20
Lisa tat sich wirklich schwer. Die Sonne stand niedrig am Himmel. Sie gingen ungefähr eine Viertelmeile weit, bevor sie anhalten mussten. Lisa zeigte zu der Wohnsiedlung auf der Anhöhe.
»Wir müssen … mein Haus …« Sie war außer Atem und schweißgebadet. Cooper blickte zurück. Noch hatten sie Zeit. Er begann, die Fahrzeuge zu durchsuchen, bis er eines mit steckendem Schlüssel und ohne Zombies fand, das obendrein groß genug für Lisa war, einen Pickup-Truck. Er ließ ihn an und schob den Wagen davor langsam aus dem Weg. Nachdem er auf der Straße zurückgesetzt hatte, stieg er wieder aus. Er ging herum, doch Lisa ließ bereits die Heckklappe hinunter.
»Ich gehe hinten drauf.«
Cooper half ihr, sich auf die Ladefläche zu setzen, woraufhin sie sich mehr oder weniger auf den Rücken legte und rutschte, so weit sie konnte. Ana saß schon im Führerhaus und wartete darauf, dass sie aufbrachen. Cooper fuhr los, den Highway hinauf, wobei er beobachten konnte, wie die Toten hinter ihnen kleiner wurden.
***
Cooper legte ungefähr zwei Meilen auf der Fernstraße zurück, während die Zahl der liegengebliebenen Fahrzeuge ringsum abnahm, bis der Weg frei war. Anscheinend hatte sich der lange Stau aus dem großen Auffahrunfall ergeben. Als sie das Pförtnerhaus erreichten, lenkte er auf den grasbewachsenen Straßenrand ein, überquerte die Zufahrt und hielt sich auf der kurvigen Strecke, die an dem Häuschen vorbeiführte, den Hügel hinauf zu einem zweiten Tor.
Dort fingen ihn drei bewaffnete Männer ab. Lisa stieg schwerfällig von der Ladefläche und trat vor.
»Ich bin es, Jungs.«
Ein älterer Mann lief hinüber und nahm sie in den Arm. Beide strahlten vor Freude. Die anderen beiden nahmen ihre Gewehre zwar nicht herunter, entspannten sich aber sichtlich.
»Ich dachte, du wärst tot! Wir konnten dich nirgendwo finden.«
»Ist eine lange, peinliche Geschichte«, erwiderte sie.
Dann stellte sie ihn Cooper vor: »Das ist mein Nachbar, Mr. Alfred.«
»Danke, dass Sie uns Lisa zurückgebracht haben, nur ziehen Sie all die Toten aus dem Umkreis hinter sich her.« Er zeigte ins Tal, und tatsächlich: Die Zombies, Tausende von ihnen, strömten wie ein träger Fluss aus dunklem Schlamm vom Highway aus über die Wiesen.
»Keine Bange«, beschwichtigte Cooper. »Ich werde sie von hier fortlocken. Kann meine Freundin Ana bei Ihnen bleiben?«
»Nein, ich möchte mit dir kommen«, widersprach sie heftig.
Lisa wandte sich an ihn: »Kommst du zurück, wenn du die Toten abgewimmelt hast?«
»Ich kann es versuchen. Aber vorher muss ich meine Schwester holen.«
Ana war wütend. »Ich wusste, du lügst, genauso wie alle anderen. Du hast mir versprochen, ich müsste nirgends bleiben, wo ich nicht sein will.«
Cooper wusste nicht, was er antworten sollte. »Ich schätze …«
Lisa schritt ein. »Komm mit mir. Ich habe ein Haus hier, und dort kannst du bleiben.« Sie führte Ana beiseite und sprach leise weiter. Das Mädchen blieb stehen, schaute nach ein paar Augenblicken zu Cooper zurück und winkte. Dann lief sie zu ihm und drückte ihn.
»Vielen Dank«, sagte sie.
»Es könnte ein Weilchen dauern, aber ich werde wiederkommen.«
»Okay.« Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange.
Lisa war ebenfalls noch einmal zurückgekommen. »Ich kann dir nicht oft genug danken. Hoffentlich schaffst du es wirklich wieder hierher.«
Sie und Ana hielten einander an den Händen, als er zum Abschied winkte.
***
Als Cooper wieder auf dem Highway war, fing er an, auf die Hupe des Pickups zu drücken und zu schreien. Dann stellte er sich aufs Trittbrett, um nach den Toten zu schauen, die nun allesamt in seine Richtung strömten, fort von der Siedlung. Nachdem er noch ein paar Mal gehupt hatte, rückten sie immer dichter heran. In der Dämmerung konnte er die Leiber hinter sich nur noch vage erkennen.
Der Truck rumpelte im Schneckentempo vorwärts. Cooper musste weiterhin wiederholt anhalten und warten, dass die Zombies aufschlossen. Er benutzte sein Zielfernrohr, um sie zu beobachten, doch es war bereits so finster, dass er sie erst erkannte, als sie sehr nahe waren. Wie viele ihm folgten, konnte er nicht abschätzen.
Nach fast zwei Stunden nahm er an, dass alle Toten von der Wohnsiedlung abgerückt waren. Er fuhr vom Highway ab und im Dunkeln über ein weites, offenes Feld, auf dem nur Gras wuchs, ehe er auf einen breiten Entwässerungsgraben aus Beton stieß. Er hatte gehofft, einen solchen zu finden, weil er in den letzten Tagen schon viele gesehen hatte. Sein Plan sah vor, die Toten hineinzutreiben. Das würde sie aufhalten. Der Kanal war perfekt: breit und tief.
Allerdings musste er sie nicht bloß in die Nähe führen, sondern direkt hinein, was bedeutete, dass er mit dem Truck hinunterfahren musste. Doch das war unmöglich, ohne ihn zu Schrott zu fahren: Die Wände an den Seiten fielen jeweils etwa fünf Fuß ab, bevor das Bett des Grabens zur Mitte hin langsam abflachte. Cooper suchte sich einen dicken Stein und legte ihn auf das Gaspedal in den Fußraum. Dann brachte er den Schalthebel in Fahrstellung, woraufhin der Wagen langsam anrollte. Es krachte laut, als der Truck in den Kanal stürzte. Cooper war froh, nicht mehr drinzusitzen.
Als er hinterhersprang, befürchtete er, dass der Wagen zu stark beschädigt war, doch der ließ sich sofort wieder starten. Erneut hupte er mehrmals. Dann stellte er den Truck ab und lauschte. Nichts zu hören. Er schaltete das Radio ein und suchte den Notfunk; die Tonbandaufnahme einer menschlichen Stimme, die sich ständig wiederholte, schien für seine Zwecke geeignet. Er drehte lauter.
Cooper stieg auf der anderen Seite aus dem Kanal und wartete. Nach kurzer Zeit trug der Wind eine Woge stöhnender Laute heran. Der Geräuschpegel stieg in der Finsternis schnell an, bis alles in einem Brausen aufging, als Tausende Leiber auf den Beton stürzten. Glieder knackten und brachen, Kiefer knirschten beim Aufprall von Schädeln auf Stein. Cooper ging zügig weiter. Der Wind trug den Gestank des Todes hinter ihm her.
Er hoffte sehr, dass sie nicht aus dem Graben steigen konnten. Immerhin hatte er viele Male beobachtet, dass sie Probleme mit Hindernissen hatten, die über Brusthöhe reichten.
Sterne lugten hinter den Wolken hervor. Das wenige Licht war gerade ausreichend, um zu erkennen, wo er sich befand. Cooper ging zurück zum Highway. Alles blieb still. Auf diesem Abschnitt gab es weder Fahrzeuge noch weitere Tote. Er fühlte sich erleichtert. Auf dem festen Grund kam er schneller voran und konnte sich an den weißen Markierungen orientieren. So zog er weiter gen Norden, bis er auf ein fahrbahnüberspannendes Highway-Schild stieß. Sprossen führten daran hinauf zu einem Personensteg, der vor dem Schild verlief. Dort oben und außer Sicht im Dunkeln würde Cooper sicher sein. Da hinauf konnte kein Zombie klettern.
Mitten in der finsteren Nacht, während Cooper hoch über dem Highway 101 lag und fest schlief, fuhr viele Meilen weiter südlich ein anderer Pickup-Truck gen Norden. Er brummte durchs Dunkel, langsam und stetig, während der Fahrer die dicke, schmerzende Beule an seinem Hinterkopf rieb. Er fluchte zwar jedes Mal, wenn er sie berührte, konnte es aber dennoch nicht lassen.