»Sein Name wird übrigens Hector sein«, sagte der kundige kleine Luke mit einem flüchtigen Aufblicken von seinem Exemplar des braunen Aktenordners.
»Ist das eine Warnung oder göttliche Prophezeiung?«, kam es von Perry hinter den Händen hervor, eine gute Weile, nachdem Luke es aufgegeben hatte, auf eine Antwort zu warten.
In der halben Ewigkeit seit Gails Aufbruch hatte Perry bewegungslos am Tisch gesessen – hatte weder den Kopf gehoben noch sich von seinem Platz neben ihrem leeren Stuhl weggerührt.
»Wo ist Yvonne?«
»Heimgegangen«, sagte Luke, wieder über seinen Ordner gebeugt.
»Freiwillig oder mit ein bisschen Nachhilfe?«
Keine Antwort.
»Ist Hector Ihr Oberboss?«
»Sagen wir, ich bin zweite Liga und er erste« – er applizierte ein Bleistifthäkchen.
»Dann ist Hector also Ihr Vorgesetzter?«
»Auch eine Art, es auszudrücken.«
Und auch eine Art, eine Antwort zu umschiffen.
Wobei Perry zugeben musste, dass sich mit Luke, soweit er das bisher beurteilen konnte, durchaus klarkommen ließ. Kein Überflieger, gut. Ein Zweitligist, wie er von sich selbst sagte. Ein bisschen geziert vielleicht, ein bisschen elitär, aber doch ein verlässlicher Partner am Seil.
»Hat Hector jetzt mitgehört?«
»Ich nehme es an.«
»Und uns zugesehen?«
»Manchmal ist Hören allein besser. Wie bei einem Hörspiel.« Und nach einer Pause. »Tolle Frau, Ihre Gail. Sind Sie schon lange zusammen?«
»Fünf Jahre.«
»Wahnsinn.«
»Was heißt Wahnsinn?«
»Na ja, mir geht’s wohl ein bisschen wie Dima: Heiraten Sie sie lieber schnell.«
Das war Sperrgebiet, und Perry war drauf und dran, ihn das auch wissen zu lassen, verzieh ihm dann aber.
»Wie lange machen Sie diesen Job schon?«, fragte er stattdessen.
»Rund zwanzig Jahre.«
»Inland oder Ausland?«
»Ausland hauptsächlich.«
»Und verbiegt einen das?«
»Wie bitte?«
»Die Arbeit. Verformt sie den Charakter? Beobachten Sie an sich – na ja – eine déformation professionelle?«
»Sie meinen, ob ich einen Hau habe?«
»Nichts so Drastisches. Nur – ja, wie es sich eben auf lange Sicht auf Sie auswirkt.«
Lukes Kopf blieb gebeugt, aber sein Bleistift wanderte nicht mehr herum, und die Reglosigkeit hatte etwas Herausforderndes.
»Auf lange Sicht?«, wiederholte er in gesuchter Verwirrtheit. »Auf lange Sicht müssen wir alle sterben, dachte ich immer.«
»Ich meinte mehr, wie geht es einem damit, ein Land zu vertreten, das seine Rechnungen nicht bezahlen kann?«, erläuterte Perry, ehe ihm klarwurde, dass er sich hier auf schwankenden Boden begab. »Nachdem unsere gute Geheimdienstarbeit so ungefähr das Einzige ist, was uns dieser Tage noch internationale Anerkennung verschafft – hab ich jedenfalls irgendwo gelesen«, ruderte er weiter. »Muss doch ziemlich belastend für die Leute sein, die diese Arbeit ganz konkret leisten, denke ich mir. Boxen in einer zu hohen Gewichtsklasse sozusagen«, setzte er hinzu und hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen, als ihm aufging, wie sich das für den zierlichen Luke anhören musste.
Ihr gequälter Small Talk wurde durch ein langsames, wei-ches Tappen unterbrochen, als schlurften oben Filzpantoffeln über den Boden und kämen dann vorsichtig die Kellertreppe herunter. Wie auf Kommando stand Luke auf, trat an ein Sideboard, nahm ein Tablett mit Malt, Mineralwasser und drei Gläsern und stellte es auf den Tisch.
Die Schritte erreichten den Fuß der Treppe. Die Tür öffnete sich. Perry erhob sich unwillkürlich. Eine wechselseitige Musterung folgte. Die zwei Männer waren gleich groß, was für beide ungewöhnlich war. Ohne seine gebückte Haltung wäre Hector vielleicht sogar der Größere gewesen. Mit seiner klassisch breiten Stirn und dem wallenden weißen Haar, das in zwei unordentlichen Wellen nach hinten geworfen war, erschien er Perry als der Prototyp des zerstreuten Professors. Er war Mitte fünfzig, schätzte Perry, aber auf Zeit und Ewigkeit angetan mit einem räudigen braunen Sportsakko mit Lederflicken auf den Ellbogen und lederverstärkten Manschetten. Die ausgebeulten grauen Flanellhosen hätten Perry gehören können. Die verschrammten Hushpuppies ebenso. Die uncharmante Hornbrille schien gar einem Karton auf dem Dachboden von Perrys Vater zu entstammen.
Schließlich, wenngleich verspätet, sprach Hector.
»Wilfred verdammich Owen«, verkündete er mit einer Stimme, die es fertigbrachte, dröhnend und andächtig zugleich zu sein. »Edmund verdammich Blunden. Siegfried verdammich Sassoon. Robert verdammich Graves. Und Konsorten.«
»Was ist mit ihnen?«, fragte der perplexe Perry, ohne sich Zeit zum Nachdenken zu lassen.
»Ihr abartig brillanter Artikel im London Review of Books letzten Herbst über die Dichter des Ersten Weltkriegs! ›Das Selbstopfer tapferer Männer macht nicht aus Unrecht Recht. P. Makepiece scripsit.‹ Einsame Spitzenklasse!«
»Danke«, sagte Perry hilflos und kam sich wie ein Idiot vor, dass er nicht schnell genug geschaltet hatte.
Wieder trat Schweigen ein, während Hector sich in der Bewunderung seiner Trophäe erging.
»Ich kann Ihnen sagen, was Sie sind, Mr Perry Makepiece«, erklärte er in einem Ton, als wäre er nun zu dem Schluss gelangt, auf den sie beide gewartet hatten. »Sie sind ein gottverfluchter Held, das sind Sie« – er nahm Perrys Hand in einen laschen Doppelgriff und schüttelte sie schlaff –, »und das ist keine Bauchpinselei. Wir wissen, was Sie über uns denken. Einige von uns denken das Gleiche, und wir haben recht. Das Dumme ist nur, wen gibt es außer uns? Die Regierung kaspert sich einen ab, die halbe Beamtenschaft können Sie in der Pfeife rauchen. Das Außenministerium ist ein Schuss in den Ofen, das Land geht auf dem Zahnfleisch, und die Banker nehmen unser Geld und zeigen uns den Finger. Was sollen wir da machen? Heulend zur Mami laufen oder den Karren aus dem Dreck ziehen?« Und ohne Perrys Antwort abzuwarten: »Ich wette, Sie haben Blut und Wasser geschwitzt, bevor Sie zu uns gekommen sind. Aber gekommen sind Sie. Nur ein Spritzer« – er hatte Perrys Hand losgelassen und instruierte Luke in puncto Malt – »für Perry, ganz minimal. Viel Wasser und gerade so viel Hochprozentigen, dass er ein bisschen locker wird. Stört’s Sie, wenn ich mich gleich hier neben Luke setze, oder riecht Ihnen das zu sehr nach Tribunal? Scheiß übrigens auf Adam, ich heiße Meredith. Hector Meredith. Wir haben gestern telefoniert. Wohnung in Knightsbridge, Frau und zwei Kinder, beide inzwischen erwachsen, Strandhaus oben in Norfolk, und ich stehe hier wie dort im Telefonbuch. Luke, wer sind Sie, wenn Sie sich nicht gerade als wer anderes ausgeben?«
»Luke Weaver der Name. Wir wohnen ein Stück hinter Gail, auf dem Parliament Hill. Letzter Einsatz Mittelamerika. In zweiter Ehe verheiratet, ein gemeinsamer Sohn, zehn Jahre alt, der es übrigens gerade an die University College School in Hampstead geschafft hat, worauf wir natürlich stolz wie die Schneekönige sind.«
»Und keine harten Fragen bis zum Schluss«, ordnete Hector an.
Luke schenkte drei winzig kleine Schuss Whisky in die Gläser. Perry setzte sich zackig hin und wartete. Erstligist Hector saß ihm direkt gegenüber, Zweitligist Luke etwas weiter seitlich.
»Na dann, scheiß drauf«, sagte Hector fröhlich.
»Scheiß drauf, allerdings«, stimmte Perry benebelt zu.
* * *
In der Tat hätte Hectors Parole nicht besser getimt, sein enthusiastischer Auftritt nicht treffsicherer platziert sein können, um Perry aufleben zu lassen. In dem Dunkel des schwarzen Lochs, das Gails erzwungener Abgang gerissen hatte (erzwungen von keinem anderen als ihm, mochten die Gründe noch so gut sein), hatte sein gespaltenes Herz sich ergangen in einer Orgie von Selbsthass und Zerknirschung.
Er hätte niemals hierherkommen dürfen, weder mit noch ohne Gail.
Er hätte einfach sein Dokument übergeben und dazu sagen sollen: »Da. Macht damit, was ihr wollt. Ich bin, also spioniere ich nicht.«
Zählte es denn überhaupt noch, dass er eine ganze lange Nacht hindurch in seiner Oxforder Wohnung auf und ab gelaufen war, immer hin und her auf dem fadenscheinigen Teppich, und mit diesem Schritt gehadert hatte, von dem er dennoch wusste, er würde ihn tun?
Zählte es, dass sein Vater, Protestant, Freidenker und militanter Pazifist, gegen alles Böse dieser Welt von Atomwaffen bis hin zum Irakkrieg demonstriert, geschrieben und gewettert hatte und dafür mehr als einmal in einer Gefängniszelle gelandet war?
Oder dass sein Großvater väterlicherseits, gelernter Maurer und bekennender Sozialist, im Spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Republikaner gekämpft und ein Bein und ein Auge verloren hatte?
Oder dass Siobhan, die irische Perle der Familie Makepiece, die zwanzig Jahre lang vier Stunden wöchentlich bei ihnen geschaltet und gewaltet hatte, von der Polizei in Hertfordshire so unter Druck gesetzt worden war, dass sie in regelmäßigen Abständen den Inhalt von Perrys Vaters Papierkorb einem Zivilfahnder auslieferte – eine solche Gewissenslast für sie, dass sie die ganze Geschichte eines Tages wild schluchzend Perrys Mutter beichtete und danach keinen Fuß mehr in die Nähe des Hauses setzte, sosehr seine Mutter sie auch beschwor?
Oder dass Perry selbst vor einem knappen Monat eine ganzseitige Anzeige für die Oxford Times entworfen hatte, federführend für einen hastig von ihm aus dem Boden gestampften Verein, der sich »Akademiker gegen Folter« nannte und zu Protesten gegen Englands Geheimregierung und die schleichende Unterhöhlung unserer schwer erkämpften bürgerlichen Freiheitsrechte aufrief?
Nun, für Perry hatte das alles extrem viel gezählt.
Und es zählte noch immer, als er nach seiner langen Nacht der Unschlüssigkeit Schlag acht mit einem Ringbuch unterm Arm voll Todesverachtung den Innenhof des altehrwürdigen Colleges überquerte, dem er bald für immer den Rücken kehren würde, und die wurmstichige Treppe zu den Räumen von Studiendekan Dr. jur. Basil Flynn erklomm, kaum zehn Minuten nachdem er ihn um eine kurze Unterredung in einer privaten und vertraulichen Angelegenheit ersucht hatte.
* * *
Nur drei Jahre trennten die beiden Männer, aber für Perry war Flynn schon jetzt der Sitzungshengst par excellence. »Ich könnte Sie reinschieben, aber dann müssten Sie jetzt sofort kommen«, hatte er wichtig gesagt, »um neun habe ich Ratssitzung, und die ziehen sich erfahrungsgemäß hin.« Er trug einen dunklen Anzug und schwarze Schuhe mit polierten Seitenschnallen. Einzig das sorgfältig gebürstete schulterlange Haar hob ihn aus der vollständigen Konformität heraus. Perry hatte sich keinen Einstieg für das Gespräch mit Flynn zurechtgelegt, und sein Eröffnungssatz, das musste er rückblickend einräumen, war etwas unbedacht:
»Sie haben im Frühjahr einem Studenten von mir Avancen gemacht«, platzte er heraus, kaum dass er über die Schwelle war.
»Ich habe was?«
»Halbägypter. Dick Benson. Ägyptische Mutter, englischer Vater. Spricht arabisch. Er wollte ein Forschungsstipendium, aber Sie haben ihm stattdessen nahegelegt, sich an gewisse Bekannte von Ihnen in London zu wenden. Er hat nicht verstanden, was Sie meinen. Er hat mich um Rat gefragt.«
»Und wie lautete der?«
»Nichts zu überstürzen, wenn die Bekannten in London die seien, die ich vermutete. Am liebsten hätte ich ihm gesagt, meiden Sie sie wie die Pest, aber so weit wollte ich denn doch nicht gehen. Es war seine Entscheidung, nicht meine. Stimmt meine Vermutung?«
»Welche?«
»Dass Sie Leute für sie anwerben. Für sie auf Talentsuche gehen.«
»Und mit ›sie‹ meinen Sie wen?«
»Die Spione. Dick Benson wusste nicht, wovon Sie reden, woher soll ich es also wissen? Ich will Ihnen nicht an den Karren fahren. Ich frage lediglich. Stimmt es? Dass Sie mit ihnen in Kontakt sind? Oder leidet Benson an Wahnvorstellungen?«
»Warum sind Sie hier und was wollen Sie?«
An diesem Punkt wäre Perry beinahe gegangen. Hinterher wünschte er, er hätte es getan. Er drehte sich um und machte einen Schritt zur Tür, dann riss er sich zusammen und kam zurück.
»Ich muss mit Ihren Bekannten in London Kontakt aufnehmen«, sagte er, das rote Ringbuch immer noch unterm Arm, und wartete auf die Frage »Warum?«.
»Wollen Sie Spion werden? Gut, heutzutage nehmen die fast jeden, aber …«
Wieder juckte es Perry, einfach zu gehen. Wieder wünschte er hinterher, er hätte es getan. Aber nein, er beherrschte sich, er atmete tief durch, und diesmal fand er die richtigen Worte.
»Ich bin zufällig auf gewisse Informationen gestoßen« – seine langen, nervösen Finger klopften leicht auf die Ringbindung, die ping machte. »Informationen, die ich ohne mein Zutun und gegen meinen Willen erlangt habe und die …«, er zögerte, bevor er das Wort gebrauchte, »… die geheim sind.«
»Wer sagt das?«
»Ich.«
»Wenn sie zutreffen, könnten sie Menschenleben gefährden. Vielleicht auch Menschenleben retten. Das fällt nicht in mein Ressort.«
»In meins glücklicherweise auch nicht. Ich bin Talentsucher. Krippenräuber. Meine Bekannten haben eine völlig akzeptable Website. Sie betreiben außerdem hirnrissige Anzeigenwerbung in der Patriotenpresse. Beide Wege stehen Ihnen offen.«
»Dafür ist mein Material zu dringlich.«
»Nicht nur geheim also, sondern auch noch dringlich?«
»Wenn es überhaupt etwas wert ist, dann ist es sogar außerordentlich dringlich.«
»Das Schicksal der Nation hängt am seidenen Faden? Sprich, an dem Kleinen Roten Buch, das da unter Ihrem Arm klemmt?«
»Darin ist die Niederschrift.«
In gegenseitiger Abneigung musterten sie sich.
»Sie haben aber nicht ernsthaft vor, es mir zu geben, oder?«
»Doch. Ja. Warum nicht?«
»Sie lassen Ihre dringlichen Geheimnisse bei Flynn? Damit der eine Briefmarke draufklebt und sie seinen Bekannten in London schickt?«
»So ungefähr. Woher soll ich das Procedere in eurem Verein kennen?«
»Und Sie gehen derweil Ihre unsterbliche Seele pflegen?«
»Ich gehe meiner Arbeit nach. Und Ihre Bekannten gehen ihrer Arbeit nach. Was ist daran verkehrt?«
»Alles ist daran verkehrt. Bei diesem Spiel, das übrigens mitnichten ein Spiel ist, macht der Bote mindestens die halbe Botschaft aus. Manchmal ist er sogar eine Botschaft für sich. Wohin gehen Sie jetzt? Ich meine, jetzt unmittelbar?«
»Haben Sie ein Mobiltelefon?«
»Natürlich habe ich ein Mobiltelefon.«
»Schreiben Sie mir die Nummer auf, bitte« – er schob ihm einen Zettel hin –, »ich speichere nie etwas im Kopf, das ist zu unsicher. Und Sie haben einen ausreichenden Empfang bei Ihnen drüben, ja? Die Mauern sind nicht zu dick oder so was?«
»Ich habe ausgezeichneten Empfang, besten Dank.«
»Nehmen Sie Ihr Kleines Rotes Buch. Gehen Sie nach Hause und warten Sie auf einen Anruf von jemandem, der sich Adam nennt. Mr oder Ms Adam. Ich werde ein Amuse-Gueule von Ihnen brauchen.«
»Wie bitte?«
»Irgendwas, um sie anzuspitzen. Ich kann nicht einfach sagen: ›Ich habe hier einen Kaffeehaus-Kommunisten, der glaubt, eine Weltverschwörung aufgedeckt zu haben.‹ Ich muss ihnen sagen können, worum es geht.«
Perry schluckte seinen Ärger hinunter und versuchte erstmals bewusst, einen Aufmacher zu formulieren.
»Sagen Sie ihnen, es geht um einen betrügerischen russischen Banker, der sich Dima nennt«, sagte er zuletzt, als keiner seiner anderen Ansätze greifen zu wollen schien. »Er möchte einen Deal mit ihnen machen. Dima ist die Kurzform von Dimitri, falls sie das nicht wissen.«
»Klingt unwiderstehlich«, sagte Flynn sarkastisch, nahm einen Bleistift und kritzelte etwas auf den Zettel mit der Nummer.
Perry saß noch keine Stunde wieder in seinem Zimmer, als sein Handy klingelte und dieselbe aufgekratzte, eine Spur heisere Männerstimme ertönte, der er nun hier im Souterrain lauschte.
»Perry Makepiece? Wunderbar. Adam der Name. Habe gerade Ihre Nachricht erhalten. Darf ich nur ganz kurz ein paar Fragen auf Sie abfeuern, damit auch klar ist, ob wir nach demselben Knochen buddeln? Nicht nötig, Ihren Kumpel beim Namen zu nennen. Wir sollten nur sichergehen, dass wir beide über denselben Kumpel reden. Hat er zufällig eine Frau?«
»Hat er.«
»So eine dicke Blonde? Typ Barfrau?«
»Schwarzhaarig und ausgemergelt.«
»Und die genauen Umstände, unter denen Sie sich über den Weg gelaufen sind? Das Wo und Wie?«
»Antigua. Auf einem Tennisplatz.«
»Wer hat gewonnen?«
»Ich.«
»Sehr gut. So, und jetzt die dritte Frage: Wie schnell schaffen Sie es nach London, auf unsere Rechnung, versteht sich, und wie bald können wir dieses berüchtigte Dossier von Ihnen in die Finger bekommen?«
»Zirka zwei Stunden von Haus zu Haus, schätze ich. Es ist auch ein kleines Päckchen dabei. Das habe ich mit in das Dossier geklebt.«
»So dass es hält?«
»Ich glaube schon.«
»Kontrollieren Sie noch mal nach. Schreiben Sie außen ADAM drauf, in großen schwarzen Buchstaben – mit einem Wäschestift oder so was. Dann wedeln Sie damit am Empfang herum, bis jemand Sie bemerkt.«
Wäschestift? Sprach da der alte Junggeselle? Oder war das eine verkappte Anspielung auf Dimas zwielichtiges Finanzgebaren?
* * *
Beflügelt durch Hectors lässige Nähe, sprach Perry rasch und mit Nachdruck, nicht in die leere Luft über den Köpfen seiner Zuhörer, wo Akademiker traditionsgemäß Zuflucht suchen, sondern mitten hinein in Hectors Adlerblick – und halb auch zu dem schmucken Luke, der in Habtachthaltung an Hectors Seite saß.
Nun da ihn keine Gail mehr zurückhielt, konnte sich Perry ihnen beiden ungehemmt anvertrauen. Er legte ihnen die Beichte ab, so wie Dima ihm gebeichtet hatte: von Mann zu Mann und von Angesicht zu Angesicht. Er ließ sich mitreißen vom Sog dieses Beichtens. Er gab den Dialog mit der Akkuratesse wieder, mit der er jegliche Texte wiedergab, gute wie schlechte, ohne abzusetzen oder sich zu verbessern.
Zu schauspielerischen Höhenflügen, wie Gail sie so liebte, fehlte ihm die Begabung, oder ein falscher Stolz verbot sie ihm. Aber in der Erinnerung hörte er wieder Dimas klumpige Aussprache, und vor seinem inneren Auge sah er das schweißüberströmte Gesicht so nahe an seinem, dass sie fast mit den Stirnen zusammenstießen. Er roch beim Erzählen den Wodkadunst in Dimas keuchenden Atemstößen. Er sah ihn sein Glas nachfüllen, finster darauf hinabstieren, dann zupacken und es in einem Zug herunterstürzen. Er spürte erneut dieses ungewollte Band zwischen ihnen entstehen, die schnelle und unerlässliche Kameradschaft zweier Männer in Bergnot.
»Aber nicht stinkbesoffen, würden Sie sagen?«, erkundigte sich Hector und nippte an seinem Malt. »Eher ein Geselligkeitstrinker, der ein bisschen in Fahrt kommt?«
Genau, bestätigte Perry. Nicht konfus, nicht rührselig, nicht lallend – einfach in seinem Element.
»Wenn wir am nächsten Tag zum Tennis verabredet gewesen wären, hätte er wahrscheinlich so gespielt wie immer. Er hat einen riesigen Motor, und der läuft mit Alkohol. Darauf ist er stolz.«
Es klang so, als wäre Perry ebenfalls stolz darauf.
»Oder um ein Zitat des Meisters zu verfälschen« – auch die Liebe zu P. G. Wodehouse hatten sie also gemeinsam –, »ein Zeitgenosse, der ein paar Gläschen unter seinem Normalpegel zur Welt gekommen ist?«
»Exakt, Bertie«, stimmte Perry in seinem besten Wodehouse-isch zu, und sie schoben ein kurzes Gelächter ein, sekundiert von Zweitligist Luke, der mit Hectors Ankunft ansonsten die Schweigerolle übernommen hatte.
* * *
»Darf ich kurz mal eine Frage betreffs der unantastbaren Gail einwerfen?«, wollte Hector wissen. »Keine harte. Eine mittelweiche.«
Hart, mittelweich – Perry war auf der Hut.
»Als ihr zwei aus Antigua nach England zurückkamt«, begann Hector – »nach Gatwick, richtig?«
Goldrichtig, versicherte ihm Perry.
»Da habt ihr ja getrennte Wege eingeschlagen. Nicht wahr? Gail zu ihren Anwaltspflichten und ihrer Wohnung in Primrose Hill, Sie nach Oxford, um daselbst Ihre unsterbliche Prosa abzufassen.«
Ebenfalls richtig, gab Perry zu.
»Was für einen Deal hattet ihr denn da miteinander vereinbart – Übereinkunft ist vielleicht das nettere Wort –, was das weitere Vorgehen betraf?«
»Vorgehen in Bezug worauf?«
»Nun ja, letztlich auf uns.«
Da er unsicher war, worauf die Frage abzielte, zögerte Perry. »Es gab keine Übereinkunft in dem Sinn«, antwortete er vorsichtig. »Keine ausdrückliche. Gail hatte ihren Beitrag geleistet. Damit war die Reihe an mir.«
»An euren getrennten Standorten.«
»Ja.«
»Ohne miteinander zu kommunizieren.«
»Wir haben kommuniziert. Nur nicht über die Dimas.«
»Und der Grund dafür war …?«
»Gail wusste nicht, was ich in Three Chimneys erfahren hatte.«
»Und war folglich noch in Arkadien?«
»Mehr oder weniger. Ja.«
»Wo sie, nach Ihrem Kenntnisstand zumindest, auch bleibt. Solange es in Ihrer Macht steht.«
»Ja.«
»Tut es Ihnen leid, dass Sie sie heute Abend hierher mitgebracht haben?«
»Sie hatten gesagt, Sie brauchen uns beide. Ich habe ihr gesagt, Sie brauchen uns beide. Sie hat sich bereit erklärt mitzukommen«, erwiderte Perry unwirsch.
»Aber sie wollte es im Zweifelsfall ja auch, oder? Sonst hätte sie sich geweigert. Sie hat ihren eigenen Kopf. Sie ist keine Frau, die blind gehorcht.«
»Nein. Ganz bestimmt nicht«, gestand Perry ein und wurde mit Hectors liebreichem Lächeln belohnt.
* * *
Perry beschreibt das winzige Kabuff, in das Dima ihn für ihre Besprechung geschleppt hat: Ein Krähennest nennt er es, zwei mal drei Meter höchstens, zu erreichen über eine Schiffstreppe, die von einer Ecke des Esszimmers weggeht; ein schiefes Trapez mit Blick auf die Bucht, ein Spielzeugerker aus Holz und Glas, wo der Wind an den Schalbrettern rüttelte und die Fenster kreischten und ächzten.
»Es war bestimmt der lauteste Platz im Haus. Deshalb hatte er ihn wohl auch ausgesucht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein Mikrophon auf der Welt uns in diesem Radau hätte hören können.« Und in dem rätselnden Ton eines Mannes, der einen Traum schildert: »Es war ein unheimlich redseliges Haus. Drei Schornsteine und drei Winde. Und diese Schuhschachtel, in der wir saßen, Kopf an Kopf.«
Dimas Gesicht keine Handbreit von meinem weg, wiederholt er und beugt sich über den Tisch zu Hector vor, um ihm zu zeigen, wie nah.
»Eine Ewigkeit saßen wir nur da und starrten uns an. Ich glaube, ihn packten Zweifel. An ihm. An mir. Daran, dass er es durchziehen konnte. Dass er den richtigen Mann gefunden hatte. Und ich wollte unbedingt dieser Mann sein, lässt sich das irgendwie nachvollziehen?«
Für Hector überhaupt kein Problem.
»Er versuchte einen ungeheuren Widerstand in seinem Kopf zu überwinden, was bei einer Beichte wahrscheinlich gar nicht anders geht. Dann schließlich bellte er eine Frage hervor, die allerdings mehr wie ein Befehl klang: ›Sie sind Spion, Professor? Englischer Spion?‹ Ich hielt es zunächst für eine Anschuldigung. Dann wurde mir klar, dass er erwartete, nein, hoffte, ich würde ja sagen. Also sagte ich, nein, tut mir leid, ich bin kein Spion, war nie einer und werde auch nie einer sein. Ich bin nur ein Lehrer, mehr nicht. Aber damit gab er sich nicht zufrieden:
›Viele Engländer sind Spion. Lords. Feine Herren. Intellektuelle Herren. Ich weiß das! Ihr seid Fairplay-Menschen. Ihr seid Land mit Gesetz. Ihr habt gute Spione.‹
Ich musste es noch einmal wiederholen, nein, Dima, ich bin kein – haben Sie gehört, kein – Spion. Ich bin Ihr Tennispartner und ein Collegedozent, der sich neu orientieren will. Ich hätte empört sein sollen. Aber was bedeutete das schon, hätte? Ich war in einer neuen Welt.«
»Und schwerst fasziniert davon, stimmt’s?«, wirft Hector ein. »Mann, wär ich gern an Ihrer Stelle gewesen! Ich hätte mich sogar auf einen verfluchten Tennisplatz gestellt!«
Schwerst fasziniert, allerdings, gibt Perry zu. Er konnte den Blick nicht von Dima wenden. Er musste ihn anstarren, selbst in dem Halbdunkel. Und ihm zuhören, Wind hin oder her.
* * *
Ob hart, weich oder mittel, Hectors Frage kam in einem so lockeren, gütigen Ton daher, dass sie wunderbar trostreich klang.
»Und bei all Ihren wohlbegründeten Vorbehalten gegen uns hätten Sie sich in diesem Moment fast gewünscht, ein Spion zu sein, hab ich recht?«, sagte er.
Perry runzelte die Stirn, kratzte sich unbeholfen den Lockenschopf und fand nicht gleich eine Antwort.
* * *
»Sie kennen Guantánamo, Professor?«
Und ob Perry Guantánamo kennt. Er hat auf alle Arten gegen Guantánamo protestiert, auf die ein Mensch nur protestieren kann. Aber was will Dima ihm hier sagen? Warum ist Guantánamo plötzlich so sehr wichtig, sehr dringend, sehr kritisch für Großbritannien – um Tamaras schriftlichen Appell zu zitieren?
»Sie kennen Geheimflugzeuge, Professor? Diese Drecksflieger, die die CIA mietet, dass sie Terroristen fliegen von Kabul nach Guantánamo?«
Ja, Perry weiß Bescheid über diese Geheimflugzeuge. Er hat einen ganzen Batzen Geld an einen gemeinnützigen Verein überwiesen, der die dazugehörigen Muttergesellschaften wegen Menschenrechtsverletzung zu verklagen gedenkt.
»Kuba nach Kabul, diese Flieger sind ohne Fracht, okay? Und warum? Weil kein gottverdammter Terrorist Guantánamo – Afghanistan fliegt. Aber ich habe Freunde.«
Das Wort Freunde scheint ihm Sorgen zu bereiten. Er wiederholt es, bricht ab, murmelt etwas auf Russisch und kippt einen Wodka, bevor er weiterspricht.
»Meine Freunde, sie reden mit diese Piloten, machen Deal, ganz heimlichen Deal, kriegt kein Schwein davon Wind, okay?«
Okay. Kein Schwein kriegt Wind davon.
»Und was haben sie drin in diese leere Flieger, Professor? Nix mit Zoll, einfach Ladung rein und zu Käufer, Guantánamo – Kabul, Cash vorweg?«
Nein, Perry kann sich nicht denken, welche Fracht sie wohl geladen haben, diese Maschinen unterwegs von Guantánamo nach Kabul, Cash vorweg.
»Hummer, Professor!« – er klatscht sich die dicken Schenkel, und ein wildes Gelächter schüttelt ihn. »Viel tausend gottverdammte Hummer von Bucht von Mexiko! Wer kauft gottverdammte Hummer? Verrückte Warlords. Von Warlords, CIA kauft Gefangene. An Warlords, CIA verkauft gottverdammte Hummer. Cash. Vielleicht auch noch ein paar Kilo Heroin, für Wärter in Guantánamo. Beste Sorte. 999. Ohne Scheiß, ich schwör, Professor!«
Soll Perry darüber schockiert sein? Er würde ja gern. Aber ist das schon ein hinreichender Grund, um ihn hinaufzuzerren in diesen klapperigen Ausguck, wo der Wind ihnen in den Ohren heult? Er kann es nicht so recht glauben. Dima auch nicht, argwöhnt er. Die Geschichte scheint eher ein Probeschuss zu sein, Sondierung des Terrains für das, was folgt.
»Weißt du, was meine Freunde machen mit diesem Geld, Professor?«
Nein, Perry hat keine Ahnung, was Dimas Freunde, die Hummer aus der Bucht von Mexiko zu afghanischen Warlords schmuggeln, mit ihrem Profit machen.
»Sie bringen dies Geld zu Dima. Und warum? Weil sie Vertrauen haben in Dima! Viel viele russischen Syndikaten haben Vertrauen in Dima! Nicht bloß russisch! Groß, klein, mir egal! Nehm ich alle! Sagst du englische Spione: Ihr habt schmutziges Geld? Dima wäscht für euch, kein Problem! Ihr wollt anlegen, sparen? Kommt zu Dima! Aus viel kleine Straßen, Dima macht ein große. Sagst du das dein gottverdammte Spione, Professor!«
* * *
»Und wie deuten Sie sein Verhalten zu diesem Zeitpunkt?«, fragt Hector. »Der Mann schwitzt, er renommiert, er säuft, reißt Witze. Er sagt Ihnen, dass er ein Gauner und Geldwäscher ist, und prahlt mit seinen korrupten Amigos – aber was sehen und hören Sie wirklich? Was geht in seinem Innern vor?«
Perry brütet über der Frage, als wäre sie ihm von höchster Instanz vorgelegt worden, denn als solche sieht er Hector zunehmend. »Wut?«, bietet er an. »Gerichtet gegen eine oder mehrere Personen, die erst benannt werden müssen?«
»Weiter«, befiehlt Hector.
»Verzweiflung. Ebenfalls erst noch zu definieren.«
»Wie wär’s mit dem guten alten Hass, nie ganz verkehrt?«
»Kommt im Zweifel noch.«
»Rache?«
»Spielt bestimmt auch mit rein.«
»Berechnung? Zweifel? Gerissenheit? Ein bisschen mehr Anstrengung, bitte!« – im Scherz gesagt, aber nicht so aufgenommen.
»Kommt alles dazu. Keine Frage.«
»Und Scham. Selbstekel? Davon gar nichts?«
Perry stutzt, grübelt stirnrunzelnd, sieht um sich. »Doch«, räumt er ein, sehr gedehnt. »Doch. Scham. Die Scham des Renegaten. Scham, dass er sich überhaupt mit mir abgibt. Scham über seinen Verrat. Deshalb musste er auch so aufschneiden.«
»Ich bin ein verdammter Hellseher«, verkündet Hector befriedigt. »Fragen Sie, wen Sie wollen.«
Perry glaubt ihm auch so.
* * *
Perry schildert die langen Minuten des Schweigens, die widerstreitenden Grimassen auf Dimas schweißglänzendem Gesicht im Halbdunkel – wie er sich Wodka nachschenkt, ihn hinunterstürzt, sich übers Gesicht wischt, grinst, Perry grollend anstiert, als zweifelte er an seinem Recht, hier zu sein, herüberlangt und sein Knie packt, damit er ihm auch ja zuhört, das Knie loslässt, Perry neuerlich vergisst. Um schließlich in einem Ton tiefsten Misstrauens eine Frage zu knurren, die offen und ehrlich beantwortet sein will, ehe die sonstigen Geschäfte abgewickelt werden können:
»Hast du gesehn, meine Natascha?«
Ja, die hat Perry gesehen.
»Ist schön, meine Natascha, ja?«
Perry fällt es leicht, Dima zu versichern, dass Natascha in der Tat sehr schön ist.
»Zehn Bücher die Woche, zwölf Bücher, ist ihr völlig schnurz. Liest sie alle. Nach so ein Schüler schleckst du dir die Finger ab.«
Perry kann ihm nur beipflichten.
»Reitet Pferde, tanzt Ballett. Ski fährt so schön wie Vogel mit Flügeln. Und weißt du? Ihre Mutter. Die ist tot. Hab ich geliebt, diese Frau, okay?«
Perry gibt bedauernde Laute von sich.
»Kann sein, ich hab Liebe gemacht mit zu viele Frauen. Manche Männer, sie brauchen große Menge Frauen. Gute Frauen, sie wollen einzige Frau sein. Zu viel Rumgeficke, und sie drehn durch. Sehr schade das.«
Perry stimmt ihm zu, dass es sehr schade ist.
»Jesusmaria, Professor!« Er beugt sich vor, rammt Perry den Zeigefinger ins Knie. »Nataschas Mutter, ich liebe die Frau, ich liebe sie so, dass ich zerplatze, hörst du? Liebe, dass mir der ganze Bauch voller Feuer ist. Schwanz, Eier, Herz, Kopf, Seele, alles brennt nur für diese Liebe.« Er fährt sich mit dem Handrücken über den Mund, murmelt »wie deine Gail, so schön«, kippt einen Wodka, und weiter geht’s. »Ihr Scheißdreckmann knallt sie ab«, eröffnet er Perry. »Weißt du, wieso?«
Nein, Perry weiß nicht, wieso der Scheißdreckmann von Nataschas Mutter Nataschas Mutter abgeknallt hat, aber er hofft, es bald zu erfahren, so wie er auch zu erfahren hofft, ob er hier in einem Irrenhaus gelandet ist oder nicht.
»Natascha, sie ist mein Kind. Und weil sie nicht lügen kann, sie sagt ihm das, bringt ihr Scheißdreckmann sie um. Eines Tages kann sein, ich finde das Schwein. Bring ihn um. Nicht mit Gewehr, damit.«
Er hält Perry seine unmöglich zarten Hände zur Begutachtung hin. Perry bewundert sie pflichtschuldig.
»Meine Natascha geht auf Eton-Schule, okay? Sagst du das dein Spione. Kein Deal sonst.«
Einen kurzen Moment fühlt sich Perry, um den herum sich die Welt wild im Kreis dreht, auf sicherem Grund.
»Ich bin mir nicht sicher, ob Eton schon Mädchen aufnimmt«, sagt er vorsichtig.
»Ich zahl gut. Ich geb Swimmingpool. Kein Problem.«
»Selbst dann wird Eton wohl kaum seine Satzung für sie umstoßen.«
»Wo soll sie dann hin?«, fragt Dima herausfordernd, als wäre es Perry, der sich querstellt, nicht die Schule.
»Es gibt eine Schule, die Roedean heißt. Das soll das weibliche Pendant zu Eton sein.«
»Nummer eins von England?«
»Heißt es jedenfalls.«
»Kinder von Intelligenzija? Lords? Nomenklatura?«
»Sagen wir, es ist eine Schule für die oberen Kreise der britischen Gesellschaft.«
»Und teuer?«
»Unverschämt teuer.«
Dima ist nur halb beschwichtigt.
»Na gut«, knurrt er. »Wenn wir Deal machen mit Spione, Nummer-Eins-Bedingung: Roedean-Schule.«
* * *
Hector glotzt mit offenem Mund. Er schaut zu Luke neben ihm, dann wieder zu Perry. Kopfschüttelnd fährt er sich mit der Hand durch sein wirres weißes Haar.
»Sonst noch Wünsche!«, murmelt er. »Wie wär’s mit einem Platz in der Gardekavallerie für seine Zwillinge, wenn wir schon mal dabei sind? Was haben Sie ihm gesagt?«
»Ihm versprochen, dass ich mich nach besten Kräften dafür einsetzen werde«, erwidert Perry, der sein Herz für Dima schlagen fühlt. »Das ist das England, das er zu lieben glaubt. Was hätte ich ihm denn sonst sagen sollen?«
»Sie waren fabelhaft«, lobt ihn Hector. Und der kleine Luke stimmt ihm bei – fabelhaft scheint ein Wort zu sein, das auch er gern benutzt.
* * *
»Sie wissen Mumbai, Professor? Letzter November? Diese Pakistani-Spinner, lassen die ganze verdammte Welt hochgehen? Kriegen ihre Befehle über Handy? Ballern in diesem gottverdammten Café rum? Murksen diese ganzen Juden ab? Hotels, Bahnhöfe? Die verdammten Kinder, Mütter, alle tot? Wie zum Teufel kann das sein, verrückte Scheißdreckkerle?«
Perry hat auch keine Erklärung.
»Meine Kinder, sie schneiden sich den Finger, kommt Blut raus, wird mir schon schlecht«, entrüstet sich Dima. »Hab ich genug Tod gehabt in mein Leben, Professor. Für was machen die das, irre Scheißkerle?«
Der Atheist Perry möchte sagen »für Gott«, aber er lässt es. Dima stählt sich, dann wagt er den Sprung:
»Okay. Sagst du das dein gottverdammte englische Spione, Professor«, drängt er in erneuter Angriffslust. »Oktober 2008. Kennst du, diesen Datum? Ruft mich ein Freund an. Okay? Ein Freund?«
Okay. Noch so ein Freund also.
»Pakistaner. Von Syndikat, mit dem wir Geschäfte machen. 30. Oktober, mitten in gottverdammter Nacht, er ruft mich an. Ich bin in Bern, in der Schweiz, sehr ruhige Stadt, sehr viel Banker. Tamara, sie schläft neben mir. Wacht auf. Gibt mir das verdammte Telefon: für dich. Ist dieser Freund. Okay, Professor?«
Der Professor nickt.
»›Dima‹, sagt er zu mir. ›Hier ist dein Freund Khalil.‹ Bullshit. Mohamed, so heißt er. Khalil, das ist bloß sein Name für Cash-Geschäfte, die ich manchmal mache, scheißegal. ›Ich hab Markt-Tipp für dich, Dima. Sehr groß, sehr heiß. Sehr speziell. Dürft ihr nicht vergessen, wer euch gesagt hat den Tipp. Vergesst ihr nicht?‹ Nein, sag ich. Okay. Vier Uhr Nacht, irgendwas von Aktien in Mumbai. Egal. Sag ich ihm, nein, wir vergessen nicht, dass du’s warst, Khalil. Wir haben gutes Gedächtnis. Keiner bescheißt dich. Was ist dein heißer Tipp?
›Dima, geh raus mit dein Aktien aus Mumbai, oder sie fliegen dir um die Ohren.‹ – ›Was?‹, sage ich, ›was, Khalil? Bist du krank im Kopf drin? Was fliegt mir in Mumbai um meine Ohren? Wir haben Massen saubere Geschäfte in Mumbai. Alles regulär, alles sauber investiert, hab ich fünf Jahre gebraucht zu waschen – Dienstleistung, Tee, Holz, Hotels so weiß und so groß, kann der Papst seine Messe drin halten.‹ Mein Freund hört nicht zu. ›Dima, hörst du, schau, dass du rausgehst aus Mumbai. Vielleicht in ein Monat, du gehst wieder rein, machst ein paar Millionen. Aber erst gehst du gottverdammt raus aus diesen Hotels.‹«
Dima schiebt sich die Faust übers Gesicht, boxt den Schweiß weg. Jesusmaria, flüstert er vor sich hin und starrt hilfesuchend in dem winzigen Kabuff umher. »Sagst du das dein englische Apparatschicks, Professor!«
Perry will tun, was er kann.
»30. Oktober 2008, wo dieses Pakistani-Arschloch mich aufweckt, schlaf ich nicht gut, okay?«
Okay.
»Nächsten Morgen, 31., ich ruf mein Schweizer Banken an. ›Geht verdammt noch mal raus aus Mumbai.‹ Dienstleistungen, Holz, Tee, krieg ich vielleicht dreißig Prozent. Hotels siebzig. Zwei Wochen später, ich bin in Rom. Ruft Tamara mich an. ›Mach Fernseher an!‹ Und was seh ich? Diese verrückten Dreckspakistanis schießen Mumbai kurz und klein, indische Börse macht dicht. Nächsten Tag sind die indischen Hotels sechzehn Prozent runter, bei 40 Rupien, und fallen. Im März drauf sie sind bei 31. Ruft Khalil mich an. ›Okay, mein Freund, jetzt steigst du voll wieder ein. Nicht vergessen, Tipp ist von mir.‹ Also steig ich voll wieder ein.« Der Schweiß strömt ihm über den blanken Schädel, übers Gesicht. »Ende vom Jahr, indische Hotels sind bei 100 Rupien. Hab ich zwanzig Millionen Profit gemacht, zack. Die Juden sind tot, die Geiseln sind tot, und ich bin verdammtes Genie. Sagst du das dein englische Spione, Professor. Jesusmaria.«
Das schweißnasse Gesicht eine Maske des Selbstekels. Die morschen Schalbretter knarzen im Meereswind. Dima hat sich an den Punkt geredet, an dem es kein Zurück mehr gibt. Perry ist gemustert und geprüft und für gut befunden worden.
* * *
Beim Händewaschen oben in der liebevoll dekorierten kleinen Gästetoilette leuchtet ihm aus den Zügen im Spiegel ein Eifer entgegen, den Perry von sich so nicht kennt. Er eilt die plüschigen Stufen wieder hinunter.
»Noch eine Träne?«, fragt Hector mit einer lässigen Handbewegung zum Getränketablett hin. »Luke, seien Sie so gut, kochen Sie uns noch einen Kaffee dazu!«