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Hector und Matlock verzichteten auf Formalitäten freundlicher wie auch sonstiger Art, und vielleicht hatte das Tradition: nur ein Nicken und ein stummer Händedruck zwischen zwei alten Kontrahenten, die sich für den nächsten Schlagabtausch bereitmachten. Matlock hatte sich von seinem Fahrer um die Ecke absetzen lassen und kam zu Fuß.

»Sehr schicker Wilton-Teppich, Hector«, sagte er mit einem langsamen Blick in die Runde, der ihm seine schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen schien. »Wilton ist unschlagbar, zumindest, wenn es einem ums Preis-Leistungs-Verhältnis geht. Guten Tag, Luke. Es sind nur Sie beide hier, ja?« Er drückte Hector seinen Mantel in die Hand.

»Die Diener sind alle beim Hunderennen«, sagte Hector und hängte den Mantel auf.

Matlock war genauso bullig, wie sein Spitzname nahelegte, ein breitschultriger, breitschädliger Mann, der auf den ersten Blick etwas Onkelhaftes ausstrahlte, auch wenn seine geduckte Haltung Luke an einen alternden Rugby-Stürmer denken ließ. Sein Midlands-Akzent war den bösen Zungen im Erdgeschoss zufolge unter New Labour zunächst prononcierter geworden, schwächte sich aber nun angesichts der drohenden Wahlniederlage zunehmend ab.

»Wir sind im Keller, wenn Ihnen das recht ist, Billy«, sagte Hector.

»Es wird mir recht sein müssen, danke, Hector«, sagte Matlock weder liebenswürdig noch rüde, während er als Erster die Steinstufen hinunterstieg. »Was kostet uns dieses Häuschen, rein interessehalber?«

»Sie bisher gar nichts. Im Moment geht es noch auf meine Rechnung.«

»Sie beziehen Ihr Gehalt von uns, Hector. Nicht umgekehrt.«

»Sobald Sie grünes Licht für die Operation geben, reiche ich meine Spesen ein.«

»Und ich beanstande sie dann«, sagte Matlock. »Sind Sie unter die Trinker gegangen, kann das sein?«

»Es war früher ein Weinkeller.«

Sie nahmen ihre Plätze ein. Matlock wählte das Kopfende. Hector, für gewöhnlich ein sturer Technikverächter, setzte sich links von ihm, um einen Kassettenrecorder und eine Computerkonsole bedienen zu können. Und links von Hector saß Luke, so dass sie alle drei freie Sicht auf den Plasmabildschirm hatten, der von dem abwesenden Ollie über Nacht aufgebaut worden war.

»Und, sind Sie dazu gekommen, sich durch das ganze Material zu ackern, mit dem wir Sie zugeschüttet haben, Billy?«, erkundigte sich Hector mitfühlend. »Tut mir leid, wenn Sie deshalb nicht zum Golfen konnten.«

»Falls ›das Ganze‹ das sein soll, was Sie mir geschickt haben, dann ja, Hector, ich bin dazu gekommen, besten Dank«, gab Matlock zurück. »Wobei ›das Ganze‹ in Ihrem Fall ja erfahrungsgemäß sehr relativ zu sehen ist. Ich spiele nicht Golf, am Rande bemerkt, und ich bin kein Freund von Zusammenschnitten, wenn’s nicht unbedingt sein muss. Besonders nicht von Ihren. Ein bisschen mehr Rohmaterial und ein bisschen weniger Manipulation wären mir lieber gewesen.«

»Dann gehen wir das Rohmaterial jetzt durch, wie wär’s, und vertragen uns wieder?«, schlug Hector unverändert sanft vor. »Wir sprechen immer noch Russisch, nehme ich doch an?«

»Tun wir – es sei denn, Ihres ist eingerostet, während Sie sich Ihre goldene Nase verdient haben.«

Wie ein altes Ehepaar, dachte Luke, als Hector die »Play«-Taste an dem Kassettenrecorder drückte. Jeder Streit ist die Neuauflage von einem, den sie irgendwann schon mal hatten.

* * *

In Lukes Kopf setzte schon der bloße Klang von Dimas Stimme einen Farbfilm in Gang. Bei jedem Abhören der Kassette, die Perry in seiner Unschuld im Rasierzeug geschmuggelt hatte, stellte sich vor seinem inneren Auge das gleiche Bild ein: Dima, der im Dickicht von Three Chimneys kauerte, ein Diktiergerät in der verblüffend zierlichen Hand, weit genug weg vom Haus, um Tamaras echten oder eingebildeten Mikrophonen zu entgehen, aber nah genug, um zurückzuhasten, wenn sie ihn mit gellender Stimme ans Telefon beorderte.

Er hörte die drei Winde um Dimas glänzend kahlen Schädel fauchen. Er sah die Baumkronen über ihm hin und her schwanken. Er hörte Blätterknattern und ein Gurgeln von Wasser, und er wusste, es war derselbe tropische Regen, der ihn im kolumbianischen Urwald durchweicht hatte. Hatte Dima sein Band in einem Sitz besprochen oder in mehreren Anläufen? Hatte er zwischendurch ein paar Wodkas einschieben müssen, um seine Wory-Skrupel wegzuspülen? Jetzt schaltet die belfernde Stimme von Russisch zu Englisch um, vielleicht zur Erinnerung daran, wer seine Beichtiger sind. Jetzt appelliert er an Perry. Jetzt an einen ganzen Haufen Perrys:

»Ihr seid englische Gentlemen! Bitte! Ihr macht Fairplay, ihr habt Land von Recht und Gesetz. Ihr seid rein! Ich vertraue euch. Ihr müsst Dima auch vertrauen!«

Dann wieder weiter auf Russisch, aber jetzt grammatikalisch so überkorrekt, so gestelzt und geschniegelt, als versuchte Dima seinen Kolyma-Hautgout abzustreifen, sich salonfähig zu machen für die baldige Tuchfühlung mit den feinen Herrschaften in Ascot:

»Der Mann, den sie Dima nennen, führender Geldwäscher der Sieben Brüder und finanzielles Superhirn des entarteten Usurpators, der sich der Prinz nennt, entbietet dem berühmten britischen Geheimdienst seine besten Empfehlungen und unterbreitet folgendes Angebot wertvoller Informationen im Austausch für verlässliche Zusicherungen seitens der britischen Regierung. Beispiel

Dann sprechen nur die Winde, während sich Dima mit einem riesigen seidenen Taschentuch – Lukes eigene Hinzufügung, aber Perry hat wiederholt von einem Taschentuch gesprochen – Schweiß und Tränen abwischt, ehe er den nächsten Zug aus seiner Flasche nimmt und voranschreitet zu dem endgültigen, unumkehrbaren Akt des Verrats.

»Beispiel. Transaktionen der dem Prinzen unterstehenden kriminellen Organisation, die derzeit als die Sieben Brüder bekannt ist, beinhalten:

Eins: Import und Umetikettierung von Öl aus Embargostaaten im Nahen Osten. Ich weiß Bescheid über diese Geschäfte. Viele korrupte Italiener und viele britische Anwälte sind daran beteiligt.

Zwei: Einschleusung von Schwarzgeldern in Milliarden-Dollar-Höhe bei Ölimporten und Steuerzahlungen. Der Spezialist dafür bei allen sieben Wory-Bruderschaften war mein Freund Michail, genannt Mischa. Zu diesem Zweck lebte er auch in Rom.«

Neuerlicher Bruch in der Stimme, vielleicht noch ein schweigender Toast auf den seligen Mischa, dann geht es überschwänglich weiter in gebrochenem Englisch:

»Beispiel drei: Schwarzfällen, Afrika. Erst wir machen aus schwarzem Holz weißes Holz. Dann wir machen aus schwarzem Geld weißes! Ist normal. Ist leicht. Viel viele russische Kriminelle in Tropisch-Afrika. Auch schwarze Diamanten sehr interessanter neuer Markt für Bruderschaften.«

Und immer noch auf Englisch:

»Beispiel vier: Falsche Medizin, gemacht in Indien. Sehr schlecht, heilt nicht, muss man brechen, manche sterben auch. Offiziell russischer Staat hat sehr interessante Beziehungen mit offiziell indischer Staat. Auch sehr interessante Beziehungen von indischen mit russischen Bruderschaften. Der Mann, den sie Dima nennen, weiß viele interessante Namen, auch englische, zu diesen vertikalen Verbindungen und zu privaten finanziellen Abkommen mit Banken in der Schweiz.«

Luke der Bedenkenträger durchleidet stellvertretend für Hector die Selbstzweifel des Impresarios.

»Ist die Lautstärke gut so, Billy?«, fragt Hector und hält das Band an.

»Die Lautstärke ist wunderbar, danke«, sagt Matlock mit gerade genug Betonung auf Lautstärke, um durchblicken zu lassen, dass das für den Inhalt nicht unbedingt gilt.

»Dann weiter im Text«, sagt Hector ein wenig zu sanftmütig für Lukes Geschmack, während Dima dankbar ins Russische zurückwechselt:

»Beispiel: in der Türkei, in Kreta, Zypern, Madeira, in vielen Ferienorten am Meer: schwarze Hotels, keine Gäste, zwanzig Millionen Dollar Schwarzgeld pro Woche. Dieses Geld wird ebenfalls gewaschen von dem Mann, den sie Dima nennen. Gewisse kriminelle sogenannte Immobilienfirmen, britische Firmen, sind daran gleichfalls beteiligt.

Beispiel: korrupte Machenschaften zwischen EU-Beamten und kriminellen Fleischlieferanten. Diese Vertragslieferanten müssen hohe Qualität garantieren, sehr teures italienisches Fleisch, das in die Russische Föderation exportiert wird. Auch für dieses Abkommen war mein Freund Mischa persönlich verantwortlich.«

Hector stoppt das Band wieder. Matlock hat die Hand gehoben.

»Was kann ich für Sie tun, Billy?«

»Er liest ab.«

»Warum darf er nicht ablesen?«

»Darf er ja. Solange wir wissen, wovon er abliest.«

»Soweit wir wissen, schreibt seine Frau Tamara ihm Teile seines Textes vor.«

»Sie sagt ihm also, was er sagen soll?«, fragt Matlock. »Ich weiß nicht, ob mir das gefällt. Wer sagt ihr, was sie sagen soll?«

»Soll ich vorspulen? Da geht’s nur um unsere Kollegen in der EU, die Menschen vergiften. Wenn das Ihre Kompetenzen überschreitet, sagen Sie’s einfach.«

»Machen Sie bitte weiter wie gehabt, Hector. Ich spare mir meine Kommentare ab sofort für später auf. Ich bin mir offen gestanden nicht sicher, ob für Fleischverkäufe in Russland wirklich der Nachrichtendienst zuständig ist, aber ich werde nicht eher ruhen, als bis ich es herausgefunden habe.«

* * *

Luke war die Geschichte, die jetzt kam, ziemlich an die Nieren gegangen. Er hatte offenbar noch nicht genug erlebt, um abgestumpft zu sein. Was Matlock davon hielt, ließ sich seinem Gesicht nicht entnehmen. Dimas Mittel der Wahl war diesmal wieder Tamaras Englisch:

»Korruptes System funktioniert so. Erstens: Prinz erreicht durch korrupte Beamte in Moskau, dass spezielles Fleisch Wohlfahrtsfleisch heißt. Damit es Wohlfahrtsfleisch ist, es darf nur für bedürftige Elemente der russischen Gesellschaft bestimmt sein. Deshalb ist Fleisch, das korrupt Wohlfahrtsfleisch heißt, in Russland steuerfrei. Zweitens: Mein Freund Mischa, der tot ist, kauft viele Kadaver von Fleisch aus Bulgarien. Dieses Fleisch ist sehr schlimm zu essen, sehr schlecht, sehr billig. Drittens: Mein Freund Mischa erreicht durch sehr korrupte Beamten in Brüssler Union, dass alle bulgarische Fleischkadaver einzeln gestempelt werden mit Stempel von EU, dass Fleisch Spitzenqualität ist, garantiert bestes italienisches Fleisch nach europäischer Norm. Für diesen kriminellen Dienst zahle ich, Dima, persönlich hundert Euro pro Kadaver auf Schweizer Konto von sehr korruptem Brüssler Beamten, zwanzig Euro pro Kadaver auf Schweizer Konto von sehr korruptem Moskauer Beamten. Netto-Profit für Prinz, nach Abzug aller Gemeinkosten, eintausendzweihundert Euro pro Kadaver. Vielleicht fünfzehn Menschen in Russland, auch Kinder, werden von diesem sehr schlechten bulgarischen Fleisch krank und sterben. Das ist nur geschätzt. Diese Information wird offiziell geleugnet. Die Namen dieser sehr korrupten Beamten sind mir bekannt, auch die Schweizer Konten mit Kontonummern.«

Und ein steifes Postskriptum, klangvoll vorgetragen:

»Es ist die persönliche Meinung meiner Frau Tamara L’wowna, dass unmoralische Ausgabe von schlechtem bulgarischem Fleisch durch kriminell verdorbene europäische und russische Beamten allen christlichen Menschen mit guten Herzen weltweit überall nahegehen muss. So will es Gott.«

Das unverhoffte Eingreifen Gottes in die Handlung hatte eine kleine Pause zur Folge.

»Wäre wohl jemand so gut und erklärt mir, was ein schwarzes Hotel ist?«, fragte Matlock die Luft vor seinem Gesicht. »Ich mache zufällig auf Madeira Urlaub, und mein Hotel kam mir bisher noch nie sonderlich schwarz vor.«

Erfüllt von einem plötzlichen Beschützerdrang gegenüber dem allzu zahmen Hector, ernannte Luke sich selbst zu dem Jemand, der Matlock über das Phänomen der Geisterhotels aufklärte.

»Sie kaufen ein Stück Land in Spitzenlage, für gewöhnlich am Meer gelegen, Billy. Sie zahlen dafür in bar, Sie bauen darauf eine Fünf-Sterne-Luxus-Hotelanlage. Vielleicht auch mehrere. Ebenfalls bar bezahlt. Und wenn Platz ist, stellen Sie noch fünfzig Ferienhäuser dazu. Sie richten alles mit besten Möbeln ein, bestem Besteck, bestem Porzellan, bestem Leinenzeug. Von da an sind Ihre Hotels und Bungalows ausgebucht. Nur dass nie jemand darin wohnt, verstehen Sie? Wenn ein Reiseveranstalter anruft: Tut uns leid, wir sind voll. Jeden Monat fährt ein Geldtransporter vor der Bank vor und lädt all das Bargeld ab, das die Zimmer und Bungalows, die Restaurants, Kasinos, Nachtclubs und Bars abgeworfen haben. Und nach ein paar Jahren sind Ihre Anlagen so weit, dass Sie sie mit einer glänzenden Handelsbilanz verkaufen können.«

Von Matlock keine Reaktion, außer dass das onkelhafte Lächeln noch breiter wurde.

»Es müssen übrigens keine Hotelanlagen sein. Es kann auch eins von diesen sonderbar leeren weißen Feriendörfern sein – kennen Sie sicher –, die sich an der türkischen Küste die Hänge zum Meer hinunterziehen; es können, was weiß ich, Villenkolonien sein, es kann im Prinzip alles sein, was sich vermieten lässt. Sogar Autoverleih, wenn Sie die Unterlagen gut genug frisieren.«

»Wie geht es Ihnen heute, Luke?«

»Gut, danke, Billy.«

»Wir wollen Sie für eine Medaille vorschlagen, außergewöhnliche Tapferkeit, wussten Sie das?«

»Nein.«

»Ist aber so. Eine geheime, wohlgemerkt, nichts Öffentliches. Nichts, was Sie sich am Volkstrauertag stolz an die Brust heften können, leider Gottes. Das wäre nicht sicher. Und natürlich ein herber Bruch mit der Tradition.«

»Natürlich«, sagte Luke vollkommen verwirrt, denn eine Medaille, so schoss ihm durch den Kopf, könnte Eloise vielleicht tatsächlich aus ihrer Depression herausholen, aber wahrscheinlich war es doch nur wieder einer von Matlocks Tricks. Dennoch wollte er gerade zu einer geziemenden Erwiderung ansetzen – seine Überraschung zum Ausdruck bringen, seine Dankbarkeit, Freude –, als er merkte, dass Matlock das Interesse an ihm verloren hatte:

»Was ich bisher gehört habe, Hector, wenn ich mir den Mumpitz mal wegdenke, ist nach meiner bescheidenen Auffassung internationales Gaunertum und nichts anderes. Zugegeben, der Geheimdienst hat ein legales Interesse an internationalem Gaunertum und Geldwäsche. Wir haben um unseren Anteil daran gekämpft, als die Zeiten schlecht waren, und jetzt haben wir ihn an der Backe. Ich spreche von dieser unseligen Durststrecke, die mit dem Mauerfall anfing und die erst Osama bin Laden, Allah sei Dank, für uns beendet hat. Wir haben um unseren Anteil am Geldwäschemarkt gekämpft, genau wie wir um ein größeres Stück von Nordirland gekämpft haben und um all die anderen kärglichen Brosamen, mit denen wir unsere Existenz rechtfertigen konnten. Aber das war damals, Hector. Und wir leben nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart, ob es uns passt oder nicht, und in dieser Gegenwart hat Ihr Dienst und meiner mit seiner Zeit und seinen Ressourcen Besseres zu tun, als sich die Finger in dem hochkomplexen Räderwerk der Londoner Finanzwelt einzuklemmen.«

Matlock brach ab – in Erwartung wovon?, fragte sich Luke. Beifall vielleicht, aber so steinern, wie Hector dreinschaute, konnte er darauf lange warten, also holte er Atem und fuhr fort.

»Außerdem haben wir heute in diesem Land eine sehr große, vollständig rechtsfähige, leicht überfinanzierte Konkurrenzbehörde, die ihre höchst ehrenwerten Anstrengungen der schweren und organisierten Kriminalität widmet, was doch wohl genau das ist, was Sie zu enthüllen hoffen. Nicht zu reden von Interpol und den zahlreichen rivalisierenden amerikanischen Behörden, die sich gegenseitig auf die sehr großen Füße steigen in ihrem Eifer, alle ein und denselben Job zu machen und dabei nur ja nicht den Reichtum ihrer großen Nation zu beschädigen. Worauf ich hinauswill, Hector – nein, lassen Sie mich bitte ausreden –, worauf ich hinauswill: Ich begreife nicht ganz, wozu ich so extrem kurzfristig hierherbestellt worden bin. Dass das, was Sie hier aufgetan haben, dringend ist, wissen wir alle, wobei ich mir nicht sicher bin, für wen. Und vielleicht stimmt es ja sogar wirklich alles. Aber betrifft es uns, Hector?«

Die Frage war offenbar rhetorisch, denn er fuhr gleich fort:

»Oder könnte es sein, Hector, dass Sie tollkühn auf dem hochsensiblen Terrain einer Konkurrenzorganisation wildern, mit der ich und meine Dienststelle in monatelangem schmerzhaftem Ringen unsere jeweiligen Kompetenzbereiche abgesteckt haben? Sollte das nämlich der Fall sein, wäre mein Rat an Sie folgender: Packen Sie dieses Material ein, das Sie mir da gerade vorgespielt haben, und alles artverwandte Material, das eventuell noch in Ihrem Besitz ist, und geben Sie es postwendend an unsere Nebenbuhler weiter, mit den unterwürfigsten Entschuldigungen dafür, dass Sie in ihr geheiligtes Hoheitsgebiet eingedrungen sind. Und wenn das getan ist, schlage ich vor, Sie melden sich und Luke und all die anderen, die Sie da noch im Schrank versteckt haben, zwei wohlverdiente Wochen lang krank.«

Ließ Hectors legendäre Kaltblütigkeit ihn nun endlich doch im Stich?, fragte Luke sich ängstlich. Hatte die Anstrengung, Gail und Perry ins Boot zu hieven, zu sehr an ihm gezehrt? Oder war er so besessen von seiner hehren Mission, dass er alles taktische Gespür verloren hatte?

Mit einem Kopfschütteln, einem Seufzen streckte Hector einen lethargischen Finger aus und drückte die Vorspultaste.

* * *

Dimas Stimme, ganz ruhig jetzt. Er liest, ob es Billy Boy passt oder nicht. Würdevoll und stimmstark deklamiert er seinen Text in seinem besten, förmlichsten Russisch:

»Beispiel: Details eines hochgeheimen Vertrags, geschlossen im Jahr 2000 in Sotschi zwischen sieben paktierenden Wory-Bruderschaften, unterzeichnet von den Sieben Brüdern und überschrieben ›Die Übereinkunft‹. Gemäß diesem Pakt, ausgehandelt von Dreckschwein-Thronräuber-Prinz persönlich mit stillschweigender Duldung des Kremls, verständigen sich alle sieben Unterzeichneten auf Folgendes:

Erstens: Alle bewährten und erfolgreichen Geldkanäle, die von dem Mann erschlossen worden sind, den sie Dima nennen, werden fortan gemeinsam genutzt, womit Dima oberster und erster Geldwäscher aller sieben Bruderschaften wird.

Zweitens: Alle gemeinsamen Bankkonten unterliegen dem Wory-Ehrenkodex, jeder Verstoß wird mit dem Tode des Täters bestraft, unter gleichzeitigem dauerhaftem Ausschluss der verantwortlichen Wory-Bruderschaft.

Drittens: Unternehmerische Seriosität ist zu etablieren in den folgenden sechs Finanzhauptstädten: Toronto, Paris, Rom, Bern, Nikosia, London. Endziel aller gewaschenen Gelder: London. Bestes Zentrum für Seriosität: London. Beste Perspektiven für langfristiges Bankenengagement: London. Bester Standort für sichere Investitionen: London. Auch dies wird vereint beschlossen.

Viertens: Die Aufgabe, die Herkunft von Schwarzgeldern zu vertuschen und ihren Weg an sichere Bestimmungsorte zu überwachen, verbleibt erste und alleinige Zuständigkeit des Mannes, den sie Dima nennen.

Fünftens: Bei sämtlichen größeren Kontobewegungen wird besagter Dima Erstunterzeichnungsrecht haben. Jeder Unterzeichner der ›Übereinkunft‹ wird einen sauberen Emissär ernennen. Dieser Emissär wird nur über Zweitunterzeichnungsrechte verfügen.

Sechstens: Um obiges System wirksam abzuändern, müssen nach dem Wory-Gesetz alle sieben Emissäre gleichzeitig anwesend sein.

Siebtens: Die Vormachtstellung des Mannes, den sie Dima nennen, als Schöpfer sämtlicher in der ›Übereinkunft‹ von Sotschi 2000 beschlossener Geldwäschestrukturen wird hiermit bestätigt.«

»Und amen, möchte man sagen«, murmelt Hector, schaltet das Band ab und richtet den Blick erwartungsvoll auf Matlock. Auch Luke sieht zu ihm – nur um Matlocks nachsichtigem Lächeln zu begegnen.

»Wissen Sie was, Hector, das könnte ich mir glatt selber ausgedacht haben«, sagt er mit einem Kopfschütteln, das offenbar bewundernd daherkommen soll. »Phantastisch, kann ich nur sagen. Stimmig, einfallsreich und befördert ihn auf einen Schlag an die Spitze. Wie könnte irgendjemand den Wahrheitsgehalt einer so prachtvollen globalen Aussage anzweifeln? Meine Stimme für den Oscar hat er. Was soll übrigens ein sauberer Emissär sein?«

»Einer mit weißer Weste, Billy. Ohne Vorbelastungen, sei es rechtlich oder moralisch. Buchhalter, Rechtsanwälte, Polizisten, die sich was dazuverdienen, Geheimdienstmitarbeiter, kurz, jeder Wory-Bruder, der reisen und eine Unterschrift leisten kann. Hauptsache, er ist seiner Bruderschaft treu ergeben und weiß, wenn er mit der Kasse abhaut, wacht er mit den Eiern im Mund auf.«

* * *

Hector, der sonst so Unverwüstliche, hat etwas von einem leidgeprüften Familienanwalt, denkt Luke, wie er nun eine eselsohrige Karteikarte zu Rate zieht, auf die er sich offenbar die Marschroute für das Treffen gekritzelt hat, und dann erneut vorspult.

»Übersicht«, blafft Dimas Stimme auf Russisch.

»Mist. Zu weit«, murmelt Hector und lässt das Band wieder ein Stück zurücklaufen.

»Vorbehaltlich verlässlicher britischer Zusicherungen wird außerdem ein sehr geheimer, sehr wichtiger Plan verfügbar gemacht«,

hört man wieder Dima, der in unvermindertem Tempo durch sein russisches Skript jagt:

»Dieser Plan wird eine Übersicht über die internationalen Routen sämtlicher Schwarzgelder unter der Kontrolle des Mannes enthalten, den sie Dima nennen und der hier zu Ihnen spricht.«

Auf einen Wink von Matlock hält Hector das Band neuerlich an.

»Das ist kein Plan, von dem er hier redet, das ist ein Vernetzungsdiagramm«, beschwert sich Matlock in einem Ton, als gälte es Dimas sprachliche Schwächen zu bemängeln. »Und zum Thema Vernetzungsdiagramme lassen Sie mich nur eins sagen, mit Verlaub. Mir sind schon so einige Vernetzungsdiagramme untergekommen. Und nach meiner Erfahrung ähneln die meisten bunten Stacheldrahtrollen, die wild in alle Himmelsrichtungen spießen. Unbrauchbar mit anderen Worten«, setzt er mit Genugtuung hinzu. »So was gehört für mich in dieselbe Kategorie wie Auslassungen über irgendwelche sagenhaften Verbrecherkongresse anno 2000 am Schwarzen Meer.«

Sie sollten Yvonnes Vernetzungsdiagramm sehen, möchte ihm Luke in einem Anfall verzweifelter Ausgelassenheit zurufen, da bleibt Ihnen die Spucke weg.

Matlock findet so schnell kein Ende, wenn er Aufwind spürt. Er schüttelt den Kopf und lächelt bedauernd.

»Wissen Sie, Hector, wenn ich nur fünf Pfund für jeden unverlangten Hinweis aus ungesicherter Quelle hätte, dem unser Dienst im Lauf der Jahre aufgesessen ist – nicht alle zu meiner Zeit, Gott sei Dank! –, dann wäre ich ein reicher Mann. Vernetzungsdiagramme, Bilderberg-Komplotte, Weltverschwörungen, der gute alte grüne Schuppen in Sibirien, der bis zum Dach voll mit rostigen Wasserstoffbomben ist, und, und, und. Gut, für die genialischen Erfinder dieser ganzen Wundermären ist reich wahrscheinlich was anderes, und für Sie im Zweifelsfall auch. Aber für jemanden mit meinen Ansprüchen hätte ich doch recht schön ausgesorgt.«

Warum zum Henker staucht Hector Billy Boy nicht zusammen? Aber Hector scheint nicht die Nerven für einen Gegenschlag zu haben. Nein, schlimmer noch: Zu Lukes Verzweiflung verzichtet er darauf, den letzten Teil von Dimas historischem Angebot abzuspielen. Er schaltet den Kassettenrecorder aus, als wollte er sagen: »Na ja, einen Versuch war’s wert«, und mit einem gekränkten kleinen Lächeln und einem ergebenen »Bilder sind vielleicht eh mehr Ihr Ding, Billy« greift er nach der Fernbedienung für den Plasmabildschirm und schaltet das Licht aus.

* * *

In dem Halbdunkel erfasst eine schwankende Videokamera die Zinnen einer mittelalterlichen Festung und senkt sich dann hinab zur Kaimauer eines alten Hafens, in dem es von teuren Segelbooten wimmelt. Es dämmert, die Kamera ist kein Profigerät und kann das schwindende Licht nicht ausgleichen. Eine gut dreißig Meter lange Luxusjacht in Blau und Gold ankert außerhalb der Hafenmauer. Sie ist über und über mit bunten Lämpchen behängt, ihre Bullaugen sind erleuchtet. Über das Wasser klingt Tanzmusik herüber. Feiert jemand Geburtstag? Hochzeit? Am Heck der Jacht flattern die Flaggen von England, Russland und der Schweiz. Den Masttopp schmückt ein goldener Wolf auf rotem Grund.

Die Kamera hält auf den Bug. Goldene Schnörkellettern verkünden in lateinischer und kyrillischer Schrift den Namen des Schiffs: Prinzessin Tatjana.

Hector liefert einen knappen, emotionslosen Kommentar:

»Gehört einer neugegründeten Firma namens First Arena Credit Bank of Toronto mit Sitz in Zypern. Die gehört einer Stiftung in Liechtenstein und die wiederum einer Firma mit Sitz in Zypern«, erläutert er trocken. »Eine Überkreuzbeteiligung also. Man gibt das Ding einer Firma, dann kriegt man es über einen kleinen Umweg wieder zurück. Bis vor kurzem hieß der Kahn Prinzessin Anastasia, genau wie die Exfreundin des Prinzen komischerweise. Die neue Tussi heißt Tatjana, wir dürfen also unsere Schlüsse ziehen. Da der Prinz Russland derzeit aus gesundheitlichen Gründen nicht verlassen kann, ist die SS Prinzessin Tatjana an ein internationales Konsortium vermietet, das sich, man höre und staune, First Arena Credit International nennt, ein vollkommen eigenständiges Unternehmen mit Sitz, wie könnte es anders sein, in Zypern.«

»Und was fehlt ihm?«, fragt Matlock aggressiv.

»Wem?«

»Dem Prinzen. Halten Sie mich für blöd, oder was? Warum kann er Russland nicht verlassen?«

»Er wartet darauf, dass die Amerikaner ein paar ganz und gar haltlose Anklagen wegen Geldwäsche fallenlassen, die sie vor einigen Jahren gegen ihn erhoben haben. Die gute Nachricht ist, dass er nicht mehr sehr lange warten muss. Dank ein wenig gezielter Lobbyarbeit in den heiligen Washingtoner Hallen wird man in Kürze zu dem Schluss kommen, dass ihm nichts vorzuwerfen ist. Schon hilfreich, zu wissen, wo die Mächtigen Amerikas ihre illegalen Nummernkonten haben.«

Die Kamera schwenkt nach achtern und zeigt die Besatzung, ganz stilecht in russischen Matrosenblusen und -mützen. Ein Hubschrauber setzt zur Landung an. Die Kamera kehrt zum Bug zurück, zickzackt in Richtung Wasser; das Bild wird dunkler. Eine Motorbarkasse legt am Boot an und bringt neue Gäste. Diensteifrige Matrosen stehen bereit, während die Passagiere in ihren schicken Kleidern vorsichtig die Leiter hinaufklettern.

Zurück nach achtern. Der Hubschrauber ist gelandet, seine Rotorblätter drehen sich langsam aus. Eine feine Dame stöckelt mit wehenden Röcken das mit rotem Teppich belegte Treppchen herab und hält ihren Hut fest. Hinter ihr eine zweite feine Dame, dann ein Trupp feiner Herren in Blazern und weißen Segelhosen, sechs an der Zahl. Verwackelte Umarmungen. Schwaches Begrüßungsgekreisch, überlagert von Tanzmusik.

Schnitt zurück zu zweiter Motorbarkasse, die eben längsseits geht, um hübsche Mädchen anzuliefern. Hautenge Jeans, flatternde Röckchen, viel nacktes Bein und nackte Schultern, als sie die Leiter hinaufsteigen. Ein Zweiergespann verwackelter Trompeter in Kosakenuniform schmettert den hübschen Mädchen einen Willkommenstusch entgegen.

Ein dilettantischer Schwenk über die Gäste, die auf dem Hauptdeck versammelt sind. Bisher sind es achtzehn. Luke und Yvonne haben sie gezählt.

Das Bild erstarrt, in ungelenken Sprüngen folgt eine Reihe von Nahaufnahmen, noch einmal stark vergrößert von Ollie. Die Bildunterschrift lautet: Kleiner Adriahafen nahe Dubrovnik, 21. Juni 2008. Es ist der erste von vielen Untertiteln, die Yvonne, Luke und Ollie im Team einkopiert haben, als Ergänzung zu Hectors mündlichem Kommentar.

Das Schweigen im Souterrain ist mit Händen greifbar. Fast wirkt es, als würden alle im Raum, Hector inbegriffen, gleichzeitig den Atem anhalten. Vielleicht tun sie es. Sogar Matlock beugt sich auf seinem Stuhl nach vorn.

* * *

Wir sehen zwei guterhaltene Geschäftsmänner in teuren Maßanzügen im Gespräch, dahinter Hals- und Schulterpartie einer nicht mehr ganz jungen Frau mit hochtoupierten weißen Haaren. Sie steht mit dem Rücken zum Betrachter, um den Hals ein vierreihiges Brillantkollier mit dazu passenden Ohrgehängen, schwindelerregend teuer im Zweifel. Von links hält eine weißbehandschuhte Kosakenhand mit bestickter Manschette ein Silbertablett voller Champagnergläser ins Bild.

Nahaufnahme der beiden Geschäftsmänner. Der eine hat eine weiße Smokingjacke an. Er ist schwarzhaarig, ein südländischer Typ mit kräftigem Unterkiefer. Der andere trägt einen marineblauen, sehr englischen Blazer mit einer Doppelreihe von Messingknöpfen – Boating Jacket sagt man in gehobenen britischen Kreisen dazu, Luke muss es wissen, schließlich stammt er selbst aus diesen Kreisen. Verglichen mit seinem Gesprächspartner ist dieser zweite Mann jung. Er ist außerdem gutaussehend auf eine Art, die an die jungen Männer des achtzehnten Jahrhunderts erinnert, zumindest auf den Porträts, die sie Lukes alter Schule nach Ende ihrer Zeit dort gestiftet haben: breite Stirn, hoher Haaransatz, im Blick eine arrogante Sinnlichkeit à la Byron, dazu ein Schmollmund und eine Haltung, dank der sie auf einen herabzuschauen scheinen, selbst wenn man sie überragt.

Hector sitzt stumm da. Das Team hat beschlossen, dass die Untertitel aussprechen sollen, was jeder auf einen Blick sehen kann: dass der marineblaue Doppelreiher mit den Messingknöpfen einem führenden Mitglied der britischen Opposition gehört, einem Schattenminister, der für einen astronomisch hohen Posten nach der nächsten Wahl gehandelt wird.

Hier endlich bricht Hector das lastende Schweigen, sehr zu Lukes Erleichterung.

»Sein Auftrag ist es laut Parteiprogramm, ›die britische Wirtschaft auf dem internationalen Finanzmarkt zu positionieren‹, was immer man sich darunter vorzustellen hat«, bemerkt er bissig, mit einem Aufflackern seiner alten Energie. »Und natürlich der Selbstbedienungsmentalität der Banker einen Riegel vorzuschieben. Aber das wollen sie ja letztlich alle. Eines schönen Tages.«

Matlock hat die Sprache wiedergefunden.

»Man kann keine Geschäfte machen, ohne Kontakte zu pflegen, Hector«, wendet er ein. »So funktioniert die Welt nun mal, das sollten Sie besser wissen als jeder andere, Sie haben das Spiel schließlich mitgespielt! Sie können einem Mann keinen Strick draus drehen, dass er bei jemandem auf dem Boot ist.«

Aber weder Hectors Ton noch Matlocks unglaubhafter Protest können die Spannung abbauen. Da hilft es auch wenig, dass die weiße Smokingjacke Yvonnes Bildunterschrift zufolge einem zwielichtigen französischen Marquis und Firmenaufkäufer mit engen Verbindungen nach Russland gehört.

* * *

»Wo haben Sie das Zeug überhaupt her?«, verlangt Matlock nach längerem stummem Brüten zu wissen.

»Welches Zeug?«

»Den Film. Dieses Amateurvideo. Nennen Sie’s, wie Sie wollen. Wo haben Sie es her?«

»Unter einem Stein gefunden, Billy. Was dachten Sie denn?«

»Wer hat es gefunden?«

»Ein Freund von mir. Oder auch zwei.«

»Unter was für einem Stein?«

»Londoner Polizei.«

»Was reden Sie da? Scotland Yard? Haben Sie an polizeilichen Beweismitteln herumgedoktert, oder wie? Sie können es ruhig zugeben.«

»Schön wär’s, Billy. Aber ich fürchte, nein. Möchten Sie die Geschichte hören?«

»Wenn sie wahr ist.«

»Ein junges Pärchen aus einem Londoner Vorort hat fleißig für seine Flitterwochen gespart und gönnt sich eine Pauschalreise an die Adria. Bei einem Spaziergang die Steilküste entlang bemerken sie eine Luxusjacht, die in der Bucht vor Anker liegt, und weil sie sehen, dass darauf eine todschicke Party im Gange ist, filmen sie sie. Bei der Sichtung des Materials in ihrem trauten Heim in, sagen wir, Surbiton erkennen sie verblüfft und fasziniert gewisse wohlbekannte britische Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik. Sie wittern eine Chance, die Kosten ihres Urlaubs wieder einzuspielen, und schicken ihre Trophäe schnurstracks an Sky TV. Und ehe sie wissen, wie ihnen geschieht, stürmt morgens um vier ein bis an die Zähne bewaffneter Polizeitrupp zu ihnen ins Schlafzimmer und droht ihnen Strafverfolgung gemäß dem Antiterrorgesetz an, wenn sie nicht augenblicklich sämtliche Kopien ihres Films aushändigen – eine Aufforderung, der sie klugerweise nachkommen. Und das ist die Wahrheit, Billy.«

* * *

Luke muss langsam, aber sicher erkennen, dass er Hectors Taktik unterschätzt hat. Gut, seine Art mag stümperhaft wirken. Gut, er hat nur eine kümmerliche alte Karteikarte in der Hand. Aber die Marschroute, die er sich zurechtgelegt hat, ist alles andere als kümmerlich. Er hat noch zwei weitere Herren in petto, die er Matlock gern vorstellen möchte, und als die Perspektive sich weitet, um sie ins Bild zu bringen, wird klar, dass sie die ganze Zeit bei der Unterhaltung dabei waren. Der eine ist ein hochgewachsener, eleganter Mittfünfziger mit ausgeprägtem Diplomatennimbus. Er überragt den Minister in spe fast um Haupteslänge. Sein Mund ist scherzend geöffnet. Sein Name, verrät Yvonnes Bildunterschrift uns, ist Captain a. D. Giles de Salis, Royal Navy.

Diesmal hat sich Hector die Stellenbeschreibung selbst vorbehalten:

»Führender Westminster-Lobbyist und Strippenzieher, zählt etliche der weltgrößten Gangster zu seinen Kunden.«

»Ein Freund von Ihnen, Hector?«, erkundigt sich Matlock.

»Der Freund von jedem, der zehn Riesen für ein Tête-à-Tête mit einem unserer unbestechlichen Herrschenden abdrückt, Billy«, kontert Hector.

Der Vierte und Letzte im Bunde scheint selbst in verschwommener Vergrößerung der Inbegriff aristokratischer Vitalität. Die Revers seines maßgeschneiderten weißen Dinnerjackets sind mit zarten schwarzen Paspeln abgesetzt. Die silberne Haarmähne hat er dramatisch nach hinten gekämmt. Ist er ein berühmter Dirigent? Ein berühmter Oberkellner? Sein beringter Zeigefinger, erhoben in spaßhafter Ermahnung, wirkt wie der eines Tänzers. Die andere Hand liegt anmutig und unaufdringlich auf dem Oberarm des Ministers in spe. Auf seiner gefältelten Hemdbrust prunkt ein Malteserkreuz.

Kann das sein? Ein Malteserkreuz? Macht ihn das zum Malteserritter? Ist es eine Tapferkeitsmedaille? Irgendein ausländischer Orden? Oder hat er sich das Ding einfach gekauft, als Geschenk an sich selbst? Das ist eine Frage, die Luke und Yvonne bis in die frühen Morgenstunden umgetrieben hat. Nein, sind sie übereingekommen. Er hat es gestohlen.

Signor Emilio Dell’Oro, Italienisch-Schweizer, wohnhaft in Lugano, lautet der Untertitel, den in diesem Fall Luke verfasst hat, CO2-neutral, wie Hectors strikter Befehl lautete. Internationaler Salonlöwe, Pferdezüchter, Drahtzieher im Kreml.

Auch diesmal hat Hector den spannenden Teil für sich reserviert:

»Richtiger Name, zumindest gemäß unseren Recherchen, Stanislaw Auros. Polnisch-armenisch mit türkischem Einschlag, Autodidakt, Eigenkreation, durch und durch brillant. Derzeit Majordomus, Faktotum, gesellschaftlicher Berater und Frontmann des Prinzen.« Und ohne abzusetzen oder seinen Ton zu verändern: »Billy, warum übernehmen Sie nicht ab hier? Sie kennen ihn besser als ich.«

Lässt sich Matlock je übertölpeln? Offenbar nicht, denn er pariert ohne das winzigste Zögern:

»Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht ganz folgen, Hector. Helfen Sie mir kurz auf die Sprünge, wenn Sie so gut sein wollen.«

Das will Hector gerne. Er ist sichtlich aufgeblüht:

»Unsere Kindertage, Billy. Bevor wir beide erwachsen wurden. Mittsommer, wenn ich mich recht erinnere. Ich war Resident in Prag, Sie waren Einsatzleiter in London. Ich sollte in Ihrem Auftrag fünfzigtausend US-Dollar in kleinen Scheinen im Kofferraum von Stanislaws wartendem weißen Mercedes deponieren, zur Geisterstunde, keine dummen Fragen bitte. Nur dass er damals nicht Stanislaw hieß, sondern Monsieur Fabian Lazaar. Hat nicht mal seinen hübschen Kopf gewendet, um danke zu sagen. Keine Ahnung, wofür er das Geld bekommen hat, aber ich nehme schwer an, Sie wissen es. Er war damals gerade dabei, sich hochzuarbeiten. Hat gestohlene Artefakte verhökert, hauptsächlich aus dem Irak. Reichen Genfer Damen dabei geholfen, das Geld ihrer Männer auszugeben. Diplomatisches Bettgeflüster an den Meistbietenden verkloppt. Vielleicht war das Geld ja dafür. Treffer?«

»Ich habe weder mit Stanislaw noch mit Fabian gearbeitet, tut mir leid, Hector. Oder mit Mr Dell’Oro oder wie auch immer er sich jetzt nennt. Er war nicht mein Informant. Ich habe bei dieser Geldübergabe damals rein in Vertretung gehandelt.«

»In Vertretung von wem?«

»Meinem Vorgänger. Können wir dieses Verhör vielleicht beenden, Hector? Ich verhöre Sie, nicht umgekehrt, falls Sie es noch nicht bemerkt haben. Mein Vorgänger, wie Sie sehr gut wissen, Hector, war Aubrey Longrigg, und genau betrachtet bleibt er es auch, solange ich diesen Posten bekleide. Erzählen Sie mir nicht, Sie hätten Aubrey Longrigg vergessen – am Ende denke ich noch, Sie hätten Besuch von Dr. Alzheimer gehabt. Immer der hellste, immer der schnellste, Aubrey, bis zu seinem etwas verfrühten Ausscheiden. Selbst wenn er manchmal ein wenig übers Ziel hinausgeschossen hat, genau wie Sie.«

Für Matlock, erinnert sich Luke, war Angriff von jeher die beste Verteidigung.

»Und glauben Sie mir, Hector« – jetzt holt er richtig aus –, »wenn mein Vorgänger Aubrey Longrigg seinem Informanten noch fünfzig Riesen auszahlen muss, weil er just zu diesem Zeitpunkt aus dem Amt scheidet und zu höheren Weihen aufsteigt, und wenn Aubrey deshalb mich bittet, in seinem Namen diese Aufgabe zu übernehmen, zur vollen und endgültigen Begleichung einer gewissen privaten Schuld, dann werde ich mich nicht hinstellen und zu Aubrey sagen: ›Augenblick, Aubrey, ich hole nur schnell eine Sondergenehmigung ein und überprüfe Ihre Geschichte.‹ Hätten Sie das etwa? Nicht bei Aubrey! So dick, wie Aubrey damals mit dem Chef war, immer die Köpfe zusammengesteckt, immer ein Herz und eine Seele, wäre ich ja wohl des Wahnsinns gewesen, oder?«

In Hectors Stimme klingt der alte Stahl durch, endlich:

»Gut, dann werfen wir doch einen Blick auf den Aubrey von heute: Staatssekretär, Parlamentsabgeordneter für einen der unterprivilegiertesten Labour-Wahlkreise, standhafter Verfechter der Frauenrechte, geschätzter Berater des Verteidigungsministeriums in Sachen Waffenbeschaffung, und« – er schnalzt leise mit den Fingern und runzelt die Stirn, als hätte er es tatsächlich vergessen – »was ist er noch, Luke? Irgendwas war da doch noch …«

Und wie aus der Pistole geschossen hört Luke sich die Antwort geben:

»Designierter Vorsitzender des neuen parlamentarischen Unterausschusses zur Bankenethik.«

»Aber unserem Dienst auch nicht komplett entfremdet, oder?«, vergewissert sich Hector.

»Nicht anzunehmen«, bestätigt Luke, auch wenn ihm nicht ganz klar ist, warum Hector gerade ihn als Autorität in dieser Frage ansieht.

* * *

Vielleicht meiden wir Spione, selbst die Exspione, die Kameras ja aus gutem Grund, sinnierte Luke. Weil wir insgeheim immer fürchten, der Blitz des Photographen könnte die Schutzwand zwischen unserem äußeren Ich und dem inneren durchlöchern.

Der Parlamentsabgeordnete Aubrey Longrigg zumindest wirkte ganz entschieden kamerascheu. Selbst jetzt, wo er es nicht einmal merkte, im Halblicht eingefangen von einer wackelnden, minderwertigen Videokamera, von der ihn fünfzig Meter Wasser trennten, schien Longrigg jedes Fleckchen Schatten auszunutzen, das er auf dem lichterfunkelnden Deck der Prinzessin Tatjana nur finden konnte.

Wobei der arme Kerl auch wahrlich nicht photogen war, musste Luke einräumen. Aubrey Longrigg hatte schütteres Haar und ein so böses hakennasiges Gesicht, wie man es nur erwarten konnte bei seiner berüchtigten Intoleranz gegenüber allen, die ihm intellektuell unterlegen waren. Die adriatische Sonne hatte seine wenig reizvollen Züge zu einem flammenden Pink verfärbt, und mit der randlosen Brille wirkte er gleich dreimal wie ein ältlicher Bankbeamter – es sei denn, man kannte wie Luke all die Geschichten von dem rastlosen Ehrgeiz, der ihn antrieb, von dem gnadenlos scharfen Verstand, der den vierten Stock in ein Treibhaus für innovative Ideen wie auch für unversöhnliche Fehden verwandelt hatte, und von seinem erstaunlichen Erfolg bei einer gewissen Art von Frauen – der Art Frauen im Zweifel, denen es Spaß machte, als Dummchen behandelt zu werden. Das neueste Exemplar dieser Spezies stand jetzt neben ihm: Lady Janice (Jay) Longrigg, High-Society-Gastgeberin und Spendenbeschafferin. Es folgte Yvonnes Auszugsliste der zahlreichen Wohltätigkeitsorganisationen, die Lady Longrigg zu Dank verpflichtet waren.

Sie trägt ein elegantes schulterfreies Abendkleid. Ihr sorgfältig frisiertes pechschwarzes Haar wird von einer Strassspange gehalten. Sie hat ein huldvolles Lächeln und diesen königlichen, vorgeneigten Tappelgang, den nur Engländerinnen einer gewissen Abkunft und Gesellschaftsschicht zuwege bringen. Und sie sieht – für Lukes unnachsichtiges Auge zumindest – gnadenlos dumm aus. An ihrer Seite stehen bescheiden ihre beiden präadoleszenten Töchter in Partykleidchen.

»Das ist die Neue, oder?«, rief Matlock, der unverdrossene Labour-Anhänger, mit einem Mal ganz interessiert, als der Bildschirm auf Hectors Knopfdruck hin dunkel wurde und das Deckenlicht wieder anging. »Die er geheiratet hat, als es für ihn plötzlich eine Politikerkarriere sein musste, ohne irgendwelche Schmutzarbeit im Vorfeld. Ein schöner Parteifreund, also wirklich! New Labour hin oder her!«

* * *

Wieso auf einmal diese Leutseligkeit – und eine echte Leutseligkeit dieses Mal? Das Letzte, womit Luke gerechnet hatte, war Lachen, etwas, was man bei Matlock selbst in den besten Zeiten kaum je erlebte. Aber jetzt bebte sein großer tweedbekleideter Rumpf vor unterdrückter Heiterkeit. Hatte es damit zu tun, dass Longrigg und Matlock jahrelang miteinander auf Kriegsfuß gestanden hatten? Dass in der Gunst des einen zu stehen automatisch bedeutet hatte, beim anderen in Ungnade zu fallen? Dass böse Zungen Longrigg als den Denker vom Dienst tituliert hatten und Matlock, wenig freundlich, als den Bulldozer? Dass bei Longriggs Abgang die Witzbolde das Duell der beiden mit einem jahrzehntelangen Stierkampf verglichen hatten, bei dem der Bulle zu guter Letzt zum Puntillero geworden war?

»Tja, ein Überflieger, das war er, der gute Aubrey«, bemerkte er, als würde er eines Verstorbenen gedenken. »Und dabei auch ein ziemliches Finanzgenie, erinnere ich mich. Nicht Ihr Kaliber, Hector, das denn doch nicht, aber nicht weit davon entfernt. Das Einsatzbudget war nie ein Problem, das können Sie mir glauben, nicht mit Aubrey am Ruder. Ich meine, wie kommt er überhaupt auf dieses Boot?«, fragte derselbe Matlock, der noch Minuten zuvor die Meinung vertreten hatte, man könne einem Mann keinen Strick daraus drehen, dass er bei jemandem auf dem Boot war. »Und verkehrt noch dazu als Ehemaliger mit einem Exinformanten, worüber es im Regelbuch ja nun sehr klare Vorschriften gibt – zumal wenn besagter Informant ein so unsicherer Kantonist ist wie … wie auch immer er dieser Tage zu heißen behauptet.«

»Emilio Dell’Oro«, sprang ihm Hector beflissen bei. »Ein Name, den man sich wird merken müssen, Billy.«

»Man sollte denken, er wüsste es besser, nach allem, was wir ihm beigebracht haben, als mit Emilio Dell’Oro zu verkehren. Man sollte denken, ein Mann, der so, sagen wir, ausgefuchst ist wie Aubrey, wäre ein wenig vorsichtiger in der Wahl seiner Freunde. Wie kommt’s, dass er überhaupt dort war? Vielleicht gab es ja gute Gründe. Wir sollten kein vorschnelles Urteil fällen.«

»Einer dieser sagenhaften Zufälle, Billy«, erklärte Hector. »Aubrey, seine neueste Frau und die Töchterchen waren in den Bergen nahe der Adriaküste beim Zelten. Ein Londoner Bankierskumpel von Aubrey, Name unbekannt, ruft ihn an und erzählt ihm, dass die Tatjana ganz in der Nähe ankert und dass an Bord eine Party steigt, sie sollen schnell kommen und mitfeiern.«

»Beim Zelten? Aubrey? Sehr witzig.«

»Kleine Camping-Idylle. Das populistische Leben des New-Labour-Aubrey. Ein echter Mann aus dem Volk.«

»Machen Sie Campingurlaub, Luke?«

»Ja, aber Eloise hasst die englischen Campingplätze. Sie ist Französin«, erläuterte Luke und kam sich wie ein Idiot vor.

»Und wenn Sie Ihren Campingurlaub machen, Luke – mit einem weiten Bogen um englische Campingplätze, versteht sich –, haben Sie da normalerweise Ihren Smoking dabei?«

»Nein.«

»Und Eloise, nimmt sie ihre Brillanten mit?«

»Sie hat leider keine.«

Matlock ließ sich das durch den Kopf gehen. »Sie waren sicher viel mit Aubrey zusammen, Hector, bei Ihrem höchst lukrativen Ausflug in den Finanzdschungel, während wir anderen brav unserer Pflicht nachgekommen sind? Haben ab und an mal ein Bierchen gezischt, Sie und Aubrey? Wie man es in der City eben so macht?«

Hector zuckte wegwerfend die Achseln. »Wir sind uns ein paar Mal über den Weg gelaufen. Nackter Ehrgeiz ist nicht mein Ding, muss ich sagen. Zu öde.«

Woraufhin sich Luke, der seine Emotionen nicht mehr so leicht bemänteln konnte wie in früheren Jahren, fast an seinem Stuhl hätte festhalten müssen.

* * *

Über den Weg gelaufen? Allmächtiger, sie hatten einander bekämpft bis zum Umfallen, und noch weiter. Von allen Finanzgeiern, Heuschrecken, Geldhaien und Abzockern, die je gelebt hatten, war Longrigg laut Hector der bei weitem doppelzüngigste, verschlagenste, abgefeimteste, hinterfotzigste und bestvernetzte.

Aubrey Longrigg war es gewesen, der bei dem Anschlag auf die Getreide-Importfirma von Hectors Familie im Hintergrund die Fäden gezogen hatte. Kein anderer als Longrigg hatte durch ein dubioses, aber geschickt geknüpftes Netz aus Hinweisen die Steuerbehörde dazu gebracht, zu nachtschlafender Zeit Hectors Lagerhallen zu stürmen, Hunderte von Säcken aufzuschlitzen, Türen einzutreten und die Nachtschicht zu Tode zu erschrecken.

Durch Longriggs perfide Armada von Whitehall-Kontakten waren das Gesundheitsamt, das Finanzamt, die Brandschutzbehörde und die Einwanderungsbehörde aufgescheucht worden, die daraufhin allesamt anrückten, um die Familienangestellten zu drangsalieren und einzuschüchtern, ihre Schreibtische zu durchwühlen, ihre Kontobücher zu beschlagnahmen und ihre Steuererklärungen zu beanstanden.

Aber Aubrey Longrigg war für Hector nicht einfach der Feind, das wäre zu simpel gewesen. Er war ein Archetyp, ein klassischer Auswuchs der Fäulnis, die die City of London, Whitehall, Westminster sowie Englands kostbarste staatliche Institutionen zerfraß.

Hector bekriegte nicht Longrigg persönlich. Wahrscheinlich sprach er die Wahrheit, wenn er Matlock sagte, Longrigg öde ihn an, denn einer der Grundpfeiler seiner Weltsicht war es, dass die Männer und Frauen, die er verfolgte, per definitionem Langweiler waren, mittelmäßig, banal, unsensibel, farblos – und von den übrigen Langweilern nur durch zwei Dinge abgehoben: ihren verdeckten Zusammenhalt untereinander und ihre unersättliche Gier.

* * *

Hectors Kommentare kommen jetzt etwas lieblos daher. Wie ein Zauberer, der keine seiner Karten zu lange den Blicken aussetzen will, blättert er im Eiltempo durch den Packen internationaler Schurken, den Yvonne ihm zusammengestellt hat.

Flüchtig im Bild: ein runder, sehr kleiner, sehr herrisch aussehender Mann, der sich am Büfett seinen Teller füllt.

»Wird in deutschen Kreisen Karl der Kleine genannt«, sagt Hector abschätzig. »Halber Wittelsbacher – fragen Sie mich nicht, welche Hälfte das sein soll. Bayer, ein pechschwarzer Katholik, wie man dort sagt, enge Verbindungen zum Vatikan. Noch engere zum Kreml. Bundestagsabgeordneter und im Aufsichtsrat mehrerer russischer Ölgesellschaften, ein guter Kumpel von Emilio Dell’Oro. War letztes Jahr mit ihm in Sankt Moritz beim Skifahren, hat seinen spanischen Lover mitgebracht. Die Saudis vergöttern ihn. Nächstes Herzchen.«

Zu kurzer Schwenk auf einen schönen bärtigen Jüngling in weißem Glitzersmoking, der gestenreich mit zwei juwelenbehängten Matronen parliert.

»Das neueste Spielzeug von Karl dem Kleinen«, verkündet Hector. »Von einem Madrider Gericht letztes Jahr wegen schwerem Raub zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt, aber dank Karl aufgrund eines Verfahrensfehlers freigekommen. Seit kurzem im Aufsichtsrat der Arena-Unternehmensgruppe, derselben, der auch die Jacht des Prinzen gehört – ah, hier ist jemand, den wir uns anschauen müssen« – ein Tastenklick –, »Doktor Evelyn Popham aus der Mount Street, Mayfair, von seinen Freunden kurz Bunny genannt. Jurastudium in Neuchâtel und Manchester. Anwaltszulassung in der Schweiz, Höfling und Zuhälter der Surreyer Bonzen-Clique und einziger Partner seiner eigenen florierenden Kanzlei im West End. Völkerrechtler, Lebemann, verdammt guter Jurist. Ein Schlitzohr vor dem Herrn. Wo ist seine Website? Moment, ich hab’s gleich. Nein, lassen Sie, Luke. Ah, hier. Kommt schon.«

Und während Hector fummelt und grummelt, schmunzelt vom Plasmabildschirm Dr. Nennt-mich-ruhig-Bunny Popham geduldig auf sein Publikum herab. Er ist ein vergnügter, molliger Herr mit Pausbacken und Koteletten, der aussieht wie einem Beatrix-Potter-Buch entstiegen. Erstaunlicherweise ist er im Tennisdress und hält neben seinem Schläger auch noch eine attraktive Tennispartnerin im Arm.

Von der Homepage der Popham-minus-Kollegen-Website, die schließlich tatsächlich erscheint, blickt dasselbe fröhliche Gesicht; wohlgemut lächelt es über einem quasi-königlichen Wappen hervor, das die Waage Justizias zeigt. Darunter ist des Doktors Firmenphilosophie zu lesen:

Unser hochspezialisiertes Expertenteam bietet unter anderem:

– erfolgreiche Wahrung der Rechte führender Persönlichkeiten aus der internationalen Banken- und Unternehmenswelt gegen Ermittlungen des Betrugsdezernats

– erfolgreiche Vertretung hochstehender internationaler Mandanten in Fragen der Offshore-Rechtsprechung und Durchsetzung ihres Schweigerechts vor internationalen wie auch britischen Untersuchungsausschüssen

– erfolgreiche Niederschlagung von lästigen behördlichen Nachforschungen, Steuerfahndungen sowie Anklagen wegen unbotmäßiger oder illegaler Zahlungen an Leute mit Einfluss.

»Aber Tennis spielen«, knurrt Hector, und weiter geht’s in seiner Schurkengalerie, im selben Höllentempo wie zuvor.

* * *

In schnellem Lauf jagen wir durch die Sportclubs von Monte Carlo, Cannes, Madeira und der Algarve. Wir jetten von Biarritz nach Bologna. Wir versuchen Schritt zu halten mit Yvonnes Untertiteln und dem dazugehörigen Bilderkarussell, zusammencollagiert aus diversen Gesellschaftsmagazinen, aber es ist schwer, wenn man nicht wie Luke schon im Voraus weiß, worauf man zu achten hat.

Doch so rasant Gesichter und Orte unter Hectors launischer Regie auch wechseln, so viele Reiche und Schöne in topmodernem Tennisdress auch an uns vorüberflitzen, fünf Spieler tauchen immer wieder auf:

der verschmitzte Bunny Popham, Fachanwalt für die Niederschlagung von lästigen behördlichen Nachforschungen und Anklagen wegen illegaler Zahlungen an Leute mit Einfluss

der bornierte Ehrgeizling Aubrey Longrigg, Exspion, Parlamentarier und Campingurlauber, mit seiner mildtätigen blaublütigen neuen Gattin

der Minister in spe und designierte Experte für Bankenethik

der charmante, polyglotte Gesellschaftslöwe Emilio Dell’Oro, Autodidakt, Eigenkreation, Schweizer Staatsbürger und weltenbummelnder Finanzier, der, so verrät ein eingescannter Zeitungsausschnitt dem, der schnell genug lesen kann (obwohl Dell’Oro dank einem technischen Aussetzer übergebührlich lange im Bild bleibt), süchtig nach »Adrenalinsport jedweder Art« ist, »ob Hochgeschwindigkeitstennis, Bareback-Reiten im Ural, Heli-Skiing in Kanada oder Aktien-Jonglieren in Moskau« – und, zum guten Schluss:

der weltmännische Patrizier und PR-Maestro Captain a. D. Giles de Salis von der Royal Navy, Drahtzieher und Kenner korrupter Peers – oder in Hectors Worten »einer der miesesten Schleimscheißer in Westminster«.

Licht an. Neuer USB-Stick. Ein Thema, ein Stick, so lautet die Regel. Hector trennt gern zwischen den einzelnen Geschmacksrichtungen. Zeit für einen Abstecher nach Moskau.