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Andata Provinz, Diess IV

0714 GMT, 19. Mai 2007

»Zunächst«, verkündete Mike über die Platoon-Frequenz, »erledigen wir sämtliche Rechtsanwälte. Aber gleich anschließend brauchen wir neue Energie.«

»Und wie stellen wir das an, Sir?«, wollte Sergeant Green wissen, der sich inzwischen an die Gedankensprünge seines ihm so plötzlich zuteil gewordenen Vorgesetzten gewöhnt hatte. Was der Lieutenant von sich gab, war meistens ziemlich verrückt, andererseits ›konnte ja immerhin sein, dass es funktionierte!‹ »Wir schalten die Anzüge auf ›Suche nach verfügbaren Energiequellen‹, und dann nehmen wir mit, was wir bekommen können. Sie sollten unterwegs nach mobilem Gerät Ausschau halten. Die benutzen alle dieselben Energiequellen und sind meistens an der rechten Seite angebracht, in einem grün lackierten Fach, und sie sehen aus wie große grüne Edelsteine. Wenn sie voll geladen sind, leuchten sie ziemlich hell und verblassen, sobald die Ladung zurückgeht. Die Dinger passen in die Aufnahme für Sekundärenergie an der rechten Anzugseite. Wenn wir welche finden, bekommen diejenigen sie, deren Energieniveau am niedrigsten ist.

Außerdem sollten alle nach schwerem Gerät Ausschau halten, so wie das Zeug, unter dem Captain Wright festgesteckt hat. Man kann die Energiekontakte dieser Dinger meistens so umstellen, dass sie ihre Ladung an die Anzüge abgeben. Das Problem ist, dass die Anzüge ziemlich viel aufnehmen, mehr als fast alle Maschinen. So, und jetzt bitte alle Pistolen und sämtliche Munition an die Scouts abgeben. Auf ›Punkt‹ stellen, und dann ziehen wir los.

Falls wir auf Posleen stoßen und ihnen nicht ausweichen können, greifen wir an, wir konzentrieren uns dabei auf die mit den schweren Railguns. Die leichten Waffen können gegen unsere Panzer nichts ausrichten, also kümmern wir uns nicht um die. Sobald wir die Posleen mit den schweren Waffen erledigt haben, haben wir mit den Übrigen leichtes Spiel, das wird dann das reinste Scheibenschießen. Wenn möglich wollen wir ihnen natürlich völlig aus dem Wege gehen, also bewegen wir uns schnell, aber möglichst leise. Sobald wir wieder Energie haben, schalten Sie die Kompensatoren hoch, dann dröhnt nicht jeder Schritt, als ob da ein Elefant zugange wäre. Wir müssen schnell, leise und tödlich sein. Okay, ich denke, das war's wohl. Scouts, Marsch, hinter dem Ball her.«

Die vier übrig gebliebenen Scouts fingen die Gravpistolen auf, die ihnen hingeworfen wurden, und eilten nach draußen, folgten der Projektion eines grünen irrlichternden Balls, der drei Meter vor ihnen auf und ab hüpfte. Der Ball würde ihnen den Weg weisen, ohne dass sie ständig auf die Karte zu sehen brauchten. Er leuchtete schwach genug, um ihre Sicht nicht zu beeinträchtigen, und war für den Feind natürlich unsichtbar, da er im Inneren ihrer Helme projiziert wurde. Wiznowski blieb stehen, ehe er den Wartungsbereich außerhalb ihres Allerheiligsten verließ, warf einen kleinen Sensorball in den angrenzenden Raum und winkte dann den ersten Scout hinaus, nachdem er sich vergewissert hatte, dass dort keine Gefahr auf sie lauerte. Die Scouts gingen hinaus und schwärmten in dem Fertigungsabschnitt aus, der dahinterlag. Zu beiden Seiten von ihnen ragten riesige Webstühle wie ein Wald aus Metall in die Höhe.

Mike tippte einen der Soldaten am Arm an und deutete auf ein universelles Hebegerät, das man offenbar mitten in einem Reparaturprojekt einfach stehen gelassen hatte. Der Soldat fand einen schwach leuchtenden Stein und hielt ihn triumphierend hoch. Ein dritter Soldat, dessen Energieanzeige bereits rot blinkte, bekam ihn. Als das grüne Kleinod geleert war, blinkte seine Energieanzeige immer noch, wenn auch langsamer, und der Stein war dunkel und kalt. Mike winkte, und der Soldat warf ihm den entladenen Stein zu. Sie würden ihn später wieder aufladen können, wenn sie die dafür erforderliche Vorrichtung fanden.

Sergeant Green wies auf die Maschinerie beiderseits von ihnen, aber Mike schüttelte den Kopf und deutete mit Handbewegungen an, dass sie viel größere Geräte brauchten. Während sie sich durch den inneren Bereich des Gebäudes voranarbeiteten, mussten sie zweimal stehen bleiben und Deckung suchen, um marodierende Gruppen von Posleen vorbeizulassen.

Obwohl das Platoon sich nicht gerade lautlos bewegte, konnten sie die Posleen dank ihrer Anzugsysteme und Michelle, die die Sicherheitssysteme anzapfte, jeweils bereits in einiger Distanz ausmachen. Als sie sich der Energiestation näherten, befahl Mike anzuhalten. Die Scouts fielen zurück, und das Platoon versammelte sich im Kreis. Es war Zeit, Kriegsrat zu halten.

»Also, ich hätte gerne Meinungen gehört«, sagte Mike über die Platoon-Frequenz. Sie befanden sich in einem weitläufigen, offenen Raum, wieder einer Art Lagerhalle, diesmal für irgendwelche großen Teile. Die Regale ragten drei Stockwerke über ihnen auf und erstreckten sich bis in einige Ferne. Mike tippte einen Befehl ein, und die Umgebung veränderte sich zu Posleen Normal. Es wurde dunkel, so dunkel, dass sie kaum mehr etwas sehen konnten. In der Ferne, am einen Ende des Lagerraums, war ein schwaches Licht zu erkennen, wahrscheinlich ein Büro oder ein Zugang. Ein weiterer Befehl schaltete für kurze Zeit die Lüftungssysteme der Anzüge aus, sodass sie normal hören konnten. Der Ring von Anzügen, die ihn umgaben, war völlig stumm, und die graue Tarnung ging in die Dunkelheit über, sodass man sie kaum sehen konnte. Ein schwacher Geruch von organischen Lösungsmitteln und Ozon hing in der Luft. Nichts deutete darauf hin, dass sich in ihrer unmittelbaren Umgebung irgendetwas bewegte, aber es konnte trotzdem nicht schaden, sich auch mit normalen Sinnen davon zu überzeugen. Er schaltete die Sensorik und die Lüftung wieder ein und fuhr fort.

»Ich sage nicht, dass ich jeden Rat annehmen werde, aber ich werde zuhören«, erklärte er. »Wir sind etwa fünf Minuten von der Energiestation dieses Gebäudes entfernt. Dort können wir so viel Energie auftanken, wie wir wollen, aber es sind Posleen dort, die damit beschäftigt sind, alles zu zerlegen. Für unsere Zwecke ist die Anlage noch voll einsatzfähig, aber um sie in unsere Gewalt zu bringen, werden wir kämpfen müssen und damit vielleicht auf uns aufmerksam machen.

Wir können die Kommunikation zwischen den Posleen noch nicht ganz verstehen und wissen auch nicht, welche Aktivitäten bei denen nach einem Gefecht üblich sind. Und das kann bedeuten, dass wir möglicherweise beim ersten Schuss zwei Milliarden Posleen rings um uns haben. Genauso gut ist es aber auch möglich, dass wir keinen Einzigen zu sehen bekommen.

Es gibt mehrere Ausgänge, und wir könnten wahrscheinlich auch einfach die Wände aufschneiden und nach draußen entkommen, aber auf die Weise verbrauchen wir vielleicht mehr Energie, als wir vorher gewonnen haben. Andererseits kann es auch sein, dass es zu überhaupt keiner Reaktion kommt, besonders wenn wir hart und lautlos zuschlagen. So, und jetzt möchte ich die Meinungen der Unteroffiziersdienstgrade hören, in aufsteigender Rangfolge, bitte. Sergeant Brecker?«

Der junge Führer der Dritten Gruppe hob beide Hände, sodass die Handflächen nach oben wiesen. »Ich bin auf etwa zwei Stunden Normalverbrauch runter, Sir. Und einer meiner Leute ist noch weiter unten. Wir haben nicht genug gefunden, als dass es etwas ausmachen würde. Ich für meine Person sehe keine andere Wahl.«

»Sergeant Kerr?« Erste Gruppe.

»Könnten wir vielleicht die Energie neu verteilen, Sir?«

»Nein, die Anzüge können zwar Energie aufnehmen, aber sie nicht teilen, deshalb habe ich zuerst die bedacht, bei denen der Energievorrat am niedrigsten ist. Über dieses Thema ist ziemlich hitzig diskutiert worden, fragen Sie mich danach, falls wir das hier überleben. Im Grunde genommen ist es so – wenn Sie einen offenen Energieanschluss haben, kann man den unter gewissen Umständen anzapfen. Andererseits wird der technische Bericht über das, was hier abläuft, zur Erde gelangen, ob wir nun überleben oder nicht, und ich bin sicher, dass das Einfluss auf die weitere Diskussion haben wird. Aber für uns wird das natürlich zu spät sein. Also? Was machen wir?«, fragte er.

»Angreifen, Sir, wir haben keine andere Wahl.«

»Zur Kenntnis genommen. Sergeant Duncan?« Zweite Gruppe.

»Warum gehen wir nicht einfach dorthin, wo schwere Maschinen stehen, Lieutenant?«, fragte Duncan interessiert.

»Bei unserem augenblicklichen Tempo würden wir da mindestens eine Stunde brauchen. Zu weit weg und zu abgelegen.« Mike war der interessierte Tonfall des Sergeant nicht entgangen. Dieser Kriegsrat hatte für ihn mehr als nur ein Ziel; das war das erste Mal, dass er mit seinen Unteroffiziersdienstgraden wirklich ins Gespräch kam. Er lernte eine ganze Menge aus ihren Reaktionen. »Was schlagen Sie vor?«

»Angreifen.« Das kam knapp, klang aber geradezu enthusiastisch.

»Sergeant Wiznowski?«, fragte er.

»Erledigen, alle erledigen«, sagte der Wizard mit für ihn ungewöhnlicher Aggressivität. »Ich denke nicht, dass wir eine andere Wahl haben, und mich drängt's einfach, die in den Arsch zu treten.«

Über die Platoon-Frequenz war ein gedämpftes Knurren zu hören.

»Sergeant Green?«

»Zuschlagen, Sir.«

»Richtig. Freut mich, Ihre Meinungen zu hören. Wir holen uns jetzt Energie. So, und jetzt nach Gruppen, wer hat echte Erfahrung im Messerkampf, im Ringen oder im Kampfsport? Oh, wenn jemand bei Kneipenraufereien besonders erfolgreich war, dann könnte das ja vielleicht jemand bestätigen. Gruppenführer, informieren Sie sich über Gruppenfrequenz. Drei Minuten.«

Er sah amüsiert zu, wie die Gruppen gestikulierend miteinander diskutierten. Aus den Armbewegungen konnte er erkennen, dass einige der Männer sich jetzt nachdrücklich für ihre jeweiligen Siege bei Prügeleien einsetzten, aber als er auf Außenton schaltete, hörte er nur gelegentlich ein Stampfen, bis schließlich einer der Männer hart mit der Faust in die flache Hand schlug und es weithin hallte.

»Zweite Gruppe! Ruhe!«, schimpfte Sergeant Green, ehe O'Neal etwas sagen konnte.

»Tut mir Leid, Sergeant«, sagte Sergeant Duncan. Mike wurde erst jetzt bewusst, dass Duncan den Lärm gemacht hatte. Eine kurze Anweisung an Michelle sorgte dafür, dass der Name eines jeden Soldaten über seinem Anzug aufblitzte, als Mike sie ansah. Achtundfünfzig menschliche Wesen, die sich darauf verließen, dass er die richtigen Entscheidungen traf, und er kannte von vielleicht sechs oder sieben die Namen. Noch zwei Minuten übrig, genug Zeit, um Kontakt nach oben aufzunehmen.

»Michelle, versuche Verbindung zu General Houseman zu bekommen.«

»Ich habe das Hauptquartier«, meldete das AID kurz darauf. »General Houseman ist unterwegs.«

»Okay, danke.«

»Gern geschehen.«

»O'Neal, wie kommen Sie voran?«, erkundigte sich der General knapp.

»Wir haben kaum mehr Energie, General. Deshalb müssen wir einen kleinen Umweg einlegen, um welche aufzunehmen. Das verzögert unser Eintreffen um etwa eine Stunde. Andererseits kommen wir viel schneller voran, sobald wir aufgetankt haben.«

»Schön, das wird reichen müssen. Wie kommen Sie zu dem Kessel?«

Mike sagte es ihm.

»Sie sind total verrückt, O'Neal.« Der Offizier schmunzelte. »Wird das auch klappen?«

»Ich wüsste nicht, weshalb es nicht klappen sollte, Sir. Ich habe keine Hinweise darauf, mit wie großer Wahrscheinlichkeit wir auf Widerstand der Posleen stoßen werden, aber wir sollten schneller sein als die. Das Einzige, was mir Sorge bereitet, ist der Nachschub. Wie sieht's damit aus?«

»Ich schicke die Shuttles los, sobald Sie mir sagen, dass Sie so weit sind. Es wird Verluste geben, das kann ich Ihnen jetzt schon sagen, diese Shuttles sind für die fahrzeugfesten Waffen der Gottkönige die reinsten Zielscheiben.«

»Ich brauche die Waffen dringender als die Leute, Sir. Behalten Sie die Männer dort.«

»Ich hatte gehofft, dass Sie das sagen würden«, erwiderte der General erleichtert. »Ich weiß nicht, ob ich wirklich einen Rückzieher gemacht hätte, aber je mehr ich darüber nachgedacht habe, desto weniger wohl war mir bei dem Gedanken.«

»Beladen Sie die Shuttles einfach mit Munition, Karabinern, Granatwerfern und Energiepacks und überlassen Sie den Rest uns, Sir. Schicken Sie sie meinetwegen per Fernsteuerung.«

»Genau das werden wir machen. Melden Sie sich, sobald Sie uns Koordinaten durchgeben können.«

»Yes, Sir.«

»Ende.«

»Also, Leute«, fuhr Mike fort, wobei Michelle ihn automatisch auf die andere Frequenz umschaltete, »wer hat den großen Preis gezogen? Zweite Gruppe?«

»Bloß ich, Sir«, sagte Sergeant Duncan.

»Ich glaube, ich erinnere mich vage daran, dass Sie in dem Punkt einige Fähigkeiten besitzen«, meinte Mike schmunzelnd. »Genauer gesagt, wenn ich etwa zehn Jahre zurückdenke, dann erinnere ich mich. Sie schlagen zu, dass man denkt, ein Maultier hätte einen getreten. Schön, Sie bei uns zu haben. Nächster. Erste Gruppe?«

»Lyle, Knudsen und Moore, Sir«, meldete Sergeant Kerr.

»Das klingt wie eine Anwaltsfirma aus Minneapolis.«

»Ja, Sir«, schmunzelte Sergeant Kerr. »Also, Lyle und Knudsen machen beide Kung Fu. Ich habe mal ein paar Turniere mit angesehen. Die Jungs sind in Ordnung. Und Moore …« Er wies auf einen ungewöhnlich großen Panzeranzug, der neben ihm stand und den das AID folgsam mit »SP4 Moore, Adumapaya« markierte.

»… war offensichtlich der Größte in seiner Klasse«, führte O'Neal den Satz für Kerr zu Ende.

»Ich habe ein bisschen Ball gespielt, Sir. Und mich haut so leicht nichts um«, dröhnte eine tiefe Bassstimme.

»Geht in Ordnung. Dritte?«

»Also, Sir«, sagte Sergeant Brecker, »wir haben keinen, der genau die Voraussetzungen erfüllt, aber ich werde mitkommen. Ich habe auf der High School gerungen und ich glaube, ich schaffe das.«

»Das will ich Ihnen nicht absprechen, schließlich muss Ihre Gruppe auch vertreten sein. Scouts?«

»Ich gehe, Sir«, erklärte Sergeant Wiznowski. »Und versuchen Sie bloß nicht, mich aufzuhalten.«

Mike sah sich die Energiedaten des Teams an und stimmte zu; alle waren im gelben Bereich, aber keiner näherte sich dem Nullpunkt. »Okay, der Plan lautet folgendermaßen«, sagte er und schickte jedem Mitglied des Platoons eine Karte. »Scouts führen uns zu dem Raum zwei Etagen vom Energiesaal entfernt«, erklärte er und markierte die Position.

»Zwischen diesem Raum und dem Energiesaal ist ein Gang, Biegung nach rechts, zehn Meter zum Energiesaal auf der linken Seite. Wir überprüfen den Gang, dann rückt das Team zur Tür der Energiezentrale vor, während der Rest des Platoons zurückbleibt. Reihenfolge: Wiz, Moore, ich, Lyle, Knudsen, Duncan, Brecker.«

»Wiz, Sie sichern im unteren Teil des Korridors. Auf den Gebäudesensoren ist die Tür als abgeschlossen angegeben. Moore, Sie übernehmen die Tür. Ich erledige alles, was sich bewegt, wenn wir den Saal betreten, dann rücken Lyle, Knudsen und Duncan vor. Anschließend ich. Wiz zieht sich zurück, und Moore rückt vor. Brecker hält die Tür. Ich lade Ihnen die Bewegungsvektoren auf Ihre Systeme.

Die Posleen haben einige der Sensoren entfernt oder zerstört, wir haben also keine exakten Informationen darüber, wo sie sind. Wenn einer von Ihnen außer Gefecht gesetzt wird, werden die Vektoren automatisch aktualisiert. Der Rest des Platoons rückt auf mein Kommando nach. Zu dem Zeitpunkt werde ich festlegen, wer den Korridor sichert. Fragen?«

»Wie viele Posleen sind in der Energiezentrale?«, wollte Duncan wissen.

»Etwa dreißig«, erklärte Mike.

»Dreißig?«, stieß Duncan hervor, »und nur sieben von uns.«

»Ja«, bestätigte Mike, »großartig, nicht wahr?«

»Sir …«

»Genug, Sergeant. Wir haben jetzt keine Zeit für lange Diskussionen. Sie können jederzeit ablehnen. Alles ist völlig freiwillig.« Mike wartete auf die Antwort.

»Schon gut«, sagte Duncan, nachdem er kurz überlegt hatte. »Ich glaube nur nicht, dass das zu schaffen ist, Lieutenant.«

»Nehme ich zur Kenntnis. Sonst noch Fragen?« Es kamen keine.

»Scouts, Marsch.«

Sie erreichten den Korridor vor der Energiezentrale, ohne dass sich ihnen Widerstand in den Weg stellte, lediglich an der letzten Ecke gab es ein Problem.

»Da ist ein Posten«, flüsterte Sergeant Wiznowski.

»Damit wäre unser Plan geplatzt«, flüsterte Duncan.

»Durch die Panzer können die uns wohl kaum hören, Sergeant Wiz. Deshalb ist noch lange nichts ›geplatzt‹, Sergeant Duncan. Ich habe mir das schließlich überlegt. Okay, alles ruhig und in die Hocke gehen. Team, vorrücken.« Mike schaltete seine Kompensatoren hoch und bewegte sich auf die Tür zu. Zum Glück übertönte das Dröhnen des Fusionsreaktors in der Zentrale die meisten Geräusche. Er studierte die Tür kurz, um sich zu vergewissern, dass sie sich leicht würde öffnen lassen, und klappte seinen Bauchpanzer auf. Dann zog er den entladenen Energiestein heraus, den der Soldat ihm gegeben hatte, und warf ihn hoch, um ihn gut in den Griff zu bekommen.

»Michelle, Zielgitter, bitte. Linker Arm auf Automatik, visuelles Ziel.« Er riss die Tür auf, trat in den Korridor und fixierte den Posleen, der die Zentrale bewachte. »Feuer.« Die Pseudomuskeln des Panzers drehten den linken Arm des Anzugs in die Vertikale und schleuderten das ein Kilo schwere Geschoss mit zweihundert Stundenkilometern gegen die Stirn des Posleen. Der Zentauroid sackte zusammen wie ein Stein.

»Los.« Wiznowski huschte an ihm vorbei den Korridor hinunter, und er schloss sich Moore an. Als Moore die Tür erreichte, vergewisserte sich Mike, dass alle an Ort und Stelle waren, bückte sich, zog mit der linken Hand den Säbel der toten Posleen-Wache und sagte: »Los jetzt.«

Moore trat einen halben Schritt zurück und warf sich durch die Tür; dies tat er mit solchem Schwung, dass er weit in den Raum hineingetragen wurde. Als Mike bewusst wurde, dass sie das Kühlsystem des Fusionsreaktors vor sich hatten, war er froh, dass sie nicht aus allen Rohren schießend vorgestürmt waren.

»Keine Handgranaten«, stieß er hervor und nahm sich die Posleen vor, die er vor sich hatte. Jedes Mal, wenn einer zu sehen war, schnippte sein AID einen Schuss aus dem Bereitschaftsvorrat unter dem linken Arm und warf ihn so wie man ein Frisbee wirft. Bei der Munition handelte es sich um Drei-Millimeter-Nadeln aus abgereichertem Uran. Sie trafen ihr Ziel mit tödlicher Präzision und einer Geschwindigkeit von über hundert Metern pro Sekunde.

In dem Raum befanden sich sieben Posleen, ordentlich nebeneinander aufgereiht, mit Ausnahme von einem, fast unmittelbar vor Mike, der eine Maske trug. Die fünf auf der anderen Seite des Raums waren mit der Kühlsteuerung beschäftigt, während der zu seiner Linken gerade den Raum betreten hatte und der unmittelbar vor ihm sich von rechts nach links bewegte. Mike wählte ihn als erstes Ziel. Der Tropfen abgereichertes Uran wog nur etwa sechzig Gramm, bewegte sich aber mit der Geschwindigkeit einer.45-Kaliber-Kugel und traf exakt auf den Punkt.

Der Tropfen drang unter dem Kinn in den krokodilähnlichen Kopf des Posleen ein, jagte nach oben, durchdrang seine Wirbelsäule und setzte sich in der hinteren Schädelhälfte fest. Aus dem Hals des Posleen spritzte gelbes Blut, und er sackte zu Boden. Die drei an der Kühlungssteuerung wurden ebenso wirksam erledigt und waren bereits tot, ehe der erste Posleen den Boden erreicht hatte. Aber der Posleen, der gerade den Raum betreten hatte, war ein ranghöherer Normaler mit besserem Reaktionsvermögen und auch besser bewaffnet.

Mike grunzte, als ein 3-mm-Schuss durch sein linkes Bein drang, und schnippte dem aggressiven Posleen einen Schuss hin. Der wich aus, suchte hinter der Sekundärsteuerung Deckung. Mike erledigte den letzten Posleen, sprang nach links und zog dabei seine Pistole. Wie ein Revolverheld vertauschte er Pistole und Säbel, immer noch in der Hoffnung, Lärm vermeiden zu können. Ob das Sinn hatte, wusste er nicht; der Überschallknall seiner Railgun musste im ganzen Gebäude zu hören gewesen sein.

Plötzlich zuckte der Posleen wieder ein paar Meter von der Stelle entfernt, wo er Deckung gesucht hatte, in die Höhe: und 3-mm-Projektile aus seiner Railgun prallten von Mikes schwerem Kürass ab und schmetterten ihn nach hinten. Mike wurde auf dem linken Fuß herumgerissen und schleuderte den Säbel. Die fast einen Meter lange monomolekulare Klinge pfiff durch die Luft und bohrte sich in die Brust des Posleen; es klang so, wie wenn eine Luftschleuse geschlossen wird. Der Posleen zuckte einen Augenblick lang, ließ dann die Railgun fallen und ging auf alle vier Knie nieder, hustete gelbes Blut.

Mike riss das Messer heraus, trat die Waffe beiseite und schnitt dem Posleen vorsichtshalber den Kopf ab. Dann sah er sich im Raum um: Alle Posleen lagen am Boden, und sein Team war bereits ausgeschwärmt. Das Einzige, was ihm jetzt noch zu tun blieb, war seinem Vektor zu folgen.

Mike hatte sich vorgenommen, die äußere Flanke zu sichern. Wenn es einen organisierten Gegenangriff gab, würde dieser nach seiner Vermutung aus dieser Richtung kommen, und er zog es vor, sich selbst darum zu kümmern.

Er hinkte zunächst noch, doch die biomechanischen Reparaturprozesse seines Anzugs hatten bereits eingesetzt. Der Autodoc seines Panzers verpasste ihm eine Lokalnarkose und spritzte dann Antibiotika und Sauerstoff. Die Unterschicht des Panzers dichtete den getroffenen Bereich ab, reduzierte damit den Blutverlust und pumpte das ausgetretene Blut in den Recyclingbereich, wo daraus Nahrung und Luft bereitet wurde. Gleichzeitig machten sich Nano-Reparatursysteme daran, die äußere ›harte‹ Panzerung Molekül für Molekül zu ersetzen. Wenn den Selbst-Reparatursystemen genug Zeit, Energie und Material zur Verfügung stand, konnten sie auch größere Schäden vollständig ›heilen‹.

Inzwischen hatte O'Neal sich ein besseres Bild von der Größe der Anlage verschafft und wies sein Platoon an, den Kühlraum zu besetzen, wodurch Sergeant Brecker freigestellt wurde, um die nähere Umgebung abzusuchen. Er stieß noch dreimal auf Posleen, aber immer nur einen, und keiner davon besaß schwere Waffen. Die Normalen kämpften tapfer, aber am Ende aussichtslos, ihre 1-mm-Geschosse prallten wie Regentropfen von einem Blechdach von den Anzügen ab. Nur ein einziger, verstärkter Normaler hatte sich ihnen in den Weg gestellt, und den hatten Sergeant Wiznowski und Sergeant Duncan erledigt. Sie hatten keine Ausfälle.

Mike spürte jetzt die Erschöpfung, was nach Stunden des Kampfs und der Anstrengung kein Wunder war. Er taumelte in den Kühlraum zurück, wo die Pioniere vergnügt damit beschäftigt waren, die Soldaten an die Energieanschlüsse anzukoppeln. Er reihte sich in die Schlange ein und sackte schließlich in einem der unterdimensionierten Indowy-Stühle zusammen.

»Lagebericht, Sergeant Green?«, stieß er dann hervor. Warum er eigentlich trotz des Provigil-C so schlapp war, war ihm ein Rätsel. Er hatte an den Einsatztests teilgenommen, und die waren wesentlich härter und länger gewesen als das, was er hier bis zur Stunde mitgemacht hatte. Bei den Tests hatte er an zweiundsiebzig Stunden Kampf in Virtual Reality teilgenommen und war am Ende frisch wie der junge Morgen gewesen. Es war fast so, als ob er überhaupt kein Provigil genommen hätte. Möglicherweise wären sie besser dran gewesen, ein schlichtes Amphetamin einzunehmen.

»Nur noch drei vom ersten Team zu versorgen.« Auch der Sergeant klang müde. »Wir haben ein Lager von Energiesteinen gefunden, und jeder hat mindestens einen davon bekommen. Zwölf Minuten sind wir hinter dem Plan zurück, auch dem aktualisierten. Keine Ausfälle im Vorausteam oder sonst wo, und wir haben sämtliche Posleen-Waffen eingesammelt. Aber, Sir, die Männer haben Angst und sind müde, trotz der Muntermacher. Wir brauchen dringend eine Ruhepause.«

»Das hier ist die letzte Pause, Sergeant«, erklärte O'Neal. Er spürte, wie ihm die Augen zufielen, und atmete tief durch. Diese verdammten Muntermacher sollten zehn Stunden halten!, dachte er. »Wir haben einen Einsatz zu erledigen. Wenn der Letzte aufgetankt ist, ziehen wir los.«

»Sir, ich denke, Sie sollten mit weiter oben darüber sprechen. Die Männer sind am Ende. Ich meine, sehen Sie sie doch an«, er wies auf die Anzüge, die an den Wänden verteilt zusammengesunken waren. »Wollen Sie mit solchen Typen ins Gerecht gehen? Die brauchen mindestens eine Stunde Schlaf. Als Sie vorhin unter dem Gebäude gefragt haben, ob wir dort oder später ausruhen sollten, haben Sie angedeutet, dass es später sein würde.«

»Es geht nicht um ein paar Stunden, Sergeant, und jetzt ist auch einfach keine Zeit, darüber zu debattieren. Setzen Sie die Männer in Marsch.«

»Ich glaube nicht, dass die das schaffen, Sir.«

»Sie meinen, Sie glauben nicht, dass sie es tun werden.«

»Ja, Sir.«

»Irgendwelche Vorschläge?«

»Nein, Sir, ich weiß nicht, was ich unternehmen soll.«

»Werden Sie mitmachen?«

»Ich … ja, Sir, ich schon, ich bin schließlich Berufssoldat. Wenn man es mir befiehlt, greife ich auch die Hölle mit einem Eimer Wasser an. Aber diese Männer haben ansehen müssen, wie ihr ganzes Bataillon vernichtet wurde, und die sind mit ihrer Moral am Ende. Ich glaube nicht, dass sie noch kämpfen werden. Es gibt so gut wie nichts, womit man sie noch motivieren kann.«

»Oh ihr Kleingläubigen. Platoon-Frequenz. Alle mal herhören. Plan zeigen …« Michelle übertrug den Plan auf sämtliche Gesichtsscheiben, mit Ausnahme des Vorausteams, das sich noch auf dem Rückweg zum Kühlraum befand.

»Das ist ein Plan der Umgebung«, sagte Mike und markierte einige vertraute Stellen, die die Soldaten vielleicht erkennen würden. »Sehen Sie diese blauen Flecke? Michelle, markieren – das ist der Rest der NATO-Truppen, und sie sind umzingelt. Wir werden sie heraushauen.« Ungläubiges Stöhnen war zu hören.

»Die haben nicht mehr viel Zeit, wir müssen uns also beeilen. Und wir werden das auf unkonventionelle Weise tun. Ist Ihnen oben aufgefallen, dass diese Gebäude ganz dicht beieinander stehen? Dass sämtliche Dächer sich auf gleicher Höhe befinden? Nun, sie sind identisch und stehen nahe genug beieinander, dass ein Soldat in seinem Panzer von einem Dach zum nächsten springen kann. Und genau das werden wir tun.

Wir gehen jetzt aufs Dach und springen von einem Bau zum nächsten, bis in den Kessel. Und dann werden wir sämtliche Gebäude rings um den Kessel herum verminen und sie auf die Posleen kippen. Für unterwegs hat man mir Nachschub an Waffen und Munition versprochen«, fuhr er von mürrischem Schweigen begleitet fort, »und dann werden wir unseren Job tun. Das ist eigentlich ganz einfach. Haben das alle verstanden?« Sergeant Wiznowski, der soeben als Letzter eingetroffen war, setzte sich gerade, um aufzutanken, als Mikes Ladevorgang abgeschlossen war. Stille.

»Ich habe gefragt, ob das alle verstanden haben!«

»Yeah.«

»Klar.«

»Ja, Sir.«

Mike blickte in die Runde, sah die versammelten Anzüge an. Sie waren in sich zusammengesunken, und ihre Ermüdung und Verstimmung war deutlich zu erkennen.

»Tut mir Leid, mein AID funktioniert wohl nicht richtig«, sagte er und drückte den rechten Zeigefinger in Höhe seines Ohrs an den Helm, wie um es zu säubern. Michelle übertrug hilfsbereit einen quietschenden Laut. »Ich kann Sie nicht H-Ö-R-E-N.«

»Yessir!« Diesmal klang es zur Abwechslung wütend, und das war aus Mikes Perspektive besser als müde oder stur. Jetzt musste er die Wut nur noch auf das richtige Ziel lenken.

»Bis zu diesem Augenblick haben die uns in den Arsch gefickt«, erklärte er. »Ich halte davon gar nichts, ohne damit einem unserer sexuell aufgeschlossenen Politiker nahe treten zu wollen. Und ganz unabhängig davon, wie Sie es gerne haben, glaube ich jedenfalls nicht, dass irgendjemand in diesem Raum ist, der sich gern in den Arsch ficken lässt.

Ich will Ihnen jetzt ganz persönlich etwas versprechen«, sagte er und damit wurde seine Stimme leise, gefährlich, »und falls Sie das noch nicht bemerkt haben, ich bin vielleicht ein Arschloch, aber wenn ich etwas anpacke, dann ziehe ich das auch durch. Und wenn ich etwas verspreche, dann halte ich es.

Das verspreche ich Ihnen, und sonst nichts. Wir werden diesen verdammten Posleen den Arsch aufreißen, das garantiere ich. Ich garantiere nicht, dass am Ende irgendeiner von uns noch übrig sein wird und es miterleben kann. Das ist nicht mit drin«, zischte er.

»Und dazu müssen wir jetzt alle aufstehen und losziehen und mit dem Teufel tanzen. Wir können führen oder uns führen lassen, aber getanzt wird! Hat das jeder verstanden?«, flüsterte er.

»Yessir!«

»Gott verdammt noch mal, das klingt ja wie in einem beschissenen Frisörladen!«, schrie er.

»Yessir!«

»Was werden wir tun?«

»Kämpfen?«

»Uns in den Arsch treten lassen?«

»Die anderen in den Arsch treten?«

»Tanzen werden wir. Also, was tun wir?«

»Tanzen, Sir.«

»Verdammt …«

»TANZEN WERDEN WIR, SIR!«, tönten sie.

»UND MIT WEM WERDEN WIR TANZEN?«

»MIT DEM TEUFEL!«

»WERDEN WIR FÜHREN ODER UNS FÜHREN LASSEN?«

»FÜHREN!«

»GENAU! SCOUTS, MARSCH!«