V.
»Seid’s ihr sicher?« Robert Mayr klemmte sich das Telefon zwischen Ohr und Schulter und versuchte gleichzeitig, sich im Sitzen einen Schuh zu binden. »Was? Ich versteh nicht!« Mayr ächzte leise, denn Telefonieren und dabei Schnürsenkelentknoten, gehörten für ihn für gewöhnlich nicht zusammen. Er hatte nicht bedacht, dass ihm bei der ungewohnten Leibesübung nicht nur das Telefon, sondern auch sein Bauch im Weg war. Wobei Martina statt vom Bauch gerne auch von seiner erweiterten »erotischen Nutzfläche« sprach.
»Was? Nein, mir ist nicht schlecht. Mir geht’s gut. So, ja.« Robert Mayr richtete sich auf. Seine Augen schmerzten. Das Blut war ihm in den Kopf geschossen.
Er nahm das Telefon wieder in die Hand. »Also, Kollege, ich fasse zusammen: Ernst Büschgens hat bisher unauffällig in Mönchengladbach gelebt und in diesem, diesem, also in diesem Nordpark ein Maklerbüro betrieben. Nordpark – sagt mir nix, wo ist das genau? Aha, im Westen. Nein, sagt mir immer noch nichts. Borussia? Aha.«
Robert Mayr zuckte mit den Schultern und suchte Papier und Kugelschreiber, um mitzuschreiben, was die Mönchengladbacher Kollegen bisher ermittelt hatten: Der 52 Jahre alte Büschgens war kinderlos, seit zwei Jahren Witwer, hatte eine 37 Jahre alte Freundin, mit der er aber nicht zusammenlebte, war seit 25 Jahren im Immobiliengeschäft, saß im Stadtrat und hatte entscheidend dazu beigetragen, dass dieser Nordpark mehr und mehr zum Dienstleistungs- und Szenequartier wurde. Büschgens Freundin hatte einen Job an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Die Wissenschaftlerin war in ihrer Oberkasseler Wohnung mit einem Weinkrampf zusammengebrochen, als sie vom Tod ihres Freundes erfuhr.
Offenbar hatte Büschgens sich mit ihr in Moosbach zur Ruhe setzen wollen. Sie wären zusammen in das alte Haus gezogen. Ob Büschgens in finanziellen Schwierigkeiten gesteckt hatte, wurde noch ermittelt. In seiner großzügigen Wohnung und in seinem Büro waren jedenfalls keine irgendwie auffälligen Unterlagen gefunden worden. Auch die Geschäftskonten waren auf den ersten Blick in Ordnung. Einen Geschäftspartner hatte der Makler nicht gehabt. Büschgens’ Sekretärin war schockiert über den Tod ihres Chefs. Beim Besuch der Ermittler hatte sie vor Aufregung den Glasballon mit dem frisch aufgebrühten Kaffee fallen lassen. Das halbe Büro sei mit Kaffeeflecken versaut worden. Diese Anekdote war der vorläufige Schlusspunkt. Mehr hatten die Kollegen auf die Schnelle nicht ermitteln können.
»Dann danke ich recht herzlich, Herr, äh, wie war Ihr Name? Schrievers? Ah ja. Servus, Kollege Schrievers. Ja, ja, wir bleiben in Verbindung.«
Robert Mayr legte auf. Diese Niederrheiner hatten einen merkwürdigen Singsang-Dialekt. Wie die Kölner. Und für sie war Borussia Mönchengladbach offenbar die einzig erwähnenswerte Fußballmannschaft. Als gäbe es keine Kleeblätter. Er schüttelte den Kopf. Über seine Greuther ging nix. Schon gar nicht wegen Martina, deren Opa väterlicherseits bei der SpVgg Greuther Fürth gekickt hatte. Bevor er ins Allgäu umgezogen war. Mayr seufzte. Nicht wegen des Opas, sondern wegen Martina. Seit er sie liebte, liebte er auch die Greuther.
Er warf den Stift auf die Schreibtischunterlage und rollte mit seinem Stuhl ein Stück zurück. Er legte den Kopf in den Nacken, massierte seine Schläfen und musterte nachdenklich die Zimmerdecke.
Ihm würde keine Wahl bleiben. Er würde zunächst die Mordkommission in Kempten belassen und die kommenden Tage in Moosbach verbringen. Keine schlechte Vorstellung. Martina war die nächste Zeit ohnehin nicht zu Hause. Aber auch sonst wäre sie sicher nicht mitgekommen. Sie zog sich stets zurück, wenn er einen Mord aufzuklären hatte. Sie wollte ihn in Ruhe arbeiten lassen. Außerdem, und das war der wahre Grund, hatte sie einmal im Streit erklärt, wollte sie seine Launen nicht ertragen müssen. Denn die waren während seiner Ermittlungen zugegebenermaßen kaum auszuhalten.
»Wenn du unsere Liebe nicht umbringen willst, dann komm erst zurück, wenn du deinen Mörder hast«, hatte sie bereits ganz zu Beginn ihrer Beziehung gescherzt. Aber er hatte gleich gewusst, dass sie es ernst meinte. Trotzdem war er damals ein bisschen gekränkt gewesen, heute konnte er Martina verstehen.
Robert Mayr stand auf und betrachtete missmutig die Tabelle der 2. Bundesliga, die er aus einem Sportheft herausgerissen und mit Reißnägeln an die Wand geheftet hatte. Die SpVgg stand tatsächlich auf Platz 15. Da gab es nichts zu deuteln.
Entschlossen wandte er sich ab, er hatte jetzt wirklich keine Zeit, sich darüber aufzuregen, er hatte einen Fall aufzuklären. Und dazu musste er raus aus seinem Büro.