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Ttckpt, Provinz Barwhon V

0409 GMT, 28. September 2006

Das zweite Vorhaben des Aufklärungsunternehmens der Special Operations war ein zweiwöchiger Marsch durch einen Sumpf; mehr als die Hälfte der Zeit standen sie bis zum Hals in eiskaltem Wasser. Während der kurzen Ruhepausen, die sie nachts einlegten, fröstelten sie die meiste Zeit, und als sie schließlich das Zielgebiet erreicht hatten, sah selbst Master Sergeant Tung einigermaßen mitgenommen aus. Diesmal stießen sie nicht auf Trupps, die Beeren sammelten, aber als sie sich der Tchpth-Stadt näherten, steigerten sie dennoch ihre Wachsamkeit. Bald konnte man durch die alle Geräusche dämpfenden Nebelschwaden das Treiben eines Lagers hören, und Mosovich schickte Trapp und Ells-worthy zur Erkundung voraus. Sie hatten das Gefühl, endlos gewartet zu haben, als der unverwüstliche SEAL schließlich in ihrer Mitte plötzlich aus dem Schlamm auftauchte. Mit einem schlammigen Grinsen zeigte er ihnen die Richtung und führte sie dann an den Rand des Sumpfgebiets.

Beim Blick durch die wie ein Vorhang herunterhängenden Lianen am Rande eines kleinen Hügels bot sich dem Team ein Bild zielstrebiger Aktivität. An den meisten Stellen lagen die zerbrechlichen Türme, über die sie in ihren Unterlagen gelesen hatten, eingestürzt auf dem Boden und wurden von den Posleen Stück für Stück zerlegt, um als Baumaterial zu dienen. An verschiedenen Stellen wuchsen Ziggurats oder Pyramiden aus Stein und Metall in den Himmel. Die Abstände dazwischen waren ziemlich groß und boten Platz für niedrige barackenartige Gebilde aus Stein und Schlamm. In der Ferne konnte man sehen, wie ein Damm durch den Sumpf gebaut wurde, und etwas näher bei ihnen arbeitete man an einer Art Verteidigungsanlage. Neben dem ihnen am nächsten stehenden Ziggurat war eine Reihe von Pferchen zu erkennen; was sie enthielten, war allerdings nicht zu sehen.

»Ellsworthy«, murmelte Mosovich, »was ist in den Pferchen?«

»In den meisten kleine Posies«, flüsterte sie wie üblich von einem erhöhten Standort auf einem Baum aus. »Und in einem ein paar Krabben.«

Während sie das sagte, ging ein Posleen auf einen der Pferche zu und kippte eine Hand voll um sich schlagender Posleen-Nestlinge hinein und trottete dann wieder weg.

»Megakrass«, flüsterte Ellsworthy.

»Was?«, fragte Mueller.

»Die anderen fressen meist die Neuen auf. Ich denke, ein paar von ihnen haben überlebt.«

»Pfui Teufel«, murmelte Richards.

»Auf Band aufnehmen«, befahl Ersin. Das Video würde auf einem Flash BIOS Memorychip gespeichert werden.

»Mein Zielfernrohr nimmt alles auf, keine Sorge.«

»Okay, wir ziehen uns ein Stück zurück und sehen zu, dass wir abtrocknen«, flüsterte Mosovich. »Wir wechseln die Beobachter aus, bis wir genug mitbekommen haben, und dann geht's zurück zum Abholpunkt.« Er setzte sich in Richtung auf den Sumpf in Bewegung. »Ellsworthy, du hast die erste Wache.«

»Yessa, Massa. Ich gut Wache halten.«

Zwei Tage später waren sie zwar weitgehend trocken, aber völlig durcheinander.

»Und du bist sicher, dass du das richtig mitbekommen hast?«, fragte Mosovich zum fünften Mal.

»J-j-j-a, verdammt!« Martine war abwechselnd wütend, angewidert und entsetzt.

»So kann doch keine Gattung überleben!«, rief Mueller aus und vergaß einen Augenblick lang zu flüstern.

»Leise, verdammt«, herrschte Mosovich ihn an. »Wenn er sagt, dass er es gesehen hat, hat er es gesehen. Ich wünschte mir bloß, dass er es auf Band hätte.«

»B-b-bis i-i-ch …«

»Ja, weiß schon, da war's schon wieder vorbei. Okay, wir haben Aufzeichnungen darüber, wie schnell sie bauen und welches Material sie einsetzen. Ihre ortsfesten Befestigungsanlagen haben wir ebenfalls gesehen. Außerdem haben wir eine Vorstellung, wie sie Nahrung sammeln und was sie essen. Über gewisse ganz spezielle Essgewohnheiten haben wir einen unbestätigten Bericht, tut mir Leid, Sergeant Martine. Sonst noch was?«

»Warum die Pyramiden?«, fragte Mueller. Wenn sie einmal fertig gestellt waren, würden sie auf unangenehme Weise an Pyramiden in Mittelamerika erinnern. Am Sockel einer jeden war eine große Hütte zu erkennen und der Anfang von einer Art Exerzier- oder Spielplatz. Soweit sie das hatten beobachten können, hielten sich die Gottkönige meistens in oder vor den Hütten auf. Bereits fertig gestellte Pyramiden trugen an der Spitze ein kleines Haus oder eine Art Palast.

»Kultstätte?«, fragte Richards.

»Wen sollten sie denn anbeten? Die Gottkönige?«, fragte Ersin zurück.

»Ich würde gern wissen, ob sie sie deshalb so nennen?« Trapp wetzte sein Messer hingebungsvoll an einem Diamantstein.

»Sieben Pyramiden, sieben Gottkönige?«, sinnierte Mosovich.

»Wir haben mindestens zehn gezählt, vielleicht sogar mehr. Die sind schwer zu unterscheiden«, stellte Mueller fest.

»Also nicht eine Pyramide pro Gottkönig. Über dreizehnhundert Normale, stimmt's?«

»Stimmt.« Mueller nickte und zog einen Palmtop-Computer heraus. »Dreizehnhundert Normale, ungefähr zehn Gottkönige und hundertdreiundzwanzig Krabben nach ursprünglich zweihundertzwanzig. Insgesamt fünfhundert … durchgeschleust.«

In dem Maß, wie die Pyramiden sich ihrer Fertigstellung näherten, waren die Pferche mit den Nestlingen näher gerückt. Und inzwischen war auch klar geworden, weshalb man die Tchpth in den Pferchen untergebracht hatte. Das Team hatte hilflos zusehen müssen, wie man einen Tchpth nach dem anderen aus dem Pferch geholt und geschlachtet hatte. Dass sie hier Zeugen wurden, wie intelligente, in manchen Fällen sogar außergewöhnlich intelligente Lebewesen getötet und verspeist wurden, war ihnen wohl bewusst, aber sie konnten nicht eingreifen, ohne den Erfolg ihrer Mission zu gefährden. Das war einer jener unglücklichen Fälle, wo die Mission von größerer Wichtigkeit war als der Tod eines einzelnen Individuums oder auch einer Gruppe von Individuen. Aber das hieß noch lange nicht, dass ihnen das gefallen musste. Und ebenso wenig gefiel ihnen, wenn gelegentlich eine neue Gruppe von Tchpth aus dem Dschungel in die Pferche getrieben wurde.

»Was ist nun mit diesem Bericht von Martine?«, fragte Richards. »Wie kann eine Gattung vernunftbegabter Lebewesen so etwas tun?«

»I-i-ich h-h-habe g-g-gesehen, w-w-was ich g-g-gese-hen habe«, blieb der Fernmeldesergeant bei seinem Bericht.

»Vielleicht eine Reaktion auf knappe Ressourcen«, gab Trapp zu bedenken.

»Was heißt hier knappe Ressourcen?«, erregte sich Mueller. »Die haben gerade einen Planeten erobert, der reich an Nahrungsmitteln ist.«

»Vielleicht gefällt ihnen der Geschmack«, sagte Tung.

Alle Augen wandten sich ihm zu; er war gewöhnlich sehr wortkarg, und wenn Tung etwas sagte, pflegte man zuzuhören.

»Wahrscheinlich sind sie so gebaut, dass sie alles essen können, aber das ist die einzige Nahrung von ihrer Heimatwelt, die sie haben. Vielleicht schmeckt es ihnen wirklich.« Alle starrten ihn verblüfft an. Das war die längste Folge von Sätzen, die je einer von ihm gehört hatte. Und es klang durchaus logisch; das würde erklären, weshalb die Gottkönige die Nestlinge ihres eigenen Clans verspeisten, wie das Sergeant Martine vor nicht einmal einer Stunde gesehen hatte.

»Okay«, erklärte Mosovich, »wir nehmen das als Möglichkeit auf, solange sich keine andere Erklärung bietet. Ich glaube, damit haben wir alles erfasst, was es hier zu erfassen gibt. Zeit, uns das nächste Areal vorzunehmen. Morgen früh geht's weiter. Seht zu, dass ihr heute Nacht trocken werdet, Leute, das ist auf ein paar Wochen die letzte Gelegenheit.«