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Cooper stockte … exakt zwei Sekunden lang, denn so lange dauerte es, bis er begriff, dass der Mann mit der Waffe im dürftigen Licht des Raumes hinter der Tür auf einem Poster abgedruckt war, das jemand an die hintere Wand geheftet hatte.

Der Raum schien einmal eine Toilette gewesen zu sein. Die Wand zu seiner Linken hatte man grob durchbrochen, und dahinter befanden sich eine weitere Toilette, die auch als solche diente, sowie eine Küche und eine Vorratskammer. Der ursprüngliche Eingang zu dieser Toilette war unzugänglich und wurde von einem kleinen Kühlschrank versperrt. Cooper entdeckte ein paar Päckchen mit der Aufschrift ›MRE‹, Einmannpackungen der US Army. Eine davon öffnete er und fing zu essen an, während er sich weiter umschaute. Als er mit einer Plastikgabel klebrige Masse in seinen Mund stopfte, kam es ihm vor, als hätte ihm noch nie etwas so gut geschmeckt. Er entsann sich, dass vor dieser Tür im Laden eine große Vitrine stand, die ein Durchkommen völlig unmöglich machte.

Cooper trat durch das behelfsmäßige Loch in der Wand und durchstöberte die Werkstatt. Auf Regalböden an den Wänden standen reihenweise Handbücher für unterschiedliche Waffen, Einzelteile stapelten sich in Schachteln oder anderen Behältern, und Munition in Kästen war ebenfalls vorhanden. Auf der Werkbank verstreut lagen die Teile eines halb vollendeten Projekts, dessen Pläne an der Wand darüber aufgehängt waren. Allem Anschein nach hatte jemand einen Schalldämpfer für eine Pistole bauen wollen.

Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, entdeckte er ein Paar Holzgriffe, von welchen ausgehend Drähte unter ihr hindurchführten. Damit konnte man den Schrank auf der anderen Seite der Wand zurückbewegen. Cooper atmete erleichtert auf. Er fühlte sich vorerst sicher. Während er aß, las er die Pläne für den Schalldämpfer durch.

Später, als die Sonne unterging, durchsuchte er den Laden, trieb mehrere Kerzen auf und suchte Kleider, die ihm passten. Der alte Obdachlose hatte Recht gehabt – seine Klamotten machten ihn zu einer Piñata, einem bunten Hund. Nun fand er trockene Socken, eine schwarze Hose, ein olivgrünes T-Shirt und einen ebenfalls schwarzen Kapuzenpulli, der ihm aber viel zu groß war. Da er keinen passenden Pullover in der gleichen Farbe fand, griff er zu einem dunkelgrauen.

Als er sich dann in einer Glasscheibe betrachtete, fühlte er sich wegen der breiten Kapuze an den personifizierten Schnitter erinnert. Er besaß nun zwei Waffen sowie dazu passende Munition an Gürteln und in Taschen, nicht zu vergessen ein langes, scharfes Messer, das er sich ans Bein geschnallt hatte, und den ausziehbaren Schlagstock, der mit dem Nylonband um sein Handgelenk im rechten Ärmel des Pullis steckte.

Am Morgen, als die Sonne aufging, war er marschbereit. Zunächst griff er aber zu einer weiteren Einmannpackung und riss sie auf. Diesmal untersuchte er den Inhalt genauer und stieß auf einen sogenannten flammenlosen Erhitzer. Er folgte der Anleitung und staunte nicht schlecht, dass das Essen heiß wurde. Nachdem er sich noch einmal in der Werkstatt umgesehen und nichts Brauchbares mehr gefunden hatte, marschierte er los.

Cooper ging hinaus, kletterte aufs Dach des Gebäudes und fasste die Umgebung ins Auge – doch nichts Ungewöhnliches war zu sehen.

Unter seinem Kapuzenpullover steckten zwei .22er Pistolen mit Schalldämpfer. Er testete sie und hörte ein klagloses Klicken, als der Hahn nach vorne schlug. Es gab ihm ein sicheres Gefühl, sie zu tragen. Sie hingen an Bändern, die er sich um die Schultern gelegt hatte, um sie leicht ziehen und wieder verstecken zu können. Beim Gehen nahm er sie kaum wahr.

***

Cooper brachte einige Meilen des gewaltigen Ackerlands hinter sich. Es verliefen zahlreiche unbefestigte Straßen zwischen den Feldern, was das Vorankommen deutlich vereinfachte.

Gelegentlich sah er ein Haus oder größere Gebäude, hielt aber Abstand. Einmal, als ihm anhand einer aufgewirbelten Sandwolke ein Fahrzeug auffiel, ging er in Deckung und sah ihm hinterher, bis es verschwunden war. Er nahm mit den Äckern vorlieb, um die Hauptstraßen und Highways in der Gegend zu meiden.

Am Nachmittag erreichte er eine zweispurige Straße – die 156, den Verbindungsweg vom Küstenhighway zur 101. Er musste sie überqueren und in Richtung Prunedale vorstoßen. Nach Norden hin wollte er versuchen, sich dicht an der 101 zu orientieren. Da ihn eine direkt dorthin verlaufende Strecke in zerklüftete hügelige Gefilde voller Kleinstädte bringen würde, ehe das Land in Wildnis und Berge überging, wäre es schneller, wenn er die Santa Cruz Mountains auf längerem Umweg aussparte. Sie zu überwinden, konnte Wochen dauern, zumal er sich dort leicht verirren oder verletzen konnte. Am besten beraten war er, wenn er im Tal und in der Nähe der Schnellstraße blieb, die durch dessen Mitte führte.

An der Kreuzung von 156 und 101 blieb er stehen, um sich gründlich umzusehen. Niemand, ob Zombie oder lebendig, schien sich hier aufzuhalten. Ihm fiel ein, wie unglaublich es war, dass er die Entfernung hierher mit einem Auto je nach Verkehrslage in rund 20 Minuten zurückgelegt hätte. Weil er die Toten meiden musste, hatte es Tage gekostet, einen Fußweg hierher zu finden. Nachdem er den Highway 156 vorsichtig überquert hatte, gelangte er durch einen lichten Wald zu einem Parkplatz. Durch die Bäume machte er ein Einkaufszentrum aus, hatte aber bereits entschieden, es zu meiden.

Da fiel ihm eine Bewegung auf. Beim Einkaufszentrum trieben sich Menschen herum, doch ob lebend oder tot, konnte er auf die Entfernung nicht sehen. Er stand etwa 100 Yards entfernt und benutzte das Zielfernrohr, um herauszufinden, was da vor sich ging.

Ein Mann und eine Frau knieten am Boden. Zwei weitere Männer, jeweils mit einer Flinte, standen hinter ihnen. Die Waffen donnerten durch die Stille, und die Köpfe der beiden explodierten wie reife Tomaten. Die Körper kippten leblos nach vorn. Ringsum standen noch mehr Männer. Sie lachten. Einer hielt ein junges Mädchen an den Armen fest.

Cooper nahm das Fernrohr herunter und überlegte, was er tun sollte. Nicht zu fassen, was er gerade gesehen hatte … Obwohl er wie festgewachsen stehenblieb und den Geschehnissen nicht mit rationalen Gedanken beikam, stellte sein Unterbewusstsein bereits mehrere schnelle Verknüpfungen her. Du weißt, du kannst das Mädchen nicht im Stich lassen, also was tun? Sein Körper setzte sich in Bewegung, während sich sein Geist weiter mit dieser Frage beschäftigte. Der vernünftige Teil seines Gehirns schrie: Stopp! Denk doch mal nach, Mann! Kehr um! Du wirst sterben!

Cooper lief geduckt zwischen stehengelassenen Autos über die Fahrbahnen der 101. Als er sich dem Parkplatz näherte, sah er insgesamt acht Mann herumstehen, die sich ausgiebig betranken. Ringsum lagen eine Menge Leichen. Anscheinend hatten die Kerle die Einfahrten mit Autos und Trümmern verbarrikadiert, um sich zu schützen. Die arme Familie kam wahrscheinlich her, um Lebensmittel zu erbetteln, schlussfolgerte Cooper. Das Mädchen kreischte, doch einer der Männer brachte sie mit einer Ohrfeige zum Schweigen. Cooper pirschte sich weiter an, stand dabei Ängste aus, verspürte aber auch eine unbändige Wut.

Das Mädchen konnte nicht älter als 16 sein. Welcher Mann war imstande, eine so junge Frau zu schlagen? Cooper wollte gar nicht weiterspinnen, was die Kerle noch mit ihr anstellen würden.

Der Mann, der sich an dem Mädchen vergriff, schleifte es über den Parkplatz, weg von den anderen, hinter ein Fastfood Restaurant. Cooper folgte ihm auf gleicher Höhe an der dem Highway zugewandten Seite des Gebäudes.

Er zielte aus einer Entfernung von nur wenigen Zoll mit beiden Pistolen auf den Kopf des ahnungslosen Mannes. Der schwitzende Rotnacken fummelte unwirsch mit einer Hand an seinem Gürtel, um sich die Hose herunterzuziehen, während er das Mädchen mit der anderen zu Boden drückte. Sie hatte ihre Augen vor Angst weit aufgerissen. Der Kerl kicherte vor sich hin, und von hinten sah Cooper seinen weißen Hintern. Dann begann er, an der Jeans seines Opfers zu nesteln. Dem Mädchen drohte eine brutale Vergewaltigung, doch es war so entsetzt, dass es sich nicht bewegen konnte.

Cooper ging es genauso. Eiskalter Schweiß war ihm am ganzen Körper ausgebrochen, und seine Hände zitterten, während in seinem Kopf enorme Kräfte im Widerstreit lagen. Eine junge Frau stand unmittelbar vor einer furchtbaren, unter diesen Umständen um ein Vielfaches schlimmeren Erfahrung, und Cooper selbst wurde in wenigen Sekunden entdeckt. Er hatte nur einen Ausweg – eine einzige Aktion ergab Sinn. Sollten das Mädchen und er dies heil überstehen, blieb ihm keine andere Wahl, aber trotzdem war er handlungsunfähig. Dieser wertlose Abschaum verdiente den Tod, doch Cooper konnte nicht abdrücken.

Zudem war er außerstande, einen klaren Gedanken zu fassen. In seinem Kopf herrschte Leere. Er starrte auf die wackelnden Spitzen beider Pistolenläufe und spürte, wie ihm der Schweiß über den Rücken und an den Beinen hinunterlief. Dann holte er tief Luft.

Das hörte der Widerling und drehte ruckartig seinen Kopf. Er blickte auf eine schwarz verhüllte Gestalt, die ihm zwei Pistolen direkt vors Gesicht hielt. Weil ihm die Hose bis zu den Fußgelenken hinuntergerutscht war, konnte er keine raschen Bewegungen machen. Deshalb hielt er eine Hand hoch, während er sich mit der anderen aufstützte.

Die Kopfbewegung, der kalte Blick, das Grinsen mit abgebrochenen Zähnen holten Cooper in die Realität zurück. Allerdings konnte er immer noch nicht handeln.