13

Auf ihrer Fahrt in Emilio Dell’Oros Mercedes, der zu Madame Mères Entrüstung geschlagene zehn Minuten die Durchfahrt vor dem Quinze Anges blockiert hatte – und nicht mal das Fenster hatte diese Kanaille von Chauffeur heruntergelassen, um sich ihre Schimpfkanonade anzuhören! –, quälten Perry Makepiece weit mehr Sorgen, als er Gail gegenüber zugeben mochte, die in ihrem todschicken Vivienne-Westwood-Anzug mit den Pluderhosen (ihr Geschenk an sich selbst zur Feier ihres ersten gewonnenen Prozesses) alles aufbot, was sie hatte: »Wenn diese Edelnutten mit von der Partie sind, muss ich schon auch ein paar Geschütze auffahren«, hatte sie Perry wissen lassen, während sie halsbrecherisch auf dem Bett balancierte, um sich im Spiegel über dem Waschbecken zu begutachten.

* * *

Gestern Nacht, als sie von ihrem Abendessen zurückgekommen waren, hatten Madame Mères Knopfaugen bedeutsam aus dem Kabuff hinter der Rezeption herausgefunkelt.

»Willst du als Erste ins Bad, und ich komme dann nach?«, hatte er vorgeschlagen, und Gail war mit dankbarem Gähnen hochgegangen.

»Zwei Araber«, wisperte Madame Mère.

»Araber?«

»Arabische Polizisten. Untereinander haben sie arabisch geredet und mit mir französisch. Arabisch-französisch.«

»Was wollten sie wissen?«

»Alles. Wo Sie sind. Was Sie machen. Ihre Passnummer. Ihre Adresse in Oxford. Madames Adresse in London. Alles über Sie.«

»Was haben Sie ihnen gesagt?«

»Nichts. Dass Sie ein alter Gast sind, dass Sie schön brav bezahlen, dass Sie gute Manieren haben und immer nur eine Frau auf einmal, dass Sie bei einer Malerin auf der Île eingeladen sind und spät zurückkommen werden, aber einen Schlüssel haben, weil Sie vertrauenswürdig sind.«

»Und unsere englischen Adressen?«

Madame Mère war eine kleine Frau, was ihr gallisches Achselzucken umso dramatischer ausfallen ließ. »Alles, was Sie auf Ihre fiche geschrieben haben, das haben sie genommen. Wenn Sie nicht wollen, dass man Ihre Adresse weiß, hätten Sie eine falsche angeben müssen.«

Perry nahm ihr das Versprechen ab, dass sie nichts zu Gail sagen würde – mon Dieu, als würde ihr das jemals einfallen, schließlich war sie selbst eine Frau! –, und erwog, auf der Stelle Hector anzurufen, aber da er Perry war, und noch dazu Perry mit einer beträchtlichen Menge altem Calvados im Leib, entschied er ganz pragmatisch, dass niemand etwas tun konnte, das nicht bis zum nächsten Morgen warten konnte, und ging zu Bett. Als er zum Aroma von frischem Kaffee und Croissants wieder erwachte, saß Gail zu seiner Überraschung am Fußende des Bettes, im Bademantel, das Handy in der Hand.

»Ist was passiert?«, fragte er.

»Die Kanzlei hat nur gerade bestätigt.«

»Was bestätigt?«

»Du hattest vor, mich heute Abend heimzuschicken, schon vergessen?«

»Nein, natürlich nicht.«

»Jedenfalls fahre ich nicht. Ich habe der Kanzlei eine SMS geschickt, und jetzt darf Helga Samson gegen Samson an die Wand fahren.«

Helga, Gails Intimfeindin? Die männermordende Helga mit den Netzstrümpfen, der die männliche Belegschaft der Kanzlei geschlossen aus der Hand fraß?

»Warum machst du so was, um Himmels willen?«

»Wegen dir, größtenteils. Aus irgendeinem Grund ist mir nicht danach, dich allein zu lassen, während du mit den Zähnen an der Felskante hängst. Und morgen begleite ich dich nach Bern, wo du ja wohl als Nächstes hinfahren wirst, auch wenn du es mir nicht gesagt hast.«

»Ist das schon alles?«

»Wieso nicht? Wenn ich in London bin, machst du dir ja trotzdem Sorgen um mich. Also kann ich genauso gut da sein, wo du mich sehen kannst.«

»Und du kommst nicht auf die Idee, dass ich mich noch mehr sorgen könnte, wenn ich dich sehe?«

Das war hässlich gesagt, und er wusste es und sie auch. Als Abbitte hätte er ihr fast von seinem Gespräch mit Madame Mère erzählt, aber er befürchtete, dann würde sie ihm erst recht nicht mehr von der Seite weichen wollen.

»Du scheinst mir über diesen ganzen Erwachsenenspielchen die Kinder zu vergessen«, sagte sie, vorwurfsvoll jetzt.

»Gail, das ist kompletter Unsinn! Ich tue alles in meiner Macht Stehende, genau wie unsere Freunde auch, um sicherzustellen, dass sie …« Besser, der Satz blieb unvollendet. Besser, sie beließen es bei Andeutungen. Nach ihren vierzehn Tagen Einweisung mochte er gar nicht darüber nachdenken, wer wann wo mithören könnte. »Die Kinder waren und sind meine erste Priorität«, sagte er nicht ganz wahrheitsgemäß und merkte, wie er rot wurde. »Für sie machen wir das alles doch«, beharrte er. »Wir beide. Nicht nur du. Natürlich geht es mir auch um unseren Freund und darum, diese ganze Sache durchzuziehen. Und natürlich fasziniert es mich. Alles.« Ein wenig beschämt stockte er. »Weil es ein Stück wirkliches Leben bedeutet. Und die Kinder sind Teil davon. Ein enorm großer Teil. Und das bleiben sie auch dann, wenn du wieder in London bist.«

Aber wenn Perry erwartet hatte, dass diese hehre Absichtsbekundung seine Zuhörerschaft in die Schranken weisen würde, so irrte er.

»Aber die Kinder sind ja nicht hier, oder? Und auch nicht in London«, konterte Gail unbeeindruckt. »Sie sind in Bern. Und sie trauern schrecklich um Mischa und Olga, sagt Natascha. Die Jungs sind den ganzen Tag beim Fußball, Tamara hält Zwiesprache mit Gott, alle merken, dass irgendwas in der Luft liegt, aber sie wissen nicht was.«

»Sagt Natascha? Was redest du da?«

»Wir simsen uns.«

»Du und Natascha?«

»Richtig.«

»Davon hast du mir gar nichts erzählt.«

»Und du mir nichts von den Plänen für Bern. Oder?« – sie küsste ihn –, »oder? Um mich zu beschützen. Also beschützen wir uns von jetzt an gegenseitig. Keine einsamen Entscheidungen mehr. Einverstanden?«

* * *

Einverstanden nur insoweit, als Gail sich fertigmachen würde, während er in den Regen hinauszog, um sich bei Printemps für sein Tennismatch einzudecken. Mit dem Rest des Gesagten herrschte, jedenfalls von seiner Seite, entschieden kein Einverständnis.

Ihn beunruhigten nicht nur Madame Mères nächtliche Besucher. Auch sonst war die gestrige Euphorie dem Gefühl einer unwägbaren, rasant näher rückenden Bedrohung gewichen. Als er triefnass im Foyer von Printemps anlangte, rief er Hector an und bekam ein Besetztzeichen. Zehn Minuten später stand zu seinen Füßen eine nagelneue Sporttasche mit T-Shirt, Socken, Tennisschuhen und (was hatte ihn da bloß geritten?, fragte er sich) einem Sonnenvisier darin, und als er es diesmal probierte, kam er durch.

»Haben Sie eine Beschreibung?«, erkundigte sich Hector, etwas zu entspannt für Perrys Geschmack, nachdem er ihn zu Ende angehört hatte.

»Araber.«

»Mag schon sein, dass es Araber waren. Vielleicht waren es aber nebenbei französische Polizisten. Haben sie ihre Ausweise vorgezeigt?«

»Hat sie nicht gesagt.«

»Und Sie haben auch nicht gefragt?«

»Nein, hab ich nicht. Ich war nicht völlig nüchtern.«

»Was dagegen, wenn ich Harry auf ein Schwätzchen bei ihr vorbeischicke?«

Harry? Ach richtig, Ollie. »Ich glaube, es war auch so schon Aufregung genug, trotzdem vielen Dank«, sagte Perry steif.

Er wusste nicht recht, was als Nächstes kommen sollte. Vielleicht wusste Hector es auch nicht.

»Sonst keine Bauchschmerzen?«, fragte Hector.

»Bauchschmerzen?«

»Zweifel. Lampenfieber. Kalte Füße. Muffensausen, was weiß ich«, sagte Hector ungeduldig.

»Meinerseits keinerlei Bauchschmerzen. Bis auf diese verfluchte Kreditkarte, die nicht durchgehen will.« Die gab es nicht. Es war eine Lüge, und er wusste nicht, warum er sie erzählte, außer um Mitleid einzuheimsen, das er aber nicht bekam.

»Doolittle auch guter Dinge?«

»Sie findet, ja. Ich finde, nein. Sie will unbedingt mit nach Bern. Ich bin strikt dagegen. Sie hat ihren Part gespielt – großartig, wie Sie gestern Abend selbst gesagt haben. Ich will, dass sie es damit gut sein lässt, heute Abend wie geplant nach London zurückfährt und dort bleibt, bis ich wieder da bin.«

»Tja, aber das wird sie nicht.«

»Wieso nicht?«

»Weil sie vor ein paar Minuten angerufen hat, um mir zu sagen, dass Sie sicher gleich anrufen würden und dass keine zehn Pferde sie dazu bringen können, ihre Meinung zu ändern. Was ich als ziemlich endgültig ansehe, und das sollten Sie ebenfalls. Wenn Sie nicht gegen den Strom ankommen, schwimmen Sie mit. Sind Sie noch dran?«

»Was denn sonst? Und was haben Sie ihr geantwortet?«

»Ihr gesagt, wie sehr mich das freut. Wie unverzichtbar sie für die Sache ist. Und da es ihre freie Entscheidung war und nichts auf der Welt sie umstimmen kann, würde ich Ihnen zu einem ähnlichen Kurs raten. Kleiner Zwischenbericht von der Front gefällig?«

»Ja?«

»Noch läuft alles nach Plan. Die Siebenerbande hat ihre große Unterzeichnungsaktion mit unserem Mann hinter sich gebracht, alle mit Leichenbittermienen, was aber am Kater liegen kann. Im Moment wird er mit bewaffnetem Geleit nach Neuilly zurückbefördert. Im Club des Rois ist Lunch für zwanzig Personen bestellt. Die Masseure stehen Gewehr bei Fuß. Alles also wie gehabt, außer dass Sie beide, wenn Sie ce soir nach London zurückfahren, von dort morgen weiterfliegen nach Zürich, E-Tickets am Flughafen. Luke holt Sie ab. Nicht Sie allein, wie ursprünglich ausgemacht. Sondern Sie beide zusammen. Und, klingt das akzeptabel?«

»Muss es ja wohl.«

»Sie hören sich so brummig an. Hängt Ihnen unser kleines Gelage nach?«

»Nein.«

»Dann Kopf hoch. Unser Mann will Sie topfit sehen. Wir übrigens auch.«

Perry hatte mit dem Gedanken gespielt, Hector von Gails SMS-Freundschaft mit Natascha zu berichten, sich jedoch eines Besseren besonnen – wenn sich von »besser« denn sprechen ließ.

* * *

Im Mercedes stank es nach kaltem Rauch. In dem Netz an der Lehne des Beifahrersitzes klemmte eine angebrochene Flasche Perrier. Der Chauffeur war ein Hüne mit kleinem, kugeligem Schädel. Hals hatte er keinen, nur ein paar waagrechte rote Striemen zwischen den Stoppeln, die aussahen wie mit einer Rasierklinge geritzt. Gail in ihrem seidenen Hosenanzug, der immer wirkte, als müsste er ihr jeden Moment vom Körper gleiten, erschien Perry so schön wie noch nie. Ihr langer weißer Regenmantel – ein Luxuskauf bei Bergdorf Goodman in New York – lag neben ihr auf dem Sitz. Der Regen trommelte mit solcher Wucht auf das Autodach, dass es wie Hagel klang. Die Scheibenwischer versuchten ächzend und jammernd hinterherzukommen.

Der kugelköpfige Hüne lenkte den Mercedes in eine Seitenstraße, hielt vor einem eleganten Apartmenthaus und hupte einmal. Ein zweiter Wagen stellte sich hinter sie. Eine Autojagd? An so was dürft ihr nicht mal denken. Ein rundlicher, frohgemuter Mann mit weitem Ulster und einem breitkrempigen Regenhut kam aus dem Foyer gehüpft und schwang sich auf den Beifahrersitz, drehte sich nach hinten, pflanzte den Arm auf die Rückenlehne und sein Doppelkinn auf den Arm.

»Na, wer ist alles in Tennislaune?«, begann er mit hoher, gedehnter Stimme. »Monsieur le Professeur schon mal, klarerweise. Und Sie müssen seine bessere Hälfte sein, meine Liebe, ganz eindeutig sind Sie das. Sogar noch besser als gestern, wenn ich das so sagen darf. Ich gedenke Sie das ganze Spiel hindurch mit Beschlag zu belegen.«

»Gail Perkins, meine Verlobte«, sagte Perry steif.

Seine Verlobte? Ach so? Davon war zwischen ihnen nicht die Rede gewesen. Vielleicht ja zwischen Milton und Doolittle.

»Mein Name ist Dr. Popham, besser bekannt als Bunny, wandelndes gesetzliches Schlupfloch für die ekelerregend Reichen«, fuhr er fort, während seine kleinen rosafarbenen Äuglein gierig von einem zum anderen glitten, als versuchte er zu entscheiden, wen von ihnen er als Erstes verspeisen wollte. »Sie entsinnen sich vielleicht, dass unser russischer Bär gestern die Stirn hatte, mich vor einem tausendköpfigen Publikum zu beleidigen? Worauf ich ihn mit meinem Spitzentüchlein weggewedelt habe?«

Perry schien nicht zum Antworten aufgelegt, darum sprang Gail in die Bresche.

»Und woher kennen Sie ihn, Bunny«, fragte sie munter, während das Auto sich wieder in den Verkehr einfädelte.

»Grundgütiger, er und ich kennen uns so gut wie gar nicht, Gott sei’s gedankt. Sehen Sie mich als einen alten Kumpel von Emilio, der zur moralischen Unterstützung angetreten ist. Dass er sich das immer wieder antut, der Ärmste. Letztens war’s ein Haufen grenzdebiler arabischer Fürstensöhne auf Shoppingtour. Diesmal also ein Trupp öder russischer Banker, Armani-Gang, ich bitte Sie! Und ihre teuren Damen« – er senkte vertraulich die Stimme –, »und teurere Damen habe ich im Leben nicht gesehen!« Seine gierigen kleinen Augen hefteten sich schmachtend auf Perry. »Aber am bedauernswertesten ist natürlich unser armer, lieber Professor« – der Blick der rosa Äuglein tragisch jetzt –, »was für ein Akt der Nächstenliebe! Der Himmel wird es Ihnen lohnen, ich werde mich darum kümmern. Aber wie hätten Sie es unserem armen Bären auch abschlagen können, so geknickt, wie er durch diese furchtbaren Morde ist?« Zurück zu Gail. »Bleiben Sie länger in Paris, Miss Gail Perkins?«

»Oh, ich wünschte, wir könnten noch bleiben. Aber ich muss leider Gottes zurück in die Tretmühle, ob Sonnenschein oder Regen« – ein sarkastischer Blick auf die Bäche, die an der Scheibe hinabströmten. »Und Sie, Bunny?«

»Ach, ich bin flatterhaft. Ich schwirre so herum. Ein kleines Nest hier, ein kleines Nest dort. Ich lasse mich nieder, aber nie für lang.«

Ein Schild zum CENTRE HIPPIQUE DU TOURING, ein anderes zum PAVILLON DES OISEAUX. Der Regen ein wenig schwächer nun. Das Verfolgerauto noch immer hinter ihnen. Zu ihrer Rechten erschien ein verschnörkeltes Flügeltor, verschlossen. Dem Tor gegenüber war eine Parkbucht, in der der Chauffeur den Mercedes zum Stehen brachte. Das verdächtige Auto hielt neben ihnen. Getönte Scheiben. Perry ließ die Türen nicht aus den Augen. Sehr langsam öffnete sich eine. Eine ältliche Matrone stieg aus, gefolgt von ihrem Schäferhund.

»Cent mètres«, knurrte der Chauffeur und zeigte mit einem nicht sehr sauberen Finger auf das Tor.

»Wir sind doch nicht blind, Dummerchen«, sagte Bunny.

Seite an Seite gingen sie die cent mètres, Gail mit Bunny unter dessen Schirm, Perry über die neue Sporttasche gekrümmt, während ihm der Regen ins Gesicht peitschte. Sie kamen zu einem niedrigen weißen Gebäude.

Auf der obersten Eingangsstufe stand unter dem Vordach Emilio Dell’Oro in einem knielangen Regenmantel mit Pelzkragen. Ein Stück entfernt, in einer Gruppe für sich, drei der unwirschen Jungmanager von gestern. Ein paar Mädchen saugten trübsinnig an den Zigaretten, die sie im Clubhaus nicht rauchen durften. Und neben Dell’Oro, bekleidet mit grauen Flanellhosen und Blazer, stand ein hochgewachsener grauhaariger Herr von provozierend aristokratisch-britischem Äußeren, der ihnen seine leberfleckige Hand entgegenstreckte.

»Giles«, stellte er sich vor. »Haben uns schon in dem Trubel gestern kurz gesehen. Nicht dass Sie sich erinnern werden. Ich war eigentlich nur auf der Durchreise, als Emilio mich gekapert hat. Zeigt mal wieder, dass man nie auf Verdacht alte Bekannte anrufen darf. Trotzdem, keine üble Fête gestern Abend, alle Achtung. Ein Jammer nur, dass Sie beide nicht dabei sein konnten« – zu Perry jetzt – »Sprechen Sie Russisch? Ich zum Glück ein bisschen. Fürchte, unsere geschätzten Gäste haben sonst nicht viel vorzuweisen auf dem Sprachengebiet.«

Angeführt von Dell’Oro begab der Trupp sich nach drinnen. Ein nasser Montagmittag: nicht gerade Stoßzeit bei den Clubmitgliedern. An einem Ecktischchen am linken Rand von Perrys Gesichtsfeld saß Luke mit Brille auf der Nase. Er hatte ein Bluetooth-Headset am Ohr und starrte in einen schlanken silbernen Laptop, jeder Zoll der Geschäftsmann, der eine dringende Korrespondenz abwickelt.

Sollten Sie jemanden sehen, der vage einem von uns ähnelt, ist das eine Fata Morgana, hatte Hector sie gestern Abend gewarnt.

Panik. Ein Schlingern in der Magengegend. Wo ist Gail hinverschwunden? Übelkeit stieg in Perry auf, während er hektisch umherschaute, nur um sie in der Mitte des Raums zu entdecken, im munteren Geplänkel mit Giles, Bunny Popham und Dell’Oro. Bleib ruhig, und bleib in Sicht, instruierte er sie im Geiste. Bleib auf dem Boden, heb nicht ab, übertreib’s nicht. Dell’Oro fragte Bunny Popham eben, ob es zu früh für Champagner sei, und Bunny antwortete, das hänge vom Jahrgang ab. Wieherndes Gelächter allseits, aber am lautesten lachte Gail. Perry wollte ihr gerade zu Hilfe eilen, da erschallte das nunmehr vertraute Professor! Jesusmaria!, und als er sich umdrehte, kamen drei Regenschirme die Stufen herauf.

Unter dem mittleren Schirm Dima mit einer Gucci-Sporttasche.

Flankiert von Niki und dem Philosophenschädel, wie Gail ihn flugs getauft hatte.

Sie hatten die oberste Stufe erreicht.

Dima schloss mit einem Knall seinen Schirm, drückte ihn Niki in die Hand und schlenderte dann durch die Schwingtür, allein.

»Seht ihr Drecks-Regen?«, rief er den Versammelten kriegerisch entgegen. »Seht ihr den Himmel? Zehn Minuten, dann scheint da oben die Sonne!« Und zu Perry: »Was ist, Professor, magst du Tennissachen anziehen, oder mach ich dich in dein gottverdammten Anzug platt?«

Halbherziges Gelächter aus dem Publikum. Das surreale Schauspiel von gestern ging in seine zweite Runde.

* * *

Perry und Dima steigen eine dunkle Holztreppe hinunter, ihre Sporttaschen in der Hand. Dima als Clubmitglied geht voran. Turnhallengerüche. Kiefernöl, Dampfigkeit, verschwitzte Kleider.

»Ich hab Schläger, Professor!«, blafft Dima die Stufen empor.

»Wunderbar!«, blafft Perry nicht minder laut.

»Sechs mindestens! Schläger von Wichskerl Emilio. Spielt scheiße, aber gute Schläger hat er.«

»Sechs von seinen dreißig, oder wie?«

»Gut erkannt, Professor! Gut erkannt!«

Dima kündigt ihnen an, dass wir auf dem Weg nach unten sind. Er braucht nicht zu wissen, dass Luke sie schon vorgewarnt hat. Am Fuß der Treppe wirft Perry einen Blick über die Schulter. Kein Niki, kein Philosophenschädel, kein Emilio, niemand. Sie betreten einen düsteren Umkleideraum, holzgetäfelt im skandinavischen Stil. Keine Fenster. Energiesparlampen. Hinter Milchglas ahnt man zwei alte Männer beim Duschen. Auf einer hölzernen Tür steht TOILETTES. Auf zwei weiteren MASSAGE. An beiden Türklinken ein Occupé-Schild. Klopfen Sie an die rechte Tür, aber erst, wenn er so weit ist. So, jetzt wiederholen Sie das.

»Schönen Abend gehabt, Professor?«, erkundigt sich Dima beim Ausziehen.

»Sehr schön. Wie war Ihrer?«

»Scheiße.«

Perry lässt seine Sporttasche auf eine der Bänke fallen, zieht den Reißverschluss auf und beginnt mit dem Umkleiden. Dima, splitternackt jetzt, kehrt ihm den Rücken zu. Sein Torso ist ein blaues Labyrinth, vom Nacken bis hinunter zum Gesäß. Das Herzstück stellt ein Mädchen in einem Vierziger-Jahre-Badeanzug dar, das von fauchenden Bestien belagert wird. Die Schenkel des Mädchens schlingen sich um den Baum des Lebens, der seine Wurzeln in Dimas Steiß hat und seine Äste über seine Schulterblätter breitet.

»Ich muss pissen«, verkündet Dima.

»Tun Sie sich keinen Zwang an«, sagt Perry spaßhaft.

Dima öffnet die Toilettentür und sperrt sie hinter sich ab. Sekunden später kommt er wieder zum Vorschein, in der Hand einen zylinderförmigen Gegenstand. Es ist ein zugeknotetes Kondom mit einem USB-Stick darin. Von vorne hat Dima den Körper des Minotaurus. Sein buschiges schwarzes Schamhaar wuchert bis zum Nabel hinauf. Der Rest ist nicht minder imposant. An einem der Waschbecken hält er das Kondom unters laufende Wasser, tritt dann zu seiner Gucci-Tasche und schneidet es mit einer Schere entzwei, zieht die beiden Enden ab und gibt sie weiter an Perry, damit der sie verliert. Perry steckt sie in eine Seitentasche seines Sakkos, und in seinem Kopf blitzt das Bild von Gail auf, wie sie sie in einem Jahr dort findet und fragt: »Na, wann kommt denn der Nachwuchs?«

Mit der Zackigkeit des Zuchthäuslers zieht Dima ein Suspensorium und lange blaue Tennisshorts an, lässt den Stick in der rechten Shortstasche verschwinden, schlüpft in ein langärmliges T-Shirt, Socken, Turnschuhe. Das Ganze nimmt nicht mehr als ein paar Sekunden in Anspruch. Die eine Duschkabine geht auf. Ein dicker älterer Mann kommt heraus, ein Handtuch um den Bauch.

»Bonjour tout le monde!«

Bonjour.

Der dicke ältere Mann öffnet seinen Spind, lässt das Handtuch auf seine Füße fallen, holt einen Kleiderbügel heraus. Die zweite Duschkabine geht auf. Ein zweiter älterer Mann erscheint.

»Quelle horreur, la pluie!«, beschwert sich der zweite ältere Mann.

Perry gibt ihm recht. Wirklich grauenhaft, dieser Regen. Energisch klopft er bei der rechten Massagekabine. Drei Mal nur, kurz, aber fest. Dima steht hinter ihm.

»C’est occupé«, warnt der erste ältere Mann.

»Pour moi, alors«, sagt Perry.

»Lundi, c’est tout fermé«, legt ihm der zweite ältere Mann nahe.

Ollie öffnet von innen. Sie schieben sich an ihm vorbei. Ollie drückt die Tür zu, versetzt Perry einen ermutigenden Klaps auf den Arm. Er hat den Ohrring abgenommen und das Haar glatt nach hinten gekämmt. Er trägt einen weißen Kittel. Es ist, als hätte er eine Persönlichkeit abgelegt und eine andere übergestreift. Auch Hector ist im weißen Kittel, den er aber lässig offen trägt. Als Obermasseur darf er das.

Ollie klemmt Holzkeile zwischen Tür und Türrahmen, zwei unten, zwei an der Seite. Wie immer bei Ollie hat Perry das Gefühl, dass er all dies zum x-ten Mal macht. Hector und Dima stehen sich erstmals gegenüber, hintübergelehnt der eine, der andere nach vorn gebeugt. Hector im Vormarsch, Dima zurückweichend. Dima könnte ein alter Häftling sein, der sich auf den nächsten Teil seiner Strafe gefasst macht, Hector der Zuchthausdirektor. Dann streckt Hector die Hand aus. Dima schüttelt sie und hält sie mit der Linken fest, während er mit der Rechten in seiner Tasche sucht. Hector reicht den USB-Stick weiter an Ollie, der damit an einen Seitentisch tritt, die Massagetasche aufmacht, einen silbernen Laptop hervorholt, den Deckel hochklappt und den Stick anschließt, alles in einer einzigen Bewegung. In seinem weißen Kittel wirkt Ollie doppelt massig, aber dabei sachkundiger denn je.

Dima und Hector haben bisher kein Wort gewechselt. Sie sind nicht mehr Gefangener und Gefängnisdirektor, dieser Moment ist vorüber. Dima steht wieder hintübergelehnt, Hector vorgebückt. Seine weit offenen grauen Augen blicken stetig und unverwandt, aber auch forschend. Es ist nichts Besitzergreifendes in diesem Blick, nichts Sieghaftes, nichts Auftrumpfendes. Er könnte ein Chirurg sein, der entscheidet, wie er bei der Operation vorgehen wird – wenn er überhaupt operiert.

»Dima?«

»Ja.«

»Ich bin Tom. Ich bin Ihr britischer Apparatschik.«

»Nummer Eins?«

»Nummer Eins lässt Sie grüßen. Ich bin als sein Stellvertreter hier. Das ist Harry« – er deutet auf Ollie. »Wir sprechen Englisch, und der Professor hier achtet auf Fairplay.«

»Okay.«

»Gut, setzen wir uns.«

Sie setzen sich. Auge in Auge. Mit Perry, dem Fairplay-Garanten, auf Dimas Seite.

»Wir haben noch einen Kollegen oben«, fährt Hector fort. »Er sitzt allein in der Bar, vor genau dem gleichen silbernen Laptop wie Harry hier. Er heißt Dick. Er trägt eine Brille und eine rote Parteikrawatte. Wenn Sie den Club nachher verlassen, wird Dick mit seinem silbernen Laptop in der Hand aufstehen, vor Ihnen langsam quer durchs Foyer gehen und dabei einen dunkelblauen Regenmantel anziehen. Bitte prägen Sie sich ihn für die Zukunft ein. Dick hat seine Befugnisse von mir und von Nummer Eins. Verstanden?«

»Ich habe verstanden, Tom.«

»Er spricht Russisch, wenn es verlangt wird. Ich übrigens auch.«

Hector sieht auf seine Uhr, dann zu Ollie. »Ich rechne sieben Minuten, bevor Sie und der Professor wieder nach oben müssen. Dick sagt uns Bescheid, falls Sie früher benötigt werden. Können Sie sich mit diesem Procedere anfreunden?«

»Anfreunden? Sind Sie verrückt oder was?«

Und das Ritual nahm seinen Anfang. Nicht im Traum wäre es Perry eingefallen, dass ein solches Ritual existieren könnte, und doch schien es für keinen der beiden wegzudenken.

Erst Hector: »Sind Sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Kontakt mit irgendeinem anderen ausländischen Nach-richtendienst, oder waren Sie es irgendwann früher?«

Darauf Dima: »Schwör ich zu Gott, nein.«

»Auch nicht mit dem russischen?«

»Nein.«

»Gibt es irgendwen in Ihrem Umfeld, der mit einem anderen Nachrichtendienst in Kontakt steht oder stand?«

»Nein.«

»Niemanden, der ähnliches Material anderweitig verhökert? Egal an wen – Polizei, Konzerne, Privatpersonen, ganz gleich, wo auf der Welt?«

»Hab ich nie was gehört. Ich will meine Kinder in England haben. Jetzt. Ich will meinen Deal, gottverdammt.«

»Ich will auch, dass Sie Ihren Deal bekommen. Dick und Harry wollen, dass Sie Ihren Deal bekommen. Der Professor will es. Wir ziehen alle am selben Strang. Aber erst müssen Sie uns überzeugen, und ich muss die restlichen Apparatschiks in London überzeugen.«

»Scheißprinz legt mich um, verdammt.«

»Hat er Ihnen das gesagt?«

»Hat er. Auf Scheißbeerdigung: ›Nicht traurig sein, Dima. Bald wirst du sein bei Mischa.‹ War Witz. Schlechter Witz.«

»Wie lief die Unterzeichnung vorhin?«

»Super. Hälfte von mein Scheißleben ist weg.«

»Dann sehen wir zu, dass wir die andere Hälfte geregelt kriegen, einverstanden?«

* * *

Luke weiß ausnahmsweise ganz genau, wer er ist und was er tut. Auch die Clubleitung weiß das. Er ist ein Mann mit Geld in der Tasche, Monsieur Michel Despard, und er wartet auf seine exzentrische alte Tante, die ihn zum Mittagessen einladen will, die berühmte Malerin von der Île St.-Louis, von der kein Mensch je gehört hat. Ihr Sekretär hat einen Tisch für die beiden bestellt, aber exzentrisch, wie die alte Dame ist, kann es auch sein, dass sie gar nicht aufkreuzt. Das kennt Michel Despard schon an ihr, und der Club offenbar auch, denn ein teilnahmsvoller Oberkellner hat ihn in eine stille Ecke der Bar dirigiert, wo er an diesem verregneten Montag nach Belieben warten und gern auch seine Geschäfte wahrnehmen darf – und danke, Monsieur, danke vielmals; mit einem Hunderter lebt es sich gleich ein Stück leichter.

Ist Lukes Tante wirklich Mitglied im Club des Rois? Mais oui! Oder ihr verstorbener Gönner, der Comte, war Mitglied, was ist da der Unterschied? So jedenfalls die Geschichte, die Ollie in seiner Eigenschaft als Sekretär von Lukes Tante zusammengesponnen hat. Und wie es Hector so treffend formuliert hat, einen besseren Mann für die Hintertür findet man in der Branche nicht, und falls etwas der Bestätigung bedarf: Die Tante wird es bestätigen.

Und Luke ist zufrieden. Er ist in operativer Hochform, ruhig, unaufgeregt. Nach außen hin ist er ein geduldeter Gast, abgeschoben ans Katzentischchen des Clubraums. Mit seiner Hornbrille, seinem Headset und dem aufgeklappten Laptop wirkt er einfach wie ein gestresster Manager, der am Montag die Rückstände vom Wochenende hereinzuholen versucht.

Doch innen drin, da ist er in seinem Element, so erfüllt und gelöst, wie er nur sein kann. Er ist die stetige Stimme im ungehörten Donner der Schlacht. Er ist der Späher, der alles sieht und ans Hauptquartier weitergibt. Er ist der Krisenmanager, der Mann fürs Kleingedruckte, der Adjutant mit dem Blick für das wesentliche Detail, das sein geplagter Kommandant übersieht oder nicht sehen will. Für Hector sind diese beiden »arabischen Polizisten« ein Hirngespinst, geboren aus Perrys übergroßer Sorge um Gails Sicherheit. Wenn es sie überhaupt gab, dann waren es zwei brave französische Gendarmen, die an einem Sonntagabend Langeweile hatten. Für Luke dagegen stellen sie ungeprüftes operatives Material dar, das sich weder bestätigen noch abtun lässt, sondern das es zu speichern gilt, bis mehr an Information verfügbar ist.

Er schaut auf seine Uhr, dann auf den Bildschirm. Sechs Minuten, seit Perry und Dima die Treppe zu den Umkleideräumen hinunterverschwunden sind. Vier Minuten und zwanzig Sekunden, seit Ollie ihr Eintreffen im Massageraum bestätigt hat.

Er hebt den Blick ein Stück, lässt ihn über die Szene vor ihm wandern: als Erstes die Sieben Sauberen Emissäre, alias die Armani-Gang, die griesgrämig Canapés in sich hineinstopfen, Champagner hinunterschütten und offenbar wenig Lust dazu verspüren, Small Talk mit ihren kostspieligen Begleiterinnen zu machen. Ihr Tagwerk ist bereits vollbracht. Sie haben unterschrieben. Sie sind halb schon in Bern, ihrer nächsten Station. Sie sind gelangweilt, verkatert und rastlos. Die Weiber gestern Nacht waren eine Enttäuschung, zumindest stellt Luke sich das vor. Und wie nennt Gail gleich wieder diese beiden Schweizer Bankiers, die in einer Ecke für sich sitzen, nur ihr Mineralwasser zur Gesellschaft? Peter und der Wolf.

Wunderbar, Gail. Alles an ihr ist wunderbar. Allein ihr zuzusehen, wie sie ihre Runden durchs Foyer dreht: diese fließenden Bewegungen, die hübschen Hüften und endlos langen Beine, der seltsam mütterliche Liebreiz. Gail mit Bunny Popham. Gail mit Giles de Salis. Gail mit allen beiden. Und nun stößt auch Emilio Dell’Oro zu ihnen, angezogen wie die Motte vom Licht. Etwas weiter weg ein versprengter Russe, der Gail mit den Augen verschlingt. Es ist der Moppelige. Mit dem Champagner ist er durch, jetzt muss es Wodka sein. Emilio, die Brauen hochgezogen, stellt eine scherzhafte Frage, die Luke nicht hören kann. Gail kontert mit einer witzigen Antwort. Luke liebt sie rettungslos, denn das ist Lukes Art zu lieben. Immer.

Emilio schaut über Gails Schulter in Richtung Treppe. Haben sie darüber gewitzelt? – hat Emilio gesagt: Was treiben unsere zwei Hübschen da unten eigentlich so lange? Soll ich runtergehen und für Ordnung sorgen? Und darauf Gail mit ihrer losen Zunge: Unterstehen Sie sich, Emilio, die Jungs brauchen auch mal eine kleine Freude?

Luke in sein Mundstück:

»Die Zeit ist um.«

Ach, Ben, wenn du mich jetzt sehen könntest. Den Profi, nicht immer nur den Versager. Vor einer Woche hat Ben ihm einen Harry-Potter-Band aufgenötigt. Und Luke hat versucht, ihn zu lesen, er hat es wirklich versucht. Er hat es versucht, wenn er hundemüde um elf Uhr heimkam, er hat es versucht, wenn er nachts im Bett schlaflos neben seiner unerreichbar fernen Frau lag. Und ist auf der ganzen Linie gescheitert. Dieses Fantasy-Zeug hat für ihn keinen Sinn ergeben – wie auch, könnte er fragen, wenn das eigene Leben, Heldentum inbegriffen, zur Gänze ein Phantasiegebilde ist? Denn was ist schon heldisch daran, gefangen und dann laufen gelassen zu werden?

»Super, oder?«, hat Ben gedrängelt, als ihm das Warten auf eine Reaktion zu lang wurde. »Hat’s dir gefallen, sag schon?«

»Hat es, und es ist voll super«, hat Luke elegant geantwortet.

Eine weitere Lüge, und sie beide wussten es. Ein weiterer Schritt fort von dem Menschen, den er liebt wie sonst nichts auf der Welt.

* * *

»Ruhe bitte, alle Mann kurz mal herhören. Danke schön!« Bunny Popham, der kleine Gockel, wendet sich an den Mob. »Unsere wackeren Gladiatoren haben sich endlich herbeigelassen, uns mit ihrer Anwesenheit zu beehren. Begeben wir uns also ohne weiteren Verzug in die Arena!« Die Arena wurde mit ein paar wissenden Lachern belohnt. »Löwen erwarten uns heute keine, wenn man von Dima absieht. Und auch keine Christen, es sei denn, der Professor ist einer, wofür ich mich nicht verbürgen kann.« Noch mehr Lacher. »Gail, meine Liebe, seien Sie so gut und gehen Sie uns voran. Ich habe viel Haute Couture in meinem Leben gesehen, aber keine, muss ich sagen, die so hübsch gefüllt war.«

Perry und Dima führen den Zug an. Gail, Bunny Popham und Emilio Dell’Oro folgen. Nach ihnen ein paar saubere Emissäre und ihre Damen. Sauber währt am längsten. Dann der Moppelige, allein, aber dafür mit seinem Wodka. Luke sieht ihnen nach, bis eine Baumgruppe sie seinen Blicken entzieht. Ein Sonnenstrahl flirrt über den rabattengesäumten Weg und verlischt.

* * *

Roland Garros die Zweite: und sei es nur insofern, als es Gail weder währenddessen noch hinterher gelang, ihre Eindrücke von dem großen Regenmatch, das sie so gewissenhaft verfolgte, in eine sinnvolle Ordnung zu bringen. Zeitweise fragte sie sich, ob es den Spielern selbst anders ging.

Die Münze hatte für Dima entschieden, soviel wusste sie noch, weil die Münze immer für Dima entschied. Und er hatte auf den Aufschlag verzichtet, um mit dem Rücken zu den herandrängenden Wolken stehen zu können, auch das wusste sie.

Und dass sie irgendwann gedacht hatte, wie glaubwürdig doch die Spieler zunächst Kampfeslust vorgetäuscht hatten, nur um dann nach und nach, wie Schauspieler, deren Konzentration nachlässt, zu vergessen, dass hier ein erbittertes Duell zur Ehrenrettung Dimas auszutragen war.

Sie erinnerte sich an ihre Angst, Perry könnte auf dem schlüpfrigen, nassen Plastikband ausrutschen, das die Linien markierte. Wie unglaublich idiotisch, wenn er sich hier den Knöchel verstauchte – er oder auch Dima!

Und obwohl sie es machte wie die Franzosen und ihren Beifall getreulich zwischen Perry und Dima aufteilte, war es doch Perry, den sie nicht aus den Augen ließ, teils aus Beschützerdrang, teils, weil sie seiner Körpersprache zu entnehmen hoffte, wie es ihnen unten in der Umkleide mit Hector ergangen war.

Sie erinnerte sich auch an das leise Schmatzen, mit dem der langsamer werdende Ball in den nassen Sand patschte, und daran, wie sich ihre Gedanken zwischendurch immer wieder zur Schlussphase des gestrigen Endspiels verirrten und sie sie in die Gegenwart zurückzwingen musste.

Und wie die Bälle selbst immer bedächtiger flogen, je länger sich das Spiel hinzog. Und wie Perry diese bedächtigen Bälle in seiner Zerstreutheit immer wieder zu früh annahm und sie entweder ins Aus schlug oder sie – welche Schmach! – schlichtweg verfehlte.

Und wie Bunny Popham sich irgendwann über ihre Schulter lehnte und fragte, ob sie mit ihm fliehen wolle, bevor der nächste Schauer losbrach, oder lieber ausharren, um mit dem Schiff unterzugehen.

Und wie sie seine Einladung zum Vorwand genommen hatte, sich in die Toilette zu flüchten und ihr Handy anzuschalten, falls Natascha ihrer letzten Nachricht rein zufällig doch eine weitere hatte folgen lassen. Hatte sie nicht, was bedeutete, dass Gail genauso ratlos wie heute Morgen um neun vor den ominösen Worten saß, die sie schon jetzt, beim zweiten Lesen, auswendig kannte:

DIES HAUS IST UNERTRÄGLICH TAMARA NUR BEI GOTT KATJA UND IRINA TRAGISCH MEINE BRÜDER SPIELEN IMMERZU FUSSBALL WIR WISSEN AUF UNS WARTET EIN SCHLIMMES SCHICKSAL ICH KANN MEINEM VATER NIEMALS MEHR IN SEIN GESICHT SCHAUEN NATASCHA

Anruftaste gedrückt, ins Leere gelauscht, Handy ausgeschaltet.

* * *

Und die Gräben wusste sie noch, die sich nach der zweiten Regenunterbrechung – oder war es die dritte? – in dem aufgeweichten roten Sand aufgetan hatten, der offenbar keinen einzigen Tropfen mehr aufnehmen konnte, woraufhin ein Herr vom Club auf der Bildfläche erschien und Emilio Dell’Oro Vorhaltungen machte, unter Hinweisen auf den Zustand des Platzes und mit viel waagrechtem Händewedeln, das so viel hieß wie »Schluss jetzt«.

Doch Emilio Dell’Oro musste über ungeheure Überzeugungskräfte verfügen, denn er nahm den Herrn vertraulich beim Arm und führte ihn unter eine Buche, und am Ende des Gesprächs dackelte der Herr zum Clubhaus zurück wie ein abgekanzelter Schulbub.

Und inmitten dieser diffusen Beobachtungen und Erinnerungen schaltete sich immer wieder die Anwältin in Gail ein, mit ihrer ständigen Sorge um das dünne Eis der Plausibilität – so dünn, dass es ihr schon von Beginn an zum Brechen verurteilt schien, was freilich nicht zwingend das Ende aller Dinge darstellen musste, solange sie nur irgendwie zu Natascha und den Mädchen gelangte.

Und während ihr all dies noch durch den Kopf geht, siehe da: Dima und Perry haben ein Einsehen und reichen sich übers Netz hinweg die Hand – kein Händedruck unter versöhnten Gegnern, empfindet sie, sondern der zweier Komplizen bei einem so himmelschreienden Betrug, dass das zerrupfte Häuflein Getreuer, das noch auf der Tribüne ausharrt, eher buhen sollte als klatschen.

Und mitten in dem ganzen Wirrwarr – denn der Tag hält Ungereimtheiten ohne Ende auf Lager – baut sich vor ihr der moppelige Russe auf, der ihr schon die ganze Zeit nachschleicht, und eröffnet ihr, dass er sie ficken will. In diesen Worten: »Ich will ficken mit dir«, und dann steht er da und wartet auf Antwort – ein bierernster Yuppie, Anfang dreißig, mit pickliger Haut, blutunterlaufenen Augen und einem leeren Wodkaglas in der Hand. Erst dachte sie, sie hätte sich verhört. In ihrem Kopf herrschte kaum weniger Tumult als draußen. Sie bat ihn allen Ernstes, seine Worte zu wiederholen. Doch da hatte ihn der Schneid schon wieder verlassen, und er beschränkte sich darauf, ihr in fünf Metern Abstand zu folgen, weshalb sie sich unter die Fittiche von Bunny Popham flüchtete, immer noch die beste unter den gebotenen Optionen.

Und so wiederum ergab es sich, dass sie ihm gestand, dass sie Kollegen waren, eine Eröffnung, die sie immer scheute, weil sie üblicherweise ein peinliches gegenseitiges Aushorchen nach sich zog. Aber Bunny Popham nahm es lediglich als Aufhänger für eine weitere seiner Anzüglichkeiten:

»Nein so was!« – die Augen zum Himmel verdreht –, »ich bin hin und weg. Wenn Sie irgendwann mal wen brauchen, der Ihre Akte durchsieht …«

Er wollte wissen, für welche Kanzlei sie arbeitete, also sagte sie es ihm, was ja nur normal war. Wie sonst hätte sie reagieren sollen?

Sie dachte sehr viel übers Packen nach. Auch daran erinnerte sie sich. Ob sie Perrys neue Sporttasche für die Schmutzwäsche hernehmen konnten, zum Beispiel, und ähnlich brisante Fragen rund um die Abreise aus Paris und die Weiterfahrt zu Natascha. Perry hatte das Zimmer für drei Nächte gebucht, damit sie heute Abend in Ruhe packen konnten, ehe sie in den Zug nach London stiegen – was in der Welt, der sie nun angehörten, die normale Route nach Bern war, wenn man potentiell überwacht wurde und in Bern nichts zu suchen hatte.

* * *

Der Massageraum stellte Bademäntel. Perry und Dima trugen sie. Sie saßen wieder zu dritt am Tisch, nach Perrys Uhr seit exakt zwölf Minuten. In der Ecke beugte sich der weißbekittelte Ollie über seinen Laptop, die Massagetasche zu seinen Füßen, und ab und zu kritzelte er etwas auf einen Zettel und reichte ihn Hector, der ihn auf den Haufen vor ihm legte. Die Beengtheit hier drin erinnerte an den Keller in Bloomsbury, nur ohne die Weindünste, und wie in Bloomsbury drangen beruhigend die Geräusche des wirklichen Lebens zu ihnen herein: ein Rumpeln in den Leitungsrohren, Stimmen aus der Umkleidekabine, das Rauschen einer Klospülung, das Klopfen einer defekten Klimaanlage.

»Wie viel bekommt Longrigg?«, fragt Hector nach einem Blick auf einen von Ollies Zetteln.

»Ein und ein halb Prozent«, antwortet Dima mit klangloser Stimme. »Erstes Geld kriegt er, wenn Arena-Bank Zulassung hat. Nach ein Jahr, zweites Geld. Nach wieder ein Jahr, Rest.«

»Wohin bezahlt?«

»Schweiz.«

»Wissen Sie die Kontonummer?«

»Bis Bern weiß ich nicht diese Nummer. Manchmal weiß ich nur Name. Manchmal nur Nummer.«

»Giles de Salis?«

»Sonderprovision. Ist mir nur erzählt, nicht bestätigt. Emilio sagt zu mir: De Salis kriegt diese Sonderprovision. Aber kann sein, Emilio behält sie für sich. Nach Bern, ich weiß sicher.«

»Eine Sonderprovision in welcher Höhe?«

»Fünf Millionen glatt. Kann sein, es ist Lüge. Ist ein Fuchs, Emilio. Stiehlt alles.«

»US-Dollar?«

»Ja.«

»Zahlbar wann?«

»Wie bei Longrigg, aber bar, keine Auflagen, auf zwei Jahre, nicht drei. Hälfte bei offizieller Gründung von Arena-Bank, Hälfte nach ein Jahr Handel. Tom.«

»Ja?«

»Hörn Sie, okay?« Die Stimme plötzlich wieder lebhaft. »Nach Bern, ich weiß alles. Für Unterschrift, ich muss geben Einverständnis, okay? Wo ich nicht Einverständnis geb, ich unterschreib nicht, das ist mein Recht. Ihr holt mein Familie nach England, okay? Ich geh nach Bern, unterschreib da, ihr holt meine Leute raus, kriegt ihr von mir mein Herz, mein Leben kriegt ihr!« Er fährt herum zu Perry. »Du hast sie gesehn, meine Kinder! Jesusmaria, was sollen sie denken von mir. Sind sie blind, verdammt? Mein Natascha, sie dreht durch, sie isst nicht mehr.« Und wieder an Hector gewandt: »Ihr bringt meine Kinder nach England, Tom. Jetzt. Dann machen wir Deal. Wenn mein Familie in England ist, ich weiß alles, ist mir scheißegal!«

Mag Perry unter diesem Appell auch dahinschmelzen, Hectors Adlerblick drückt nur eisige Ablehnung aus.

»Vergessen Sie’s«, gibt er zurück. Und indem er Dimas Proteste niederbügelt: »Ihre Frau und die Kinder bleiben, wo Sie sind, bis am Mittwoch die Unterzeichnung über die Bühne gegangen ist. Wenn sie vor dem Termin in Bern aus Ihrem Haus verschwinden, gefährdet das Ihre Familie, es gefährdet Sie, und es gefährdet den Deal. Haben Sie einen Leibwächter bei sich daheim, oder hat der Prinz den abgezogen?«

»Igor. Eines Tages, wir machen ihn Wor. Ich lieb den Mann. Tamara liebt ihn. Kinder auch.«

Ihr macht ihn Wor?, wiederholt Perry im Stillen. Aus eurem Vorstadtpalais irgendwo in Surrey, wenn Natascha nach Roedean geht und die Jungs nach Eton, macht ihr Igor zum Wor?

»Derzeit bewachen zwei Männer Sie. Niki und ein Neuer.«

»Für Prinz. Sollen mich umnieten.«

»Um wie viel Uhr am Mittwoch ist Ihr Termin in Bern?«

»Zehn Uhr. Früh. Bundesplatz.«

»Waren Niki und sein Freund bei der heutigen Unterzeichnung dabei?«

»Nix da. Warten draußen. Zu blöd für drin.«

»Und in Bern werden sie auch nicht dabei sein?«

»Nix da. Kann sein, sie sitzen im Warteraum. Jesusmaria, Tom …«

»Und nach der Unterzeichnung richtet die Bank zur Feier des Tages einen Empfang aus. Im Bellevue Palace Hotel immerhin.«

»Halb zwölf. Großer Empfang. Feiern alle mit.«

»Haben Sie das, Ollie?«, ruft Hector Ollie in seiner Ecke zu, und Ollie hebt bestätigend den Arm. »Begleiten Niki und sein Freund Sie zum Empfang?«

Während Dimas Fassung ihm immer mehr abhandenkommt, wirkt Hector so gesammelt, dass es fast schon etwas Getriebenes hat.

»Zwei Scheißgorillas?«, empört Dima sich. »Zu Empfang? Sind Sie irr? Der Prinz wird mich nicht in Scheiß-Bellevue umlegen. Der wartet eine Woche. Kann sein, zwei. Kann sein, er legt erst Tamara um, legt Kinder um, was weiß ich.«

Hectors Blick verliert nichts von seiner Härte.

»Noch mal zur Bestätigung«, beharrt er. »Sie wissen also sicher, dass Ihre beiden Bewacher – Niki und sein Freund – bei dem Empfang im Bellevue nicht dabei sein werden?«

Die gewaltigen Schultern sacken vornüber, der ganze Mann versinkt sichtbar in Verzweiflung. »Sicher? Weiß ich gar nichts mehr sicher. Kann sein, sie kommen zu Empfang. Jesusmaria, Tom.«

»Nehmen wir mal an, sie kommen. Rein hypothetisch. Beim Pinkeln zuschauen werden sie Ihnen ja wohl nicht.«

Keine Antwort, aber Hector wartet ohnehin keine ab. Er macht ein paar schnelle Schritte in Ollies Ecke und stellt sich hinter ihm auf, um den Bildschirm sehen zu können.

»Okay, was halten Sie hiervon: Ob mit Gorillas oder ohne, nach der Hälfte des Empfangs – sagen wir gegen zwölf, oder so nahe daran, wie Sie’s einrichten können – gehen Sie pinkeln. Geh mal aufs Erdgeschoss« – dies zu Ollie. »Das Bellevue hat zwei Paar Waschräume für die Gäste im Erdgeschoss. Das eine ist gleich rechts, wenn Sie ins Foyer kommen, auf der anderen Seite der Rezeption. Korrekt, Harry?«

»Exactement, Tom.«

»Sie wissen, welche Waschräume ich meine?«

»Klar weiß ich.«

»Das sind die, die Sie nicht benutzen. Um zu den anderen zu kommen, gehen Sie nach links und dann eine Treppe runter. Die Klos sind im Keller und werden selten benutzt, weil sie schlechter zu erreichen sind. Die Treppe geht gleich neben der Bar weg. Zwischen der Bar und dem Lift. Sie wissen, von welcher Treppe ich rede? Auf dem Treppenabsatz ist eine Tür, die sich aufdrücken lässt, wenn sie nicht abgeschlossen ist.«

»Ich trinke viele Male in dieser Bar. Ich kenne diese Treppe. Aber abends, sie sperren ab. Kann sein, manche Tage auch.«

Hector setzt sich wieder hin. »Am Mittwoch wird die Tür nicht abgesperrt sein. Sie gehen die Treppe hinunter. Dick oben im Foyer folgt Ihnen. Vom Keller aus führt ein Seitenausgang auf die Straße. Dick wird ein Auto haben. Wohin er Sie bringt, hängt davon ab, was ich heute Abend in London aushandle.«

Dima appelliert erneut an Perry, diesmal mit Tränen in den Augen:

»Mein Familie muss nach England, Professor. Ihr habt sie gesehen, sag das diesem Apparatschik. Kinder zuerst, ich später, mir scheißegal. Kann Prinz mich umlegen, wenn mein Familie in England ist, interessiert keine Sau.«

»Uns schon«, sagt Hector mit Verve. »Wir wollen Sie und Ihre ganze Familie. Wir wollen, dass Sie heil und sicher in England sitzen und singen wie eine Nachtigall. Wir wollen, dass Sie alle froh und glücklich sind. In der Schweiz ist es mitten im Schuljahr. Haben Sie irgendwas für die Kinder geplant?«

»Nach Begräbnis in Moskau, ich sag zu ihnen, scheiß auf Schule, kann sein, wir machen Ferien. Wieder Antigua vielleicht, vielleicht Sotschi, einfach faul sein, einfach fröhlich sein. Nach Moskau, ich erzähl ihnen jeden Scheiß. Jesusmaria.«

Hector bleibt ungerührt. »Das heißt, sie sind zu Hause, nicht in der Schule, und warten auf Sie, und sie wissen auch, dass sie vielleicht verreisen, aber nicht, wohin.«

»Überraschungsurlaub, so sag ich zu ihnen. Ein Geheimnis. Kann sein, sie glauben mir das. Keine Ahnung.«

»Wenn Sie Mittwochvormittag auf der Bank sind und hinterher im Bellevue, was macht Igor in der Zeit?«

Dima reibt sich mit dem Daumen die Nase.

»Kann sein, einkaufen in Bern. Oder mit Tamara zu russische Kirche. Oder mit Natascha zum Reiten. Wenn sie nicht sitzt und liest.«

»Igor sollte am Mittwochvormittag in Bern sein und einkaufen. Können Sie das Tamara telefonisch übermitteln, ohne dass es auffällt? Sie soll Igor eine möglichst lange Einkaufsliste mitgeben. Nicht dass Sie von Ihrem Überraschungsurlaub zurückkommen und nichts im Haus haben.«

»Geht okay. Wahrscheinlich.«

»Nur wahrscheinlich?«

»Geht okay. Sag ich Tamara. Sie ist bisschen verrückt. Aber okay. Doch.«

»Während Igor die Einkäufe erledigt, werden Harry und der Professor Ihre Familie zum Überraschungsurlaub abholen.«

»London.«

»Oder ein sicherer Ort. Entweder das eine oder das andere, je nachdem, wie schnell es möglich ist, Sie alle nach England zu schaffen. Wenn ich meine Apparatschiks aufgrund Ihrer bisherigen Informationen dazu bringen kann, den Rest auf Treu und Glauben zu nehmen – besonders die Informationen, die Sie in Bern erhalten werden –, dann fliegen wir Sie und Ihre Familie gleich am Mittwochabend per Sondermaschine nach London aus. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Der Professor ist Zeuge. Wenn nicht, bringe ich Sie und Ihre Familie in ein sicheres Quartier und kümmere mich um Sie, bis meine Nummer Eins sagt: ›Bring sie nach England.‹ So ist die Sachlage, nach meinem besten Wissen und Gewissen. Perry, Sie können das bestätigen.«

»Ja.«

»Bei dem zweiten Überschreibungstermin in Bern, wie wollen Sie da die neuen Informationen, die Sie bekommen, festhalten?«

»Kann ich leicht. Erst ich bin allein mit Direktor von Bank. Hab ich das Recht. Vielleicht ich sag ihm, kopier mir den Scheiß. Brauch ich Kopien, bevor ich überschreiben kann. Er ist mein Freund. Wenn er nicht kopiert, scheißegal. Hab ich gutes Gedächtnis.«

»Sobald Dick Sie aus dem Bellevue Palace geholt hat, wird er Ihnen ein Aufnahmegerät geben, und Sie sprechen alles auf Band, was Sie gesehen und gehört haben.«

»Und keine Grenzen, verfickt.«

»Sie werden nicht eine Grenze passieren, bis Sie nach England kommen. Darauf haben Sie ebenfalls mein Wort. Perry, Sie haben es gehört, Sie sind mein Zeuge.«

Ja, Perry hat es gehört. Dennoch sitzt er einen Moment lang da wie in Gedanken verloren, die langen Finger an die Stirn gedrückt, blicklos vor sich hin starrend.

»Tom sagt die Wahrheit, Dima«, bekräftigt er schließlich. »Er hat es mir auch versprochen. Ich vertraue ihm.«