren. „Ich hätte fürchterliche Angst, wenn ich an Ihrer Stelle wäre.“
Hannah blickte auf ihre hässlichen Schuhe und spürte, wie ein hilfloses Lachen in ihr aufstieg. „Das sagen Sie nur, damit ich mich besser fühle.“
„Ich sage nie etwas, das ich nicht meine, Rotschopf.“
Das bezweifelte sie nicht. Der Mann war direkt und sehr eindringlich. Ihr Herz klopfte viel zu schnell. Sie musste schlucken, wusste aber nicht, ob es ihr auch gelingen würde, also ließ sie es. Stattdessen sah sie in seine blauen Augen. Seine beeindruckende Größe, die Intensität seines Blicks und sein klarer maskuliner Duft lähmten ihre Gedanken.
„Ich muss mich darum kümmern, abgeholt zu werden“, flüsterte sie und trat zurück. „Danke noch mal für den Mantel.“
Er warf einen Blick aus dem Fenster. „Da kommt viel Schnee auf uns zu. So wie ich Angela Pearl kenne, hat sie vermutlich keine Schneeketten an ihrem Van oder an irgendeinem ihrer anderen Fahrzeuge.“
„Sie kennen sie?“
„Sie war Sanitäterin in Denver – ein paar Jahre, bevor ich bei der Rocky Mountain Search and Rescue angefangen habe. Angela und ich kennen uns schon lange. Sie werden sie mögen. Ihr Heim ist ein guter Ort.“ Er betrachtete sie nachdenklich. „Was meinen Sie, wollen wir den Van vergessen, und ich fahre Sie stattdessen hin?“
John war lange kein solches Weichei mehr gewesen. Vermutlich würde er es irgendwann bedauern, Hannah angeboten zu haben, sie zu fahren. Aber als er in ihren sanften Augen die widerstreitenden Gefühle zwischen Angst, Unsicherheit und Mut aufglimmen sah, wusste er, dass er nicht so einfach weggehen konnte. Selbst wenn es ihm seine Instinkte rieten.
Er hatte in seinem Leben viel zu oft weggeschaut, wenn Frauen in irgendwelchen Schwierigkeiten steckten. Als Junge hatte er nichts dagegen unternehmen können. Als Mann wusste er jedoch nur zu gut, wozu er in der Lage war. Er fragte sich, wie Hannah wohl reagieren würde, wenn sie erfuhr, was beim letzten Mal geschehen war, als er sich eingemischt hatte.
John kannte seine Herkunft und wusste, wo er stand. Genauso wusste er, warum er ständig das Gefühl hatte, dafür büßen zu müssen. Und ob sein Helfersyndrom ihm nun über seine Vergangenheit hinweghalf oder ein tödlicher Makel war, er kannte sich nur zu gut, um zu wissen, dass er Hannah jetzt nicht allein lassen konnte.
Seine Mission war im Grunde eindeutig: Bring sie ins Heim und vergiss sie. Aber schnell merkte er, dass nichts eindeutig war, wenn es um die Gefühle ging, die diese Frau in ihm weckte. Ihre Situation berührte einen wunden Punkt in seinem Herzen. Seitdem er sich aus dem Hubschrauber abgeseilt hatte, ging ihm Hannah nicht mehr aus dem Kopf. Das war tödlich für einen Mann wie ihn, der stolz darauf war, jede schwierige Situation zu lösen, indem er ging. Er sagte sich, dass die clevere Exprostituierte Angela Pearl schon dafür sorgen würde, dass sich Hannah in Sicherheit befand. Wer auch immer ihr diese Verletzungen zugefügt hatte, er würde keine Chance bekommen, sein Werk zu vollenden. Aber John wusste auch, dass es keine Garantien gab. Und zum ersten Mal in seinem Leben fragte er sich, ob es wirklich gut war, sich so schnell wie möglich zu verabschieden.
Sein Verstand sagte ihm, dass er ihr nicht helfen musste. Er konnte jederzeit gehen, wenn ihm danach war, immerhin hatte er die Kontrolle. John Maitland hatte immer alles unter Kontrolle. Wie wichtig das war, hatte er an jenem Tag vor dreizehn Jahren gelernt, als er die Mietwohnung in Philadelphia verließ. Es war ihm eine Lehre gewesen, bei der er einen Teil seiner Menschlichkeit eingebüßt hatte. Ihm war ein Stück seiner Seele herausgerissen worden, und diese Wunde vermochte niemand zu schließen. Gerade deshalb verhielt er sich in Herzensangelegenheiten seitdem weitaus klüger.
Der brutale Wind schlug ihm ins Gesicht, als sie über den Parkplatz des Krankenhauses zu seinem Jeep gingen. Aus einem finsteren Nachmittagshimmel fiel immer wieder dichter Schnee. Hannah kuschelte sich neben ihm in ihren neuen Mantel. Ihre Haare wehten im Wind wie feinste orientalische Seide. Selbst aus einem halben Meter Entfernung roch er ihren intensiven Duft. Es war eine erregende Mischung aus Wildblumen und der geheimnisvollen Essenz der Weiblichkeit. Der Duft ging John nicht mehr aus dem Sinn, seitdem er ihr Geschirr an seines gekoppelt und sie in seine Arme genommen hatte. Er verfolgte ihn bis in seine tiefsten Träume und beeinträchtigte sein Denkvermögen.
Er wusste nicht, wie genau es ihr gelungen war, aber diese Frau hatte die Mauer, die er in jahrelanger, mühevoller Arbeit um sein Herz errichtet hatte, mit kaum mehr als einem Blick durchbrochen. Die Erkenntnis, dass sie ihn berührte, verstörte ihn weit mehr, als er zugeben wollte. John fragte sich, wohin dieser Bruch seiner eisernen Regel wohl führen würde und ob er es am Ende wohl bitter bereuen würde.
Kurz darauf erreichten sie seinen allradgetriebenen Jeep. John öffnete Hannah die Tür und half ihr sicher einzusteigen, ohne sie dabei zu berühren. Nachdem er ihre Tasche auf dem Rücksitz verstaut hatte, setzte er sich hinter das Lenkrad und startete den Motor.
Hannah brach das Schweigen, als er seine Tür hinter sich schloss. „Vielen Dank, dass Sie mich fahren.“
„Kein Problem.“
„Ich frage mich nur, warum Sie das für mich tun.“
John hatte sich einen Großteil des Morgens die gleiche Frage gestellt. Er konnte nicht leugnen, dass sein Anfall von Samaritertum anfangs auf nichts anderem als der guten alten Anziehung fußte. Ausgeblichene OP-Hosen oder nicht, diese Frau konnte jedem noch so hartgesottenen Mann den Kopf verdrehen, selbst ihm. Aber John wusste mit seinen Bedürfnissen umzugehen. Das hatte er sich in seiner Zeit hier in Colorado immer wieder bewiesen.
Er folgte seinem Kodex der Kontrolle nun schon so viele Jahre, und nicht einmal eine attraktive, verletzliche Frau in Not würde ihn dazu bringen, ihn zu verletzen. Dass sie im dritten Monat schwanger war, kam ihm dabei natürlich zugute. Das Letzte, was er in seinem Leben gebrauchte, war eine Beziehung zu einer schwangeren Frau, die zu einem anderen Mann gehörte.
Also warum zum Teufel fuhr er sie jetzt zu dem Frauenhaus?
„Sie meinen, abgesehen davon, dass ich ein toller Kerl bin?“, fragte er nach einer Weile.
Sie warf ihm einen Blick zu. „Ich meine, angesichts der Tatsache, dass ich, Sie wissen schon, dass ich Sie mit einer Pistole bedroht habe.“
„Oh, das!“
„Ich hätte das vermutlich persönlich genommen.“
Er zuckte mit den Schultern. „Ich gebe zu, dass das nicht der übliche Empfang war, wenn ich eine unterkühlte Patientin rette, die sich an eine Felswand klammert.“
„Es tut mir leid, dass ich Ihnen das angetan habe. Ich kann nicht aufhören, daran zu denken, was passiert wäre, wenn …“ Weiter kam sie nicht.
„Es ist nichts passiert. Machen Sie sich darüber keine Sorgen mehr.“
„Ich sorge mich aber, weil ich nicht weiß, was für ein Mensch ich bin.“
„Ich glaube, dass ich Menschen ziemlich gut einschätzen kann, Rotschopf. Und falls die Amnesie Sie nicht in Jekyll und Hyde verwandelt hat, sind Sie eine fabelhafte Frau.“
Ein Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel, und Johns Herzschlag setzte aus. Mann, wenn ihr das mit nur einem angedeuteten Lächeln gelang, wollte er nicht wissen, was ihr Lachen mit ihm anstellen würde! Weil er nicht zu lange darüber nachdenken wollte, legte er einen Gang ein und fuhr los.
„Warum hatte ich eine Pistole?“, fragte sie. „Und wieso habe ich sie auf Sie gerichtet?“
„Vielleicht dachten Sie, ich wäre jemand anderes und haben nur versucht, sich zu schützen.“ Johns Blick glitt zu ihrem Bauch. „Sich oder Ihr ungeborenes Kind.“
Sie drückte eine Hand auf ihren Bauch und erschauerte.
„Ist Ihnen kalt?“, fragte er.
„Nein. Ich bin nur besorgt.“
„Wer ist Richard?“
Sie zuckte sofort zusammen. „Ich bin mir nicht ganz sicher. Der Name, er kommt mir bekannt vor.“
„Sie haben mich Richard genannt, nachdem Sie die Pistole gezogen haben.“
„Vielleicht ist das der Mann, der mir das angetan hat.“
„Das ist eine Möglichkeit, die wir in Betracht ziehen sollten.“
Sie beugte sich vor und vergrub ihr Gesicht in den Händen. „Es wird immer schlimmer.“
John warf ihr einen Blick zu. Er hasste es, dass sie wieder so blass geworden war. „Sie müssen die Polizei einschalten, Hannah.“
Mit einem tiefen Atemzug setzte sie sich auf und ließ sich gegen die Rückenlehne sinken. „Ich weiß.“
„Wir können die Blutergüsse nicht ignorieren.“
Eine tiefe Besorgnis beschlich sie wie eine Gewitterwolke, die alles unter sich verdunkelte. Er wollte nicht derjenige sein, der sie in diese Richtung drängte, aber wenn sie wirklich misshandelt worden war, durfte sie es nicht verharmlosen. Er wusste aus eigener Erfahrung, dass es nie gut endete, wenn man sie ignorierte.
„Sie müssen mit der Polizei reden und sicherstellen, dass sie eine Beschreibung von Ihnen und den Umständen haben, unter denen Sie gefunden wurden. Wenn es eine Vermisstenmeldung gibt und Sie auf die Beschreibung passen, können die Beamten Sie so einer Person zuordnen.“
„Was, wenn sie meine Fingerabdrücke nehmen und feststellen, dass ich eine geflohene Strafgefangene bin oder so?“
Sie meint es wirklich ernst, dachte er und unterdrückte ein Lächeln. „Glauben Sie mir, Rotschopf, Sie sind keine entflohene Strafgefangene.“
„Ich hätte Sie umbringen können, John.“
„Aber das haben Sie nicht.“
„Das ist nicht der Punkt.“
Obwohl er sich ziemlich sicher war, dass sie die Pistole niemals gegen ihn gerichtet hätte, wunderte er sich, warum sie überhaupt eine Waffe bei sich hatte. „Buzz Malone ist ein ehemaliger Polizist. Ich werde mit ihm reden und ihn fragen, ob er weiß, wie wir Sie identifizieren können. Er kennt vielleicht ein paar Abkürzungen, um die Sache etwas zu beschleunigen.“
„Danke. Das weiß ich sehr zu schätzen.“ Sie fummelte an dem Verband an ihren Fingern herum. „Vielleicht habe ich ja eine Familie, die nach mir sucht.“
John verspürte ein seltsames Gefühl, doch er weigerte sich, ihm nachzugehen. „Ja, vielleicht.“
„Es ist ja jetzt erst vierundzwanzig Stunden her, seitdem Sie mich gefunden haben. Vermutlich wird in diesem Moment gerade eine Vermisstenmeldung rausgegeben.“
John nickte. Zu spät fiel ihm auf, wie allein sie sich fühlen musste und dass sie nur eine tapfere Miene aufsetzte. Ob sie wohl wusste, wie sehr ihre Hände zitterten? „Ich rufe die Rocky Mountain News an. Ich kenne dort einen Reporter, dem ich Ihre Geschichte erzählen kann. Vielleicht hat er ja Interesse daran und veröffentlicht einen Artikel über Sie, über den Sie jemand erkennt.“
„Gute Idee.“ Ihre Miene erhellte sich. „Vielleicht könnten wir sogar die örtlichen Fernsehsender überzeugen, ein Foto von mir zu senden.“
John riskierte einen Blick zu ihr. Sie lehnte sich tief in ihren Mantel gekuschelt in ihrem Sitz zurück und schloss die Augen. Er versuchte, nicht auf ihre vollen Lippen zu achten oder ihre Haare, die sich wild über ihre Schultern lockten. Noch nie hatten ihn die Haare einer Frau so sehr angezogen. Bisher hatten ihn Rothaarige nie sonderlich interessiert, auch wenn er jetzt nicht mehr wusste, woran es lag. Was hatte diese Frau nur an sich, dass er jedes Mal seinen gesunden Menschenverstand verlor, sobald er sie nur ansah?
Er war so in seine Gedanken vertieft, dass ihm der SUV erst auffiel, als er schon neben seinem Jeep fuhr. Ungeduldige Fahrer nervten John höllisch. Er konnte gar nicht mehr zählen, wie viele Unfälle von Rasern und anderen unvorsichtigen Typen verursacht wurden.
„Komm schon, du Idiot“, murmelte er.
Der Wagen scherte plötzlich in Richtung des Jeeps aus. Adrenalin schoss durch Johns Adern, als das Auto die gelbe Linie überfuhr und auf seine Spur kam. Er riss das Lenkrad nach rechts, doch der SUV hielt drauf.
„Was zum Teufel?“ Er hatte kaum Zeit, Hannah zu warnen, als der SUV ihm auch schon in die Seite krachte. „Halten Sie sich fest!“
Der Jeep brach unter dem Aufprall aus. John kämpfte mit dem Lenkrad und schaute gerade rechtzeitig auf, um zu sehen, wie der SUV groß und bedrohlich wenige Zentimeter von seiner Seitenscheibe entfernt aufragte. Er trat auf die Bremsen und merkte erst dann, dass seine Reifen ihren Grip verloren hatten.
Das Quietschen von Gummi auf Asphalt erfüllte die Luft. Hannahs Schrei erhob sich über das Röhren des Motors. Der Jeep geriet ins Schlingern. John fluchte, als der Jeep sich zu drehen begann. Wie in Zeitlupe sah er die Leitplanke in erstaunlicher Schnelligkeit auf sich zukommen. Als der Jeep darauf zuschoss, versuchte er, nicht an die Frau und ihr ungeborenes Kind zu denken, deren Schicksal jetzt in seinen Händen lag, und auch nicht an den hundert Meter tiefen Abhang auf der anderen Seite der Leitplanke.