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Andata Provinz, Diess IV

0947 GMT, 19. Mai 2007

Mike und Sergeant Green zerbrachen sich in den Tiefen des Megascrapers den Kopf darüber, wieso sich weder organisierter Widerstand einstellte noch der Feind einen Gegenangriff unternahm.

Die beiden befanden sich in einer kleinen Nische an einem der Hauptkorridore. Die heftigen Kämpfe um die eingekesselten Divisionen hatten zu erheblichen Schäden an diesem Teil des Baus geführt. Die Beleuchtung war schwach, die Eternalichter flackerten ständig, was auf Beschädigungen hindeutete. Lodernde Feuer verstärkten die blaugrüne Beleuchtung nicht etwa, sondern bildeten einen Kontrast dazu. In dem Bereich, in dem sie sich aufhielten, war hauptsächlich Leichtindustrie untergebracht, wie sie in allen Indowy-Megascrapers vertreten war; hier hatte sich hauptsächlich chemische Industrie angesiedelt. Die allgegenwärtigen Indowy-Gemälde wirkten aus der Sicht der Bildverstärker ihrer Anzüge düster und farblos und waren darüber hinaus von zahllosen Nadeln aus Railguns und sonstigem Beschuss beschädigt. Die Anlagen für fraktionierte Destillation in einer ganzen Anzahl von Räumen hatten unter dem massiven Beschuss lichterloh gebrannt.

In der letzten halben Stunde war Mike allmählich klar geworden, dass das Warten das Qualvollste an einem Gefecht war. In seinem Anzug steckend konnte er sich nicht einmal durch Herumzappeln scheinbare Erleichterung verschaffen und trat schließlich nach einem Trümmerteil auf dem Boden, bis ihm klar wurde, dass es sich um den Lauf und die Laufverkleidung eines M-16A2-Karabiners handelte. Er sah sich in der engen Nische um, entdeckte aber nirgends einen Hinweis auf den Besitzer der Waffe. Eine gemurmelte Anweisung an Michelle sorgte dafür, dass der Standort für die spätere Bergung registriert wurde, immer vorausgesetzt, dass das dann noch möglich war, wenn sie das Gebäude einmal gesprengt hatten.

»Unsere fünfundvierzig Leute hatten einhundertdreiundzwanzig Feindkontakte«, sagte er nach weiteren zehn Minuten, die er damit verbracht hatte, Bildschirmanzeigen zu studieren, »und bei nur drei davon hatten wir es mit disziplinierten Gruppen von Posleen zu tun.«

»Ihre hinteren Bereiche scheinen ziemlich aufgeweicht zu sein«, meinte Sergeant Green, der offenbar über die Geduld eines Heiligen verfügte.

»Yeah, stimmt, Sergeant. Das Problem ist nur, wie man da durchkommt. Und wenn die Truppen an der vorderen Front auch nur die leiseste Ahnung hätten, dass wir hier sind, dann würden sie sich auf uns stürzen wie die Heuschrecken.«

»Wie geht's denn den Leuten im Kessel?«

Mike warf einen Blick auf die schematische Darstellung und studierte die einzelnen Standorte. »Sieht so aus, als könnten sie für den Augenblick standhalten. Die Front steht einigermaßen.«

»Meinen Sie, dass die Shuttles den Feind abgelenkt haben, Sir?«

»Nicht für so lange. Und ich glaube auch nicht, dass der Verlust von vielleicht zehn Gottkönigen sie so nachhaltig durcheinander bringen könnte. Ich denke, die Überlebenden unserer gepanzerten Divisionen sind einfach verdammt gut.« Mike schnaubte. So war das immer, beim ersten Gefecht stellte sich häufig heraus, wer während des restlichen Krieges überleben oder sterben würde. Das war einer der Gründe dafür, dass kampferprobte Einheiten in der Schlacht so gefährlich waren – sie verfügten regelmäßig über einen Kern höchst fähiger Überlebenstypen.

»Ich schätze, die Posleen sind von der letzten Entwicklung gar nicht so begeistert, was Lieutenant?«, fragte der Sergeant. Möglicherweise begann das Warten jetzt auch ihm zuzusetzen.

»Nein, wahrscheinlich nicht«, erwiderte Mike. Er legte eine kurze Pause ein. »Und«, fügte er dann mit jetzt wesentlich lebhafter klingender Stimme hinzu, »die werden gleich eine herbe Überraschung erleben. Das letzte Team ist bereit.«

»Zeit zum Rock and Roll!«

»Und ob. Platoon«, rief O'Neal, und sein AID schaltete ihn automatisch auf Sendung. »Alle Mann durch die Tunnels nach festgelegten Vektoren zurückziehen. Sie haben fünfzehn Minuten, um minimale Sicherheitsdistanz zu erreichen! Viel Glück. Wir sehen uns dann in der Verarbeitungsanlage.«

»Gehen wir, Sar'nt.«

Sie setzten sich in Richtung auf die nächste Schleuse in Bewegung. Mike vergewisserte sich noch einmal, dass sämtliche Teams an ihren zugewiesenen Plätzen waren, und atmete dann erleichtert auf. In dem Plan gab es eine Unmenge Details, die eigentlich sein Scheitern garantieren sollten: Die Angst davor hatte an seinen Eingeweiden gefressen, und er empfand jetzt große Erleichterung. Beim Militär galt der eherne Grundsatz, dass man nicht mitten in der Schlacht seine Kräfte teilt, aber die zusätzlichen Möglichkeiten, die ihnen ihre Anzüge verschafften, und die Desorganisation im rückwärtigen Bereich der Posleen Streitkräfte machten es möglich, in Rekordzeit gewaltige Einsätze zu realisieren. Wenn sie eine brauchbare Methode fanden, die Front der Posleen aufzubrechen, dann war ein massiver Schlag in Zukunft die beste Methode, die Posleen zu besiegen. Außerhalb ihrer Horden waren sie für einen Mann in einem gepanzerten Anzug etwa ebenso gefährlich wie Moskitos, schmerzhaft zwar, aber kaum lebensbedrohend. Die Schwierigkeit würde darin bestehen, brauchbare Methoden zu entwickeln, um die Posleen von hinten anzugreifen und ihre Einheiten auseinander zu treiben.

Das Team arbeitete sich fast lautlos durch die Tunnels und stieß dabei immer wieder auf menschliche Körper und registrierte sie. In den meisten Fällen hielten sie kurz an, um den Toten die Erkennungsmarken abzureißen, wenn dafür genügend Zeit war. Das Platoon hatte als Sammelpunkt das Tiefgeschoss der Verarbeitungsanlage bestimmt, und eine Viertelstunde reichte bei weitem aus, um dorthin zu kommen.

Formal betrachtet befand sich der ganze Bau im Besitz der Posleen, aber sämtliche Verbände der Posleen waren voll damit beschäftigt, die stark mitgenommenen Überlebenden der Zehnten Panzergrenadiere im nächsten Megascraper aus ihren Stellungen zu vertreiben, und die einzigen Posleen in den Untergeschossen waren ungebundene Nachzügler.

Mike gab einen tödlichen Feuerstoß auf einen Posleen ab, der plötzlich vor ihnen auftauchte, und klappte seinen Helm auf. Das Kellergeschoss roch nach Seetang und Rauch, aber nicht nach verfaulenden organischen Stoffen; den Umständen nach waren die hygienischen Verhältnisse überraschend gut. Die Soldaten um ihn herum machten sich jetzt ebenfalls daran, ihre Helme aufzuklappen, und es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sie anfingen die Maschinenanlagen abzusuchen. Die Molekulardichtungen ihrer Halspartien waren als hell leuchtende Kreise im Halbdunkel zu sehen.

»Also gut, Leute«, sagte Mike, der jetzt zum ersten Mal die Gesichter der Soldaten zu sehen bekam, die er fast vierundzwanzig Stunden geführt hatte. Die Soldaten studierten ihrerseits den kleinwüchsigen Offizier, der sie durch die Hölle geführt hatte. Sie hatten jegliche menschliche Reaktion so weit hinter sich gelassen, dass Mike aus ihren Gesichtern nichts lesen konnte. Sie sahen ihn an wie Haie, mit toten Augen, die die Hölle gesehen hatten und die nichts mehr beeindrucken konnte. Einen Augenblick lang schauderte er, ließ es sich aber ebenso wenig anmerken wie die Soldaten um ihn herum.

Erst zwei Tage lag es zurück, dass er viele von ihnen gesehen hatte, ehe sie in Vorbereitung auf die kommende Schlacht ihre Anzüge angelegt hatten. Die meisten waren verängstigt gewesen und hatten sich deshalb besonders prahlerisch gegeben. Einige waren so aufgeputscht gewesen, dass sie dem Augenblick des Feindkontaktes geradezu entgegengefiebert hatten. Andere hatten ihre Angst deutlich gezeigt, waren aber bereit gewesen, ihre Pflicht zu tun. Doch jetzt waren sie alle Automaten. Er hatte sie aus der Kindheit in ein völlig anderes Land geführt, und in diesem Augenblick fürchtete er das Frankenstein-Ungeheuer, das er geschaffen hatte. Als Profi musste er jedoch damit fertig werden, und deshalb ließ er sich nichts anmerken.

»In eineinhalb Minuten werden die restlichen Ladungen hochgehen«, fuhr er nicht sonderlich laut, aber mit weithin hallender Stimme fort. In der Ferne war Gewehr- und Artilleriefeuer wahrzunehmen – eher zu spüren als zu hören –, und dazu kam das ständige Tröpfeln von Wasser aus aufgeplatzten Rohren. »Wenn es so weit ist, setzen wir unsere Beobachtung mit unseren Helmsystemen fort. Deshalb haben die Scouts die Flackeraugen verteilt, und auch um zu sehen, ob es irgendwelche planmäßigen Reaktionen auf unseren kleinen Vorstoß gibt.« Er hatte das Gefühl, vor Müdigkeit gleichsam zu schweben, und fragte sich, was wohl passieren würde, wenn seine Konzentration jetzt nachließ. So wie die ihn ansahen, hätte es ihn nicht gewundert, wenn sie beim geringsten Anzeichen von Schwäche wie ein Wolfsrudel über ihn hergefallen wären.

»Wenn die Gebäude stürzen, sollten die gepanzerten Einheiten zur Front durchbrechen können. Sobald sie die Linien durchbrochen haben, schleichen wir uns selbst zurück und genießen ein wenig wohl verdiente Ruhe.« Er lächelte müde über den halbherzigen Beifall, den er dazu bekam. »So, und jetzt Helme auf, es sei denn, Sie wollen das große Spektakel verpassen.« Er duckte sich wie eine Schildkröte unter seinen Helm. Die Augen seiner Leute ruhten immer noch auf ihm, aber wenigstens musste er sie jetzt nicht mehr sehen.

»Michelle, Verbindung mit General Houseman.«

»Okay, Mike.« Störgeräusche waren zu hören. General Houseman musste seinen Befehlsposten verlassen haben, deshalb wurde die Verbindung über eine reguläre Armyfrequenz aufgebaut.

»O'Neal? Warum dauert das so lange?«, fragte der General ungeduldig. Mike konnte im Hintergrund das an das Rollen von Güterzügen erinnernde Wummern von Artillerie hören und dazu das Presslufthammergeräusch eines schweren Maschinengewehrs.

»Die Ladungen sind an Ort und Stelle und gehen jetzt gleich hoch, Sir«, antwortete Mike nach einem Blick auf die Uhr, die den Countdown anzeigte. »Es hat ein paar kleine Probleme gegeben.«

»Yeah, wir haben über die Monitore gesehen, was die mit den Shuttles gemacht haben. Waren das Sie, als Sie Ihre Position verlassen haben?«

»Yes, Sir.«

»Nichts übertreiben, Junge, das wird ein langer Krieg.«

»Ja, Sir.« Mike hatte keine Lust, über eine offene Leitung die ungeheure Welle von Wut zu schildern, die ihn in jenem Augenblick überflutet hatte.

»Wann gehen die Dinger hoch?«

»In … fünfundzwanzig Sekunden«, antwortete Mike. Er teilte den Bildschirm, um die eingekesselten Divisionen sehen zu können. Die Zahlen auf seinem Display sahen nicht sonderlich gut aus.

»Na schön, die Panzereinheiten können die Unterstützung wirklich gebrauchen. Viel Glück, Junge, weitermachen.«

»Roger, Sir. Airborne.«

»Ende.«

Mike schaltete das Bild von den Fernsensoren auf die Helme des Platoons, sodass jede Gruppe ihr eigenes Gebäude sehen konnte. Im oberen Quadranten war ein Countdownzähler. Genau bei Null schoss ein Schwall von Staub, Feuer und nicht genau definierbaren Gegenständen aus den unteren Geschossen der gewaltigen Türme. Dann fingen sie langsam an zu kippen, fielen immer schneller und krachten schließlich in einem Regen von Schutt, Staub und Trümmerteilen zusammen.

Lautes Beifallsgeschrei hallte über das Platoonnetz, Gelächter, erleichterte Flüche. Bis zu diesem Augenblick war Mike nicht klar gewesen, wie stark sie gezweifelt hatten. Nur einige wenige von ihnen hatten daran geglaubt, dass die gewaltigen Bauwerke wirklich einstürzen würden. Er schüttelte den Kopf, wunderte sich, dass sie sich nicht einfach nach hinten in Luft aufgelöst hatten.

Er verdrängte den Gedanken und wies seine Unteroffiziersdienstgrade an, die Leute zum Abmarsch zu formieren. Als das Platoon sich in Richtung auf die Schleusen in Bewegung setzte, aktualisierte er die Darstellung des Kessels. Dann musste er Michelle fragen, ob das Bild, das sich ihm bot, auch stimmte.

Es gab zu viele Aufbrüche in der Kette. Die Kämpfer in dem eingekesselten Gebäude waren ein kunterbunt aus fünf verschiedenen Ländern zusammengemischtes Gemenge. Obwohl der Weg nach draußen frei war, konnte keine der Einheiten den Panzergrenadieren an der Bruchstelle des Kessels zu Hilfe kommen, zum einen, weil zu viele Posleen durchgebrochen waren, zum anderen auch wegen der teilweise gestörten Fernmeldeverbindungen.

In jenem kurzen Blick auf seine Monitore sah Lieutenant O'Neal das Ende seines Lebens und des Lebens jener, die ihn umgaben. Doch dann überlegte er einen Augenblick, ob er einfach ignorieren sollte, was sich ihm darstellte. Er und die Männer von der 2/325th hatten das Ihre getan, und noch mehr. Aber für einen Soldaten reichte es nicht aus, einfach nur sein Bestes zu geben. Ein Soldat muss seinen Einsatz zu Ende bringen, bis das Einsatzziel erreicht ist oder es ihn nicht mehr gibt. Die gepanzerten Kampfanzugeinheiten hatten den Auftrag, den Kessel zu durchbrechen und die Panzereinheiten abzulösen. Die Tatsache, dass die Situation dadurch entstanden war, weil die konventionellen Einheiten die Fernmeldeverbindung nicht hatten aufrecht erhalten können, war ohne Belang; ihr Auftrag war noch nicht ausgeführt.

»Augenblick.« Mike rief eine Tastatur auf und begann mehrere Szenarien durchzuspielen. Die Soldaten um ihn herum hielten den Atem an, sie wussten nicht, was für ein schwarzer Engel da in ihrer Mitte gelandet war, aber ihr Bauch sagte ihnen, dass die versprochene sichere Zuflucht auf dem besten Weg war, sich vor ihnen zu verflüchtigen.

»Die stecken immer noch fest«, sagte Mike in die Stille hinein. Die Soldaten traten von einem Fuß auf den anderen und fingen an, ihre bis zur Stunde praktisch nicht benutzten Waffen zu überprüfen. Zuführleitungen in Ordnung, Granaten an Ort und Stelle, Drehwerfer. Mike tippte einen Befehl, woraufhin die Displays einen Weg zeigten, der vom Keller hinaus zum Meer führte. Die großen Meerwassereinlässe würden dafür mehr als geeignet sein.

»Die Panzergrenadiere können die Posleen nicht ohne weiteres abschütteln. Da.« Er projizierte das Bild nach draußen, sodass die roten und blauen Icons wie ein böser Kuss in der Dunkelheit schwebten. Ein Schluck Wasser, Munitionsstand überprüfen.

»Jetzt sind die Posleen diejenigen, die mit dem Rücken zur Wand stehen, aber sie verfügen über genug Truppen, um in beiden Richtungen durchzuhalten, und es gibt einfach keine Möglichkeit, dieses Schachmatt aufzulösen, wenigstens nicht so schnell, dass es uns etwas bringt.« Mike projizierte eine Darstellung von Truppen, die von beiden Seiten die Posleen angriffen.

»Etwas muss sie in der Flanke packen, vorzugsweise vom Meer aus, und sie landeinwärts treiben, um einen Korridor zu den Mauern zu öffnen.« Der landeinwärts gerichtete Pfeil verschwand, und der dem Meer zugewandte Pfeil trieb die Posleen vor sich weg. Die Linien der eigenen Leute drängten unterstützend nach vorn, und dann waren die Posleen-Symbole verschwunden.

»Und so, wie es aussieht, werden wir das sein«, schloss er. Er nahm einen Schluck von dem gekühlten Wasser aus seinem Anzugvorrat und lächelte grimmig. Wolkenkratzer auf die Mistkerle herunterregnen zu lassen war eine reine Zahlenfrage; er konnte die Schätzungen abrufen, wenn ihm danach war. Aber das hier würde eins zu eins laufen, auf dem Boden. Ein Gemetzel. Und dafür war es höchste Zeit. Es würde Berge von toten Posleen geben. Stapeln Sie sie auf wie Brennholz, hatte Captain Brandon gesagt.

»Warum wir?«, fragte eine Stimme mit klagendem Unterton. »Was ist mit den Deutschen?«

»Deren GKA halten die Front landeinwärts«, antwortete Mike und vergewisserte sich an seinem Monitor, dass das auch zutraf. Er achtete sorgfältig darauf, dass seine Stimme ruhig blieb. »Und die sind genauso durch die Mangel gedreht wie unser Bataillon. Wir sind dran, Leute.«

»Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße!«

»Ruhe, verdammt!«, knurrte Sergeant Green. »Der Lieutenant war noch am Reden.«

»Ach was, zum Teufel, Sarn't.« Mike lachte. Es kam fast ein wenig schrill heraus. »Die haben ja Recht. Sie wissen doch: Als Soldat muss man auch sterben können. Aufgestanden, Leute, wir wollen's denen zeigen.«

Mike fragte sich, wann wohl einer von ihnen auf die Idee kommen würde ihn umzulegen, aber bis jetzt war ja noch alles ganz gut gelaufen. Plötzlich spürte er, wie ihn eine Welle von Energie erfasste, und die Müdigkeit fiel von ihm ab wie ein Mantel. Er fürchtete, es kam daher, weil er sich auf einen glorreichen Kampf einstellte.

Dieser plötzliche glühende Wunsch, den Feind anzugreifen, machte ihm Angst. Es war sinnlos, Soldaten in die Schlacht zu führen, wenn er nicht imstande war, seinen Hass unter Kontrolle zu halten. Aber er sah keine andere Alternative. Die deutsche GKA-Einheit war in enger Feindberührung und praktisch bewegungsunfähig. So wie die Dinge standen, war eine GKA-Einheit die einzige Chance, sie zu entsetzen, und sein Platoon war die einzige noch verbliebene bewegungsfähige GKA-Einheit. Damit waren die Dinge geklärt, oder?

»Okay, wir machen das folgendermaßen«, sagte er, als das Platoon sich in die Schleuse bewegte. »Wir gehen durch die Einlasse zum Meer hinaus und kommen am Strand heraus, wir konzentrieren uns auf den Alisterand Boulevard, der zurzeit stark umkämpft ist. Wir greifen in gedrängter Formation an und nehmen die Posleen im Laufen unter Beschuss. Wir müssen mit aller Härte vorgehen. Ich habe mir dabei ein paar Tricks ausgedacht, die uns vielleicht dabei helfen, auch dann noch unentdeckt zu bleiben, wenn wir das Feuer bereits eröffnet haben.

Für Scouts ist bei dieser Taktik kein Platz, die leichtere Panzerung der Scoutanzüge würde uns nichts nützen. Sie bleiben unter Wasser, bis wir das Feuer eröffnen, und steigen dann unter Antigravitation auf und dringen in die Gebäude ein. Dort gehen wir ein paar Stockwerke nach oben und suchen uns geeignete Schusspositionen. Wenn Sie die erreicht haben, nehmen Sie die Gottkönige unter gezielten Beschuss. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die in der Hitze des Gefechts gezieltes Feuer ausmachen können, aber um sicherzugehen, werde ich den ersten gezielten Schuss auf sie abgeben. Oh, eines noch«, fügte er dann schmunzelnd hinzu, »keine Handgranaten ohne meine ausdrückliche Weisung.« Einige seiner Leute lachten. »Wir sind schließlich hier, um die Deutschen rauszuschlagen, nicht um sie umzubringen.« Das Platoon hatte inzwischen Meeresniveau erreicht und tauchte in das unbewegte, schwarze Wasser, ihre Trägheitskompensatoren bewegten sie durch den Schlamm auf den Einlass zu.

Im Wasser wimmelte es von Siphonophoren, die sich aus den Abwässern des Planeten ernährten. Als die Pumpen ausgefallen waren, war das in den Aufbereitungsanlagen befindliche Wasser zurückgeströmt und hatte Tausende mikroskopisch kleiner Pilze von den Tunnelwänden aufgewirbelt. Die mit einer Art biologischem Düsenantrieb ausgestatteten Siphonophoren hatten sich auf die unerwartete Beute gestürzt, und das Wasser war jetzt eine einzige Masse hin und her stiebender, quallenartiger Geschöpfe, von denen jedes möglichst viel von dem leckeren Mahl abbekommen wollte. Bei der Nahrungsaufnahme vibrierten ihre inneren Organe und jagten niederfrequente Sonarimpulse durch die Wellen. Der größte Teil der Geräusche war im hörbaren Spektrum, eine fast liebkosend wirkende Welle von Sopranrufen.

Dazwischen drängten sich die überdimensionierten Fleisch fressenden polychaetanischen Würmer. Wenn die Anzüge die Quallen streiften, verströmten diese vielfarbige Lumineszenz und stießen kleine erschreckte Schreie aus, sodass dem Platoon war, als fliege es durch sengendes Feuer. Und jedes Mal, wenn eine der Quallen von einem Wurm verschlungen wurde, blitzte es wie im Kontrapunkt zu dieser Symphonie auf.

Doch das Platoon hatte für die ganze Szenerie kaum einen Blick übrig. Sie bewegten sich auf dem schmalen Grat zwischen normalem Leben und Schlacht, und das war ein Raum, in dem kein Platz für Ablenkung war.

»Als wir uns hier durchgekämpft haben«, fuhr Mike in seinem Vortrag fort, »habe ich zweimal gesehen, wie Gottkönige plötzlich die Flucht ergriffen haben, man kann sie also jagen. Ich will diesen Mistkerlen eine Höllenangst einjagen, sobald wir aus dem Wasser kommen. Die haben gerade unter diesen Gebäuden Hunderttausende von Kämpfern und Gottkönigen verloren, und wenn wir auftauchen, sollen die glauben, der Jüngste Tag sei angebrochen.

Wir bleiben getarnt, bis wir am Ufer sind, benutzen Hologramme der Meereswellen. Erst wenn wir ganz draußen sind, schalte ich ein spezielles Hologramm-Programm für Tarnung während des Gefechts ein. Und denken Sie alle dran, die Läufe Ihrer Waffen einen Augenblick lang leer laufen zu lassen, ehe Sie das Feuer eröffnen. Und dann verpassen wir denen eine geballte Ladung. Alles klar?« Er war mit seinem kurzen Einsatzbefehl genau in dem Augenblick fertig, als das Platoon den Einlass erreichte. Das Licht von draußen ließ die Blitze der sterbenden Siphonophoren schwächer erscheinen, und der vom Wasser übertragene Schlachtenlärm übertönte die Angstschreie der winzigen Geschöpfe.

»Alles klar, Sir«, brüllten sie, als sie durch das seichte Wasser dahinschossen, um parallel zum Ufer in Formation zu gehen.

»Pioniere, wir werden hier 'ne ganze Menge Energie einsetzen«, fuhr O'Neal fort. »Sobald wir einen Brückenkopf errichtet haben, gehen Sie mit dem B-Team der Dritten Gruppe in den Bau zu dem Reaktor und legen uns eine Starkstromleitung nach draußen, damit wir auftanken können.« Er hielt kurz inne und tippte an einen Schalter.

»Und das, meine Lieben, ist der Plan. Alles klar?«, fragte er und staunte selbst, wie präzise das alles klang.

Er hob seinen Gravkarabiner, während seine Stiefel in den Schlamm sanken. Der Wasserspiegel war einen knappen Meter über seinem Kopf.

»Yes, Sir!« Auch wenn jeder Einzelne noch alle möglichen Zweifel haben mochte, gab es nichts, was sie als Einheit dazu hätten sagen können. Stolz und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Truppe, die Sünde und der Retter, trieben den Soldaten, so wie das immer der Fall war.

»Und was werden wir jetzt tun?«, fragte er, als er den ersten Schritt nach vorn tat.

»Tanzen, Sir!«, antworteten sie und folgten ihm.

»UND MIT WEM WERDEN WIR TANZEN?« Sein Helm schob sich aus dem Wasser, und die Wut der Schlacht rings um sie war erschütternd. Tankkanonen ragten aus den Fenstern der unteren Geschosse und lieferten sich mit den Untertassen der Gottkönige ein hitziges Gefecht, während Posleen-Normale im Handgemenge mit den Grenadieren in ihren grauen Uniformen kämpften. Der schmale Strandstreifen war wie ein Schlachthaus, und eine Wand von Leichen reichte vom Gebäude bis hinunter zum Wasser, eine Wand, in der Grenadiere und Posleen selbst noch im Tod ineinander verschlungen waren und ihr Blut sich in Pfützen sammelte, um schließlich nach draußen ins Meer zu fließen. Eine ganze Salve von Schüssen öffnete einen Spalt in der Masse von Posleen, die sich aber gleich wieder schloss und über die Leichen hinweg weiterströmte. Ein Tank jagte eine Feuerzunge hinaus und warf dann seine Kanone in die Luft, als ein Plasmastrahl ihn erfasste. Der Vorhang aus weißem Feuer verwandelte die dicht gedrängten Grenadiere und Posleen, Freund wie Feind, zu grauer Asche.

»DEM TEUFEL!«, schrien die Soldaten und senkten ihre Gravkarabiner, um das Wasser aus den Läufen rinnen zu lassen, ein Bild schrecklicher Gleichzeitigkeit. Ein Feuerstoß aus der schweren Railgun eines Gottkönigs sägte durch die Posleen an vorderster Front und die in sie verkeilten Grenadiere und ließ gelbes und rotes Blut aufspritzen. Dann verstummte das Feuer des Gottkönigs plötzlich, als ein deutscher Scharfschütze sein Ziel fand.

»WERDEN WIR FÜHREN ODER UNS FÜHREN LASSEN?«, schrie Mike, als er seinen Karabiner durchlud und seine Granatwerfer schussbereit machte.

»FÜHREN!«, brüllten sie und hoben wie ein Mann ihre Waffen. Jeder suchte sich einen Posleen als Ziel. Mitten in der Schlacht schwenkte eine der Untertassen plötzlich nach oben und machte einen Satz über die Front hinweg, stieß im Sturzflug auf einen Panzergrenadier herunter, der nur ein Messer in der Hand hielt. Mike und ein paar Soldaten, die die Bewegung wahrgenommen hatten, zielten auf die Posleen-Untertasse.

»Michelle, Programm Tiamat hochfahren.« Sein Kommandoanzug begann von seinem Antigravitationssystem getragen nach oben zu steigen, und die Anzeige für seinen Energievorrat sank ab wie ein Wasserfall. Die Luft vor ihren Anzügen schimmerte einen Augenblick lang und klarte dann wieder auf. »PLATOON, FEUER ERÖFFNEN!«