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Im Orbit, Diess IV
2233 GMT, 23. April 2007
Diess war eine heiße, trockene Welt – für Lieutenant O'Neal ein Hinweis darauf, dass die Galakter ein Übervölkerungsproblem hatten. Der Planet besaß drei außergewöhnlich große Kontinente; etwa sechzig Prozent seiner Oberfläche waren Land, dessen Küstenregionen ein wenig Regen bekamen, etwa so viel wie die Sahara, und dessen gewaltige Gebirge im Landesinneren trockener als Death Valley waren.
Obwohl die Ökologie der Meere äußerst kompliziert war, dominierten elektrolumineszente Lebewesen, wobei ein komplexes, von der Struktur her elastisches Polymer die Stelle von Chitin vertrat. Irgendwelches auch nur entfernt mit terrestrischer Ökologie verwandtes Leben gab es nicht. Dafür waren die Uferpartien mit gewaltigen Stadtkomplexen der Indowy und Darhel voll gepackt, deren Finger wie Tentakel vom Leben spendenden Meer landeinwärts tasteten. Der galaktischen Technologie bereitete es keine Schwierigkeiten, aus dem an Plankton reichen Meerwasser essbare Lebensmittel und Süßwasser zu extrahieren. Und außer ein wenig zu essen, Wasser und Rohmaterial brauchten die Indowy kaum etwas zum Leben.
Welten wie diese waren die Produktionsstätten der friedliebenden galaktischen Föderation. Milliarden von Indowy, die sich tagein, tagaus abrackerten und eine dünne Schicht von Darhel, die die Sahne abschöpften. Die friedliche Welt der demokratischen, galaktischen Föderation, angefüllt mit friedliebenden, kleinen Schwachköpfen, die kein anderes Bedürfnis hatten, als zu dienen.
Die Nigga sing' aufm Feld und Massa Darhel liebt se alle. Bei dem Gedanken an galaktische Politik kam Mike das Kotzen; aber das war noch bei weitem nicht so schlimm als das, was die Posleen taten. Die hoch entwickelte galaktische Technik, hohe Geburtenraten und die bescheidenen Bedürfnisse der Indowy hatten eine Bevölkerung von zwölf Milliarden ermöglicht, die vor dem Eintreffen der Posleen sogar noch im Wachsen begriffen war. Jetzt machte die Bevölkerung fünf Milliarden aus und ging stetig zurück. Ein Kontinent war völlig verloren, einer war noch unversehrt und der dritte mit Ausnahme eines kleinen, dreieckigen Segments in der nordwestlichen Ecke bereits von den Posleen erobert. Für das Landesinnere interessierten sich die Posleen ebenso wenig wie die Galakter.
Mike stand auf einem virtuellen Felskamm ein Stück landeinwärts jenes dreieckigen Sektors und sah zu, wie das Tal unter ihm wogte und flatterte wie vom Wind gepeitschtes Segeltuch. Die Posleen kamen, und das 325th Mobile Infantry Regiment, 2nd Battalion, bereitete sich darauf vor, sich ihnen entgegenzustellen.
Die erste Einheit, die die Kampfhandlungen begann, war das Scout-Platoon des Bataillons, das jetzt aus einer Felsspalte kam und das Feuer mit Gravwaffen eröffnete. Als die vordersten Reihen der Posleenflut von silbernen Blitzen erfasst wurden, begannen sie zu explodieren. Die tropfenförmigen Geschosse brannten sich, gefolgt von silbernem Plasma, durch die Luft. Beim Aufprall wirkte ihre kinetische Energie auf Fleisch und Körperflüssigkeit der Posleen. Auf diese Weise wurden die Körper der vordersten Reihen der Posleen selbst zu Bomben, als ihr Blut sich blitzartig in Dampf verwandelte und der hydrostatische Schock die Umgebung ionisierte. Die Geschosse aus abgereichertem Uran, die ihr Ziel knapp unterhalb der Lichtgeschwindigkeit trafen, wirkten wie schwere Granaten.
Mike hatte Schwierigkeiten, die Scouts zu sehen. Auf Anweisung des Bataillonskommandanten waren die Panzeranzüge mit braunem Tarnmuster versehen worden, um sich der Landschaft anzupassen. Wenn Mike freilich seine Sensoren auf für Posleen sichtbare Wellenlängen schaltete, fluoreszierten die Farben im Schein des F-2-Zentralgestirns von Diess. Er informierte gerade einige der anderen Beobachter über seine Sensoranpassung, als die Posleen das Feuer erwiderten.
Da die Scouts die Posleen bis auf weniger als fünfhundert Meter hatten herankommen lassen, ehe sie das Feuer eröffneten, da sie sich infolge ihrer Lackierung wie Glühbirnen in einem dunklen Raum von der Umgebung abhoben, da sie völlig ungeschützt ins Freie rannten, anstelle aus sicherer Deckung zu feuern, und da in der vordersten Reihe der Posleen über viertausend auf dreißig Ziele feuerten, war es ein wahres Wunder der Panzertechnik, dass von der ersten Salve nur neun Scouts getötet wurden. Der Rest wurde von der schieren Masse von Hochgeschwindigkeitsnadeln körperlich nach hinten und in den Abgrund geschleudert.
Als damit das feindliche Feuer praktisch ausgeschaltet war, stürmten die Posleen vorwärts, schnell wie die Löwen, und waren bis auf zweihundert Meter an die Reihen der Verteidiger herangerückt, ehe diese mit unkoordiniertem Feuer antworten konnten. Auf diese Distanz war das Feuer der wenigen Verteidiger in Kürze ausgeschaltet und die Stellung binnen Sekunden überrannt.
Weiter talaufwärts begann jetzt die Charlie-Kompanie aus über tausend Meter Distanz mit Gewehren und Maschinengewehren auf die Posleen zu feuern. Anzuggranaten und 100 mm-Granatwerfergeschosse gingen auf die Masse der Posleen nieder. Die Granaten öffneten weite Löcher in der Flut der Posleen wie Regen in einem Teich, Löcher, die sich freilich gleich wieder über den Gefallenen schlossen, da die ganze Masse ungehindert weiterdrängte. Die silbernen Feuerstrahlen bohrten sich tief in die Flut der Angreifer, aber der Druck der ganzen Horde trieb sie gegen die Verteidiger weiter und sie schwärmten aus, um die breite Front der Kompanie von den Flanken her aufzurollen. Als die Verteidiger ihr Feuer auf diese Angreifer an den Flanken richtete, verringerte das natürlich insgesamt die Feuerkraft im Zentrum, und die Horde trampelte einfach die eigenen Toten nieder und strömte weiter. Allerdings waren die Posleen entschiedene Anhänger der Devise ›Kampf dem Verderb‹, und so verschwanden diese Leichen, als die nachfolgenden Kämpfer sie in Stücke rissen, um sie als Nahrung für heute und später aufzubewahren.
Unablässig trottete der nicht zu beirrende Feind auf die belagerte Kompanie zu. Wenn gelegentlich eine Mörsergranate zufällig einen Gottkönig hinraffte, zuckte die ihn umgebende Masse immer einen Augenblick lang, und ihr Vormarsch verlangsamte sich, dann verlagerten die Normalen des Clans ihre Lehenszugehörigkeit auf andere lokale Gottkönige, und die Flut strömte weiter.
Schließlich erreichte die dezimierte Masse, die ursprünglich etwa dreihunderttausend Individuen umfasst hatte, eine Bergkette, wo ihr ungenaues Feuer anfing, Auswirkungen auf die Kompanie zu haben. Die Kompanie begann sich planmäßig in Etappen zurückzuziehen, wobei immer zwei Platoons den Rückzug eines dritten deckten. An diesem Punkt kam ein weiteres Problem auf: Wenn ein Platoon das Feuer einstellte, um den Rückzug anzutreten, veranlasste dieser Rückzug und das somit schwächer gewordene Feuer der Verteidiger die verbleibende Masse der Angreifer, nach vorn zu strömen. Der Anblick des sich zurückziehenden Feindes löste in den Normalen eine Verfolgungsreaktion aus, und Posleen hatten offenbar nie davon gehört, dass man in Deckung geht, wenn man unter Beschuss gerät. Zum Zweiten war es nicht einfach, dieses Manöver, in dem sich ruckartiger Rückzug und wieder Anhalten abwechselten, hinreichend gut zu koordinieren. Deshalb kam es dazu, dass das 3rd Platoon beim zweiten Rückzugsschritt überrannt wurde, als es versuchte, dem 1st Platoon Feuerschutz zu geben.
An diesem Punkt brach der ursprüngliche Plan zusammen, der eine Zangenbewegung ähnlich der antiken Schlacht von Cannae vorgesehen hatte, und Alpha und Bravo erhielten Befehl, ihre Positionen auf der Anhöhe zu verlassen, sich ins Tal zu begeben und dort den Rückzug von Charlie zu decken. Die schweren Waffen des Bataillons erhielten Befehl, auf der Kuppe Stellung zu beziehen und mit ihren Terawatt-Lasern die Posleen unter Beschuss zu nehmen.
Ein intelligenter Gottkönig der Nachhut, der bemerkte, wie die Soldaten sich abmühten, die schweren Laser nach oben zu schaffen, wies seinen Clan an, die Gruppe unter massiven Beschuss zu nehmen und vernichtete den gesamten Laserzug des Bataillons. Als Captain Wright von der Alpha-Kompanie getötet wurde, nutzte eine Gruppe in Verfolgung begriffener Posleen die kurzzeitige Verwirrung aus, hinter die Reihen der Charlie-Kompanie zu gelangen. Das flankierende Feuer dieser Gruppe, etwa zweihundert Posleen und ein Gottkönig, vernichteten das zweite Platoon von Alpha, und die gesamte Masse der Posleen strömte durch die Lücke in der Front der Verteidiger und rollte das Bataillon von der Mitte her auf. Die Zentauren fluteten wie eine Meereswelle über die Soldaten, rissen sie aus ihren Anzügen und schlachteten sie für ihre Siegesfeier ab. Auf dem Bergkamm konnte man deutlich ihr Triumphgeschrei hören.
»Nun«, sagte General Houseman über den Beobachterkanal, »das war … mir fehlen die Worte.«
»Noch nie so schnell eine Milliarde Credits verloren, Sir?«, witzelte Mike.
»Die schlimmste Niederlage, seit Cumberland College Georgia Tech niedergemacht hat?«, fragte sein Stabschef, General Bridges.
»Hä?«, ließen sich zwei oder drei Stimmen, darunter auch die von General Houseman, vernehmen.
»Zweihundertzweiundzwanzig zu null für Georgia Tech«, sagte Bridges, den man The Rambling Wreck nannte.
»VR abschalten«, hörten sie Lieutenant Colonel Youngman über den Kommandokanal befehlen.
Die Bilder von in der Luft verteilten Uranresten, Rauch, Staub und fressenden Posleen verschwanden und gaben den Blick auf einen weiten Laderaum frei, angefüllt mit völlig intakten Kampfanzügen, die wie in ihrer Bewegung erstarrt wirkten.
»AID, Lieutenant Colonel Youngman und Major Norton in diesen Kanal einschalten«, befahl General Houseman.
»Colonel Youngman, Major Norton, herhören. Ich möchte erste Berichte morgen um 1200 auf dem Tisch des G-3. Abschlussbesprechung über die Übung dann um 1630. Okay, die haben Ihnen die Ärsche aufgerissen, aber Sie fangen an besser zu werden. Übermorgen machen wir das wieder, diesmal Häuserkampf. An die Arbeit. Ende.«
»Herrgott«, fuhr er dann, jetzt wieder auf Lokalkanal, fort, »ich hoffe nur, dass die das auf Barwhon besser machen.«